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Frontex Training von Grenzschutzbeamten in Kroatien. Auch Deutschland unterstütze solche Seminare finanziell. Foto: Frontex/ Facebook

Kroatien verletzt an den EU-Außengrenzen systematisch und auf brutalste Weise internationales Recht. Dennoch erhält Kroatien Millionen an Unterstützung und politische Rückendeckung – gerade von Deutschland. In einer Recherche geht das Border Violence Monitoring Network (BVMN), unterstützt durch PRO ASYL, der Zusammenarbeit nach.

24 deut­sche Verbindungsbeamt*innen, 129 Bundespolizist*innen mit Fron­tex­man­dat, fast 90 Semi­na­re und tech­ni­sche Aus­rüs­tung im Wert von rund 2,8 Mil­lio­nen Euro: Das ist die Bilanz der Zusam­men­ar­beit zwi­schen Deutsch­land und dem kroa­ti­schen Grenz­schutz inner­halb von fünf Jah­ren. Hin­zu kom­men wei­te­re Fron­tex-Trai­nings­ein­hei­ten, die Deutsch­land finan­zi­ell unter­stütz­te. Mit dem Bericht »Ger­man Fun­ding To Croa­ti­an Bor­der Enforce­ment« legt das Bor­der Vio­lence Moni­to­ring Net­work (BVMN) die Ergeb­nis­se ihrer Unter­su­chun­gen zur Koope­ra­ti­on zwi­schen Deutsch­land und Kroa­ti­en im Zeit­raum von 2016 bis 2021 vor. Begüns­tigt wur­den nach­weis­lich auch sol­che Ein­hei­ten, die an gewalt­sa­men Push­backs und Miss­hand­lun­gen betei­ligt sind.

Unrecht­mä­ßi­ge Zurück­wei­sun­gen – Push­backs – an den kroa­ti­schen EU-Außen­gren­zen wer­den seit Ende 2016 von Aktivist*innen, zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteu­ren, Journalist*innen und zwi­schen­staat­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen akri­bisch doku­men­tiert. Die­se kon­ti­nu­ier­li­che Arbeit hat zu Urtei­len euro­päi­scher Gerich­te bei­getra­gen, die bestä­ti­gen, dass Push­backs an den kroa­ti­schen EU-Außen­gren­zen durch staat­li­che Akteu­re durch­ge­führt werden.

Recherche: Deutschlands Unterstützung für Kroatiens Grenzabschottung

Trotz der offen­kun­di­gen Ver­stö­ße gegen inter­na­tio­na­le und euro­päi­sche Rechts­stan­dards, nicht zuletzt auch fest­ge­hal­ten im Schen­ge­ner Grenz­ko­dex, wur­de die Auf­nah­me Kroa­ti­ens in den Schen­gen­raum am gest­ri­gen Don­ners­tag beschlos­sen. Als lang­jäh­ri­ger und stra­te­gi­scher Part­ner Kroa­ti­ens in Sachen Grenz­schutz gilt Deutsch­land. Amtsträger*innen haben Kroa­ti­en seit 2016 nicht nur offen­kun­dig für die Grenz­ab­wehr gedankt, son­dern stan­den dem EU-Außen­grenz­staat auch mit groß­zü­gi­ger per­so­nel­ler, mate­ri­el­ler und logis­ti­scher Unter­stüt­zung zur Seite.

Das Bor­der Vio­lence Moni­to­ring Net­work hat die­se Koope­ra­ti­on für 2016 bis 2021 beleuch­tet. In die­ser Zeit waren 24 deut­sche Verbindungsbeamt*innen in Kroa­ti­en sta­tio­niert, zusätz­lich zu 129 Bundespolizist*innen mit Fron­tex­man­dat (Zeit­raum: 2017 bis  2022). Zudem flos­sen in den fünf Jah­ren 2.862.851,36 Euro an den kroa­ti­schen Grenz­schutz in Form von Fahr­zeu­gen, Wär­me­bild­ka­me­ras und Über­wa­chungs­tech­no­lo­gie. 87 Semi­na­re und Besu­che wur­den abge­hal­ten – Gesamt­kos­ten: 422.168,84 Euro. Hier nicht ver­rech­net sind wei­te­re Fron­tex-Trai­nings­ein­hei­ten, die von Deutsch­land finan­zi­ell unter­stützt wur­den – eine detail­lier­te Lis­te aller Seminare/ Besu­che und Trai­nings ist dem Annex des Reports zu entnehmen

Wer steckt hinter den Pushbacks?

Unzäh­li­ge Recher­chen diver­ser Akteur*innen in den ver­gan­ge­nen Jah­ren haben offen­ge­legt, dass die sys­te­ma­ti­schen und häu­fig gewalt­tä­ti­gen unrecht­mä­ßi­gen Zurück­wei­sun­gen von einem ver­strick­ten Netz von Akteu­ren im Inne­ren und an den Gren­zen Kroa­ti­ens durch­ge­führt wer­den – bekannt wur­de etwa die ab 2017 unter dem Code­na­men »Kori­dor« umge­setz­te Ope­ra­ti­on zur Ver­hin­de­rung von Migration.

»Grenz­schutz, sta­tio­nier­te und mobi­le Ein­hei­ten, Inter­ven­ti­ons- und Spe­zi­al­po­li­zei, Poli­zei­be­am­te in den Städ­ten, Abfang­jä­ger auf den Auto­bah­nen – sie alle arbei­ten dar­an, Migran­ten an der Durch­rei­se durch Kroa­ti­en zu hin­dern.« Kroa­ti­scher Poli­zist, 2019.

Wäh­rend die Grenz­po­li­zei in ers­ter Linie mit der Über­wa­chung und der Kon­trol­le der Gren­zen betraut ist, wer­den sie für wei­te­re »Auf­ga­ben« von unter­schied­li­chen Ein­hei­ten unter­stützt. Her­vor­zu­he­ben sind ins­be­son­de­re die Inter­ven­ti­ons­po­li­zei und die Spezialpolizei.

Brutal und skrupellos: Die Interventionspolizei und »schwarzmaskierte Männer«

Immer wie­der berich­ten Schutz­su­chen­de von »schwarz­mas­kier­ten Män­nern«, die die Push­backs durch­ge­führt haben. Die Beschrei­bung der Uni­for­men passt auf die der kroa­ti­schen Inter­ven­ti­ons­po­li­zei. Sie wird mit extrem gewalt­sa­mem Vor­ge­hen in Ver­bin­dung gebracht, etwa mit dem Ein­satz von Poli­zei­hun­den zur Bedro­hung von und Atta­cken auf Schutz­su­chen­de. Nach­ge­wie­sen ist auch, dass die Inter­ven­ti­ons­po­li­zei den Mul­ti­funk­ti­ons­schlag­stocks »Ton­fa« ein­setzt. Tech­ni­ken im Umgang mit die­sem spe­zi­el­len Schlag­stock prä­sen­tier­te die Inter­ven­ti­ons­po­li­zei 2021 Vertreter*innen des deut­schen Innen­mi­nis­te­ri­ums, der Bun­des­po­li­zei und Ländervertretern.

Deutsch­land unter­stütz­te spe­zi­ell die Inter­ven­ti­ons­po­li­zei zwi­schen 2016 und 2021 mit Aus­rüs­tung im Wert von 158.171,98 Euro und Trai­ning im Umfang von 47.539,92 Euro. Bei dem Ver­such, nähe­re Infor­ma­tio­nen zu den Inhal­ten des Trai­nings durch ver­schie­de­ne deut­sche Insti­tu­tio­nen zu erfra­gen, erhiel­ten die Researcher*innen von BVMN nahe­zu kei­ne Aus­künf­te. Vor dem Hin­ter­grund des bri­san­ten Kon­texts ist das als besorg­nis­er­re­gend zu bewerten.

Deutsch­land unter­stütz­te spe­zi­ell die Inter­ven­ti­ons­po­li­zei zwi­schen 2016 und 2021 mit Aus­rüs­tung im Wert von 158.171,98 Euro und Trai­ning im Umfang von 47.539,92 Euro.

Involviert in Pushbacks: Die Spezialpolizei 

Die aus ver­schie­de­nen Ein­hei­ten bestehen­de Spe­zi­al­po­li­zei kann leicht durch ihre oliv­grü­ne Klei­dung iden­ti­fi­ziert wer­den. In Berich­ten von Schutz­su­chen­den wer­den sie auf­grund der Klei­dung häu­fig als Ange­hö­ri­ge »des Mili­tärs« bezeich­net. Auch sie gehö­ren zum eng ver­strick­ten Akteurs­netz. So wird beschrie­ben, dass Ein­hei­ten der Spe­zi­al­po­li­zei Schutz­su­chen­de auf­grei­fen und so die Zurück­wei­sung ermög­li­chen – Deutsch­land unter­stütz­te sie zwi­schen 2016 und 2021 mit Maß­nah­men und Aus­rüs­tung im Wert von 321.527,70 Euro.

Häu­fig wird von Betrof­fe­nen geschil­dert, dass sie in Fahr­zeu­ge getrie­ben wur­den, bis die­se mit bis zu 20 Per­so­nen bis auf die letz­te Ecke voll­ge­stopft waren. Durch gefähr­li­che Fahr­ma­nö­ver und die Regu­lie­rung der Tem­pe­ra­tur – extrem nied­rig oder extrem hoch – wird die Fahrt so uner­träg­lich wie mög­lich gemacht. Betrof­fe­ne berich­ten, dass sie die­se Bedin­gun­gen für meh­re­re Stun­den aus­hal­ten mussten.

Missbräuchliche Nutzung von polizeilicher Ausrüstung

Die Fahr­zeu­ge wer­den in der Regel als wei­ße Vans ohne Fens­ter und teil­wei­se mit der Auf­schrift »Poli­ci­ja« beschrie­ben. Nach­weis­lich unter­stütz­te Deutsch­land den Fuhr­park der kroa­ti­schen Grenz­po­li­zei. 2020 stell­te Deutsch­land 20 Fahr­zeu­ge der Typen Volks­wa­gen (Trans­por­ter) und Toyo­ta Land­crui­ser im Gesamt­wert von 835.000,00 Euro zur Ver­fü­gung. Laut kroa­ti­schem Innen­mi­nis­te­ri­um wer­den die­se ein­ge­setzt, um gegen »ille­ga­le Migra­ti­on« vor­zu­ge­hen. Es war die zwei­te Spen­de die­ser Art inner­halb eines Jahres.

Nach Anga­ben des kroa­ti­schen Innen­mi­nis­te­ri­ums kamen Fahr­zeu­ge, die Deutsch­land im Früh­jahr 2020 über­gab, der Spe­zi­al­po­li­zei zu Gute. Unklar bleibt jedoch der genaue Umfang die­ser Sach­spen­de. Das kroa­ti­sche Innen­mi­nis­te­ri­um spricht von vier Fahr­zeu­gen des Typs Mer­ce­des Benz Sprin­ter, auf deut­scher Sei­te fin­den sich Infor­ma­tio­nen über zwei Fahr­zeug­spen­den die­ser Art sowie einen Ford-Tran­sit, die der Gene­ral­po­li­zei­di­rek­ti­on Zagreb über­ge­ben wurden.

Achtung der Menschenrechte muss zum Maßstab bilateraler Kooperation werden

Sowohl im Bei­tritts­pro­zess zum Schen­gen-Raum als auch als Vor­aus­set­zung für die bila­te­ra­le Unter­stüt­zung blie­ben die Auf­ar­bei­tung der Grenz­ge­walt, der Poli­zei­bru­ta­li­tät und der sys­te­ma­ti­schen Zurück­wei­sun­gen an den kroa­ti­schen Gren­zen aus. Trotz des von ihr bekun­de­ten Zie­les, die ille­ga­len Zurück­wei­sun­gen und das Leid an den Außen­gren­zen zu been­den, stimm­te auch die aktu­el­le Bun­des­re­gie­rung für den Schen­gen­bei­tritt Kroa­ti­ens. Von einem Kurs­wech­sel fehlt jede Spur.

Ange­sichts des Aus­ma­ßes der sys­te­ma­ti­schen und gewalt­vol­len Push­backs ent­lang der kroa­ti­schen Gren­zen und den dahin­ter­lie­gen­den Struk­tu­ren kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass Aus­rüs­tung, die Deutsch­land finan­ziert hat, auch im Zusam­men­hang mit völ­ker­rechts­wid­ri­gen Push­back­ope­ra­tio­nen ent­lang der kroa­ti­schen Gren­ze ein­ge­setzt wird.

Die unun­ter­bro­che­ne Unter­stüt­zung des kroa­ti­schen Grenz­schut­zes und das Votum von Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser im EU-Inn­nen­mi­nis­ter­rat für die Auf­nah­me Kroa­ti­ens in den Schen­gen-Raum machen deut­lich: Deutsch­land steht an der Sei­te der Täter, nicht an der Sei­te der Opfer. Soll­te die Ampel-Regie­rung, allen vor­an Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Fae­ser, das ändern wol­len, muss sie die Ach­tung von Men­schen­rech­ten zum Maß­stab ihrer bila­te­ra­len Koope­ra­ti­on machen. Auch und beson­ders an euro­päi­schen Grenzen.

Das Bor­der Vio­lence Moni­to­ring Net­work ist ein Netz­werk von 16 Orga­ni­sa­tio­nen ent­lang der Bal­kan­rou­te, die unrecht­mä­ßi­ge Zurück­wei­sun­gen an den Gren­zen der EU doku­men­tie­ren. Die PRO ASYL unter­stützt die Arbeit des Bor­der Vio­lence Moni­to­ring Networks.

(mz, dm, wr)