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»Im Wort Zivilcourage steckt Courage drin – also Mut«
Rola Saleh lebt seit Jahren in Chemnitz und ist bei »Jugendliche ohne Grenzen« aktiv. Als Jugendliche hatte sie ähnliche Probleme mit Asylverfahren und Duldung wie viele der Menschen, die sie heute in der Asylberatung betreut. Ihr Rat an Betroffene und alle, die sie unterstützen: nicht zermürben lassen, sondern für die Rechte Geflüchteter kämpfen!
Rola, Du engagierst Dich in Chemnitz und überall, wo Du hingehst, gegen Rassismus und die Diskriminierung geflüchteter Menschen. Wie würdest Du Rassismus definieren?
Rola: Rassismus ist die Herabwürdigung einer Person aufgrund ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, Religion oder Kultur – es beinhaltet viele Aspekte. Rassismus äußert sich in Denkmustern, Verhalten oder Äußerungen, die einen Menschen als nicht gleichwertig betrachten.
Vergangenes Jahr hat es fast 1.800 Attacken auf Flüchtlinge und 173 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben. Das sind die offiziellen Zahlen. Im Alltag gibt es unzählige Beispiele von Diskriminierung, die in dieser Statistik nicht auftauchen. Womit haben Betroffene im Alltag zu kämpfen?
In Chemnitz erzählte mir eine junge Frau mit Kopftuch, wie unerträglich es ist, sich jeden Morgen für den Sprachkurs zu motivieren und zu wissen, dass sie auf dem Weg im Bus angepöbelt wird. Manchmal stehen ihr Menschen bei, aber oft ist sie auf sich allein gestellt. Sie ist jung, engagiert, hat Kompetenzen, will studieren. Sie ist es leid, jeden Tag eine Auseinandersetzung zu haben und will aus Chemnitz weg, weil sie es nicht aushält.
Ich ermuntere alle dazu, Menschen, die in ihrer Gegenwart beleidigt oder wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder anderem benachteiligt werden, beizustehen. Man muss diese Person nicht kennen, um so zu handeln.
Eine andere Frau aus Syrien ging jeden Tag nach der Arbeit weinend nach Hause, weil sie den diskriminierenden Umgang ihrer Kollegen nicht ausgehalten hat. Ich habe ihr geraten, sich das nicht gefallen zu lassen und es ihrem Chef zu erzählen – ohne Ergebnis. Besser wurde es erst, als sie in eine andere Filiale kam und gleich ihrem neuen Chef erzählte, was sie erlebt hat. Er machte bei den Mitarbeiter*innen eine Ansage, dass Rassismus am Arbeitsplatz menschenverachtend und ein No-Go ist. Ich finde es wichtig, dass Arbeitgeber*innen zu den eigenen Werten stehen und den Mut haben, so ein Verhalten anzuprangern.
Was soll ich tun, wenn ich mitbekomme, dass ein Mensch rassistisch beleidigt oder angepöbelt wird?
Wenn man das hört, fühlt, sieht, sollte man sofort zu seinen Werten stehen und einschreiten. Das muss aber jede*r nach den eigenen Möglichkeiten einschätzen. Jede*r macht das anders, es hängt von der eigenen Persönlichkeit ab oder wie viel Mut man mitbringt. Ich würde das immer machen und habe das jahrelang getan. Das kann ich nicht in gleicher Weise von anderen verlangen. Ich ermuntere aber alle, die so denken, dazu, Menschen, die in ihrer Gegenwart beleidigt oder wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder anderem benachteiligt werden, beizustehen. Man muss diese Person nicht kennen, um so zu handeln.
Manche Menschen haben aber nicht den Mut, gegen Unrecht vorzugehen.
Das ist ein Problem. Man verlangt Zivilcourage, Gesicht zeigen, aber nicht jede*r kann das – auch wenn man mit Betroffenen mitempfindet. Ich würde mir wünschen, dass alle etwas sagen. Im Wort Zivilcourage steckt Courage drin – also Mut. Und Mut muss erst einmal aufgebracht werden. Vor allem, wenn man in den Medien hört, dass Menschen was passieren kann, wenn sie sich einsetzen. Das verängstigt – viele sagen dann, ich möchte damit nichts zu tun haben.
Das ist dann auch für die Gesellschaft insgesamt schlimm, nicht nur wenn es um Geflüchtete geht. Man kann versuchen, diese Angst zu beseitigen: Es gibt zum Beispiel viele Initiativen, die Schulungen machen, wie man mit Rassismus umgehen soll, die kann man sich anschauen. Dann ist man eher ermutigt, in solchen Situationen zu handeln.
Du lebst seit Jahren in Chemnitz und hast die rechten Ausschreitungen im vergangenen Jahr aus nächster Nähe erlebt. Wie wirkt das bei Dir nach?
Rassismus macht so Vieles kaputt. Worüber nach den Ausschreitungen in Chemnitz kaum gesprochen wurde: Migrant*innen haben Freunde, Bekannte, Nachbarn, Menschen, die bei ihnen gegessen haben, bei den rechten Demos wiedererkannt. Es sind Freundschaften zerbrochen, Enttäuschungen entstanden. Was in Chemnitz geschehen ist, hat bei vielen ein Ohnmachtsgefühl hinterlassen – weil wir uns ungeschützt gefühlt haben, besonders wir Migrant*innen und Geflüchtete.
Kurz danach hast Du beim Soli-Konzert in Chemnitz auf der Bühne gestanden und bei #unteilbar in Berlin auch. Du bist sogar im Fernsehen aufgetreten. Das ist ziemlich mutig.
Einiges davon war spontan, aus dem Moment heraus. Ich bin eigentlich ein ruhiger Mensch. Aber wenn ich innerlich aufgewühlt bin, kommt Vieles heraus. Wenn es sein muss, bin ich da. Aber nicht jede*r möchte das, ist dazu in der Lage oder traut sich. Aber dort wo man kann, sollte man sich auf jeden Fall engagieren.
Es gibt viele kleine Sachen, die etwas verändern können. Es muss nichts Großes oder Spektakuläres sein. Wenn ich zum Beispiel im Alltag Rassismus auf der Arbeit, in der Ausbildung, Schule, Verein mitbekomme. Oder wenn man erlebt, wie Migrant*innen im Alltag benachteiligt oder anders behandelt werden, weil die Leute denken, sie verstehen nichts, dann muss man eingreifen und sagen: Das dürfen Sie nicht tun.
Es gibt viele Initiativen, Projekte, Vereine, denen man sich anschließen kann, um zu unterstützen. Wie und wo das am besten geht, können zum Beispiel die Flüchtlingsräte oder auch Beratungsstellen vor Ort sagen.
Welche Reaktionen bekommst Du auf Deine zivilgesellschaftliche Arbeit?
Manchmal kommen Jugendliche zu mir und sagen: Meine Eltern haben heute früh über Sie gesprochen (lacht). Oder Menschen schicken mir Herz-Zeichen. Es gibt aber auch Anfeindungen und böse Blicke. Ich bekomme auf Facebook viele Hasskommentare – aber auch viele Anfragen von Leuten.
Kann oder sollte man mit Menschen diskutieren, die offenkundig Ressentiments gegen Flüchtlinge und Migrant*innen haben?
Man kann vielleicht noch diejenigen erreichen, die Ängste und falsche Informationen haben oder sich einfach von anderen führen lassen. Man kann aber Menschen, die eine bestimmte starre Ideologie haben, nicht vom Gegenteil überzeugen. In Chemnitz gab es zum Beispiel schon vor 2015 Ausschreitungen vor Erstaufnahmeeinrichtungen, Proteste, Fackelmärsche etc.
Ich frage mich aber auch: Wann merken sie endlich, dass, wenn sie Parteien wählen, die Rechte von Geflüchteten beschneiden, irgendwann auch ihre eigenen Rechte in Gefahr sind?
Um die Stimmung zu beruhigen, wurden sehr viele Einwohnerversammlungen gemacht. Ich war oft Teil des Podiums. Bei solchen Versammlungen hat man mir applaudiert, viele Fragen gestellt und hinterher kommen aber manche Leute zu mir und fragen: Wann gehen Sie nach Hause? Und dann denke ich: Was hat das jetzt gebracht? Mit solchen Menschen muss man nicht diskutieren. Man muss ihnen Grenzen aufzeigen und klipp und klar sagen: Das geht nicht, das sind die Gesetze, du musst dich daran halten. Ich frage mich aber auch: Wann merken sie endlich, dass, wenn sie Parteien wählen, die Rechte von Geflüchteten beschneiden, irgendwann auch ihre eigenen Rechte in Gefahr sind?
Wir haben in den letzten Jahren Asylgesetzverschärfungen im Akkord erlebt. Wie ist Deine Meinung dazu?
Die Politik lernt einfach nichts dazu. Ich sehe Parallelen zu den 90-er Jahren, als auf hohe Asylzahlen viele Gesetzesverschärfungen folgten. Die rassistischen Ausschreitungen wurden damals überhaupt nicht richtig verarbeitet. Eine Politik, die auf die Straße hört und danach handelt, verursacht diese Probleme mit. So kann man keine nachhaltige, langfristige Politik machen. Jetzt, nach 2015, erleben wir das Gleiche.
Gerade ist wieder ein neues Gesetzes-Projekt von Seehofer auf dem Weg, da ist ja unser Innenminister sehr kreativ: Nicht nur Geflüchtete werden damit kriminalisiert – auch Helfer*innen oder Menschen, die Empathie für Geflüchtete empfinden und sich für ihre Rechte einsetzen. Das schürt Ressentiments und bestärkt das Verhalten rechter Menschen noch weiter.
Was wurde Deiner Ansicht nach gerade in Sachsen versäumt bzw. hätte dringend gemacht werden müssen?
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat mal gesagt, Sachsen sei gegen Rassismus immun. Seitdem wird das Rechtsextremismus-Problem verharmlost und kleingeredet. Man hat mehr Angst um das Image von Sachsen als Entschlossenheit, die Rechten zu bekämpfen. Ich verstehe diese Politik nicht. Man muss die Demokratie und das demokratische Empfinden verteidigen und den Menschen durch politische Bildung näher bringen. Es gibt Studien darüber, dass viele Menschen im Osten sich eine andere Staatsform wünschen, weil sie von der Demokratie nicht überzeugt sind. Demokratie ist eine Errungenschaft unserer Gesellschaft. Man muss an ihr festhalten, es gibt keine Alternative.
Die Zahl der Asylsuchenden oder Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund ist gerade in Sachsen sehr gering.
Und trotzdem ist diese gefühlte Angst vor Überfremdung in Sachsen und in Ostdeutschland hoch – allerdings ist Rassismus ja nicht nur ein Ost-Problem. Ich weiß nicht, ob es etwas damit zu tun hat, aber ich habe dort viele Menschen kennengelernt, die noch nie irgendwo anders waren und praktisch keine Migrant*innen oder andere Lebensweisen kennen.
Sie haben Berührungsängste und leben ständig mit dem Gedanken, dass irgendwas passiert, obwohl ihnen noch nie etwas zugestoßen ist. Sie haben Angst vor mir, ohne dass ich ihnen etwas getan habe – nur weil ich anders aussehe. Ich finde das absurd. Man muss sich selbst sagen, ich lege das ab, ich will versuchen, Menschen kennenzulernen und mich nicht von meiner Angst führen lassen! Und wenn doch einmal etwas passiert, lasse ich doch nicht mein Leben davon bestimmen und habe für immer Angst vor anderen Menschen.
Was können Betroffene eigentlich selbst tun? Was kannst Du mitgeben?
Sie können sich solidarisieren, das ist sehr wichtig. Das, was die »ältere« Generation erlebt hat, an die »jüngere« weitergeben, damit sie sich für sich selbst und für andere einsetzen können. Ich war auch nicht von Anfang an auf Demos dabei. Einiges musste ich auch lernen. Ich habe hier zehn Jahre gelebt, sechs davon mit einer Duldung, Arbeitsverbot, Ausbildungsverbot, Residenzpflicht. Ich weiß, wie es Menschen geht, die in der gleichen Situation sind.
Ich habe hier zehn Jahre gelebt, sechs davon mit einer Duldung, Arbeitsverbot, Ausbildungsverbot, Residenzpflicht. Ich weiß, wie es Menschen geht, die in der gleichen Situation sind.
Wenn es nach den Behörden und nach dem System gegangen wäre, hätte ich nur im Wohnheim leben und isoliert bleiben sollen, einen Ort, der mich belastet und krank gemacht hat. Ich musste für mich selbst sprechen lernen. Das habe ich bei JOG gelernt. Ich kenne meine Probleme, ich kann mich auf Deutsch artikulieren und ich gehe und posaune das raus. Man darf sich nicht zermürben lassen von all den Restriktionen, sondern muss für die eigenen Rechte aufstehen.
Das Interview führte Anđelka Križanović