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Wenn Schnelligkeit vor Qualität geht: Leider schlampt das BAMF nicht nur beim Schilderstreichen und Müllwegräumen. Und die fehlende Sorgfalt bei Asylverfahren hat gravierende Folgen für die Menschen. Foto: dpa

Zehn Jahre nach dem ersten Memorandum zum Stand der Asylverfahren in Deutschland zeigt eine neues, von PRO ASYL mitherausgegebenes Memorandum auf, dass strukturelle Defizite beim BAMF weiter bestehen. Die Herausgeber*innen fordern: Beim Abbau Hunderttausender unerledigter Asylanträge darf es keine Abstriche bei der Qualität geben.

Ein Zusam­men­schluss aus zwölf Wohl­fahrts­ver­bän­den, Anwalts- und Rich­ter­ver­ei­ni­gun­gen sowie Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen hat heu­te das Papier »Memo­ran­dum für fai­re und sorg­fäl­ti­ge Asyl­ver­fah­ren in Deutsch­land« ver­öf­fent­licht. Dar­in for­dert das Bünd­nis eine zügi­ge Bear­bei­tung der Asyl­an­trä­ge, mahnt jedoch drin­gend zur Qua­li­tät vor Schnelligkeit.

Qualitätsmängel zu Lasten von Asylsuchenden

Die Vor­ga­be der Bun­des­re­gie­rung an das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF), bis zum Wahl­jahr 2017 mehr als eine hal­be Mil­li­on anhän­gi­ger Asyl­an­trä­ge abzu­ar­bei­ten, hat zu einer feh­ler­träch­ti­gen Ent­schei­dungs­hek­tik geführt.

Die hohen Asyl­an­trags­zah­len seit 2015 und die Ver­drei­fa­chung der Mit­ar­bei­ten­den des BAMF sowie eine neue Struk­tur der Ent­schei­dungs­fin­dung – sys­te­ma­ti­sche Tren­nung von Anhö­rung und Ent­schei­dung – haben in zum Teil dras­ti­scher Wei­se zusätz­lich zu Qua­li­täts­ein­bu­ßen geführt, die zulas­ten von Flücht­lin­gen gehen. Auf­grund des gro­ßen Umfangs der Pro­ble­me wird nur ein Teil der Betrof­fe­nen die Mög­lich­keit haben, eine Kor­rek­tur der Ent­schei­dung durch die Gerich­te zu erhalten.

Systematische Trennung von Anhörung und Entscheidung

Mit der Ein­füh­rung von rei­nen Ent­schei­dungs­zen­tren und der Ein­stel­lung von Per­so­nen, deren Tätig­keit sich auf die Anhö­rung beschränkt, ist die Tren­nung von anhö­ren­der und ent­schei­den­der Per­son die Regel. Dem­entspre­chend wird in vie­len Außen­stel­len des Bun­des­am­tes über­haupt nicht mehr ent­schie­den. Es wird ange­hört und die Ent­schei­dung an Ent­schei­dungs­zen­tren abgegeben.

Für eine sach­ge­rech­te Ent­schei­dung ist der per­sön­li­che Ein­druck aber höchst bedeut­sam. Im Asyl­ver­fah­ren kommt es wesent­lich auf die Glaub­haf­tig­keit der Anga­ben der Asyl­su­chen­den an. Nur sel­ten kön­nen sie die Ver­fol­gung anhand mit­ge­brach­ter Doku­men­te bewei­sen. Des­halb ist eine unvor­ein­ge­nom­me­ne Anhö­rung extrem wich­tig, in der sich die Entscheider*innen ein Bild von der Per­son und ihren Grün­den für den Asyl­an­trag machen können.

Eine syri­sche Fami­lie nimmt eine ver­folg­te Chris­tin auf. Sie wird erschos­sen, der Fami­lie wird gedroht. Der flucht­aus­lö­sen­de Sach­ver­halt wird in drei Zei­len notiert, aber durch kei­ner­lei Nach­fra­gen wei­ter auf­ge­klärt. Statt­des­sen folgt abrupt die Fra­ge, was die Antrag­stel­le­rin bei einer Rück­kehr erwar­te. Die Anhö­rung dau­ert ins­ge­samt nur 25 Minu­ten, zuer­kannt wird in dem Fall nur sub­si­diä­rer Schutz – zu Unrecht.

Laut Rechts­an­walt Marx, der die Betrof­fe­ne ver­tritt, ist dies eine Fol­ge der Ein­füh­rung geson­der­ter Anhö­rungs­zen­tren, in denen unter hohem zeit­li­chen Druck Anhö­run­gen durch­ge­führt wer­den. Wenn unzu­rei­chend pro­to­kol­liert wird und Flucht­grün­de nicht ermit­telt wer­den, führt dies zwangs­läu­fig zu Fehlentscheidungen.

Eine afgha­ni­sche Heb­am­me, die der Min­der­heit der Haza­ra ange­hört, wird zu einer Geburt geru­fen. Trotz ihrer drin­gen­den Emp­feh­lun­gen wei­gert sich die Fami­lie (Ange­hö­ri­ge der pasch­tu­ni­schen Mehr­heit) ein Kran­ken­haus auf­zu­su­chen. Das Baby wird tot gebo­ren. Der Vater ist ein loka­ler Tali­ban. Die Frau, weil sie Schii­tin ist, wird für den Tod ver­ant­wort­lich gemacht und flieht nach Deutsch­land. Ihre Anhö­rung ver­lief kor­rekt und ist umfas­send pro­to­kol­liert, der Fall wird aller­dings durch eine ande­re Per­son entschieden.

Die Ein­füh­rung von Ent­schei­dungs­zen­tren und die sys­te­ma­ti­sche Tren­nung von anhö­ren­der und ent­schei­den­der Per­son ist eine Ursa­che für Fehl­ent­schei­dun­gen: Der Asyl­an­trag wur­de abge­lehnt, ein poli­ti­scher Zusam­men­hang bestrit­ten. Aus einer Haza­ra – rich­tig im Anhö­rungs­pro­to­koll ver­merkt – wur­de außer­dem eine Tadschikin.

Massenhafte Neueinstellungen ohne ausreichende Schulung

Das neue Per­so­nal erhält nur noch eine Kurz­aus­bil­dung: Statt der frü­her übli­chen sechs­mo­na­ti­gen Aus­bil­dung gilt jetzt: »Anhö­rer erhal­ten eine drei­wö­chi­ge Schu­lung, Ent­schei­der vier Wochen, Voll­ent­schei­der fünf Wochen« (BT-Druck­sa­che 18/9415, S.65). Dolmetscher*innen sind häu­fig nicht aus­rei­chend qua­li­fi­ziert, um die schwie­ri­gen Anhö­run­gen beim Bun­des­amt zu über­set­zen. (BT-Druck­sa­che 18/8309)

Asylverfahren in nur 48 Stunden

Asyl­an­trä­ge wer­den inzwi­schen in neu ein­ge­rich­te­ten Ankunfts­zen­tren bin­nen 48 Stun­den ent­schie­den. Die Antrag­stel­len­den wer­den in Clus­ter (Grup­pen) vor­sor­tiert, ihre Anträ­ge bereits im Vor­feld als komplex/weniger kom­plex bzw. nach der angeb­lich »guten« oder »schlech­ten« Blei­be­per­spek­ti­ve eingeteilt.

Die Betrof­fe­nen haben dort oft­mals kei­nen Zugang zu einer qua­li­fi­zier­ten Bera­tung vor Beginn der Anhö­rung. Vie­le gehen somit unvor­be­rei­tet und unin­for­miert in die Anhö­rung. Die Defi­zi­te und Män­gel zei­gen sich in der Qua­li­tät der Asy­l­ent­schei­dun­gen, die kaum noch auf einer gründ­li­chen indi­vi­du­el­len Ein­zel­fall­prü­fung basieren.

Anlasslose Änderungen der Entscheidungspraxis für Syrien, Irak, Eritrea und Afghanistan

Ent­spre­chend der Clus­ter­bil­dung in den Ankunfts­zen­tren wird immer häu­fi­ger ohne aus­rei­chen­de Prü­fung ledig­lich der sub­si­diä­re Schutz zuge­spro­chen und Asyl­su­chen­den aus den Haupt­her­kunfts­län­dern Syri­en, Irak und Eri­trea der vol­le Flücht­lings­schutz verweigert.

Es drängt sich der Ein­druck auf, dass Ände­run­gen in der Gesetz­ge­bung und poli­ti­sche Vor­ga­ben die Ent­schei­dungs­pra­xis des Bun­des­am­tes beein­flus­sen, ohne dass sich die Lage in den betrof­fe­nen Her­kunfts­län­dern wesent­lich ver­än­dert hat. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass ein Zusam­men­hang mit der Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te besteht.

Bei Afghan*innen gibt es sogar immer mehr Ableh­nun­gen: Von Janu­ar bis Okto­ber 2016 wur­de über die Asyl­an­trä­ge von 32.352 Afghan*innen inhalt­lich ent­schie­den, davon wur­den 14.107 Anträ­ge abge­lehnt – auf poli­ti­schen Druck hin.

Am 5. Novem­ber 2015 haben die Vor­sit­zen­den von CDU, CSU und SPD dar­auf ver­stän­digt, »zur Schaf­fung und Ver­bes­se­rung inner­staat­li­cher Flucht­al­ter­na­ti­ven bei[zu]tragen und vor die­sem Hin­ter­grund die Ent­schei­dungs­grund­la­gen des BAMF [zu] über­ar­bei­ten und an[zu]passen.« Inner­staat­li­che Flucht­al­ter­na­ti­ven sol­len also eher her­bei­ge­schrie­ben wer­den, als dass sie in der Rea­li­tät existieren.

Nach dem Koali­ti­ons­be­schluss sank die Schutz­quo­te rapi­de von 78% in 2015 auf unter 50% im August 2016. Afghan*innen wird inzwi­schen ver­mehrt nur noch natio­na­ler Abschie­be­schutz zuerteilt.

Kaum Qualitätskontrolle beim BAMF

In der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung zum The­ma Qua­li­täts­kon­trol­le wer­den für 2015 ledig­lich 136 Ein­zel­fall­prü­fun­gen, für 2016 bis­lang 78 Ein­zel­fall­prü­fun­gen aus­ge­wie­sen. Die Zahl sons­ti­ger Qua­li­täts­kon­trol­len in den Außen­stel­len, Ankunfts- und Ent­schei­dungs­zen­tren kön­ne nicht bezif­fert wer­den (BT-Druck­sa­che 18/9415, S.64).

Überlastung der Gerichte droht

Bis das Bun­des­amt eine nen­nens­wer­te Qua­li­täts­kon­trol­le eta­bliert hat, sind die Betrof­fe­nen allein auf die Ver­wal­tungs­ge­rich­te als Kor­rek­tur­instanz ange­wie­sen, die der­zeit im Akkord feh­ler­haf­te Ent­schei­dun­gen auf­he­ben müs­sen, denn ein Wider­spruchs­ver­fah­ren ist im deut­schen Asyl­recht nicht vor­ge­se­hen. Es ist aber nicht Auf­ga­be der Ver­wal­tungs­ge­rich­te, Kor­rek­tur­instanz für Feh­ler des Bun­des­am­tes zu sein, die dort bereits ver­hin­dert wer­den könnten.

Fazit: Qualität vor Schnelligkeit

Das Bünd­nis for­dert in dem vor­ge­leg­ten Memo­ran­dum eine Rei­he von Maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät bei Asy­l­ent­schei­dun­gen: Per­so­nen­iden­ti­tät von Ent­schei­den­den und Anhö­ren­den, sorg­fäl­ti­ge Anhö­run­gen mit Sach­ver­halts­auf­klä­rung, aus­rei­chen­de Schu­lun­gen von Dolmetscher*innen und BAMF-Mit­ar­bei­ten­den sowie den Aus­bau einer ange­mes­sen aus­ge­stat­te­ten Qua­li­täts­si­che­rung im BAMF mit dem Auf­trag, feh­ler­haf­te Ent­schei­dun­gen vor Ver­sen­dung zu korrigieren.

Anhang: For­de­rungs­ka­ta­log des Bündnisses 

Die Stu­die wur­de her­aus­ge­ge­ben von: Amnes­ty Inter­na­tio­nal, Arbei­ter­wohl­fahrt, Bun­des­wei­te Arbeits­ge­mein­schaft Psy­cho­so­zia­ler Zen­tren für Flücht­lin­ge und Fol­ter­op­fer, Arbeits­ge­mein­schaft Migra­ti­ons­recht im Deut­schen Anwalt­ver­ein, Deut­scher Cari­tas­ver­band, Deut­scher Pari­tä­ti­scher Wohl­fahrts­ver­band, Dia­ko­nie Deutsch­land, Neue Rich­ter­ver­ei­ni­gung, Jesui­ten-Flücht­lings­dienst, PRO ASYL, Repu­bli­ka­ni­scher Anwäl­tin­nen- und Anwäl­te­ver­ein und der Bundesrechtsberaterkonferenz.