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Falscher Alarm aus dem Bundesinnenministerium

Die Asylantragszahlen sind im Juli erneut gestiegen, Bundesinnenminister Friedrich gibt sich alarmiert. Tatsächlich sind die Zahlen gestiegen, doch alarmierend ist nicht die Zahl, sondern vor allem die Situation der Flüchtlinge vor den Toren Europas.
Bereits die Mitte Juli veröffentlichten Asylantragszahlen des ersten Halbjahres zeigten, dass deutlich mehr Schutzsuchende Deutschland erreichen: Im ersten Halbjahr 2013 beantragten 43.016 Menschen Asyl in Deutschland – rund 87 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im Juli sind die Zahlen nun nochmals angestiegen: Mit 9.516 Asylerstanträgen stieg die Zahl im Vergleich zum Vormonat Juni 2013 um 13,2 Prozent.
„Die Zahlen sind alarmierend“ sagte Bundesinnenminister Friedrich gegenüber der Augsburger Allgemeinen. Alarmierend ist jedoch nicht die Zahl der Asylanträge, sondern die Situation von Schutzsuchenden vor den Toren Europas. Rund 2 Millionen Menschen sind vor dem syrischen Bürgerkrieg ins Ausland geflohen, fast 700.000 allein in den Libanon, der nur 4,5 Millionen Einwohner zählt. Im Vergleich dazu nimmt sich die Gesamtzahl der Flüchtlinge, die im ersten Halbjahr 2013 Deutschland erreicht haben, bescheiden aus.
Die dramatische Situation der Flüchtlinge in den Erstaufnahmestaaten wie dem Libanon spiegelt sich in verzweifelten Versuchen vieler Flüchtlinge wieder, in Booten Richtung Europa zu fliehen. Wöchentlich kommt es zu Bootskatastrophen im Mittelmeer. Erst am vergangenen Wochenende starben sechs Flüchtlinge vor der italienischen Küste.
Flucht aus Tschetschenien
Auf Platz eins der Hauptherkunftsländer steht derzeit die russische Föderation (9.957 Asylsuchende im ersten Halbjahr 2013). Hinter dem Anstieg der Anträge von Staatsangehörigen der Russischen Föderation steht die katastrophale Sicherheitslage in den Teilrepubliken Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien und anderen Regionen des Nordkaukasus. „Dort finden fortlaufend Menschenrechtsverletzungen statt. Kampfhandlungen und Anschläge sind fast an der Tagesordnung“, heißt es auch in einem aktuellen „Entscheiderbrief“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Der Schutzbedarf der Flüchtlinge aus der Russischen Föderation wird in vielen Fällen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anerkannt: Knapp jeder fünfte Flüchtling* aus der Russischen Föderation wurde im ersten Halbjahr durch eine Entscheidung des Bundesamtes geschützt.
Insgesamt sprach das Bundesamt im ersten Halbjahr 2013 in 44,2* Prozent der Entscheidungen einen Schutzstatus zu, 2012 lag die Quote bei 35,8%*. Aus der Perspektive des Bundesamtes ist der durchschnittliche Schutzbedarf der nach Deutschland kommenden Asylsuchenden im ersten Halbjahr 2013 gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Während selbst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge damit einen hohen Schutzbedarf der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge anerkennt, suggeriert Bundesinnenminister Friedrich wiederholt, der Anstieg der Flüchtlingszahlen gehe auf „asylfremde Motive“ zurück. PRO ASYL warnt davor, mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen im Wahlkampf Ängste und Ressentiments zu schüren. Auch in Wahlkampfzeiten steht die Politik in der Pflicht, über Fluchtursachen aufzuklären und sich klar zum Flüchtlingsschutz zu bekennen.
Unfaire Schnellverfahren für die einen, banges Warten für die anderen
Gegenüber der Augsburger Allgemeinen sagte Friedrich, er „habe angeordnet, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, dass die Asylverfahren schneller durchgezogen werden“. Tatsächlich ist die Bearbeitungsdauer von Asylanträgen aufgrund von Planungsfehlern seitens des Bundesinnenministeriums in vielen Fällen unerträglich lange.
Die Wortwahl Friedrichs legt jedoch nicht nahe, dass sich für die von den besonders langen Verfahren betroffenen Flüchtlingsgruppen etwas zum positiven ändert: Schon seit Herbst letzten Jahres werden die Anträge von Asylsuchenden aus vermeintlich sicheren Herkunftsregionen in voreingenommenen Schnellverfahren „durchgezogen“, Verfahren von Schutzsuchenden mit guten Anerkennungschancen werden hingegen auf die lange Bank geschoben. Dies führt zur drastischen Verlängerung der Asylverfahrensdauer gerade für diejenigen, die relativ gute Anerkennungschancen haben, etwa für Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Iran oder Somalia. Die Betroffenen verlieren Jahre ihres Lebens in permanenter Ungewissheit.
* Berechnung ohne sogenannte „formelle Entscheidungen“ bzw. „sonstige Verfahrenserledigungen“. Hintergrund: In der Berechnung des Bundesamts werden die Gesamtschutzquote, die Ablehnungen und die formellen Entscheidungen, bei denen es sich um zurückgezogene Anträge, Weiterwanderung, sogenannte Dublin-Fälle und andere Verfahrenserledigungen geht, prozentual miteinander in Beziehung gesetzt. Das tatsächliche Verhältnis zwischen Schutzgewährung und Ablehnung wird deutlicher ersichtlich, wenn die formellen Entscheidungen herausgerechnet und Schutzgewährung und Ablehnung in ein unmittelbares prozentuales Verhältnis gesetzt werden.
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