27.03.2023

Bei der öffent­li­chen Anhö­rung des Innen­aus­schus­ses des Bun­des­ta­ges nimmt PRO ASYL am Mon­tag Stel­lung zu bis­her nicht öffent­lich bekann­ten Vor­schlä­gen im Rat der EU. Mit der  Ver­schär­fung des Kon­zepts der soge­nann­ten siche­ren Dritt­staa­ten wür­de sich die EU sys­te­ma­tisch aus dem Flücht­lings­schutz zurückziehen. 

„Das Ende des Flücht­lings­schut­zes in der EU droht“, warn­te Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL. „Die EU ent­fernt sich rasant davon, ein Raum der Frei­heit und des Rechts zu sein. Aktu­ell wird ernst­haft zwi­schen den Mit­glied­staa­ten dis­ku­tiert, Flücht­lin­ge in außer­eu­ro­päi­sche Staa­ten zu schi­cken, die sie noch nie betre­ten haben. Flücht­lings­schutz müs­sen sie dort nicht bekom­men kön­nen und die Dritt­staa­ten auch nur eine mini­ma­le Ver­sor­gung garan­tie­ren. Men­schen­rechts­wid­ri­ge Abschie­bun­gen sind so vor­pro­gram­miert. Die Bun­des­re­gie­rung muss sich klar gegen die­se scho­ckie­ren­den Aus­la­ge­rungs­phan­ta­sien stel­len!“, for­dert Judith.

Flücht­lings­schutz  in der EU droht  uner­reich­bar zu werden 

Recht­lich geht es um Fol­gen­des: Im Rah­men der Reform des euro­päi­schen Asyl­sys­tems soll eine Aus­wei­tung des Kon­zept der soge­nann­ten siche­ren Dritt­staa­ten statt­fin­den. Ziel der Prü­fung im Asyl­ver­fah­ren ist dann pri­mär die Fra­ge, ob nicht ein außer­eu­ro­päi­scher Dritt­staat für die Schutz­su­chen­den  „sicher“ sei, so dass sofort dahin abge­scho­ben wer­den kann, ohne den Asyl­an­trag über­haupt inhalt­lich zu prü­fen. Die Anfor­de­run­gen dar­an, was als „sicher“ gilt, sol­len laut aktu­el­len Plä­nen im Rat der EU mas­siv gesenkt wer­den. So müss­te  nicht ein­mal mehr Vor­aus­set­zung sein, dass die geflüch­te­te Per­son sich je in dem Land auf­ge­hal­ten hat und dass sie dort einen Flücht­lings­sta­tus nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on bekom­men kann. Außer­dem wür­den siche­re Teil­ge­bie­te rei­chen, um Men­schen in das Land abzu­schie­ben. Dabei wird es aber die Betrof­fe­nen auf­er­legt dar­zu­le­gen, dass das Land – das sie gege­be­nen­falls gar nicht ken­nen – für sie nicht sicher ist.

Das passt auch nicht zum Koali­ti­ons­ver­trag, indem die Bun­des­re­gie­rung fest­ge­hal­ten hat: „Der Asyl­an­trag von Men­schen, die in der EU ankom­men oder bereits hier sind, muss inhalt­lich geprüft wer­den.“ [Herv. d. Red.]

Effek­tiv gegen ihre Ableh­nung weh­ren könn­ten sich die schutz­su­chen­den Men­schen im neu­en Sys­tem auch nicht. So gehört zur der­zeit dis­ku­tier­ten Reform des euro­päi­schen Asyl­sys­tems eine neue Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung mit ver­pflich­ten­den Grenz­ver­fah­ren. Das wür­de bedeu­ten, dass die  Schutz­su­chen­den kein EU-Land betre­ten dür­fen, son­dern an den Außen­gren­zen fest­ge­hal­ten wer­den, solan­ge ihre Asyl­an­trä­ge geprüft wür­den – weit­ge­hend iso­liert, abge­schnit­ten von Hil­fe und Bera­tung und abseh­bar unter haft­ähn­li­chen Bedin­gun­gen. Auch der Rechts­schutz soll stark ein­ge­schränkt werden.

Abwehr­mo­del­le ver­ur­sa­chen Leid und haben sich nicht bewährt 

„Es ist fatal, dass sich vie­le Politiker*innen aktu­ell in Plä­ne ver­stei­gen, wie die EU den Flücht­lings­schutz ande­ren Län­dern aufs Auge drü­cken kann – anstatt dar­an zu arbei­ten, dass in Euro­pa der Schutz von flie­hen­den Men­schen wie­der Kon­sens wird. Dass die Auf­nah­me von flie­hen­den Men­schen gut gelingt, wenn der poli­ti­sche Wil­le vor­han­den ist, zeigt sich bei der Auf­nah­me von ukrai­ni­schen Kriegs­flücht­lin­gen“, sagt Wieb­ke Judith. „Außer­dem funk­tio­nie­ren die­se Ideen in der Pra­xis nicht, wie man am EU-Tür­kei-Deal in Grie­chen­land sehen kann – ver­ur­sa­chen aber den­noch  immenses Leid und machen die EU von oft auto­kra­ti­schen Regie­run­gen abhän­gig. Auch die  ‚aus­tra­li­sche Lösung‘, die aktu­ell pro­pa­giert wird, hat zu star­ken Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den Betrof­fe­nen geführt“.

Aus­tra­li­en schickt seit 2012 per Boot ankom­men­de Schutz­su­chen­de nach Papua-Neu­gi­nea und Nau­ru, wobei ers­te­res Land die Zusam­men­ar­beit mitt­ler­wei­le auf­ge­kün­digt hat. Die­se Poli­tik wird seit Jah­ren von Menschenrechtler*innen mas­siv kri­ti­siert, auch weil es nach der Rück­füh­run­gen zu unmensch­li­cher Behand­lung, Miss­hand­lun­gen und Über­grif­fen sowie feh­len­der medi­zi­ni­scher Behand­lung gekom­men ist.

Push­backs müs­sen enden: Bun­des­re­gie­rung soll­te mit einem Pilot­pro­jekt vor­an gehen

„Es ist zudem bezeich­nend, dass in den Reform­plä­nen zum euro­päi­schen Asyl­sys­tem kei­ne wirk­sa­men Maß­nah­men gegen die ille­ga­len Push­backs an Euro­pas Gren­zen vor­ge­se­hen sind. Vor­schlä­ge wie die zur Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung könn­ten die Push­back-Pra­xis sogar ver­stär­ken“, befürch­tet Wieb­ke Judith.

Dabei gibt es kon­kre­te Vor­schlä­ge, wie mit einem unab­hän­gi­gen und soli­da­ri­schen Men­schen­rechts­mo­ni­to­ring dem Grenz­schutz mehr Rechts­schutz ent­ge­gen gestellt wer­den kann. In einer u.a. von PRO ASYL finan­zier­ten Mach­bar­keits­stu­die wird dies detail­liert aus­ge­führt. „Die Bun­des­re­gie­rung hat es sich im Koali­ti­ons­ver­trag zum Ziel gemacht, ‚die ille­ga­len Zurück­wei­sun­gen zu been­den‘. Bis­lang fehlt es hier­für an poli­ti­schen Initia­ti­ven. Ein von der Bun­des­re­gie­rung finan­zier­tes ers­tes Pilot­pro­jekt für ein Men­schen­rechts­mo­ni­to­ring an deut­schen Gren­zen mit umfang­rei­chen Unter­su­chungs­be­fug­nis­sen wäre ein star­kes Signal an ande­re Mit­glied­staa­ten“, for­dert Judith.

Infor­ma­tio­nen zur öffent­li­chen Anhörung

Grün­de gegen die­se und ande­re Ver­schär­fun­gen sowie Argu­men­te für Rechts­staat­lich­keit und Men­schen­rech­te in der EU führt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL, als gela­de­ne Sach­ver­stän­di­ge heu­te im Innen­aus­schuss des Bun­des­tags aus. Dort läuft am heu­ti­gen Mon­tag,  27. März 2023, von 14 bis 16 Uhr eine öffent­li­che Anhö­rung zur Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS).

Infor­ma­tio­nen zu den Sach­ver­stän­di­gen und die Stel­lung­nah­me fin­den sich hier. Die Stel­lung­nah­me von Wieb­ke Judith fin­det sich zudem hier. PRO ASYL hat zudem not­wen­di­ge rote Lini­en der Bun­des­re­gie­rung für die Ver­hand­lun­gen zur euro­päi­schen Asyl­re­form ver­öf­fent­licht. Die Mach­bar­keits­stu­die zum Men­schen­rechts­mo­ni­to­ring kann hier abge­ru­fen werden.

Die Anhö­rung selbst beginnt am Mon­tag, 27. März, um 14 Uhr, sie wird zeit­ver­zö­gert am Diens­tag  ab 13 Uhr im Par­la­ments­fern­se­hen übertragen.

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