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Foto: Paul Lovis Wagner

Rola Saleh lebt seit Jahren in Chemnitz und ist bei »Jugendliche ohne Grenzen« aktiv. Als Jugendliche hatte sie ähnliche Probleme mit Asylverfahren und Duldung wie viele der Menschen, die sie heute in der Asylberatung betreut. Ihr Rat an Betroffene und alle, die sie unterstützen: nicht zermürben lassen, sondern für die Rechte Geflüchteter kämpfen!

Rola, Du enga­gierst Dich in Chem­nitz und über­all, wo Du hin­gehst, gegen Ras­sis­mus und die Dis­kri­mi­nie­rung geflüch­te­ter Men­schen. Wie wür­dest Du Ras­sis­mus definieren?

Rola: Ras­sis­mus ist die Her­ab­wür­di­gung einer Per­son auf­grund ihres Aus­se­hens, ihrer Haut­far­be oder ihrer Zuge­hö­rig­keit zu einer bestimm­ten Grup­pe, Reli­gi­on oder Kul­tur – es beinhal­tet vie­le Aspek­te. Ras­sis­mus äußert sich in Denk­mus­tern, Ver­hal­ten oder Äuße­run­gen, die einen Men­schen als nicht gleich­wer­tig betrachten.

Ver­gan­ge­nes Jahr hat es fast 1.800 Atta­cken auf Flücht­lin­ge und 173 Atta­cken auf Flücht­lings­un­ter­künf­te gege­ben. Das sind die offi­zi­el­len Zah­len. Im All­tag gibt es unzäh­li­ge Bei­spie­le von Dis­kri­mi­nie­rung, die in die­ser Sta­tis­tik nicht auf­tau­chen. Womit haben Betrof­fe­ne im All­tag zu kämpfen? 

In Chem­nitz erzähl­te mir eine jun­ge Frau mit Kopf­tuch, wie uner­träg­lich es ist, sich jeden Mor­gen für den Sprach­kurs zu moti­vie­ren und zu wis­sen, dass sie auf dem Weg im Bus ange­pö­belt wird. Manch­mal ste­hen ihr Men­schen bei, aber oft ist sie auf sich allein gestellt. Sie ist jung, enga­giert, hat Kom­pe­ten­zen, will stu­die­ren. Sie ist es leid, jeden Tag eine Aus­ein­an­der­set­zung zu haben und will aus Chem­nitz weg, weil sie es nicht aushält.

Ich ermun­te­re alle dazu, Men­schen, die in ihrer Gegen­wart belei­digt oder wegen ihrer Her­kunft, Haut­far­be oder ande­rem benach­tei­ligt wer­den, bei­zu­ste­hen. Man muss die­se Per­son nicht ken­nen, um so zu handeln.

Eine ande­re Frau aus Syri­en ging jeden Tag nach der Arbeit wei­nend nach Hau­se, weil sie den dis­kri­mi­nie­ren­den Umgang ihrer Kol­le­gen nicht aus­ge­hal­ten hat. Ich habe ihr gera­ten, sich das nicht gefal­len zu las­sen und es ihrem Chef zu erzäh­len – ohne Ergeb­nis. Bes­ser wur­de es erst, als sie in eine ande­re Filia­le kam und gleich ihrem neu­en Chef erzähl­te, was sie erlebt hat. Er mach­te bei den Mitarbeiter*innen eine Ansa­ge, dass Ras­sis­mus am Arbeits­platz men­schen­ver­ach­tend und ein No-Go ist. Ich fin­de es wich­tig, dass Arbeitgeber*innen zu den eige­nen Wer­ten ste­hen und den Mut haben, so ein Ver­hal­ten anzuprangern.

Was soll ich tun, wenn ich mit­be­kom­me, dass ein Mensch ras­sis­tisch belei­digt oder ange­pö­belt wird? 

Wenn man das hört, fühlt, sieht, soll­te man sofort zu sei­nen Wer­ten ste­hen und ein­schrei­ten. Das muss aber jede*r nach den eige­nen Mög­lich­kei­ten ein­schät­zen. Jede*r macht das anders, es hängt von der eige­nen Per­sön­lich­keit ab oder wie viel Mut man mit­bringt. Ich wür­de das immer machen und habe das jah­re­lang getan. Das kann ich nicht in glei­cher Wei­se von ande­ren ver­lan­gen. Ich ermun­te­re aber alle, die so den­ken, dazu, Men­schen, die in ihrer Gegen­wart belei­digt oder wegen ihrer Her­kunft, Haut­far­be oder ande­rem benach­tei­ligt wer­den, bei­zu­ste­hen. Man muss die­se Per­son nicht ken­nen, um so zu handeln.

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Am 13. Sep­tem­ber 2018 zeig­ten bei der #unteil­bar-Demo in Ber­lin mehr als 250.000 Men­schen Flag­ge gegen Ras­sis­mus. Foto: flickr / Andi Wei­land /cc-by‑2.0

Man­che Men­schen haben aber nicht den Mut, gegen Unrecht vorzugehen. 

Das ist ein Pro­blem. Man ver­langt Zivil­cou­ra­ge, Gesicht zei­gen, aber nicht jede*r kann das – auch wenn man mit Betrof­fe­nen mit­emp­fin­det. Ich wür­de mir wün­schen, dass alle etwas sagen. Im Wort Zivil­cou­ra­ge steckt Cou­ra­ge drin – also Mut. Und Mut muss erst ein­mal auf­ge­bracht wer­den. Vor allem, wenn man in den Medi­en hört, dass Men­schen was pas­sie­ren kann, wenn sie sich ein­set­zen. Das ver­ängs­tigt – vie­le sagen dann, ich möch­te damit nichts zu tun haben.

Das ist dann auch für die Gesell­schaft ins­ge­samt schlimm, nicht nur wenn es um Geflüch­te­te geht. Man kann ver­su­chen, die­se Angst zu besei­ti­gen: Es gibt zum Bei­spiel vie­le Initia­ti­ven, die Schu­lun­gen machen, wie man mit Ras­sis­mus umge­hen soll, die kann man sich anschau­en. Dann ist man eher ermu­tigt, in sol­chen Situa­tio­nen zu handeln.

Du lebst seit Jah­ren in Chem­nitz und hast die rech­ten Aus­schrei­tun­gen im ver­gan­ge­nen Jahr aus nächs­ter Nähe erlebt. Wie wirkt das bei Dir nach? 

Ras­sis­mus macht so Vie­les kaputt. Wor­über nach den Aus­schrei­tun­gen in Chem­nitz kaum gespro­chen wur­de: Migrant*innen haben Freun­de, Bekann­te, Nach­barn, Men­schen, die bei ihnen geges­sen haben, bei den rech­ten Demos wie­der­erkannt. Es sind Freund­schaf­ten zer­bro­chen, Ent­täu­schun­gen ent­stan­den. Was in Chem­nitz gesche­hen ist, hat bei vie­len ein Ohn­machts­ge­fühl hin­ter­las­sen – weil wir uns unge­schützt gefühlt haben, beson­ders wir Migrant*innen und Geflüchtete.

Kurz danach hast Du beim Soli-Kon­zert in Chem­nitz auf der Büh­ne gestan­den und bei #unteil­bar in Ber­lin auch. Du bist sogar im Fern­se­hen auf­ge­tre­ten. Das ist ziem­lich mutig. 

Eini­ges davon war spon­tan, aus dem Moment her­aus. Ich bin eigent­lich ein ruhi­ger Mensch. Aber wenn ich inner­lich auf­ge­wühlt bin, kommt Vie­les her­aus. Wenn es sein muss, bin ich da. Aber nicht jede*r möch­te das, ist dazu in der Lage oder traut sich. Aber dort wo man kann, soll­te man sich auf jeden Fall engagieren.

Es gibt vie­le klei­ne Sachen, die etwas ver­än­dern kön­nen. Es muss nichts Gro­ßes oder Spek­ta­ku­lä­res sein. Wenn ich zum Bei­spiel im All­tag Ras­sis­mus auf der Arbeit, in der Aus­bil­dung, Schu­le, Ver­ein mit­be­kom­me. Oder wenn man erlebt, wie Migrant*innen im All­tag benach­tei­ligt oder anders behan­delt wer­den, weil die Leu­te den­ken, sie ver­ste­hen nichts, dann muss man ein­grei­fen und sagen: Das dür­fen Sie nicht tun.

Es gibt vie­le Initia­ti­ven, Pro­jek­te, Ver­ei­ne, denen man sich anschlie­ßen kann, um zu unter­stüt­zen. Wie und wo das am bes­ten geht, kön­nen zum Bei­spiel die Flücht­lings­rä­te oder auch Bera­tungs­stel­len vor Ort sagen.

Wel­che Reak­tio­nen bekommst Du auf Dei­ne zivil­ge­sell­schaft­li­che Arbeit?

Manch­mal kom­men Jugend­li­che zu mir und sagen: Mei­ne Eltern haben heu­te früh über Sie gespro­chen (lacht). Oder Men­schen schi­cken mir Herz-Zei­chen. Es gibt aber auch Anfein­dun­gen und böse Bli­cke. Ich bekom­me auf Face­book vie­le Hass­kom­men­ta­re – aber auch vie­le Anfra­gen von Leuten.

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3. Sep­tem­ber 2018: Bei Demo »Wir sind mehr – Auf­ste­hen gegen rech­te Het­ze!« und dem Soli-Kon­zert set­zen mehr als 65.000 Men­schen ein Zei­chen gegen Rechts. Rola ist auf der Büh­ne mit von der Par­tie. Foto: Bas­ti­an Bochinski<br />

Kann oder soll­te man mit Men­schen dis­ku­tie­ren, die offen­kun­dig Res­sen­ti­ments gegen Flücht­lin­ge und Migrant*innen haben?

Man kann viel­leicht noch die­je­ni­gen errei­chen, die Ängs­te und fal­sche Infor­ma­tio­nen haben oder sich ein­fach von ande­ren füh­ren las­sen. Man kann aber Men­schen, die eine bestimm­te star­re Ideo­lo­gie haben, nicht vom Gegen­teil über­zeu­gen. In Chem­nitz gab es zum Bei­spiel schon vor 2015 Aus­schrei­tun­gen vor Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen, Pro­tes­te, Fackel­mär­sche etc.

Ich fra­ge mich aber auch: Wann mer­ken sie end­lich, dass, wenn sie Par­tei­en wäh­len, die Rech­te von Geflüch­te­ten beschnei­den, irgend­wann auch ihre eige­nen Rech­te in Gefahr sind?

Um die Stim­mung zu beru­hi­gen, wur­den sehr vie­le Ein­woh­ner­ver­samm­lun­gen gemacht. Ich war oft Teil des Podi­ums. Bei sol­chen Ver­samm­lun­gen hat man mir applau­diert, vie­le Fra­gen gestellt und hin­ter­her kom­men aber man­che Leu­te zu mir und fra­gen: Wann gehen Sie nach Hau­se? Und dann den­ke ich: Was hat das jetzt gebracht? Mit sol­chen Men­schen muss man nicht dis­ku­tie­ren. Man muss ihnen Gren­zen auf­zei­gen und klipp und klar sagen: Das geht nicht, das sind die Geset­ze, du musst dich dar­an hal­ten. Ich fra­ge mich aber auch: Wann mer­ken sie end­lich, dass, wenn sie Par­tei­en wäh­len, die Rech­te von Geflüch­te­ten beschnei­den, irgend­wann auch ihre eige­nen Rech­te in Gefahr sind?

Wir haben in den letz­ten Jah­ren Asyl­ge­setz­ver­schär­fun­gen im Akkord erlebt. Wie ist Dei­ne Mei­nung dazu? 

Die Poli­tik lernt ein­fach nichts dazu. Ich sehe Par­al­le­len zu den 90-er Jah­ren, als auf hohe Asyl­zah­len vie­le Geset­zes­ver­schär­fun­gen folg­ten. Die ras­sis­ti­schen Aus­schrei­tun­gen wur­den damals über­haupt nicht rich­tig ver­ar­bei­tet. Eine Poli­tik, die auf die Stra­ße hört und danach han­delt, ver­ur­sacht die­se Pro­ble­me mit. So kann man kei­ne nach­hal­ti­ge, lang­fris­ti­ge Poli­tik machen. Jetzt, nach 2015, erle­ben wir das Gleiche.

Gera­de ist wie­der ein neu­es Geset­zes-Pro­jekt von See­ho­fer auf dem Weg, da ist ja unser Innen­mi­nis­ter sehr krea­tiv: Nicht nur Geflüch­te­te wer­den damit kri­mi­na­li­siert – auch Helfer*innen oder Men­schen, die Empa­thie für Geflüch­te­te emp­fin­den und sich für ihre Rech­te ein­set­zen. Das schürt Res­sen­ti­ments und bestärkt das Ver­hal­ten rech­ter Men­schen noch weiter.

Was wur­de Dei­ner Ansicht nach gera­de in Sach­sen ver­säumt bzw. hät­te drin­gend gemacht wer­den müssen?

Der säch­si­sche Minis­ter­prä­si­dent Kurt Bie­den­kopf hat mal gesagt, Sach­sen sei gegen Ras­sis­mus immun. Seit­dem wird das Rechts­extre­mis­mus-Pro­blem ver­harm­lost und klein­ge­re­det. Man hat mehr Angst um das Image von Sach­sen als Ent­schlos­sen­heit, die Rech­ten zu bekämp­fen. Ich ver­ste­he die­se Poli­tik nicht. Man muss die Demo­kra­tie und das demo­kra­ti­sche Emp­fin­den ver­tei­di­gen und den Men­schen durch poli­ti­sche Bil­dung näher brin­gen. Es gibt Stu­di­en dar­über, dass vie­le Men­schen im Osten sich eine ande­re Staats­form wün­schen, weil sie von der Demo­kra­tie nicht über­zeugt sind. Demo­kra­tie ist eine Errun­gen­schaft unse­rer Gesell­schaft. Man muss an ihr fest­hal­ten, es gibt kei­ne Alternative.

Die Zahl der Asyl­su­chen­den oder Men­schen mit soge­nann­tem Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist gera­de in Sach­sen sehr gering. 

Und trotz­dem ist die­se gefühl­te Angst vor Über­frem­dung in Sach­sen und in Ost­deutsch­land hoch – aller­dings ist Ras­sis­mus ja nicht nur ein Ost-Pro­blem. Ich weiß nicht, ob es etwas damit zu tun hat, aber ich habe dort vie­le Men­schen ken­nen­ge­lernt, die noch nie irgend­wo anders waren und prak­tisch kei­ne Migrant*innen oder ande­re Lebens­wei­sen kennen.

Sie haben Berüh­rungs­ängs­te und leben stän­dig mit dem Gedan­ken, dass irgend­was pas­siert, obwohl ihnen noch nie etwas zuge­sto­ßen ist. Sie haben Angst vor mir, ohne dass ich ihnen etwas getan habe – nur weil ich anders aus­se­he. Ich fin­de das absurd. Man muss sich selbst sagen, ich lege das ab, ich will ver­su­chen, Men­schen ken­nen­zu­ler­nen und mich nicht von mei­ner Angst füh­ren las­sen! Und wenn doch ein­mal etwas pas­siert, las­se ich doch nicht mein Leben davon bestim­men und habe für immer Angst vor ande­ren Menschen.

Was kön­nen Betrof­fe­ne eigent­lich selbst tun? Was kannst Du mit­ge­ben?  

Sie kön­nen sich soli­da­ri­sie­ren, das ist sehr wich­tig. Das, was die »älte­re« Gene­ra­ti­on erlebt hat, an die »jün­ge­re« wei­ter­ge­ben, damit sie sich für sich selbst und für ande­re ein­set­zen kön­nen. Ich war auch nicht von Anfang an auf Demos dabei. Eini­ges muss­te ich auch ler­nen. Ich habe hier zehn Jah­re gelebt, sechs davon mit einer Dul­dung, Arbeits­ver­bot, Aus­bil­dungs­ver­bot, Resi­denz­pflicht. Ich weiß, wie es Men­schen geht, die in der glei­chen Situa­ti­on sind.

Ich habe hier zehn Jah­re gelebt, sechs davon mit einer Dul­dung, Arbeits­ver­bot, Aus­bil­dungs­ver­bot, Resi­denz­pflicht. Ich weiß, wie es Men­schen geht, die in der glei­chen Situa­ti­on sind.

Wenn es nach den Behör­den und nach dem Sys­tem gegan­gen wäre, hät­te ich nur im Wohn­heim leben und iso­liert blei­ben sol­len, einen Ort, der mich belas­tet und krank gemacht hat. Ich muss­te für mich selbst spre­chen ler­nen. Das habe ich bei JOG gelernt. Ich ken­ne mei­ne Pro­ble­me, ich kann mich auf Deutsch arti­ku­lie­ren und ich gehe und posau­ne das raus. Man darf sich nicht zer­mür­ben las­sen von all den Restrik­tio­nen, son­dern muss für die eige­nen Rech­te aufstehen.

Das Inter­view führ­te Anđel­ka Križanović