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Qualitätsskandal beim BAMF: Fehlentscheidungen am Fließband, keinerlei Kontrolle

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nimmt Qualitätsmängel bewusst in Kauf und manipuliert nachträglich den Ablauf eines Asylverfahrens.
Nachträgliche Manipulation von Protokollen
PRO ASYL hat sich im Fall eines als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnten Somalis an das BAMF gewendet – mit konkreten Mängelrügen. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass der Befragte bei seiner Anhörung auf angebliche Nachfragen des BAMF-Mitarbeiters wiederholt keine Antwort gegeben haben soll. Im Anhörungsprotokoll lassen sich diese Nachfragen aber nicht finden. PRO ASYL konfrontierte das BAMF damit. Das Bundesamt stimmt PRO ASYL in einem Antwortschreiben zu und räumt sogar nachträgliche Manipulationen ein:
»Die von Ihnen zu Recht bemängelte angeblich mehrmalige Aufforderung zur Aufklärung eines Widerspruchs, die sich so dem Anhörungsprotokoll nicht entnehmen lässt, wurde anhand schriftlicher Notizen rekonstruiert, zumal hier Anhörer und Entscheider identisch sind. Der Entscheider wurde darauf hingewiesen, dass der exakte Ablauf der Anhörung zu protokollieren ist und der Bescheid den wesentlichen Inhalt der Anhörung widerspiegeln muss.«
Man hat also der fehlerhaften, negativen Entscheidung nicht etwa das Anhörungsprotokoll, in dem die nötigen Nachfragen nicht zu finden sind, zu Grunde gelegt, sondern den angeblichen Ablauf der Anhörung aus schriftlichen Notizen, die sich der Anhörer gemacht haben soll, „rekonstruiert“. Im Klartext: Man hat manipuliert und die angeblichen Widersprüche, in die sich der Betroffene verstrickt haben soll, „hinzuinterpretiert“. Möglich war die Fehlerbehebung nur, nachdem der Betroffene gegen die Entscheidung geklagt und das Verwaltungsgericht ihm im Eilverfahren stattgegeben hatte.
Nur ein Bruchteil der Bescheide wird vom BAMF geprüft
Eine lückenlose Qualitätskontrolle beim BAMF nach dem Vier-Augen-Prinzip fordert PRO ASYL schon seit langem. Passiert ist dennoch nichts: Das Bundesamt hat trotz des Zuwachses an Asylanträgen und ‑bescheiden darauf verzichtet, in die hausinterne Qualitätskontrolle zu investieren. Eigentlich müsste das Referat für Qualitätssicherung beim BAMF regelmäßig die herausgehenden Asylentscheide samt Anhörungsprotokoll auf Stichhaltigkeit hin prüfen. Das Referat nahm im Vorjahr aber kaum noch Kontrollen vor: Gerade mal 1 Prozent aller Asylbescheide wurden vor Zustellung unter die Lupe genommen – ein Bruchteil der 282.700 Asylentscheidungen im Jahr 2015. Mit Fehlern, die hätten auffallen müssen: So wurden beispielsweise Bescheide doppelt zugestellt, die den Antragsteller*innen mal eine Anerkennung, mal eine Ablehnung zugesprochen haben.
BAMF verlagert Arbeit auf Gerichte
Dort, wo die Qualitätskontrolle beim BAMF die Zustellung fehlerhafter Bescheide wie im oben genannten Fall hätte verhindern müssen, müssen jetzt die Verwaltungsgerichte die Fehler der Behörde geradebiegen. Das BAMF selbst verweigerte im vorliegenden Fall die Rücknahme der Fehlentscheidung mit der folgenden Begründung:
»Grundsätzlich bitte ich Sie aber um Ihr Verständnis, dass wir auf Grund der enormen Arbeitsbelastung derzeit Interventionen von dritter Seite nur in äußerst eklatanten Fällen nachgehen können und auf die – wie hier bereits geschehen – Überprüfung im Gerichtsverfahren verweisen müssen.«
Das BAMF ist sich also dieser Praxis vollauf bewusst; der aufgedeckte Fehler und der darauf basierende Asylbescheid werden nicht etwa zurückgenommen, sondern auf das Gerichtsverfahren im Nachgang verwiesen, das den Fehler beheben soll.
Entscheidungshektik ist Ergebnis politischen Drucks
Die weitgehend nicht vorhandene Qualitätskontrolle beim BAMF sollen also die Verwaltungsgerichte übernehmen – eine Arbeit, die Sache des Bundesamtes ist, die man aber aufgrund von „Arbeitsbelastung“ nicht mehr erledigt. Die Verantwortung für das Desaster beim BAMF liegt jedoch nicht bei den oft gutwilligen und engagierten Mitarbeiter*innen. Das Problem ist das Ergebnis politischen Drucks auf das Bundesamt, noch im Wahljahr 2017 den Aktenberg an gestellten Asylanträgen abzubauen – um fast jeden Preis. Bis eine seriöse Kontrollinstanz eingerichtet worden ist, werden die Verwaltungsgerichte auf diese Weise massenhaft mit den Folgen fehlerhafter BAMF-Bescheide zu tun haben. Das Prinzip vermeintlicher Effektivität hat anscheinend absoluten Vorrang vor der Qualität von Entscheidungen.
Fehlentscheidungen für Flüchtlinge fatal
Für die Betroffenen sind schlecht durchgeführte Asylverfahren und fehlerhafte Bescheide fatal. Bei den teilweise sehr kurzen Rechtsmittelfristen (bei der Entscheidung „offensichtlich unbegründet“ nur eine Woche) werden manche Betroffene oft keinen Anwalt auftreiben können, der eine Entscheidung anficht, die das Bundesamt bei einer Prüfung von vornherein hätte zurücknehmen müssen.
Personalgewinnung ohne Bewerbungsgespräche
Damit ist es bei der mangelhaften Qualität beim BAMF nicht getan. Schon bei der Personalgewinnung schaut das BAMF nicht so genau hin. Das Bundesamt gibt zu, dass zum Rückstandsabbau eingesetzte Anhörer*innen nur nach der Papierform ihrer Bewerbungsunterlagen ausgewählt wurden: „Auf Bewerbungsgespräche wurde zugunsten der Auswahl auf Aktenlage verzichtet“, heißt es auf Seite 65 in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der LINKEN zu den ergänzenden Informationen zur Halbjahresstatistik 2016. Bedenkt man, dass die neu eingestellten Mitarbeiter*innen über das Wohl und Wehe von Schutzsuchenden entscheiden, müsste die Feststellung ihrer fachlichen wie persönlichen Eignung in Gesprächen Einstellungsstandard sein.
BAMF-Ausbildung als Crashkurs?
Das vom BAMF ohne Bewerbungsgespräche neu eingesetzte Personal erhält nur noch eine hastige Kurzausbildung. Statt der früher üblichen sechsmonatigen Ausbildung gilt jetzt: „Anhörer erhalten eine dreiwöchige Schulung, Entscheider vier Wochen, Vollentscheider fünf Wochen“, so heißt es in der oben genannten BT-Drucksache auf Seite 65 weiter. Dass es auf diese Weise zu teils völlig abstrusen Asylentscheiden kommt, die wiederum nicht hausintern kontrolliert und gestoppt, sondern erst im Gerichtsverfahren revidiert werden müssen, wundert nicht.
Einen interessanten Einblick in die internen Zustände des BAMF liefert die ARD-Dokumentation „Entscheider unter Druck“, die am 29.08.2016 ausgestrahlt wurde. Dort berichtet ein BAMF-Personalrat von den Defiziten bezüglich der Qualität von Entscheidungen. Auch zahlreiche Kündigungen habe es im BAMF gegeben. Viele der neu eingestellten Mitarbeiter*innen hätten nicht die nötigen Qualifikationen mitgebracht: Mangelnde Sprachkenntnisse, Fälle von Korruption und sogar Ausländerfeindlichkeit werden als Probleme genannt – alles offenbar Folgen der mangelhaften Personalauswahl. Doch auch Kritik an den politischen Vorgaben wird geäußert: Denn vollkommen zu Recht bemängelt der Personalrat, dass die ständig wechselnden Priorisierungen von bestimmten Herkunftsländern (z.B. Syrien und Westbalkan) im BAMF zu zeitweiligen chaotischen Zuständen führen und Asylanträge von Somalis und Afghan*innen dann lange unbearbeitet liegenbleiben.
Entscheider*innen sind nicht gleich Anhörer*innen
Nicht nur am Fließband wird ausgebildet, sondern auch die Arbeitsteilung folgt diesem Modell. Wo früher Bundesamtsmitarbeiter*innen von der Anhörung bis zur Entscheidung komplett zuständig waren, gibt es jetzt in der Regel eine Spezialisierung: Anhörer*innen führen ausschließlich Anhörungen durch, Entscheider*innen treffen nur Entscheidungen. Die sog. Vollentscheider*innen sind offenbar nur noch eine Restgröße.
Problematisch an dieser Trennung ist, dass die subjektiven Erfahrungen in der Anhörung entscheidungsrelevant sein können – schließlich geht es um die Einschätzung der Glaubhaftigkeit des oder der Asylsuchenden. Enthält das Protokoll Widersprüche durch Übersetzungsfehler oder andere Missverständnisse oder Unklarheiten, dann kann dies fatale Folgen haben.
Wieder deutlich längere Asylverfahren
Trotz all dieser zweifelhaften Praktiken beim Bundesamt ist die Bearbeitungsdauer von Asylanträgen länger geworden, das zeigen auch die „Ergänzenden Informationen zur Asylstatistik für das zweite Quartal 2016“ (BT-Drucksache 18/9146). Sie stieg von durchschnittlich 5,1 Monaten vor einem halben Jahr auf 7,3 Monate. Dabei geben die Durchschnittswerte noch nicht das Ausmaß der Probleme wieder. So müssen somalische Asylantragsteller*innen mittlerweile 21,9 Monate auf eine Bundesamtsentscheidung warten. Unter denen, die seit mehr als eineinhalb Jahren auf eine Entscheidung warten, sind in großer Zahl Menschen, die eine statistisch relativ große Chance haben, einen Schutzstatus zu erhalten. Überdurchschnittlich lange warten außerdem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – vertane Zeit in Sachen Integration.