05.06.2014
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An der bulgarisch-türkischen Grenze werden Schutzsuchende immer wieder Opfer völkerrechtswidriger Push-Backs durch die bulgarische Grenzpolizei. Für Grenzschutzmaßnahmen wie etwa den Bau eines 30 Kilometer langen Grenzzauns erhielt Bulgarien 2013 von der EU über 13 Millionen Euro. Foto: flickr - UNHCR/B. Szandelszky/2010

Die EU-Innenminister beraten heute in Luxemburg über die EU-Flüchtlingspolitik. Vor dem Treffen mahnte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström mehr legale Zugangswege für Flüchtlinge an und stellte den Mitgliedsstaaten 6000 Euro für jeden aufgenommen Flüchtling in Aussicht. Der Vorstoß wirkt verzweifelt.

Die EU-Kom­mis­sa­rin stel­le für Men­schen, die der­zeit in Flücht­lings­la­gern leben, „6.000 Euro Unter­stüt­zung für die Auf­nah­me und Inte­gra­ti­on“ in Aus­sicht. Das kün­dig­te Malm­ström im Namen der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on an – offen­bar um EU-Staa­ten dazu zu bewe­gen, Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men. Es brau­che mehr lega­le Zugangs­we­ge für Flücht­lin­ge in die EU, so Malmström.

Das ist nicht falsch. Doch ange­sichts der Rea­li­tät der Flücht­lings­po­li­tik der EU und ihrer Mit­glied­staa­ten wirkt der Vor­stoß ver­zwei­felt: Jahr­zehn­te­lang wur­den die lega­len Zugangs­we­ge für Flücht­lin­ge in die EU mit EU-Mit­teln sys­te­ma­tisch ver­schlos­sen und die Staa­ten zur Flücht­lings­ab­wehr gedrängt.

Grie­chen­land und Bul­ga­ri­en: EU finan­ziert Grenz­ab­schot­tung statt Hil­fe für Flüchtlinge

Wie aus einer Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Klei­ne Anfra­ge der Frak­ti­on Die Lin­ke her­vor­geht, zahl­te die EU 2013 Bul­ga­ri­en für die Ver­bes­se­rung der Auf­nah­me­be­din­gun­gen und des Asyl­ver­fah­rens 750.000 Euro. Für Grenz­schutz­maß­nah­men wie etwa den Bau eines 30 Kilo­me­ter lan­gen Grenz­zauns zahl­te die EU Bul­ga­ri­en 2013 über 13 Mil­lio­nen Euro. Das macht deut­lich, wo die Prio­ri­tä­ten liegen.

Ein wei­te­res Bei­spiel: Grie­chen­land erhielt 2012 über 20 Mal so viel Geld für die Flücht­lings­ab­wehr und Rück­füh­rung von Flücht­lin­gen und Migran­ten als für die men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me von Schutz­su­chen­den. Mit den Mit­teln wur­de nicht zuletzt die Abschot­tung der Evros-Gren­ze zur Tür­kei finan­ziert, die, eben­so wie die Bul­ga­risch-Tür­ki­sche Gren­ze, für Schutz­su­chen­de mitt­ler­wei­le so gut wie dicht sind. Die Fol­ge: Die Flücht­lin­ge wei­chen auf die lebens­ge­fähr­li­chen Flucht­rou­ten über das zen­tra­le Mit­tel­meer oder die Ägä­is aus.

Dub­lin-Ver­ord­nung: Noch immer gilt das Verursacher-Prinzip

Wie moti­viert die EU-Rand­staa­ten sind, Flücht­lin­ge abzu­wei­sen, zei­gen die völ­ker­rechts­wid­ri­gen, oft gewalt­sa­men Zurück­wei­sun­gen an den bei­den Gren­zen: Grie­chen­land drängt Flücht­lin­ge auf offe­ner See zurück, Bul­ga­ri­en schot­tet die Gren­ze mit bru­ta­len Push-Backs ab. So sehr die­se schwe­ren Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen auf das Kon­to der bei­den Mit­glied­staa­ten gehen: Ihr Motiv ist eng mit der Asyl­zu­stän­dig­keits­ver­ord­nung der EU (Dub­lin III) ver­wo­ben. Denn in die­ser gilt noch immer das Ver­schuld­er-Prin­zip: Wer einen Flücht­ling in die EU lässt, ist auch für das Asyl­ver­fah­ren zustän­dig und muss für Unter­kunft und Ver­pfle­gung sorgen.

 Freie Wahl für Flücht­lin­ge statt 6.000 Euro für die Mitgliedstaaten

Statt zu ver­su­chen, Staa­ten  mit 6.000 Euro pro Flücht­ling dazu zu brin­gen, Auf­nah­me­plät­ze für Schutz­su­chen­de zu schaf­fen, wäre so viel mehr gewon­nen, wür­de der Anreiz für die Staa­ten weg­fal­len, Schutz­su­chen­de abzu­weh­ren. PRO ASYL und zahl­rei­che Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen for­dern mit dem Memo­ran­dum „Freie Wahl für Flücht­lin­ge“: Asyl­su­chen­de sol­len selbst bestim­men kön­nen, in wel­chem Land der EU sie den Asyl­an­trag stel­len und ihr Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen möch­ten. Flücht­lin­ge tref­fen ratio­na­le Ent­schei­dun­gen: Sie gehen dort­hin, wo ihnen die Inte­gra­ti­on in die Gesell­schaft und den Arbeits­markt am leich­tes­ten fällt. Weder den Flücht­lin­gen noch den EU-Staa­ten ist gedient, wenn Schutz­su­chen­de dort ver­har­ren müs­sen, wo es für sie kei­ne Lebens­per­spek­ti­ve gibt.

Lega­le Zugangs­we­ge schaffen!

Die EU muss die Auf­nah­me­kon­tin­gen­te für syri­sche Flücht­lin­ge stark erhö­hen. Von 28 EU-Staa­ten neh­men 14 Staa­ten kei­nen ein­zi­gen Flücht­ling auf. Die rest­li­chen Staa­ten haben zusam­men 20.000 Plät­ze in Aus­sicht gestellt. Allei­ne im Liba­non befin­den sich 1,2 Mil­lio­nen syri­sche Flücht­lin­ge, das sind 25 Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung. Jetzt muss auch end­lich die EU han­deln. Über 100 Orga­ni­sa­tio­nen und bereits 10.000 Bür­ge­rin­nen und Bür­ger aus Deutsch­land und Euro­pa appel­lie­ren an die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen und for­dern: Die EU-Staa­ten müs­sen siche­re Wege für syri­sche Flücht­lin­gen nach Euro­pa eröff­nen, die bru­ta­len Zurück­wei­sun­gen an den EU-Gren­zen been­den und es ermög­li­chen, dass Fami­li­en unbü­ro­kra­tisch zusam­men­ge­führt wer­den können.

Zur Peti­ti­on der Kam­pa­gne „ Euro­pe Act Now“

 Flücht­lin­ge in Bul­ga­ri­en: miss­han­delt, ernied­rigt, im Stich gelas­sen (23.05.14)

 Syri­sche Flücht­lings­kri­se: Schutz­su­chen­de auf­neh­men – Euro­pas Abschot­tung been­den (21.05.14)

 Auf­nah­me syri­scher Flücht­lin­ge – Anträ­ge für rund 80.000 Men­schen lie­gen vor (14.05.14)

 Völ­ker­rechts­wid­ri­ge Push Backs – euro­päi­sche Kom­pli­zen­schaft (07.11.13)

 Memo­ran­dum: Freie Wahl für Flücht­lin­ge (07.03.13)