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Thema verfehlt – Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan unzureichend
Abschiebungen nach Afghanistan sollen für bestimmte Personengruppen möglich bleiben. Entscheidungen über Asylanträge von Afghan*innen sollen wieder getroffen werden. Das Bundesamt für Migration & Flüchtlinge (BAMF) hat seine Herkunftsländerleitsätze zu Afghanistan überarbeitet. All das passiert ohne ausreichende Entscheidungsgrundlage!
Das Auswärtige Amt (AA) sollte nach dem schweren Sprengstoffanschlag in Kabul Ende Mai die Sicherheitssituation in Afghanistan neu bewerten. Das Ergebnis – eine herbe Enttäuschung. Das AA verfehlt das Thema, es liefert keine brauchbaren Informationen.
Das Außenamt hat die Aufgabe, den Mitarbeiter*innen des BAMF, den Asylbehörden und den Gerichten Informationen zu geben, die Entscheidungen über Asylanträge und Abschiebungen ermöglichen. Dafür gibt es für alle wesentlichen Herkunftsländer einen Lagebericht. Deswegen wird ein solcher Bericht auch »Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage« genannt. Erforderlich sind also konkrete Beschreibungen der tatsächlichen Situation vor Ort. Doch die neue »Lagebeurteilung für Afghanistan« des AA wird dieser Aufgabe nicht gerecht.
Keine Nachweise für »sichere Regionen«
Erwartet wurden z.B. Nachweise für die Behauptung, die in den BAMF-Bescheiden immer wieder zu finden ist – dass eine inländische Fluchtalternative, also eine Schutzmöglichkeit innerhalb Afghanistans zu finden sei. Diese Fluchtalternative muss »zumutbar« und »erreichbar« sein. Erwartet wurden Nachweise, dass das AA konkrete sichere Regionen für bestimmte Personengruppen beschreibt, wenn es sie denn geben sollte. Erwartet wurde, dass das Außenamt sich dieser Verantwortung stellt. Diese berechtigten Erwartungen bleiben unerfüllt.
Richtigerweise ist es das AA selbst, dass von umgerechnet täglich 61 toten oder verletzten afghanischen Sicherheitskräften spricht, von der Ausbreitung des Einflusses der Taliban, von der hohen Opferzahl unter der zivilen Bevölkerung sowie vom beschränkten Einfluss der Regierung auf lokale Machthaber und machtmissbrauchende Kommandeure.
Bericht bleibt völlig unkonkret
Wo es dann aber konkret werden müsste, heißt es nur, eine Beurteilung hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Zu berücksichtigen seien neben den örtlich herrschenden Machtgefügen beispielsweise Ethnie, Stamm, Konfession und Herkunft. Ein guter Einleitungssatz – mehr aber auch nicht.
Wie sind denn die regionalen Machtverhältnisse? Wer kann sich denn konkret als Angehöriger einer bestimmten Ethnie, vor dem Hintergrund einer bestimmten Herkunft, der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stamm und anderer sozialer Merkmale wo niederlassen? Wo gibt es überhaupt die Möglichkeit einer zumutbaren Fluchtalternative mit der Möglichkeit des Lebensunterhalts, Unterkunft und medizinischer Versorgung?
Wie soll man zu anderen Orten gelangen, wenn die Taliban wichtige Überlandstraßen blockieren – wie selbst das Auswärtige Amt zugeben muss? Konkrete Antworten auf diese Fragen enthält der Bericht nicht.
Eine ausführliche Analyse zur Lagebeurteilung findet sich hier. Dies schließt sowohl den Zwischenbericht als auf den Lagebericht aus Oktober 2016 mit ein. Die Anmerkung zu Letzterem enthält hilfreiche Informationen und Quellen zur Auseinandersetzung mit den Aussagen des Auswärtigen Amtes.
Neuer Lagebericht im Oktober
Im Oktober wird es turnusgemäß einen neuen Lagebericht geben. Bis dahin muss das AA nachbessern: Gefordert ist ein Dokument, das seinen Titel »Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage« verdient.
Denn – um es mit den Worten des höchsten deutschen Gerichtes zu sagen: »…gerade den Auslandsvertretungen [fällt] eine Verantwortung zu, die sie zu besonderer Sorgfalt bei der Abfassung ihrer einschlägigen Berichte verpflichtet, da diese (…) für die Exekutive eine wesentliche Entscheidungsgrundlage bilden.« (Bundesverfassungsgericht, BVerGE 94, 115). Wer auch immer nach der Regierungsbildung das AA leitet, wird diese Verantwortung übernehmen müssen.
(beb)