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Durch die Beschränkungen des Familiennachzugs sitzen viele Kinder in der Türkei, im Libanon (wie hier auf dem Foto) oder sogar noch in Kriegs- und Krisengebieten fest. Foto: UNHCR / Dalia Khamissy

Während die Regierungskoalitionen um Verbesserungen für Flüchtlingsfamilien ringen, verschärft das Auswärtige Amt mit dem Runderlass vom 20. März die Situation für Familien von subsidiär Geschützten.

Mit dem Rund­erlass vom 20. März 2017 hat das Aus­wär­ti­ge Amt (AA) die Grund­la­gen für den Fami­li­en­nach­zug zu unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen wei­ter ver­schärft. Die restrik­ti­ven Bedin­gun­gen machen einen Nach­zug von Fami­li­en mit Kin­dern zu in Deutsch­land leben­den, aner­kann­ten Flücht­lin­gen so gut wie unmöglich.

Hohe Hürden für den Nachzug

Unter ande­rem legt der Erlass fest, dass Geschwis­ter von in Deutsch­land aner­kann­ten min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen ein Visum zum Fami­li­en­nach­zug nach §32 Auf­enthG grund­sätz­lich nur dann errei­chen kön­nen, wenn die Eltern nach­wei­sen kön­nen, dass in Deutsch­land aus­rei­chen­der Wohn­raum zur Ver­fü­gung steht. Es erscheint schon nahe­zu unmög­lich, dass für die Eltern und Geschwis­ter eines in Deutsch­land leben­den Flücht­lings­kin­des »aus­rei­chen­der Wohn­raum« nach­ge­wie­sen wird.

Gewährleistung des Lebensunterhalts gefordert 

Zusätz­lich müs­sen die Eltern den Lebens­un­ter­halt für sich und die nach­zie­hen­den Kin­der sichern kön­nen. Nur wenn ein sog. »aty­pi­scher Fall« vor­liegt, soll »aus­nahms­wei­se« davon abge­se­hen wer­den. Geprüft wer­den soll z.B., ob Kin­der bei Ver­wand­ten oder in Flücht­lings­la­gern zurück­blei­ben kön­nen, oder ob ein Fami­li­en­mit­glied bei den Kin­dern zurück­bleibt. Die Tren­nung der Eltern oder von Eltern und Kin­dern hält das Aus­wär­ti­ge Amt grund­sätz­lich für zumutbar.

Auswärtiges Amt: Trennungen von Familien kein Härtefall 

Dar­über hin­aus soll ein Geschwis­ter­nach­zug gemäß §36 Abs. 2 Auf­enthG in Betracht kom­men, wenn eine sog. »außer­ge­wöhn­li­che Här­te« vor­liegt. Die­se sei aber »stets fami­li­en­be­zo­gen« und erge­be sich »expli­zit aus der Tren­nung der Geschwis­ter«. Nach Auf­fas­sung des AA stellt weder die Tren­nung von den Eltern eine »außer­ge­wöhn­li­che Här­te« dar noch »die sich aus dem Leben in einem Kriegs- oder Kri­sen­ge­biet erge­ben­de Härte«.

Auch bei Vor­lie­gen einer »außer­ge­wöhn­li­chen Här­te« sei im Übri­gen die Lebens­un­ter­halts­si­che­rung zu ver­lan­gen, sofern kein »aty­pi­scher Fall« vorliege.

Bei all den kaum zu errei­chen­den For­de­run­gen kommt hin­zu: Wenn ein in Deutsch­land aner­kann­tes Kind inner­halb von 90 Tagen voll­jäh­rig wird, soll die Ertei­lung eines Visums für Geschwis­ter­kin­der aus­ge­schlos­sen sein.

Für subsidiär Geschützte: Härtefallregelung soll es richten

Für Flücht­lings­kin­der, denen kei­ne Flücht­lings­an­er­ken­nung, son­dern nur »sub­si­diä­rer Schutz« zuge­bil­ligt wer­den soll, ver­weist das Aus­wär­ti­ge Amt auf die Mög­lich­keit einer Auf­nah­me gemäß § 22 Auf­enthG. Ent­spre­chen­de Anträ­ge zur Begrün­dung einer »huma­ni­tä­ren Not­la­ge« sol­len direkt vom Aus­wär­ti­gen Amt bear­bei­tet werden.

In der Pra­xis hat sich die Här­te­fall­re­ge­lung  bis­lang nicht bewährt. Vom § 22 Auf­enthG wur­de »fast kein Gebrauch gemacht«, beklagt der UNHCR in sei­ner Stel­lung­nah­me vom 17. März 2017. Über die Här­te­fall­re­ge­lung hat es bis­lang kei­nen ein­zi­gen Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är geschütz­ten Min­der­jäh­ri­gen nach Deutsch­land gege­ben (BT-Druck­sa­che 18/11473). Laut dem CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Kau­der gebe es inzwi­schen 49 Fäl­le, die bear­bei­tet werden.

Auch Härtefallklausel wird eng ausgelegt

Die Här­te­fall­klau­seln zur Ermög­li­chung eines Fami­li­en­nach­zugs nach §36 Abs. und §22 Auf­enthG sind so restrik­tiv gefasst, dass ein Fami­li­en­nach­zug nur in weni­gen Aus­nah­me­fäl­len aus­sichts­reich erscheint. Fami­li­en mit Kin­dern haben auch wei­ter­hin nur gerin­ge Chan­cen, im Wege des Fami­li­en­nach­zugs zu ihrem in Deutsch­land als Flücht­ling aner­kann­ten Kind nachzuziehen.

Bundesregierung behält harten Kurs bei

Wäh­rend sich das nie­der­säch­si­sche Innen­mi­nis­te­ri­um für eine Ver­bes­se­rung die­ser Situa­ti­on stark macht und beim Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um für eine huma­ne Lösung beim Fami­li­en­nach­zug zu UMF im Rah­men einer Geset­zes­in­itia­ti­ve (Ver­zicht auf einen Wohn­raum­nach­weis) wirbt, damit den Fami­li­en eine wei­te­re Tren­nung erspart bleibt, insis­tiert die Bun­des­re­gie­rung auf ihrem har­ten Kurs.

Wel­che Fol­gen dies hat, macht das nach­fol­gen­de Pra­xis­bei­spiel deutlich:

Zwei Jugend­li­chen aus Syri­en (19 und 16 Jah­re alt), die in Deutsch­land bereits als Flücht­lin­ge aner­kannt sind, wird von der Deut­schen Bot­schaft in Anka­ra ein Zusam­men­le­ben mit ihren jün­ge­ren Geschwis­tern verwehrt.

Den Eltern der Kin­der wer­den Visa zum Nach­zug zu ihrer 16-jäh­ri­gen Toch­ter in Deutsch­land gewährt; aller­dings müs­sen sie ihre bei­den klei­ne­ren Kin­der (10 und 8 Jah­re alt) in Anka­ra zurück­las­sen. Eine außer­ge­wöhn­li­che Här­te, so die Bot­schaft, läge für die Fami­lie des­halb nicht vor. Die Ableh­nung wird unter ande­rem damit begrün­det, dass die bereits in Deutsch­land leben­den Jugend­li­chen kei­nen aus­rei­chen­den Wohn­raum und Unter­halt für ihre jün­ge­ren Geschwis­ter sicher­stel­len könnten.

Wört­lich heißt es in dem Bescheid der Bot­schaft: »Soweit Ermes­sen eröff­net war, wur­de die­ses zu Ihren Unguns­ten aus­ge­übt. Der Antrag muss daher abge­lehnt wer­den.« Die Eltern sehen sich vor die Alter­na­ti­ve gestellt, sich für ein Zusam­men­le­ben mit ihren älte­ren oder ihren jün­ge­ren Kin­dern ent­schei­den zu müs­sen. Zudem müs­sen sie schnell ent­schei­den, da die erteil­ten Visa nur für einen Monat gül­tig sind.

In letz­ter Minu­te ent­schei­den sich die Eltern, ihre klei­nen Kin­der in Anka­ra bei Ver­wand­ten zurück­zu­las­sen und das Visum zu nut­zen. In Deutsch­land stel­len die Eltern unver­züg­lich nach ihrer Ein­rei­se einen Asyl­an­trag und wer­den schon nach vier Mona­ten als Flücht­lin­ge aner­kannt. Das Ver­fah­ren ver­läuft erstaun­lich schnell – ande­re Flücht­lin­ge war­ten jah­re­lang auf eine Ent­schei­dung. Nun erst kön­nen sie für ihre bei Ver­wand­ten zurück­ge­las­se­nen 8- und 10- jäh­ri­gen Kin­der bei der deut­schen Bot­schaft ein Visum zum Fami­li­en­nach­zug beantragen.

Die seit fünf Mona­ten ohne ihre Eltern in Anka­ra aus­har­ren­den Kin­der hof­fen dar­auf, dass ihren Eltern bei der Bot­schaft schnell ein Ter­min ein­ge­räumt wird. Der am 6. März 2017 gestell­te Antrag wur­de bis heu­te nicht beant­wor­tet. Die durch­schnitt­li­che War­te­zeit für einen Ter­min bei der deut­schen Bot­schaft in Anka­ra beträgt 7 – 9 Monate.

Wegen der »hohen Nach­fra­ge nach Ter­mi­nen« sol­len »Allein­rei­sen­de min­der­jäh­ri­ge Kin­der unter 14 Jah­ren (unab­hän­gig davon, ob die­se sich bereits in Deutsch­land befin­den oder zu ihren Ange­hö­ri­gen nach­zie­hen möch­ten)« aber einen »Son­der­ter­min« erhal­ten kön­nen (sie­he Hin­weis der Bot­schaft).

So begrü­ßens­wert die­se Sen­si­bi­li­tät der Bot­schaft für die Nöte der in der Tür­kei ohne ihre Eltern zurück­ge­blie­be­nen Kin­der ist – man hät­te sich gewünscht, dass es gar nicht erst zu der Fami­li­en­tren­nung hät­te kom­men müssen.