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Neue UNHCR-Richtlinien: Abschiebungen sind dringend auszusetzen
UNHCR hat seine neuen Richtlinien zu Afghanistan veröffentlicht und bringt es auf den Punkt: Geflüchtete Afghan*innen können nicht nach Kabul geschickt werden! PRO ASYL fordert, die nächste geplante Sammelabschiebung für kommenden Dienstag, 11.09., akut auszusetzen. Entscheidungen über Leib und Leben dürfen diese Erkenntnisse nicht ignorieren.
Das neue 120-Seiten-Papier des UNHCR beschreibt unter detaillierter Quellenangabe, wie sich die Sicherheits‑, Menschenrechts- und humanitäre Lage in Afghanistan weiter verändert hat. Diese Beschreibung verläuft diametral zur derzeitigen Praxis der Abschiebungen nach Afghanistan, konkret nach Kabul. Gerade für die entscheidende Frage der Situation in der Hauptstadt heißt es nämlich, dass dort kein Schutz zu finden ist (S. 114):
»UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an IFA/IRA [interne Schutz- oder Neuansiedlungsalternative] is generally not available in the city.«
UNHCR beschreibt ausdrücklich die Gefahren, die sich durch die verschärfte Sicherheitslage für Zivilist*innen ergeben (S. 112):
»In Hinblick auf die gegenwärtige Sicherheits- und Menschenrechtslage, sowie die humanitäre Situation, ist Kabul keine generelle interne Fluchtalternative.«
Kein interner schutz
Die Eligibility Guidelines beschreiben ausdrücklich die Gefahren, die sich durch die verschärfte Sicherheitslage für ZivilistInnen ergeben. Die von UNHCR genannten Bedingungen für eine interne Fluchtalternative (dauerhafter Schutz und Sicherheit, Existenzsicherungsmöglichkeiten, notwendige Infrastruktur) sind in Kabul nicht gegeben.
Das heißt interne Fluchtalternativen gibt es für die Betroffenen in der Realität nicht und wenn es sie gäbe, sind sie nicht erreichbar. Die Überlandstrassen werden von den Taliban kontrolliert – was auch das Auswärtige Amt (AA) in seinem aktuellen Lagebericht vom 31. Mai eindeutig feststellt hat. Das AA beschreibt die Lage als »volatil« – das ist eine diplomatische Beschreibung angesichts der Tatsache, dass die Tabilan Städte wie Kundus und Ghazni bereits vorübergehend eingenommen haben und militärisch erstarken. Was diese neue Einschätzung für Folgen haben muss, zeigt Finnland – bislang hinsichtlich Afghanistan eines der wenigen Abschiebeländer: Unmittelbar nach diesem Bericht hat es zurzeit die Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt.
Auch in Deutschland kommt der Bericht zur richtigen Zeit: Für nächsten Dienstag ist erneut eine Sammelabschiebung nach Kabul geplant. Zum 16. Mal in Folge sollen afghanische Flüchtlinge in die Hauptstadt Afghanistans abgeschoben werden, der Flug soll in München starten.
Kabul als Alternative war Grundlage vieler Ablehnungen
Das Problem: Immer mehr Afghan*innen wurden schon vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) trotz möglicher Vorverfolgung mit der Begründung abgelehnt, sie könnten doch in Kabul Schutz finden (sog. »interne Schutzalternative«). Abschiebungsverbote nach Kabul wurden oftmals nicht festgestellt. Seit über einem Jahr schieben Ausländerbehörden in die Hauptstadt ab. Nun aber dürfen die Behörden und Gerichte sich diesen neuen Erkenntnissen nicht verschließen, schließlich kommen sie aus dem UN-Flüchtlingshochkommissariat als einer zwingend zu berücksichtigenden Quelle.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 25. April 2018 betont, dass die »tagesaktuellen« entscheidungserheblichen Tatsachengrundlagen zu erfassen und zu bewerten sind. Aufgrund der Dynamik des dort herrschenden Konflikts gerade bei einem Land wie Afghanistan. Ein Blick in die Presse beweist das: Am 5. September hat der sog. »Islamische Staat« mit einem Doppelanschlag auf einen Sportklub in Kabul mindestens 20 Menschen getötet und 70 weitere verletzt, einen Tag später erfolgten Anschläge der Taliban in den Provinzen Badghis und Tachar.
Fehlende Sicherheit, fehlende Aufnahmekapazitäten, fehlender Zugang
Auch für andere Städte betont UNHCR, dass gerade Zivilist*innen im alltäglichen Leben Opfer der dort herrschenden Gewalt werden können. Ohnehin muss zwingend eine ganz konkrete orts- und personenbezogene Einzelfallprüfung der (Über-)Lebensbedingungen aufgrund aktueller Erkenntnisse erfolgen.
Problematisch ist in Kabul wie in anderen Orten z.B. – neben der Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung – der erforderliche Zugang zu Wohnraum: 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung lebt in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Unterkünften (S. 111). Ganz abgesehen davon, dass geprüft werden muss, ob diese Orte überhaupt sicher und legal zu erreichen sind (S. 110). Ebenso beschreibt der Bericht besondere Risikogruppen, die auf Schutz angewiesen sein können – beispielsweise Männer im wehrfähigen Alter oder »verwestlichte« Personen (Kapitel III).
Die derzeitige Asylentscheidungs- und Abschiebepraxis widerspricht den Fakten!
Nicht nur UNHCR, schon das Auswärtige Amt hat in seinem bereits erwähnten Lagebericht erhebliche Verschärfungen festgestellt. Auch deshalb ist dringend eine neue, einzelfallbezogene Prüfung erforderlich.
Die Innenminister der Bundesländer müssen Abschiebungen nach Afghanistan stoppen, Behörden und Gerichte diese neuen Berichte ernst nehmen. Die derzeitige Asylentscheidungs- und Abschiebepraxis widerspricht den Fakten.
(beb)