22.07.2021
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Habtemariam Tewelde am Rande einer Demonstration. Foto: Wiebke Rannenberg / PRO ASYL

Habtemariam Tewelde lebt seit acht Jahren von seiner Frau getrennt – auch weil das Auswärtige Amt den Familiennachzug behindert. Seinen Sohn hat er zum ersten Mal gesehen, als dieser sieben Jahre alt war. Im Interview erzählt er, was das jahrelange Warten mit ihm macht.

Herr Tewel­de, Sie sind seit 2014 in Deutsch­land. Wie sieht Ihr Leben hier aus?

Tewel­de: Ich lebe in Augs­burg, habe hier in Deutsch­land eine Aus­bil­dung zum Stu­cka­teur gemacht und habe eine Arbeit. Momen­tan bin ich aber nicht als Stu­cka­teur tätig, son­dern als Lager­hel­fer bei Ama­zon. Meist fan­ge ich nach­mit­tags an und arbei­te dann bis spät­abends. Ich lebe in einer eige­nen Woh­nung. Neu­lich bin ich umge­zo­gen, in eine grö­ße­re Woh­nung mit drei Zim­mern. Genug Platz für mich und mei­ne Frau und unse­ren Sohn – wenn sie denn end­lich zu mir kom­men dürften.

Die bei­den sind von Eri­trea nach Äthio­pi­en geflüch­tet. Im Rah­men des gesetz­lich ver­an­ker­ten Fami­li­en­nach­zugs dürf­ten sie eigent­lich zu Ihnen kom­men, aber das zieht sich hin. Warum?

Tewel­de: Das Haupt­pro­blem ist, dass wir kei­ne staat­li­chen Doku­men­te haben, wie sie die deut­schen Behör­den ver­lan­gen. Wir haben kirch­lich gehei­ra­tet, wie es in Eri­trea üblich ist. Aber Deutsch­land will den Fami­li­en­nach­zug nur erlau­ben, wenn wir eine staat­li­che Hei­rats­ur­kun­de vor­le­gen oder die kirch­li­che Hei­rats­ur­kun­de beim eri­tre­ischen Außen­mi­nis­te­ri­um beglau­bi­gen lassen.

Dafür müss­te ich mich aber an die eri­tre­ischen Behör­den wen­den – und das ist gefähr­lich. Eri­trea ist eine Dik­ta­tur, das weiß jeder. Men­schen wer­den ver­folgt und ver­schwin­den ein­fach spur­los. Ich bin geflüch­tet vor Afe­werki, dem Prä­si­den­ten, der sei­ne eige­nen Bür­ger umbrin­gen lässt. Und jetzt soll ich mich an die­ses Regime wen­den und dar­um bit­ten, dass sie mir Doku­men­te ausstellen?!

Um einen Visums­an­trag auf Fami­li­en­nach­zug stel­len zu dür­fen, muss man bei der Deut­schen Bot­schaft erst­mal einen Ter­min ver­ein­ba­ren. Was muss­ten Sie dafür unternehmen? 

Tewel­de: Das war sehr schwie­rig. Es hat alles sehr lan­ge gedau­ert: Zuerst muss­te ich vor dem Com­pu­ter sit­zen und dar­auf hof­fen, dass ich irgend­wann im rich­ti­gen Moment davor sit­ze, um das Zeit­fens­ter zu erwi­schen, in dem man sich für einen Ter­min bei der Bot­schaft regis­trie­ren kann. Da muss man Glück haben, denn vie­le, vie­le ande­re wol­len das auch. Danach muss­ten wir 13 Mona­te war­ten, um den Ter­min wahr­neh­men zu kön­nen und die Doku­men­te einzureichen.

Als Eri­tre­er das eige­ne Land zu ver­las­sen, ist ille­gal. Du wirst bestraft, wenn sie dich kriegen.

Und das war nur der aller­ers­te Schritt. Mei­ne Frau muss­te Eri­trea ver­las­sen. Dort kann man den Antrag auf Fami­li­en­nach­zug nicht stel­len – das geht nur in einer Deut­schen Bot­schaft in einem der Nach­bar­län­der. Sie ist also nach Äthio­pi­en gegan­gen. Als Eri­tre­er das eige­ne Land zu ver­las­sen, ist ille­gal. Du wirst bestraft, wenn sie dich kriegen.

War­um konn­te Ihre Frau damals nicht mit­kom­men, als Sie nach Deutsch­land geflüch­tet sind? 

Tewel­de: Ich hat­te gar nicht geplant, das Land zu ver­las­sen. Aber dann muss­te ich flie­hen, denn sie woll­ten mich beim Mili­tär ein­zie­hen. In Eri­trea bedeu­tet das, dass du dein gan­zes Leben lang als Sol­dat arbei­ten musst. Ohne Ende. Bis du stirbst. Das woll­te ich nicht. Außer­dem muss­te ich mich um mei­ne Geschwis­ter küm­mern, denn ich bin der Ältes­te. Mein Vater war im Jahr 2000 im Krieg gegen Äthio­pi­en gestor­ben. In Eri­trea gibt es kei­ne Hin­ter­blie­be­nen­ren­te. Also haben wir (ande­re Jungs und ich) uns ver­steckt, haben im Wald gelebt. Ich war also auch schon in Eri­trea auf der Flucht. Wir wur­den ver­folgt, es war eine gefähr­li­che Situation.

Ich habe ver­sucht, mei­ne Frau an einen siche­ren Ort zu brin­gen. Sie ist dann erst­mal bei ihren Eltern geblie­ben. Dass sie schwan­ger war, als ich das Land ver­las­sen habe, wuss­ten wir bei­de damals nicht. Als ich end­lich Deutsch­land erreicht hat­te, habe ich gedacht, nun kann es nicht mehr lan­ge dau­ern, bis sie end­lich bei mir ist. Höchs­tens zwei Jah­re, dach­te ich.

Mitt­ler­wei­le sind es acht Jah­re, dass Sie Eri­trea ver­las­sen haben. Wie hal­ten Sie den Kontakt? 

Tewel­de: Wir tele­fo­nie­ren regel­mä­ßig, aber das Inter­net ist dort schlecht. Das ist nicht wie hier. Aber was sol­len wir sonst machen? Ich füh­re mei­ne Ehe nur noch tele­fo­nisch. Über Mes­sen­ger-Diens­te ver­su­chen wir mit Video zu tele­fo­nie­ren, aber das klappt sel­ten gut. Und übers Tele­fon zu spü­ren, was der ande­re gera­de fühlt, ist schwer.

Letz­tes Jahr im Dezem­ber hat­ten Sie genug Geld zusam­men­ge­spart, um Ihre Fami­lie im Exil in Äthio­pi­en zu besu­chen. Da haben Sie Ihren Sohn das ers­te Mal im Leben gese­hen. Wie war das?

Tewel­de: Das war sehr schwie­rig für mich. Mein Sohn hat gar nicht geglaubt, dass ich sein Vater bin. Er hat mich eher behan­delt wie einen Freund sei­ner Mama, einen Bekann­ten. Es hat zwei, drei Wochen gedau­ert, bis wir uns ein biss­chen ange­nä­hert hat­ten. Aber dann muss­te ich ihn ver­las­sen. Ich muss­te zurück­flie­gen nach Deutsch­land – allei­ne. Auf dem Rück­flug nach Frank­furt war ich krank vor Sor­ge und Trau­rig­keit. Ich konn­te nicht mehr rich­tig denken.

Was macht die Tren­nung mit Ihnen als Paar? 

Tewel­de: Mei­ne Frau und ich hat­ten schon Streit des­we­gen. Sie fragt mich immer, wie­so es in Deutsch­land so lan­ge dau­ert. Die ande­ren, deren Män­ner in die Schweiz gegan­gen sind, nach Hol­land, Ita­li­en, Frank­reich oder Groß­bri­tan­ni­en – bei denen geht es so viel schnel­ler. Wie kann es sein, dass das in Deutsch­land anders ist? Das kann sie gar nicht glau­ben. Ich habe ver­sucht sie zu beruhigen.

»Die ande­ren, deren Män­ner in die Schweiz gegan­gen sind, nach Hol­land, Ita­li­en, Frank­reich oder Groß­bri­tan­ni­en – bei denen geht es so viel schneller.«

Hab­te­ma­ri­am Tewelde

Aus lau­ter Hilf­lo­sig­keit habe ich sogar Aus­re­den erfun­den, nur um ihr irgend­et­was sagen zu kön­nen, um wenigs­tens eine Ant­wort zu haben. Also habe ich gesagt, dass ich so beschäf­tigt bin. In der Sprach­schu­le, mit mei­ner Aus­bil­dung, mit der Woh­nungs­su­che. Aber das geht natür­lich auf Dau­er nicht, die­se Not­lü­gen. Ich ver­ste­he es ja selbst nicht, war­um es so lan­ge dau­ert. Es gibt Fäl­le, da sind Ehe­paa­re so lan­ge getrennt, dass die Bezie­hun­gen vor lau­ter Stress kaputt gehen. Man­che wer­den so hoff­nungs­los, dass sie zu viel trinken.

Wie füh­len Sie sich in die­ser Zeit des Wartens?

Tewel­de: Wütend und trau­rig, bei­des zugleich. In guten Momen­ten hof­fe ich, dass die­se schwie­ri­ge Zeit mich stark macht fürs Leben. Aber oft füh­le ich mich kraft­los und kaputt.

Trotz­dem raf­fen Sie sich auf und enga­gie­ren sich ehren­amt­lich in der »Initia­ti­ve Fami­li­en­nach­zug Eri­trea«. Was treibt Sie an?

Tewel­de: Ich will nicht ein­fach nur dasit­zen und zuschau­en. Es gibt vie­le Leu­te, die so leben wie ich, die auf ihre Fami­li­en war­ten. Vie­le ste­hen des­we­gen sehr unter Stress und kön­nen sich nicht kon­zen­trie­ren, zum Bei­spiel aufs Deutsch­ler­nen. Ich kann zumin­dest die Spra­che und kann des­halb auch für ande­re spre­chen. Es fing an mit einer Eri­treerin, die bei You­tube über die Pro­ble­me beim Fami­li­en­nach­zug berich­tet hat. Da haben wir gemerkt: Wir sind nicht allein, wir haben alle das glei­che Pro­blem. Also haben wir uns zusam­men­ge­schlos­sen. Wir orga­ni­sie­ren auch Demonstrationen.

Ich tue das, weil ich hel­fen will. Mir selbst und ande­ren. Ich habe die Kin­der in Äthio­pi­en gese­hen, die ohne Vater auf­wach­sen, so wie mein Sohn. Und die Frau­en, die im Stress sind, die Angst haben. Beson­ders jetzt ist die Lage in Äthio­pi­en schlimm wegen des Krie­ges. Wenn wir nur abwar­ten, wird nichts pas­sie­ren. Auch wenn mei­ne Frau und mein Kind irgend­wann hof­fent­lich bei mir sein wer­den, will ich mich wei­ter enga­gie­ren für all die ande­ren, die noch warten.

Wenn Sie die Gele­gen­heit hät­ten, mit Außen­mi­nis­ter Hei­ko Maas zu spre­chen, deren Amt maß­geb­lich den Fami­li­en­nach­zug ver- oder behin­dert: Was wür­den Sie ihm sagen? 

Tewel­de: »Wie ver­ste­hen Sie die Men­schen­rech­te?«, wür­de ich ihn fra­gen. Das Recht, als Fami­lie zusam­men­le­ben zu kön­nen, ist doch ein Men­schen­recht. War­um wird uns das nicht erlaubt? Und ich wür­de ihm sagen: »In mei­nem Asyl­be­scheid steht, dass ich kei­nen Kon­takt haben darf zu eri­tre­ischen Behör­den. Sonst könn­te Deutsch­land mir mei­nen Asyl­schutz wie­der weg­neh­men. Wie kann es sein, dass die Deut­sche Bot­schaft dann nach staat­li­chen Doku­men­ten fragt, die ich jetzt nach­träg­lich besor­gen soll, damit mei­ne Frau kom­men darf?«

»Hier in Augs­burg sehe ich oft Fami­li­en, die mit ihren Kin­dern spa­zie­ren gehen oder Urlaub machen. Ich träu­me davon, dass wir das auch irgend­wann mal können.«

Hab­te­ma­ri­am Tewelde

Stel­len Sie sich manch­mal vor, was Sie mit Ihrer Fami­lie unter­neh­men, wenn sie hier sein wird? 

Tewel­de: Ich traue mich gar nicht so rich­tig, dar­über nach­zu­den­ken. Aber ich wün­sche mir für mei­nen Sohn ein bes­se­res Umfeld, ein bes­se­res Leben. Dass er in Ruhe und Sicher­heit auf­wach­sen kann. Dass er hier zur Schu­le gehen und mit den Kin­dern spie­len kann. Jetzt bekommt er vie­le schlim­me Din­ge mit, auch Ver­bre­chen. Aber die Haupt­sa­che ist, dass wir drei ein­fach zusam­men sind. In Ruhe zuhau­se. Dass wir uns in den Arm neh­men kön­nen. Hier in Augs­burg sehe ich oft Fami­li­en, die mit ihren Kin­dern spa­zie­ren gehen oder Urlaub machen. Man­che ver­brin­gen ein Wochen­en­de in einer Feri­en­woh­nung auf dem Land. Ich träu­me davon, dass wir das auch irgend­wann mal können.

Das Gespräch führ­te Eli­sa Rheinheimer