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Am Rechtsstaat vorbei, in die Sackgasse hinein: Illegale Zurückweisungen an der deutschen Grenze. Foto: pixabay / Creative Commons

Die aktuelle Debatte um die Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze verfehlt den Kern des Problems. Asylsuchende werden ad hoc ohne Rechtsverfahren zurück in EU-Staaten wie Griechenland verfrachtet - am Europa-Recht und rechtsstaatlichen Prinzipien vorbei.

Was sich seit eini­gen Wochen an der deutsch-öster­rei­chi­schen Gren­ze abspielt, mutet nach einem Umbau des Rechts­staa­tes an. Asyl­su­chen­de wur­den von der Bun­des­po­li­zei auf­ge­grif­fen und bin­nen kür­zes­ter Zeit in EU-Erst­ein­rei­se­staa­ten wie Grie­chen­land zurück­ge­wie­sen – ohne dass eine sorg­fäl­ti­ge Prü­fung durch das BAMF erfolgt, ob dort ein rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren in men­schen­wür­di­gen Ver­hält­nis­sen gege­ben ist und ohne den Betrof­fe­nen die Mög­lich­keit zu geben, gegen das Vor­ge­hen zu klagen.

An Einzelfällen wird Umbau des Rechtsstaates vollzogen

Die Öffent­lich­keit und die Oppo­si­ti­on dis­ku­tie­ren über die bis­lang gerin­ge Zahl der Zurück­wei­sun­gen und damit am Kern des Pro­blems vor­bei. Es wird von einer »Schein­de­bat­te« gere­det oder sogar die zu gerin­gen Rück­füh­rungs­zah­len kri­ti­siert, die »selbst hin­ter pes­si­mis­ti­schen Pro­gno­sen zurück­blie­ben«. Ver­kannt wird, dass aus den bis­lang bekannt gewor­de­nen Ein­zel­fäl­len Prä­ze­denz­fäl­le geschaf­fen wer­den, mit denen das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) künf­tig sys­te­ma­tisch rechts­staat­li­che Ver­fah­rens­ga­ran­tien umge­hen kann. Flä­chen­de­cken­de Abschie­bun­gen ohne die Mög­lich­keit effek­ti­ven Rechts­schut­zes wür­den Rea­li­tät. An inner­eu­ro­päi­schen Gren­zen wür­de der Rechts­staat de fac­to aus­ge­he­belt werden.

Rücküberstellungen nach Griechenland gerichtlich gestoppt

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt und vie­le deut­sche Gerich­te haben Über­stel­lun­gen von Asyl­su­chen­den oder bereits Aner­kann­ten nach Grie­chen­land bereits gestoppt. Es kann gera­de nicht gesagt wer­den, dass nach Grie­chen­land über­stellt wer­den kann – wegen der dort herr­schen­den kata­stro­pha­len Zustän­de muss im Gegen­teil gera­de ganz genau hin­ge­schaut wer­den, ob eine Über­stel­lung im Ein­zel­fall mög­lich ist. Letzt­lich droht hier also nicht nur ein Streit um Zustän­dig­kei­ten, son­dern es geht um dro­hen­de Über­stel­lun­gen in unmensch­li­che und men­schen­rechts­wid­ri­ge Situationen.

Das Recht auf ein fai­res Ver­fah­ren droht nun systematisch
aus­ge­höhlt zu werden.

Jeder Asyl­su­chen­de hat das Recht auf ein fai­res und rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren, in dem Behör­den­han­deln effek­tiv durch Gerich­te über­prüft wird. Die­ses Recht droht nun sys­te­ma­tisch aus­ge­höhlt zu werden.

Erste Zurückweisungen bereits erfolgt

Am 26. August 2018 fand die ers­te Zurück­wei­sung an der deutsch-öster­rei­chi­schen Gren­ze statt: Der Betrof­fe­ne wur­de in einem Zug nahe Rosen­heim von der Bun­des­po­li­zei auf­ge­grif­fen. Da die­se Per­son einen Asyl­an­trag in Grie­chen­land gestellt habe und dort regis­triert sei (EURODAC 1‑Treffer), hat die Bun­des­po­li­zei­in­spek­ti­on Rosen­heim schein­bar ohne wei­te­re Prü­fung ent­schie­den, die­se Per­son unmit­tel­bar zum Mün­che­ner Flug­ha­fen zu brin­gen, von wo aus sie nach Grie­chen­land geschickt wurde.

Die Bun­des­po­li­zei berief sich dabei auf das – unbe­kann­te – Abkom­men zwi­schen Deutsch­land und Grie­chen­land. Es gab für die betrof­fe­ne Per­son schein­bar kei­ner­lei Gele­gen­heit, recht­li­che Schrit­te ein­zu­lei­ten. Nach­träg­lich die­se Per­son aus­fin­dig zu machen, ist unter den herr­schen­den Umstän­den in Grie­chen­land äußerst problematisch.

Ver­kannt wird, dass aus den bis­lang bekannt gewor­de­nen Ein­zel­fäl­len Prä­ze­denz­fäl­le geschaf­fen wer­den, mit denen das BMI künf­tig sys­te­ma­tisch rechts­staat­li­che Ver­fah­rens­ga­ran­tien umge­hen kann.

Auch wenn es bis­her nur um eini­ge weni­ge bekannt gewor­de­ne Fäl­le geht: Dies ist alles ande­re als eine Baga­tel­le. Die Mehr­zahl derer, die nach Deutsch­land über Grie­chen­land oder Ita­li­en ein­rei­sen, wur­de dort bereits regis­triert. Das BMI schafft sich ein Instru­men­ta­ri­um, das so ange­legt ist, dass poten­ti­ell eine hohe Zahl von Asyl­su­chen­den ohne rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren nach der Dub­lin-Ver­ord­nung abge­fer­tigt wer­den kann.

Hintergrund zu den Rücknahmeabkommen

Der Koali­ti­ons­aus­schuss hat am 5. Juli 2018 ver­ein­bart, dass Schutz­su­chen­de, die an deutsch- öster­rei­chi­scher Gren­ze auf­ge­grif­fen wer­den und in einem ande­ren EU-Mit­glied­staat als Asyl­su­chen­de regis­triert wur­den (EURODAC 1‑Treffer) direkt in das »zustän­di­ge« Land zurück­ge­wie­sen wer­den, sofern mit die­sem Mit­glied­staat ein »Ver­wal­tungs­ab­kom­men« abge­schlos­sen sei. Dar­auf­hin wur­den Abkom­men mit Grie­chen­land und Spa­ni­en zu Zurück­wei­sun­gen an der deutsch-öster­rei­chi­schen Gren­ze abge­schlos­sen, ein eben­sol­ches mit Ita­li­en steht bevor.

Dabei sol­len die­se Abkom­men schein­bar außer­halb der ver­bind­li­chen euro­päi­schen Dub­lin-III-Ver­ord­nung ste­hen, die genau sol­che Fäl­le regelt. Dies ergibt sich aus öffent­li­chen Äuße­run­gen (Inter­view des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters mit dem Han­dels­blatt vom 26. Sep­tem­ber 2018, »Horst See­ho­fer im Gespräch«) sowie aus der Bun­des­tags­druck­sa­che 19/4152 (Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung zu Fra­ge 9).

Selbst eine ange­dach­te »Fik­ti­on«, dass die­se Per­son gar nicht ein­ge­reist sei, steht der Anwen­dung der Dub­lin-III-Ver­ord­nung nicht ent­ge­gen. Der Staat kann sich nicht den Anwen­dungs­be­reich einer euro­päi­schen Ver­ord­nung aus­su­chen. Die Dub­lin-Ver­ord­nung ist ganz unstrit­tig an den Bin­nen­gren­zen der EU rechts­ver­bind­lich, selbst­ver­ständ­lich auch für Deutsch­land, Öster­reich, Grie­chen­land, Spa­ni­en und Ita­li­en. Es kön­nen zwar bestimm­te Ver­fah­rens­mo­da­li­tä­ten wie ver­kürz­te Über­stel­lungs­fris­ten ver­ein­bart wer­den (Art. 36 Dub­lin-VO) – nicht aber kann die Dub­lin-Ver­ord­nung per se aus­ge­he­belt werden.

Zugang zum Rechtsschutz verwehrt

Die­ses Vor­ge­hen ist rechts­wid­rig: Zunächst hat über­haupt eine Prü­fung zu erfol­gen, wel­cher Staat für die Durch­füh­rung des Asyl­ver­fah­rens zustän­dig ist (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 ff). Die­se Prü­fung kann nicht durch einen EURO­DAC-Tref­fer ersetzt wer­den. Die Dub­lin-III-Ver­ord­nung ent­hält einen gan­zen Kri­te­ri­en­ka­ta­log, nach wel­chem Deutsch­land oder ein ande­rer Staat zustän­dig sein könn­te (Art. 8 ff), es ist gera­de kein »5- Minu­ten-Ver­fah­ren«.

Außer­dem schreibt die Ver­ord­nung ganz klar die Mög­lich­keit vor, Rechts­mit­tel gegen eine sol­che Ent­schei­dung der Über­stel­lung ein­le­gen zu kön­nen, wäh­rend­des­sen kei­ne Abschie­bung erfol­gen darf (Art. 27 Dub­lin-VO). Auch dies fußt auf dem men­schen­recht­lich garan­tier­ten Recht auf einen effek­ti­ven Rechts­be­helf (Art. 13 EMRK).

Die Dub­lin-Ver­ord­nung ist ganz unstrit­tig an den Bin­nen­gren­zen der EU rechtsverbindlich.

Es geht um menschenrechtlichen Schutz

Doch nicht nur die Kri­te­ri­en der Dub­lin-III-Ver­ord­nung müs­sen geprüft wer­den, eben­so gel­ten die EU- Grund­rech­te­char­ta, die Europäische Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und das Grund­ge­setz. Dies gilt auch bei der »Fik­ti­on einer Nicht­ein­rei­se« nach Deutsch­land und für sog. »Tran­sit­ver­fah­ren«. Auf­grund die­ser Rechts­grund­la­gen wur­de schon mehr­fach klar ent­schie­den: Es ist zu prü­fen, ob im zu über­stel­len­den Staat – wie z.B. Grie­chen­land (!) – eine unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Behand­lung droht (Art. 3 EMRK, Art. 4 EU-GrChar­ta). Das zu prü­fen ist eben­falls zwin­gen­des Recht und steht nicht im Belie­ben der deut­schen Regierung.

Überstellungen und Abschiebungen ohnehin oft rechtswidrig

Bis heu­te haben vie­le deut­sche Gerich­te Über­stel­lun­gen von Asyl­su­chen­den oder auch bereits Aner­kann­ten z.B. nach Grie­chen­land, Ita­li­en, Bul­ga­ri­en oder Ungarn zwi­schen­zeit­lich gestoppt wegen der dro­hen­den unmensch­li­chen bzw. ernied­ri­gen­den Situa­ti­on, in die sich die Betrof­fe­nen bege­ben wür­den. Vor dem EuGH sind der­zeit meh­re­re Ver­fah­ren aus Deutsch­land anhän­gig, die die Fra­ge der Gewähr­leis­tung erfor­der­li­cher Rech­te in die­sen Län­dern zum Gegen­stand haben.

Verfassungsgericht: Keine pauschalen Überstellungen nach Griechenland 

Erst am 31. Juli 2018 hat das BVerfG ent­schie­den, dass nicht pau­schal davon aus­ge­gan­gen wer­den kann, dass ein in Grie­chen­land Aner­kann­ter wie­der dort­hin zurück­ge­schickt wer­den kann. Das muss eben­so Kon­se­quen­zen für die Über­stel­lung von Asyl­su­chen­den haben. Der VGH Baden-Würt­tem­berg hat in sei­nem Beschluss vom 15. März 2017 for­mu­liert: »Die bes­ten Auf­nah­me­be­din­gun­gen wäh­rend des Aner­ken­nungs­ver­fah­rens wären unzu­rei­chend, wenn den Betrof­fe­nen anschlie­ßend nach einer Aner­ken­nung Ver­elen­dung droht, und umge­kehrt.« (Rn. 25)

Effektiver Schutz in Griechenland nur auf dem Papier 

Statt­des­sen müs­sen Behör­den und Ver­wal­tungs­ge­rich­te prü­fen, ob eine Über­stel­lung im indi­vi­du­el­len Fall mög­lich ist und tat­säch­lich in Grie­chen­land der Zugang zu Unter­kunft, Lebens­mit­tel und medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung für die Betrof­fe­nen besteht. Das Ver­fas­sungs­ge­richt ver­weist aus­drück­lich auf die Berück­sich­ti­gung des Berichts von PRO ASYL zur Situa­ti­on von Aner­kann­ten in Grie­chen­land.

Keine Kontrolle der Behörden, Rechtsstaat in Gefahr

Die­se Gerichts­ver­fah­ren bezeu­gen: Der grund- und men­schen­recht­lich ver­brief­te Rechts­schutz muss zwin­gend gewähr­leis­tet sein. Hier dro­hen letzt­lich Men­schen­rech­te ver­letzt zu wer­den, und damit mehr als nur »rei­ne« Zustän­dig­keits­kri­te­ri­en. Auch der Rechts­staat wird aus­ge­he­belt, wenn die Behör­den sich jeg­li­cher gericht­li­cher Kon­trol­le entziehen.