14.08.2024
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Zum Schutz für ihre Verwandten in Afghanistan kann Malala nur unter Pseudonym und mit Maske mit uns sprechen.

Malala* ist Teil der afghanischen Frauengruppe »United Voice of Women for Peace«, die ab 2019 das Friedensministerium in Afghanistan für die Verhandlungen mit den Taliban beriet. Als engagierte Frauenrechtsaktivistin und bekannte Kritikerin der Taliban musste sie aus Afghanistan fliehen.

Mala­la*, du bist jetzt seit 2 Jah­ren in Deutsch­land. Wie sah dein Leben vor dei­ner Flucht aus?

Die letz­te Zeit in Afgha­ni­stan leb­te ich in stän­di­ger Angst vor den Tali­ban. Ich fühl­te mich wie eine Gefan­ge­ne. Ich war nur noch zu Hau­se, hat­te Angst, das Haus zu ver­las­sen. Daheim saßen mei­ne Fami­lie und ich und fürch­te­ten uns davor, dass es an der Tür klop­fen könn­te. Es war nur noch ein Über­le­ben, kein Leben mehr.

Wie war es für dich in Afgha­ni­stan vor der Macht­über­nah­me der Taliban?

Ich habe Medi­zin und eng­li­sche Lite­ra­tur stu­diert. Wir afgha­ni­schen Frau­en wuss­ten, dass wir jetzt eine Chan­ce haben, die aber jeden Tag enden kann. Des­we­gen stu­dier­te ich mor­gens Medi­zin und Abends eng­li­sche Lite­ra­tur. Als die Tali­ban kamen, fehl­ten mir noch zwei Semes­ter, bis ich das Medi­zin­stu­di­um absol­viert hät­te. Aber immer­hin habe ich einen Abschluss in eng­li­scher Lite­ra­tur. Neben der Uni habe ich mich auch viel für Frau­en­rech­te engagiert.

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Und des­halb bist du von den Tali­ban jetzt beson­ders bedroht?

Ja. Ich habe fünf Jah­re lang für das Minis­te­ri­um für Frau­en­an­ge­le­gen­hei­ten in mei­ner Pro­vinz gear­bei­tet, vie­le Frau­en beim Empower­ment unter­stützt und Ent­wick­lungs­pro­gram­me beglei­tet. Als Mit­ar­bei­te­rin von inter­na­tio­na­len Hilfs­pro­gram­men und NGOs habe ich mich gegen Zwangs­ar­beit, Kin­der­ehen und für Schul­bil­dung von Mäd­chen eingesetzt.

Ich war außer­dem an den Frie­dens­ver­hand­lun­gen zwi­schen der afgha­ni­schen Regie­rung und den Tali­ban betei­ligt. In die­ser Zeit bin ich oft öffent­lich auf­ge­tre­ten und habe die Tali­ban kri­ti­siert. Über mei­ne Auf­trit­te wur­de viel berich­tet und ich erhielt direk­te Dro­hun­gen von den Taliban.

Wann und wie hast du ent­schie­den, dass du Afgha­ni­stan ver­las­sen musst?

Ich woll­te zuerst nicht flie­hen. Ich lie­be mein Land und ich woll­te nicht akzep­tie­ren, dass alles, wofür wir so hart gear­bei­tet haben, vor­erst ver­lo­ren ist. Wir fürch­te­ten jeden Tag den Tod. Es war kei­ne leich­te Ent­schei­dung, aber wir wol­len leben. Mei­ne jün­ge­ren Geschwis­ter sol­len zur Schu­le gehen kön­nen, ich will Ärz­tin sein. All das ist nicht mög­lich unter den Taliban.

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Wie habt ihr die Flucht letzt­end­lich geschafft?

Ich war in Afgha­ni­stan Teil einer Grup­pe von Frau­en, die das Frie­dens­mi­nis­te­ri­um in Afgha­ni­stan für die Frie­dens­ver­hand­lun­gen mit den Tali­ban beriet. Alle Frau­en aus unse­rer Grup­pe waren durch die Tali­ban stark gefähr­det. Wir kon­tak­tier­ten PRO ASYL und mit ihrer Hil­fe beka­men wir huma­ni­tä­re Visa. Ich bin dafür sehr dank­bar, das Team war immer erreich­bar, hat mich und die ande­ren Frau­en unter­stützt. Es gab kei­nen ande­ren Aus­weg, PRO ASYL war unse­re ein­zi­ge Hoff­nung, den Tali­ban zu entkommen.

Aktu­ell haben wir kei­ne Mög­lich­keit, bei der Auf­nah­me aus Afgha­ni­stan zu unter­stüt­zen. Es gibt ein Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm für Afgha­ni­stan. Infor­ma­tio­nen hier­zu fin­den Sie auf der Sei­te des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des Inne­ren. PRO ASYL ist kei­ne mel­de­be­rech­tig­te Stel­le. Wir kön­nen daher nicht bei der Auf­nah­me ins Pro­gramm unterstützen.

Wie war das für dich und dei­ne Fami­lie, als ihr letzt­end­lich nach Deutsch­land kamt?

Als wir aus dem Flug­zeug in Ber­lin aus­ge­stie­gen sind, ist ein rie­si­ger Druck von uns abge­fal­len. Wir hat­ten das Gefühl, end­lich wie­der frei atmen zu kön­nen. Wir konn­ten uns frei bewe­gen, ganz ohne Angst. Aber gleich­zei­tig hat es mich sehr geschmerzt, dass ich mein Land ver­las­sen muss­te. Und in Deutsch­land anzu­kom­men und die Ein­rei­se­for­ma­li­tä­ten zu durch­lau­fen, hat es für mich erst real gemacht. Ab jetzt bin ich Flücht­ling und ich weiß nicht, wann ich mei­ne Hei­mat wie­der­se­hen kann.

Wie sieht dein Leben gera­de aus?

Ich bin sehr glück­lich über mein neu­es Leben. Ich mache gera­de mein B2 Sprach­zer­ti­fi­kat und habe einen tol­len Job als Dol­met­sche­rin gefun­den. Außer­dem neh­me ich an einem Sti­pen­di­en­pro­gramm für gefähr­de­te Menschenrechtsverteidiger*innen teil. In Zukunft will ich hier in Deutsch­land mein Medi­zin­stu­di­um fer­tig absol­vie­ren und Ärz­tin sein – das war schon immer mein Traum, seit mei­ner Kindheit.

Aber obwohl ich so weit von Afgha­ni­stan weg bin, bin ich immer noch nicht frei. Ich kann in Inter­views nicht mein Gesicht zei­gen oder mei­nen ech­ten Namen ver­wen­den, weil Tei­le mei­ner Fami­lie noch in Afgha­ni­stan sind. Ich wür­de sie sonst gefährden.

Was kannst du zur aktu­el­len Situa­ti­on in Afgha­ni­stan sagen?

Sie ist kata­stro­phal. Frau­en und Mäd­chen wer­den über­all aus der Öffent­lich­keit ver­bannt. Mäd­chen dür­fen nur noch bis zur sieb­ten Klas­se zur Schu­le gehen. Frau­en dür­fen sich nicht frei bewe­gen, geschwei­ge denn arbei­ten. Es gibt unzäh­li­ge Frau­en, die sich wie ich für Frau­en­rech­te ein­ge­setzt haben und die noch immer in Angst und stän­di­ger Bedro­hung in Afgha­ni­stan leben müs­sen. Ich wür­de mir wün­schen, dass die deut­sche Regie­rung auch ihnen hilft!