22.08.2013
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NPD-Aktivisten bei der Hetze gegen Flüchtlinge in Marzahn-Hellersdorf. Ihnen stellten sich zahlreiche Gegendemonstranten entgegen. Foto: flickr / ekvidi

Anlässlich der rassistischen Proteste in Marzahn-Hellersdorf gegen Asylsuchende hat die Asyldebatte neuen Schwung aufgenommen. Zwar haben sich mittlerweile viele Politikerinnen und Politiker klar zum Flüchtlingsschutz bekannt, doch das eigentliche Problem bleibt dabei oft unterbelichtet: die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen.

„Nein zum Heim“ – mit die­sem Slo­gan mobi­li­sie­ren seit Wochen Rechts­extre­mis­ten gegen eine Flücht­lings­un­ter­kunft in Mar­zahn-Hel­lers­dorf. Ihre Het­ze fällt offen­bar bei vie­len Anwoh­ne­rin­nen und Anwoh­nern auf frucht­ba­ren Boden. Als die­se Woche die ers­ten Flücht­lin­ge in die in einer leer­ste­hen­den Schu­le ein­ge­rich­te­te Not­un­ter­kunft ein­zo­gen, sahen sie sich ras­sis­ti­schen Dro­hun­gen aus­ge­setzt. Auch wenn zahl­rei­che Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer sich den ras­sis­ti­schen Pro­tes­ten ent­schlos­sen ent­ge­gen­set­zen, bleibt die Lage ange­spannt. Eini­ge Flücht­lin­ge ver­lie­ßen die Unter­kunft aus Angst vor ras­sis­ti­schen Über­grif­fen. Nach einer Ein­schät­zung des Ber­li­ner Flücht­lings­rats ist eine Unter­brin­gung von Schutz­su­chen­den ange­sichts der bedroh­li­chen Atmo­sphä­re der­zeit nicht zu verantworten.

Auch in ande­ren Orten wird über die Errich­tung von Asyl­be­wer­ber­un­ter­künf­ten gestrit­ten. Anläss­lich die­ser Debat­ten mel­de­te sich auch die Bun­des­po­li­tik zu Wort: CDU-Poli­ti­ker Wolf­gang Bos­bach sprach davon, man müs­se „die Sor­gen der Anwoh­ner ernst neh­men“, die stei­gen­den Asyl­be­wer­ber­zah­len dürf­ten als The­ma „nicht den Rechts­po­pu­lis­ten über­las­sen wer­den“. Dar­über hin­aus for­der­te er einen „Kri­sen­gip­fel“ zum The­ma Asyl.

Bos­bachs For­de­rung nach einem Kri­sen­gip­fel wur­den unter ande­rem von Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Fried­rich zurück­ge­wie­sen, der sei­nen Spre­cher dem Deutsch­land­funk gegen­über aus­rich­ten ließ, man beken­ne sich unein­ge­schränkt zum Recht auf Asyl und dem Schutz vor Ver­fol­gung. Den­noch wei­sen Bos­bachs Äuße­run­gen auf gefähr­li­che Untie­fen in der Debat­te über die gestie­ge­nen Flücht­lings­zah­len hin. Aus­sa­gen, die die gestie­ge­nen Flücht­lings­zah­len zur Kri­se auf­bau­schen und ras­sis­ti­sche Stim­mun­gen als „Sor­gen der Anwoh­ner“ ver­harm­lo­sen, sug­ge­rie­ren, das Pro­blem sei­en die Flücht­lin­ge und nicht etwa die ras­sis­ti­schen Ein­stel­lun­gen in der Bevöl­ke­rung. Das bestärkt ras­sis­ti­sche Agi­ta­to­ren und Gewalttäter.

Inte­gra­ti­on statt Aus­gren­zung und Rassismus

Statt einer Dis­kus­si­on, die die Flücht­lin­ge zum Pro­blem erklärt, braucht es aus Sicht von PRO ASYL drin­gend eine brei­te gesell­schaft­li­che Dis­kus­si­on über den Umgang mit Flücht­lin­gen in Deutsch­land. Die staat­li­che Aus­gren­zung von Schutz­su­chen­den durch die Unter­brin­gung in oft maro­den Sam­mel­un­ter­künf­ten, durch Arbeits­ver­bo­te, die Resi­denz­pflicht und die Dis­kri­mi­nie­rung durch ent­wür­di­gen­de Sach­leis­tun­gen stig­ma­ti­sie­ren die Betrof­fe­nen und leis­ten ras­sis­ti­schen Vor­ur­tei­len Vor­schub. PRO ASYL for­dert daher neben fai­ren und zügi­gen Asyl­ver­fah­ren, dass  Flücht­lin­gen in Deutsch­land vom ers­ten Tag an Inte­gra­ti­on und Par­ti­zi­pa­ti­on ermög­licht wer­den muss – unter ande­rem durch die dezen­tra­le Unter­brin­gung in Woh­nun­gen und den Zugang zu Deutsch- und Integrationskursen.

Situa­ti­on in den Hauptherkunftsländern

Die bis­he­ri­ge auf Abschre­ckung zie­len­de Asyl­po­li­tik ist nicht nur aus men­schen­recht­li­cher Per­spek­ti­ve untrag­bar, sie funk­tio­niert auch nicht. Bereits ein Blick auf die Haupt­her­kunfts­län­der zeigt, dass die Asyl­su­chen­den nach­voll­zieh­ba­re und mas­si­ve Flucht­grün­de haben. In den nord­kau­ka­si­schen Repu­bli­ken der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on (Platz 1) kommt es fort­lau­fend zu schwe­ren Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. In Syri­en (Platz 2) ist ein Ende des Bür­ger­kriegs, vor dem rund 2 Mil­lio­nen Men­schen ins Aus­land geflo­hen sind, nicht in Sicht. Aus Afgha­ni­stan (Platz 3) und dem Irak (Platz 6) errei­chen und täg­lich Nach­rich­ten über Anschlä­ge und Kämp­fe. In Ser­bi­en (Platz 4) sind Roma und Ange­hö­ri­ge ande­rer Min­der­hei­ten umfas­sen­der ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­setzt, die häu­fig so weit­rei­chend ist, dass den Betrof­fe­nen der Zugang zu sau­be­rem Trink­was­ser, zu medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung, Woh­nun­gen, Arbeit und Bil­dung ver­wehrt wird. Aus dem Iran (Platz 5) flie­hen fort­lau­fend Men­schen vor Unter­drü­ckung und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen durch das isla­mis­ti­sche Regime.

Hohe Schutz­quo­te

Ein gro­ßer Teil der Asyl­su­chen­den wird auch sei­tens des zustän­di­gen Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) als schutz­be­dürf­tig aner­kannt: Bei den im ers­ten Halb­jahr 2013 durch das BAMF getrof­fe­nen Fall­ent­schei­dun­gen wur­de bei über 40 Pro­zent ein Schutz­sta­tus zuer­kannt. Da ein Teil der Asyl­ver­fah­ren von Asyl­su­chen­den mit hohen Aner­ken­nungs­chan­cen der­zeit auf die lan­ge Bank gescho­ben wer­den, ist davon aus­zu­ge­hen, dass fast jeder zwei­te Asyl­su­chen­de in Deutsch­land Schutz erhält. Schon allein die Tat­sa­che, dass ein Groß­teil der Schutz­su­chen­den blei­ben wird, legt die Schluss­fol­ge­rung nahe, dass Inte­gra­ti­on vom ers­ten Tag an sinn­voll ist.

Unter­kunfts­pro­ble­ma­tik ist haus­ge­macht – und lösbar

Der der­zei­ti­ge Man­gel an Unter­künf­ten für Asyl­su­chen­de sug­ge­riert, die gestie­ge­nen Asyl­be­wer­ber­zah­len näh­men ein pro­ble­ma­ti­sches Aus­maß an. Tat­säch­lich geht die Unter­kunfts­pro­ble­ma­tik nicht ein­fach auf die gestie­ge­nen Asyl­be­wer­ber­zah­len, son­dern auf Pla­nungs­feh­ler der Behör­den zurück, die sich bei der Pla­nung der Auf­nah­me­ka­pa­zi­tä­ten am his­to­ri­schen Tiefst­stand der Flücht­lings­zah­len um das Jahr 2007 (19.164 Asy­l­erst­an­trä­ge) ori­en­tiert hat­ten. Auf den Anstieg der Flücht­lings­zah­len haben Bund, Län­der und Kom­mu­nen zu spät reagiert. Der „Unter­brin­gungs­not­stand“ ist haus­ge­macht – damit aber auch eine lös­ba­re Herausforderung.

Asyl­ver­fah­ren dau­ern zu lange

Die Asyl­ver­fah­ren dau­ern immer län­ger. Da die Asyl­su­chen­den damit län­ger in Asyl­be­wer­ber­un­ter­künf­ten blei­ben müs­sen, ver­schärft dies das Unter­kunfts­pro­blem. Ver­ant­wort­lich für die lan­ge Dau­er vie­ler Asyl­ver­fah­ren ist das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um. Als über­ge­ord­ne­te Behör­de des BAMF muss es dafür sor­gen, dass aus­rei­chend Per­so­nal zur Ver­fü­gung steht, damit Asyl­ge­su­che fair und zeit­nah geprüft wer­den kön­nen. Die durch­schnitt­li­che Ver­fah­rens­dau­er ist in den letz­ten drei Quar­ta­len von 3,6 Mona­ten auf neun Mona­te gestie­gen. Da Asyl­ge­su­che aus Her­kunfts­staa­ten mit angeb­lich gerin­gen Aner­ken­nungs­chan­cen in Schnell­ver­fah­ren prio­ri­siert wer­den, wird des­halb die Prü­fung von Asyl­ge­su­chen mit rela­tiv hohen Chan­cen auf Aner­ken­nung immer wie­der ver­scho­ben – mit Aus­nah­me der Asyl­ge­su­che aus Syri­en, über die zeit­nah ent­schie­den wird (4,6 Mona­te im zwei­ten Quar­tal). Die durch­schnitt­li­che Asyl­ver­fah­rens­dau­er bei ande­ren Her­kunfts­staa­ten mit hohen Aner­ken­nungs­chan­cen lag dage­gen im zwei­ten Quar­tal 2013 bei weit über einem Jahr (Iran: 13,5 Mona­te; Afgha­ni­stan: 15,2 Mona­te; Paki­stan: 15,9 Mona­te; Soma­lia: 18,8 Mona­te). Für die Betrof­fe­nen bedeu­ten die lan­gen, für sie oft intrans­pa­ren­ten Asyl­ver­fah­ren ver­lo­re­ne Jah­re ban­gen War­tens in tris­ten, oft ent­le­ge­nen Lagern, ohne Chan­cen auf Arbeit und Inte­gra­ti­on. Die Situa­ti­on der Betrof­fe­nen ist alar­mie­rend – und nicht der Anstieg der Flücht­lings­zah­len.

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