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Illegale Zurückweisungen an der deutschen Grenze: Parallelsystem am Rechtsstaat vorbei
Die aktuelle Debatte um die Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze verfehlt den Kern des Problems. Asylsuchende werden ad hoc ohne Rechtsverfahren zurück in EU-Staaten wie Griechenland verfrachtet - am Europa-Recht und rechtsstaatlichen Prinzipien vorbei.
Was sich seit einigen Wochen an der deutsch-österreichischen Grenze abspielt, mutet nach einem Umbau des Rechtsstaates an. Asylsuchende wurden von der Bundespolizei aufgegriffen und binnen kürzester Zeit in EU-Ersteinreisestaaten wie Griechenland zurückgewiesen – ohne dass eine sorgfältige Prüfung durch das BAMF erfolgt, ob dort ein rechtsstaatliches Verfahren in menschenwürdigen Verhältnissen gegeben ist und ohne den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, gegen das Vorgehen zu klagen.
An Einzelfällen wird Umbau des Rechtsstaates vollzogen
Die Öffentlichkeit und die Opposition diskutieren über die bislang geringe Zahl der Zurückweisungen und damit am Kern des Problems vorbei. Es wird von einer »Scheindebatte« geredet oder sogar die zu geringen Rückführungszahlen kritisiert, die »selbst hinter pessimistischen Prognosen zurückblieben«. Verkannt wird, dass aus den bislang bekannt gewordenen Einzelfällen Präzedenzfälle geschaffen werden, mit denen das Bundesinnenministerium (BMI) künftig systematisch rechtsstaatliche Verfahrensgarantien umgehen kann. Flächendeckende Abschiebungen ohne die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes würden Realität. An innereuropäischen Grenzen würde der Rechtsstaat de facto ausgehebelt werden.
Rücküberstellungen nach Griechenland gerichtlich gestoppt
Das Bundesverfassungsgericht und viele deutsche Gerichte haben Überstellungen von Asylsuchenden oder bereits Anerkannten nach Griechenland bereits gestoppt. Es kann gerade nicht gesagt werden, dass nach Griechenland überstellt werden kann – wegen der dort herrschenden katastrophalen Zustände muss im Gegenteil gerade ganz genau hingeschaut werden, ob eine Überstellung im Einzelfall möglich ist. Letztlich droht hier also nicht nur ein Streit um Zuständigkeiten, sondern es geht um drohende Überstellungen in unmenschliche und menschenrechtswidrige Situationen.
Das Recht auf ein faires Verfahren droht nun systematisch
ausgehöhlt zu werden.
Jeder Asylsuchende hat das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren, in dem Behördenhandeln effektiv durch Gerichte überprüft wird. Dieses Recht droht nun systematisch ausgehöhlt zu werden.
Erste Zurückweisungen bereits erfolgt
Am 26. August 2018 fand die erste Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze statt: Der Betroffene wurde in einem Zug nahe Rosenheim von der Bundespolizei aufgegriffen. Da diese Person einen Asylantrag in Griechenland gestellt habe und dort registriert sei (EURODAC 1‑Treffer), hat die Bundespolizeiinspektion Rosenheim scheinbar ohne weitere Prüfung entschieden, diese Person unmittelbar zum Münchener Flughafen zu bringen, von wo aus sie nach Griechenland geschickt wurde.
Die Bundespolizei berief sich dabei auf das – unbekannte – Abkommen zwischen Deutschland und Griechenland. Es gab für die betroffene Person scheinbar keinerlei Gelegenheit, rechtliche Schritte einzuleiten. Nachträglich diese Person ausfindig zu machen, ist unter den herrschenden Umständen in Griechenland äußerst problematisch.
Verkannt wird, dass aus den bislang bekannt gewordenen Einzelfällen Präzedenzfälle geschaffen werden, mit denen das BMI künftig systematisch rechtsstaatliche Verfahrensgarantien umgehen kann.
Auch wenn es bisher nur um einige wenige bekannt gewordene Fälle geht: Dies ist alles andere als eine Bagatelle. Die Mehrzahl derer, die nach Deutschland über Griechenland oder Italien einreisen, wurde dort bereits registriert. Das BMI schafft sich ein Instrumentarium, das so angelegt ist, dass potentiell eine hohe Zahl von Asylsuchenden ohne rechtsstaatliches Verfahren nach der Dublin-Verordnung abgefertigt werden kann.
Hintergrund zu den Rücknahmeabkommen
Der Koalitionsausschuss hat am 5. Juli 2018 vereinbart, dass Schutzsuchende, die an deutsch- österreichischer Grenze aufgegriffen werden und in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Asylsuchende registriert wurden (EURODAC 1‑Treffer) direkt in das »zuständige« Land zurückgewiesen werden, sofern mit diesem Mitgliedstaat ein »Verwaltungsabkommen« abgeschlossen sei. Daraufhin wurden Abkommen mit Griechenland und Spanien zu Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze abgeschlossen, ein ebensolches mit Italien steht bevor.
Dabei sollen diese Abkommen scheinbar außerhalb der verbindlichen europäischen Dublin-III-Verordnung stehen, die genau solche Fälle regelt. Dies ergibt sich aus öffentlichen Äußerungen (Interview des Bundesinnenministers mit dem Handelsblatt vom 26. September 2018, »Horst Seehofer im Gespräch«) sowie aus der Bundestagsdrucksache 19/4152 (Antwort der Bundesregierung zu Frage 9).
Selbst eine angedachte »Fiktion«, dass diese Person gar nicht eingereist sei, steht der Anwendung der Dublin-III-Verordnung nicht entgegen. Der Staat kann sich nicht den Anwendungsbereich einer europäischen Verordnung aussuchen. Die Dublin-Verordnung ist ganz unstrittig an den Binnengrenzen der EU rechtsverbindlich, selbstverständlich auch für Deutschland, Österreich, Griechenland, Spanien und Italien. Es können zwar bestimmte Verfahrensmodalitäten wie verkürzte Überstellungsfristen vereinbart werden (Art. 36 Dublin-VO) – nicht aber kann die Dublin-Verordnung per se ausgehebelt werden.
Zugang zum Rechtsschutz verwehrt
Dieses Vorgehen ist rechtswidrig: Zunächst hat überhaupt eine Prüfung zu erfolgen, welcher Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 ff). Diese Prüfung kann nicht durch einen EURODAC-Treffer ersetzt werden. Die Dublin-III-Verordnung enthält einen ganzen Kriterienkatalog, nach welchem Deutschland oder ein anderer Staat zuständig sein könnte (Art. 8 ff), es ist gerade kein »5- Minuten-Verfahren«.
Außerdem schreibt die Verordnung ganz klar die Möglichkeit vor, Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung der Überstellung einlegen zu können, währenddessen keine Abschiebung erfolgen darf (Art. 27 Dublin-VO). Auch dies fußt auf dem menschenrechtlich garantierten Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf (Art. 13 EMRK).
Die Dublin-Verordnung ist ganz unstrittig an den Binnengrenzen der EU rechtsverbindlich.
Es geht um menschenrechtlichen Schutz
Doch nicht nur die Kriterien der Dublin-III-Verordnung müssen geprüft werden, ebenso gelten die EU- Grundrechtecharta, die Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz. Dies gilt auch bei der »Fiktion einer Nichteinreise« nach Deutschland und für sog. »Transitverfahren«. Aufgrund dieser Rechtsgrundlagen wurde schon mehrfach klar entschieden: Es ist zu prüfen, ob im zu überstellenden Staat – wie z.B. Griechenland (!) – eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (Art. 3 EMRK, Art. 4 EU-GrCharta). Das zu prüfen ist ebenfalls zwingendes Recht und steht nicht im Belieben der deutschen Regierung.
Überstellungen und Abschiebungen ohnehin oft rechtswidrig
Bis heute haben viele deutsche Gerichte Überstellungen von Asylsuchenden oder auch bereits Anerkannten z.B. nach Griechenland, Italien, Bulgarien oder Ungarn zwischenzeitlich gestoppt wegen der drohenden unmenschlichen bzw. erniedrigenden Situation, in die sich die Betroffenen begeben würden. Vor dem EuGH sind derzeit mehrere Verfahren aus Deutschland anhängig, die die Frage der Gewährleistung erforderlicher Rechte in diesen Ländern zum Gegenstand haben.
Verfassungsgericht: Keine pauschalen Überstellungen nach Griechenland
Erst am 31. Juli 2018 hat das BVerfG entschieden, dass nicht pauschal davon ausgegangen werden kann, dass ein in Griechenland Anerkannter wieder dorthin zurückgeschickt werden kann. Das muss ebenso Konsequenzen für die Überstellung von Asylsuchenden haben. Der VGH Baden-Württemberg hat in seinem Beschluss vom 15. März 2017 formuliert: »Die besten Aufnahmebedingungen während des Anerkennungsverfahrens wären unzureichend, wenn den Betroffenen anschließend nach einer Anerkennung Verelendung droht, und umgekehrt.« (Rn. 25)
Effektiver Schutz in Griechenland nur auf dem Papier
Stattdessen müssen Behörden und Verwaltungsgerichte prüfen, ob eine Überstellung im individuellen Fall möglich ist und tatsächlich in Griechenland der Zugang zu Unterkunft, Lebensmittel und medizinischer Versorgung für die Betroffenen besteht. Das Verfassungsgericht verweist ausdrücklich auf die Berücksichtigung des Berichts von PRO ASYL zur Situation von Anerkannten in Griechenland.
Keine Kontrolle der Behörden, Rechtsstaat in Gefahr
Diese Gerichtsverfahren bezeugen: Der grund- und menschenrechtlich verbriefte Rechtsschutz muss zwingend gewährleistet sein. Hier drohen letztlich Menschenrechte verletzt zu werden, und damit mehr als nur »reine« Zuständigkeitskriterien. Auch der Rechtsstaat wird ausgehebelt, wenn die Behörden sich jeglicher gerichtlicher Kontrolle entziehen.