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Aufmarsch in Eritreas Hauptstadt Asmara zum Unabhängigkeitstag am 24. Mai 2007. Als eines der kleinsten Länder Afrikas leistet Eritrea sich eine der größten Armeen des Kontinents. Zum Militärdienst sind alle Frauen und Männer verpflichtet, die Bedingungen sind unmenschlich. ©Reuters/Jack Kimball

Immer häufiger wird Flüchtlingen aus den Hauptherkunftsstaaten der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) versagt. Stattdessen erhalten sie lediglich subsidiären Schutz oder gleich gar keinen. Objektiv begründen lässt sich die veränderte Entscheidungspraxis nicht. Ein dramatisches Beispiel: Eritrea.

Schnel­lig­keit vor Genau­ig­keit, Zah­len statt Ein­zel­schick­sa­le, Behaup­tun­gen statt genaue Auf­klä­rung der Flucht­grün­de: Haupt­sa­che, die Quo­te stimmt? Sieht man sich die Ent­schei­dungs­pra­xis des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) zu Eri­trea an, drängt sich der Ein­druck auf, dass poli­ti­sche Vor­ga­ben die Ver­fah­ren und Ent­schei­dungs­pra­xis nega­tiv beein­flus­sen. Denn an der Rea­li­tät im Land kann es nicht lie­gen, dass immer weni­ger eri­tre­ische Flücht­lin­ge vom BAMF den ihnen zuste­hen­den Schutz­sta­tus erhalten.

Sklaverei in Eritrea?

Kei­ne Ver­fas­sung. Kei­ne Wah­len. Kei­ne freie Pres­se. Eritreer*innen leben in einer Dik­ta­tur, Isa­ia Afe­werki und sei­ne Regie­rung herr­schen mit abso­lu­ter Macht. Seit der Unab­hän­gig­keit im Jahr 1993 ist das Land nicht zur Ruhe gekommen.

Als eines der kleins­ten Län­der Afri­kas soll Eri­trea die größ­te Armee des Kon­ti­nents haben. Zum Mili­tär­dienst sind alle Frau­en und Män­ner von 18 bis 47 bzw. 59 Jah­ren ver­pflich­tet. Selbst Min­der­jäh­ri­ge wer­den in den Blick genom­men: Das zwölf­te Schul­jahr wird in einem Aus­bil­dungs­la­ger der Armee absolviert.

Eigent­lich soll der soge­nann­te »natio­nal ser­vice« 18 Mona­te dau­ern, unter­teilt in eine mili­tä­ri­sche Grund­aus­bil­dung mit dar­auf­fol­gen­dem Mili­tär­dienst und Natio­nal­dienst zum Wie­der­auf­bau des Lan­des. Tat­säch­lich aber folgt der Aus­bil­dung an der Waf­fe eine Dienst­ver­pflich­tung, die jahr­zehn­te­lang andau­ern kann. Begrün­det wird dies mit einem zeit­lich unbe­schränk­ten Ausnahmezustand.

Die Zwangs­ver­pflich­te­ten erhal­ten nur eine sehr gerin­ge Ent­loh­nung. Bei Ent­zug oder Ver­wei­ge­rung fol­gen schwe­re, will­kür­li­che Stra­fen, ein rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren gibt es nicht. Auch wenn dies vor dem his­to­ri­schen Hin­ter­grund der kolo­nia­len Skla­ve­rei in Afri­ka zunächst irri­tie­ren mag: Die Unter­su­chungs­kom­mis­si­on für Eri­trea des UN Men­schen­rechts­rats spricht in die­sem Zusam­men­hang zu Recht von Skla­ve­rei (»ens­lavement«).

Von der Vollanerkennung bis zur Totalablehnung

19.000

Asyl­su­chen­de aus Eri­trea gab es 2016 in Deutsch­land. Eri­trea zählt damit zu den fünf Hauptherkunftsländern.

Und was macht das BAMF? Es ver­gleicht die­se Form der staat­li­chen Zwangs­ar­beit mit einer all­ge­mei­nen Bürgerpflicht:

»Jeder sou­ve­rä­ne Staat hat das Recht, sei­ne Staats­an­ge­hö­ri­gen zum Wehr- bzw. Mili­tär­dienst her­an­zu­zie­hen.« (BAMF-Bescheid von 2017) 

Der men­schen­ver­ach­ten­de Cha­rak­ter des eri­tre­ischen »natio­nal ser­vice« wird so baga­tel­li­siert. Dabei räumt das Bun­des­amt selbst ein, dass es Berich­te über »Miss­hand­lun­gen, Zwangs­ar­beit, Schlä­ge und Fol­ter in Haft­ein­rich­tun­gen und in der Armee« in Eri­trea gibt (BAMF-Bescheid von 2017).

Mit rund 19.000 Asyl­su­chen­den 2016 zählt Eri­trea zu den fünf Haupt­her­kunfts­län­dern von Flücht­lin­gen in Deutsch­land. Wäh­rend zu Beginn des Jah­res 2016 fast jede/r Eritreer*in die vol­le Flücht­lings­an­er­ken­nung erhielt, rutsch­te die Zahl im vier­ten Quar­tal auf nur noch rund 54 Pro­zent. Im glei­chen Zeit­raum stieg der Anteil des erteil­ten sub­si­diä­ren Schut­zes von rund drei Pro­zent auf über 31 Pro­zent an.

Immer häu­fi­ger tre­ten zudem Rechtsanwält*innen und Unterstützer*innen an PRO ASYL mit Schick­sa­len her­an, in denen gar kein Schutz oder ledig­lich Abschie­bungs­ver­bo­te zuer­kannt wur­den. Dabei ist Eri­trea nach wie vor eine bru­ta­le Mili­tär­dik­ta­tur, in der Fol­ter und Ver­fol­gung an der Tages­ord­nung sind.

Flüchtlingsrecht kreativ interpretiert

Nicht nur in tat­säch­li­cher, son­dern auch in recht­li­cher Hin­sicht ver­kennt das BAMF grund­le­gen­de Prin­zi­pi­en der GFK. So fin­den sich in vie­len Beschei­den bemer­kens­wer­te Sät­ze wie dieser:

»Da bis­lang noch kei­ne (…) kon­kre­te Auf­for­de­rung ergan­gen ist, den Mili­tär­dienst antre­ten zu müs­sen, kann der Antrag­stel­ler dem­nach auch nicht als Wehr­flüch­ti­ger ange­se­hen wer­den.« (BAMF-Bescheid von 2016)

Betrof­fe­ne müss­ten somit erst abwar­ten, bis sie ihren Ein­be­ru­fungs­be­fehl erhal­ten und es umso schwie­ri­ger ist, unter den Bli­cken der Mili­tärs zu flie­hen. Mit ande­ren Wor­ten: Es muss also schon etwas pas­siert sein, bevor Men­schen aus der Mili­tär­dik­ta­tur »zu Recht« flie­hen dürfen.

Dabei sind sowohl die GFK als auch das Grund­ge­setz in die­sem Punkt ganz klar: Die begrün­de­te Furcht vor einer rele­van­ten Ver­fol­gung reicht für die Flücht­lings­an­er­ken­nung aus. Die Ver­fol­gungs­hand­lung muss nicht bereits ein­ge­setzt haben, der Asyl­su­chen­de nicht schon Opfer gewor­den sein. Die Inter­pre­ta­ti­on des Bun­des­am­tes, sich erst in Gefahr brin­gen zu müs­sen, ist wider­sin­nig und menschenrechtswidrig.

Eine der höchs­ten bri­ti­schen Beschwer­de­instan­zen für Flücht­lings­rech­te hat zudem im Okto­ber 2016 bestä­tigt: Eritreer*innen, die bei bzw. vor Errei­chen  ihres Ein­zugs­al­ters das Land ille­gal ver­las­sen haben, um dem Natio­nal­dienst zu ent­ge­hen, droht Ver­fol­gung. Die Gefähr­dungs­la­ge für Rück­keh­rer habe sich nicht ver­än­dert, so die Immi­gra­ti­on and Asyl­um Cham­ber des Upper Tri­bu­nal (MST and Others (natio­nal ser­vice – risk cate­go­ries) Eri­trea CG [2016] UKUT 443 (IAC)).

Das Bun­des­amt muss zu sei­ner frü­he­ren Ent­schei­dungs­pra­xis zurück­keh­ren und Eritreer*innen in Deutsch­land ein fai­res und rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren garantieren.

Fehlerhafte Bescheide

Über die pro­ble­ma­ti­sche Bewer­tung der Situa­ti­on in Eri­trea hin­aus fin­den sich in den Beschei­den des BAMF immer wie­der auch Män­gel, die auf has­tig durch­ge­führ­te Ver­fah­ren und man­geln­de Qua­li­täts­si­che­rung zurück­ge­hen: Da wer­den die Flucht­grün­de nicht aus­rei­chend auf­ge­klärt, unpas­sen­de Text­bau­stei­ne ein­ge­setzt, Her­kunfts­land­in­for­ma­tio­nen nicht berück­sich­tigt, ver­al­te­te Län­der­in­for­ma­tio­nen ver­wen­det, offen­kun­dig schlecht geschul­te Ent­schei­der* innen und Dolmetscher*innen beschäf­tigt und ande­re Ver­fah­rens­feh­ler gemacht. Im Ergeb­nis sin­ken die Aner­ken­nungs­chan­cen für die Betroffenen.

Die Rückkehr zu rechtsstaatlichen Verfahren ist notwendig

Es bleibt fest­zu­hal­ten: Die Lage in Eri­trea ist für zahl­rei­che Men­schen Grund genug zu flie­hen, und sie begrün­det viel­fach auch eine GFK-Aner­ken­nung. Gleich­wohl steigt die Zahl der man­gel­haf­ten und ableh­nen­den Asyl­be­schei­de im Ver­hält­nis zu den Aner­ken­nun­gen stark an. Eine Kor­rek­tur ist drin­gend not­wen­dig: Das Bun­des­amt muss zu sei­ner frü­he­ren Ent­schei­dungs­pra­xis zurück­keh­ren und Eritreer*innen in Deutsch­land ein fai­res und rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren garantieren.

Bel­lin­da Bar­to­luc­ci, PRO ASYL

(Die­ser Arti­kel erschien zuerst im Juni 2017 im »Heft zum Tag des Flücht­lings 2017«)


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