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Eine Auslagerung von Flüchtlingsschutz an Drittstaaten wurde mit dem EU‐Türkei‐Deal versucht, hat jedoch nicht zu weniger Geflüchteten geführt, sondern zum Entstehen von neuen Lagern, wie hier in Malakasa (GR) und damit zu mehr Elend beigetragen. Foto: PRO ASYL

Die Idee, Asylverfahren in Staaten außerhalb Europas zu verlagern, wird erneut auch in Deutschland diskutiert. Dabei tragen solche Vorschläge weder zur Entlastung der Kommunen bei, noch sind sie realistisch umsetzbar – insbesondere nicht ohne gravierende Menschenrechtsverletzungen. Das zeigt unter anderem die Umsetzung des EU-Türkei-Deals.

Update 15.11.2023: Das Obers­te Gericht in Lon­don hat ent­schie­den, dass der UK-Ruan­da Deal rechts­wid­rig ist. Denn Flücht­lin­gen dro­he die Abschie­bung aus Ruan­da in ihr Her­kunfts­land und damit in die Ver­fol­gung, so die Richter*innen einstimmig.

Die Bun­des­re­gie­rung hat beim Tref­fen der Regie­rungs­chefin­nen und ‑chefs der Bun­des­län­der mit Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz am ver­gan­ge­nen Mon­tag unter ande­rem zuge­sagt, zu prü­fen, ob Asyl­ver­fah­ren außer­halb Euro­pas mög­lich sind (Zusam­men­fas­sung aller Beschlüs­se sie­he hier).

 Wort­wört­lich heißt es: »Die Bun­des­re­gie­rung wird prü­fen, ob die Fest­stel­lung des Schutz­sta­tus von Geflüch­te­ten unter Ach­tung der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on zukünf­tig auch in Tran­sit- oder Dritt­staa­ten erfol­gen kann.« Damit wird die­ser Prüf­auf­trag, der im Koali­ti­ons­ver­trag nur in Bezug auf »Aus­nah­me­fäl­le« ange­kün­digt war, nun ohne Ein­schrän­kung bestärkt.

Weni­ge Stun­den vor der Bund-Län­der-Kon­fe­renz hat­ten die uni­ons­ge­führ­ten Län­der mit ihrer For­de­rung Druck gemacht, Asyl­ver­fah­ren außer­halb Euro­pas durch­zu­füh­ren. Unter­stüt­zung erhiel­ten sie dabei von Baden-Würt­tem­bergs Minis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann (Grü­ne). Der FDP-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Chris­ti­an Dürr hat­te einer gleich­lau­ten­den For­de­rung von NRW-Minis­ter­prä­si­dent Hen­rik Wüst (CDU) vor eini­gen Tagen eben­falls zugestimmt.

Auslagerung von Asylverfahren funktioniert nicht ohne Menschenrechtsverletzungen

In der aktu­el­len Debat­te, in der sich der Dis­kurs mas­siv nach rechts ver­schiebt, und es vor rechts­wid­ri­gen und nicht wirk­sa­men Vor­schlä­gen nur so wim­melt, hält PRO ASYL es für einen gra­vie­ren­den Feh­ler, Ideen wie der Exter­na­li­sie­rung von Asyl­ver­fah­ren Vor­schub zu leis­ten. Sol­che Vor­schlä­ge errei­chen das Gegen­teil von dem, was sie bezwe­cken – sie tra­gen dazu bei, die gesell­schaft­li­che Akzep­tanz für die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen in Deutsch­land und Euro­pa wei­ter zu untergraben.

Vor­schlä­ge für die Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren gibt es schon lan­ge, funk­tio­nie­ren­de Model­le aber kaum und ohne mas­si­ve Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen kei­ne. Die Idee ist ver­lo­ckend: Das Ster­ben im Mit­tel­meer been­den, indem Men­schen sich nicht mehr auf den gefähr­li­chen Weg machen müs­sen. Aus genau die­sem Grund for­dert PRO ASYL schon lan­ge den Aus­bau von siche­ren und lega­len Zugangs­we­gen wie Resett­le­ment, huma­ni­tä­ren Auf­nah­me­pro­gram­men und Familiennachzug.

Doch eine Exter­na­li­sie­rung von Ver­fah­ren wird Flucht­be­we­gun­gen nicht unter­bin­den und das Ster­ben nicht been­den. Zudem gibt es zahl­rei­che recht­li­che, poli­ti­sche und prak­ti­sche Hürden.

Auch SPD-Abgeordnete fordern Externalisierung von Asylverfahren 

Trotz­dem geht auch ein Vor­schlag aus den Rei­hen der SPD in eine ähn­li­che Rich­tung: Drei SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te haben ein »Impuls­pa­pier« mit dem Titel »Schluss mit dem Mas­sen­grab Mit­tel­meer durch huma­nes und kon­trol­lier­tes Asyl­ma­nage­ment« ver­fasst. Neben siche­ren Flucht­rou­ten wie Resett­le­ment, einer staat­lich orga­ni­sier­ten See­not­ret­tung, einem Ende von Push­backs und Rück­füh­rungs­ab­kom­men mit siche­ren Dritt­staa­ten for­dern Prof. Lars Cas­tel­luc­ci, Fabi­an Fun­ke und Frank Schwa­be dar­in die Exter­na­li­sie­rung von Asyl­ver­fah­ren in Drittstaaten.

Dem­nach sol­len Schutz­su­chen­de in »Migra­ti­ons-Zen­tren« in »siche­ren Dritt­staa­ten« die Mög­lich­keit zum Stel­len von Asyl­an­trä­gen bekom­men. Men­schen, die einen Schutz­sta­tus erhal­ten, sol­len dann in der Euro­päi­schen Uni­on (EU) auf­ge­nom­men wer­den. Auch Geflüch­te­te, die ohne Erlaub­nis in die EU ein­ge­reist sind, sol­len in die­se »Migra­ti­ons-Zen­tren« über­führt wer­den. Bei posi­ti­vem Bescheid soll bei ihnen »über Kon­tin­gen­te die siche­re Ein­rei­se in die EU gewähr­leis­tet« wer­den. Die Idee: So wür­den weni­ger Men­schen den töd­li­chen Weg über das Mit­tel­meer wagen.

SPD-Chef Lars Kling­beil zeig­te sich offen für die Idee. Am Diens­tag war Gerald Knaus, Lei­ter der Denk­fa­brik Euro­päi­sche Sta­bi­li­täts­in­itia­ti­ve, in der SPD-Frak­ti­ons­sit­zung zu Gast. Er gilt als Archi­tekt des EU-Tür­kei-Deals und wirbt seit lan­gem für Ver­fah­ren in Dritt­staa­ten. PRO ASYL ist der Ansicht, dass die Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren nicht ohne Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und mas­si­ve Här­te gegen Schutz­su­chen­de funktioniert.

Der Ansatz, Flucht über bestimm­te Rou­ten ver­hin­dern zu wol­len, führt aber pri­mär dazu, dass flie­hen­de Men­schen ande­re – oft gefähr­li­che­re – Rou­ten nehmen.

Fluchtrouten verschieben sich und werden gefährlicher

Als Vor­bild für Abkom­men mit Dritt­staa­ten wie­der immer wie­der der EU-Tür­kei-Deal ange­führt. Der Ansatz die­ses und ähn­li­cher Abkom­men, Flucht über bestimm­te Rou­ten ver­hin­dern zu wol­len, führt aber pri­mär dazu, dass flie­hen­de Men­schen ande­re – oft gefähr­li­che­re – Rou­ten nehmen.

Manch einer behaup­tet, dass der EU-Tür­kei-Deal von 2016 dazu geführt habe, dass weni­ger Men­schen ster­ben. Tat­säch­lich haben sich die Über­fahr­ten und die Anzahl der Toten und Ver­miss­ten auf der ägäi­schen Rou­te seit 2016 ver­rin­gert. Das liegt jedoch nicht allein am Deal – Flucht­dy­na­mi­ken sind sehr viel kom­ple­xer. Der­weil sind die Gren­zen heu­te töd­li­cher: Vor dem Deal im Jahr 2015 starb laut Zah­len des UNHCR eine von rund 1.000 Per­so­nen, die die Über­fahrt nach Grie­chen­land wag­te – im Jahr 2022 starb eine von 55 Per­so­nen. Die Dun­kel­zif­fer dürf­te um eini­ges höher sein.

Gewalt­sa­me Push­backs durch grie­chi­sche Behör­den haben in den letz­ten Jah­ren zuge­nom­men. Heu­te errei­chen die meis­ten Schutz­su­chen­den die EU über die zen­tra­le Mit­tel­meer­rou­te und kom­men in Ita­li­en an. Flucht­be­we­gun­gen las­sen sich durch sol­che Exter­na­li­sie­rungs-Model­le nicht unter­bin­den, statt­des­sen ver­la­gern sich Flucht­rou­ten und wer­den tödlicher.

Schlechte Vorbilder: UK-Ruanda-Deal, EU-Türkei-Deal und »offshore processing« in Australien

Als mög­li­ches Part­ner­land für Abkom­men mit Dritt­staa­ten wird immer wie­der das ost­afri­ka­ni­sche Ruan­da genannt. Auch von einer Wie­der­be­le­bung des EU-Tür­kei-Deals ist aktu­ell wie­der die Rede. Der UK-Ruan­da-Deal, der EU-Tür­kei-Deal und das Aus­tra­li­en-Modell zei­gen jedoch klar und deut­lich, dass sol­che Exter­na­li­sie­rungs-Model­le nicht wie vor­ge­se­hen umsetz­bar sowie mas­si­ve Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und Ver­stö­ße gegen Rechts­staat­lich­keit vor­pro­gram­miert sind.

Die­se Deals dür­fen kei­ne Blau­pau­se für wei­te­re Abkom­men sein!

Das EU-Abkom­men mit der Tür­kei ist selbst gemes­sen an sei­nen eige­nen Zie­len dys­funk­tio­nal: Das Resett­le­ment aus der Tür­kei in die EU hat nicht wie vor­ge­se­hen geklappt (Auf­nah­me von nur ca. 39.000 syri­schen Geflüch­te­ten aus der Tür­kei in EU-Staa­ten, vor­ge­se­hen waren 72.000 Men­schen), der 1:1‑Austausch-Mechanismus ist geschei­tert, und seit 2020 nimmt die Tür­kei kei­ne abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den aus Grie­chen­land zurück (ins­ge­samt wur­den ca. 3.000 Men­schen abge­scho­ben).

Obwohl der Deal in die­sem Sin­ne nicht »funk­tio­niert« hat, hat er mas­sen­haf­tes Leid für Tau­sen­de Schutz­su­chen­de ver­ur­sacht, die auf den grie­chi­schen Inseln unter unmensch­lichs­ten Bedin­gun­gen fest­ge­setzt und denen ein Zugang zum Asyl­ver­fah­ren ver­wehrt wur­de. Huma­ni­tär war und ist der Deal eine Katastrophe.

  • Kolleg*innen unse­rer grie­chi­sche Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA)  doku­men­tie­ren seit über sie­ben Jah­ren das Schei­tern des EU-Tür­kei-Deals, der die Rechts­staat­lich­keit an Euro­pas Außen­gren­zen mas­siv gefähr­det. Der EU-Tür­kei-Deal hat unter ande­rem zu dem Elend­sla­ger Moria auf Les­bos geführt, wo mehr als 12.000 Geflüch­te­te in Euro­pa in Slum-ähn­li­chen Zustän­den leb­ten. Eine von PRO ASYL in Auf­trag gege­be­ne Stu­die hat zudem gezeigt, dass Tau­sen­de afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de ohne Prü­fung der Flucht­grün­de aus der Tür­kei nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wor­den sind. Auch Syrer*innen wur­den immer wie­der in ihr Her­kunfts­land abge­scho­ben, die Tür­kei ist kein »siche­rer Dritt­staat«.
  • Maxi­mi­li­an Pichl hat in einer Stu­die im Auf­trag von med­ico inter­na­tio­nal den Zusam­men­hang zwi­schen dem EU-Tür­kei-Abkom­men und der Ein­füh­rung des Hot­spot-Sys­tems auf den grie­chi­schen Inseln unter­sucht. Der Bericht zeigt, dass die Poli­tik der Aus­la­ge­rung von Ver­ant­wor­tung auf den grie­chi­schen Inseln zu men­schen­un­wür­di­gen Zustän­den, einer Unzu­stän­dig­keits­struk­tur zwi­schen den invol­vier­ten Akteur*innen und einer sys­te­ma­ti­schen Ent­rech­tung der Geflüch­te­ten geführt hat.
  • Ärz­te ohne Gren­zen (MSF) hat auf den grie­chi­schen Inseln Hun­der­te von Men­schen wegen schwe­rer psy­chi­scher und phy­si­scher Erkran­kun­gen behan­delt, die auf ihre Inhaf­tie­rung durch grie­chi­sche Behör­den zurück­zu­füh­ren sind.

Das Obers­te Gericht in Lon­don hat am 15.11.2023 ent­schie­den, dass der UK-Ruan­da Deal rechts­wid­rig ist.

Das geplan­te bri­ti­sche »Ruan­da-Modell« sah vor, dass Geflüch­te­te, die »uner­laubt« in das Ver­ei­nig­te König­reich ein­rei­sen, fest­ge­hal­ten und zur Prü­fung ihres Asyl­an­trags nach Ruan­da aus­ge­flo­gen wer­den. Die kon­ser­va­ti­ve Regie­rung beab­sich­tig­te, dass Migrant*innen auch bei posi­ti­ver Asy­l­ent­schei­dung in Ruan­da blei­ben und nicht nach Groß­bri­tan­ni­en zurückkehren.

Däne­mark hat 2021 ein Gesetz ver­ab­schie­det, nach dem Asyl­an­trag­stel­len­de in Zen­tren in Nicht-EU-Part­ner­län­der abge­scho­ben wer­den kön­nen, wo ihre Anträ­ge geprüft wer­den. Im Sep­tem­ber 2022 unter­zeich­ne­te Däne­mark eine gemein­sa­me Erklä­rung zur bila­te­ra­len Koope­ra­ti­on der bei­den Staa­ten, um die Ein­rich­tung eines Asyl­zen­trums außer­halb der EU vor­an­zu­trei­ben. Die Gesprä­che sind aktu­ell jedoch aus­ge­setzt, weil Däne­mark auf eine euro­päi­sche Lösung hofft.

  • Der UNHCR ver­tritt die Posi­ti­on, dass Ruan­da kein siche­rer Dritt­staat für Flücht­lin­ge ist, da ver­fah­rens­recht­li­che und inhalt­li­che Garan­tien dort nicht gewähr­leis­tet sind. Er hält die Plä­ne des Ver­ei­nig­ten Königs­reichs, Asyl­su­chen­de nach Ruan­da zu schi­cken, ent­spre­chend für rechts­wid­rig und für nicht mit der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on vereinbar.
  • Der ers­te Ruan­da-Abschie­be­flug war vom Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) in Straß­burg mit einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung in letz­ter Minu­te gestoppt worden.
  • Medi­cal Jus­ti­ce hat einen Bericht ver­öf­fent­licht, in dem das beschleu­nig­te und unkla­re Ver­fah­ren beschrie­ben wird, dem Asyl­su­chen­de, die nach Ruan­da abge­scho­ben wer­den sol­len, im Ver­ei­nig­ten König­reich aus­ge­setzt sind. Er belegt unter ande­rem das Feh­len wirk­sa­mer Prüf­ver­fah­ren und die Schä­den, die die Aus­sicht auf eine Abschie­bung nach Ruan­da für die Gesund­heit und das Wohl­be­fin­den der Men­schen ver­ur­sacht hat.

Aus­tra­li­en hat im Jahr 2012 einen Deal mit dem Insel­staat Nau­ru und der Insel Manus, die zu Papua-Neu­gui­nea gehört, geschlos­sen. Asyl­su­chen­de, die über den See­weg ein­tref­fen und deren eigent­li­ches Ziel Aus­tra­li­en ist, wur­den seit­dem in Lagern auf den bei­den Inseln fest­ge­hal­ten. Der Zugang zu Aus­tra­li­en wur­de selbst bei Erhalt eines Schutz­sta­tus aus­ge­schlos­sen. Seit dem Deal haben die aus­tra­li­schen Behör­den mehr als 4.000 Flücht­lin­ge in den Insel-Lagern unter unmensch­lichs­ten Bedin­gun­gen inhaf­tiert. Man­che haben dort bis zu zehn Jah­ren ver­bracht. Hun­der­te Flücht­lin­ge wur­den in ande­re Län­der umge­sie­delt (»resett­le­ment«) oder in ihre Her­kunfts­län­der abgeschoben.

  • Ärz­te ohne Gren­zen (MSF) hat auf der Pazi­fik­in­sel Nau­ru elf Mona­te lang psy­chi­sche Gesund­heits­ver­sor­gung geleis­tet, bevor sie im Okto­ber 2018 von der nau­rui­schen Regie­rung gezwun­gen wur­de, die Insel zu ver­las­sen. In einem Bericht beschreibt MSF das extre­me psy­chi­sche Lei­den auf der Insel: Fast ein Drit­tel der Patient*innen hat­te einen Selbst­mord­ver­such unter­nom­men, bei zwölf Pati­en­ten wur­de das sel­te­ne psych­ia­tri­sche »Resi­gna­ti­ons­syn­drom« diagnostiziert.
  • Human Rights Watch berich­tet von der Grau­sam­keit der Lager, in denen sie­ben Men­schen Selbst­mord began­gen haben und Kin­der trau­ma­ti­siert wurden.
  • Amnes­ty Inter­na­tio­nal kri­ti­sier­te die sys­te­ma­ti­sche Inhaf­tie­rung auf den Inseln bereits 2002 als will­kür­lich und als einen Ver­stoß gegen das Völkerrecht.
  • Die »Good Will« Bot­schaf­te­rin des UNHCR, Cate Blan­chett, ver­ur­teil­te am Mitt­woch vor dem Euro­päi­schen Par­la­ment die »schäd­li­che Poli­tik der Exter­na­li­sie­rung«, und bezog sich dabei auch auf Erfah­run­gen mit Aus­tra­li­ens Flüchtlingspolitik.

Ange­sichts der Erfah­run­gen mit den oben auf­ge­führ­ten Model­len der Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren ist es aktu­ell schlicht unrea­lis­tisch, dass sol­che Ver­fah­ren men­schen­rechts­kon­form statt­fin­den könn­ten. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass es bei einer mög­li­chen Umset­zung der aktu­el­len For­de­run­gen zu ähn­li­chen Ent­wick­lun­gen kom­men wür­de. Das ist die Rea­li­tät von sol­chen Deals, die am Reiß­brett ent­wor­fen werden.

Viele Drittstaaten wollen sich nicht zu »Handlangern« für die EU machen

Die Idee kur­siert schon län­ger: 2004 sprach Otto Schi­ly (SPD) von EU-Flücht­lings­la­gern in Nord­afri­ka, zehn Jah­re spä­ter for­der­te Tho­mas de Mai­ziè­re (CDU) »Auf­nah­me­zen­tren« für Flücht­lin­ge in Nord­afri­ka und 2018 wur­den »Aus­schif­fungs­platt­for­men« für aus See­not geret­te­te Flücht­lin­ge dis­ku­tiert. Doch immer wie­der schei­ter­te die Idee bereits dar­an, dass Deutsch­land kei­ne ver­läss­li­chen Regie­run­gen in Dritt­staa­ten fin­den konn­te, die bereit wären, bei sich im Land ent­spre­chen­de Zen­tren zu bau­en und die Ver­ant­wor­tung für die Schutz­su­chen­den zu übernehmen.

Die ver­gan­ge­nen Jah­re haben deut­lich gezeigt, wie erpress­bar die EU sich mit sol­chen Abkom­men von oft­mals auto­kra­ti­schen Staa­ten macht: Der EU-Tür­kei-Deal ist nur ein Bei­spiel dafür. Wenn Machthaber*innen damit dro­hen, die Gren­zen für Flücht­lin­ge zu öff­nen, kön­nen sie von der EU sämt­li­che Zuge­ständ­nis­se erzwingen.

Die ver­such­te Koope­ra­ti­on mit Tune­si­en zur Ver­hin­de­rung von Flucht über das Mit­tel­meer zeigt zudem, dass eine ent­spre­chen­de Zusam­men­ar­beit zu noch mehr Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Geflüch­te­ten füh­ren und auto­kra­ti­sche Regie­run­gen kei­ne zuver­läs­si­gen Part­ner sind.

Die meisten Asylsuchenden in Deutschland haben ein Recht auf Schutz

Aktu­ell erhal­ten über 70 Pro­zent aller Men­schen, die in Deutsch­land Asyl bean­tra­gen, bei inhalt­li­chen Ent­schei­dun­gen einen Schutz­sta­tus (dazu kom­men noch die vie­len nach­träg­li­chen Schutz­aner­ken­nun­gen durch die Gerich­te). Die­se Men­schen bei Ankunft zunächst in Dritt­län­der aus­zu­flie­gen, um dort Ver­fah­ren durch­zu­füh­ren, um sie dann wie­der in Deutsch­land auf­zu­neh­men, wür­de einen immensen und unnö­ti­gen Ver­wal­tungs- und Kos­ten­auf­wand dar­stel­len – ganz zu schwei­gen von dem mensch­li­chen Leid, das mit sol­chen Ver­zö­ge­run­gen ein­her­ge­hen würde.

Der Koali­ti­ons­ver­trag sieht zudem die inhalt­li­che Prü­fung der Asyl­an­trä­ge von Men­schen, die in der EU ankom­men oder bereits hier sind, vor. Das schließt eine Abschie­bung in einen außer­eu­ro­päi­schen Dritt­staat direkt nach Ankunft in Euro­pa aus.

Global betrachtet: Auslagerung von Asylverfahren ist verantwortungslos

Bei den aktu­el­len Vor­schlä­gen wird wie­der­holt auf die zen­tra­le Rol­le des UNHCR ver­wie­sen, um huma­ni­tä­re und men­schen­recht­li­che Stan­dards sowie Rechts­staat­lich­keit zu garan­tie­ren. Der UNHCR regis­triert Flücht­lin­ge in Staa­ten, in denen es kein funk­tio­nie­ren­des staat­li­ches Asyl­ver­fah­ren gibt. Zudem führt er Aus­wahl­ver­fah­ren für das soge­nann­te »Resett­le­ment« durch, also die geziel­te Auf­nah­me von beson­ders schutz­be­dürf­ti­gen Flücht­lin­gen in auf­nah­me­be­rei­te Län­der, kom­ple­men­tär zum indi­vi­du­el­len Schutz.

Es wäre fatal, wenn nun euro­päi­sche Län­der – die gut aus­ge­bau­te Asyl­sys­te­me und gro­ße Asyl­be­hör­den haben – auch den UNHCR für ihre Zwe­cke in der Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren ein­span­nen wol­len. Soll­te UNHCR sich nicht in sei­ner Arbeit auf die Unter­stüt­zung von wirt­schaft­lich schwä­che­ren Län­dern kon­zen­trie­ren, die glo­bal gese­hen drei Vier­tel der welt­wei­ten Flücht­lin­ge aufnehmen?

Zudem ist es absurd, dass Län­der wie Ruan­da – ein ost­afri­ka­ni­sches Land, das klei­ner ist als Baden-Würt­tem­berg – immer wie­der als Lösung für die Pro­ble­me der Euro­päi­schen Uni­on, oder auch nur Deutsch­lands, in der Flücht­lings­po­li­tik genannt werden.

Italienische Lager in Albanien, österreichischer Ruanda-Deal?

Obwohl der Vor­schlag weder pra­xis­taug­lich noch mit rechts­staat­li­chen Grund­sät­zen ver­ein­bar ist, scheint die Idee der Exter­na­li­sie­rung von Ver­ant­wor­tung in Euro­pa aktu­ell Kon­junk­tur zu haben. Ver­meint­lich ein­fa­che Lösun­gen sind in ange­spann­ten Zei­ten beliebt, wenn Politiker*innen Hand­lungs­macht demons­trie­ren wol­len. So strebt laut dem öster­rei­chi­schen Innen­mi­nis­ter Ger­hard Kar­ner nun auch die Regie­rung in Wien die Ver­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren in »Dritt­staa­ten außer­halb Euro­pas« nach bri­ti­schem Vor­bild an.

Unter­des­sen hat die ita­lie­ni­sche Minis­ter­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni am Mon­tag eine Absichts­er­klä­rung mit ihrem alba­ni­schen Amts­kol­le­gen Edi Rama unter­zeich­net, nach der Ita­li­en in Alba­ni­en Zen­tren für Asyl­su­chen­de bau­en darf – ein gefähr­li­cher Prä­ze­denz­fall. Alba­ni­en dürf­te sich im Gegen­zug über Unter­stüt­zung beim EU-Bei­tritt freuen.

Laut Medi­en­be­rich­ten ist geplant, bis zum kom­men­den Früh­jahr zwei Lager mit jeweils 3.000 Plät­zen in Alba­ni­en in Betrieb zu neh­men. In den Zen­tren sol­len die Asyl­an­trä­ge von Men­schen, die auf dem Mit­tel­meer von staat­li­chen ita­lie­ni­schen Schif­fen aus See­not geret­tet wor­den sind, bear­bei­tet wer­den. Wer Asyl erhält, soll nach Ita­li­en aus­rei­sen dür­fen. Wer kein Asyl erhält, soll direkt aus Alba­ni­en abge­scho­ben wer­den – eines der bei­den Lager soll eine Abschie­bungs­haft sein. »Wenn es Ita­li­en nicht gelingt, die Men­schen abzu­schie­ben muss es sie zurück­neh­men«, so Edi Rama.

Das Abkom­men ist bis­her nicht öffent­lich, die Zen­tren sol­len offen­bar unter ita­lie­ni­scher Juris­dik­ti­on ste­hen. Asylrechts-Expert*innen kri­ti­sie­ren das Memo­ran­dum of Under­stan­ding als undurch­sich­tig, unmensch­lich, undurch­führ­bar und ohne Rechts­grund­la­ge. Zahl­rei­che recht­li­che Fra­gen, ins­be­son­de­re zu Garan­tien auf alba­ni­schem Staats­ge­biet, sind noch offen. Nach Anga­ben der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on muss zunächst eine ope­ra­tio­nel­le Ver­ein­ba­rung von Ita­li­en in ein Gesetz gebracht und imple­men­tiert werden.

Amnes­ty Inter­na­tio­nal hat das Abkom­men scharf als eine Form des Refou­le­ments, also der rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sung, ver­ur­teilt. Das Abkom­men wer­de dazu genutzt, natio­na­les, inter­na­tio­na­les und EU-Recht zu umgehen.

Soziale Infrastruktur ausbauen statt Illusionen nähren

Die Bevöl­ke­rung erwar­tet von der Bun­des­re­gie­rung hilf­rei­che Ant­wor­ten auf die Her­aus­for­de­run­gen bei der Flücht­lings­auf­nah­me. Modell­über­le­gun­gen, die abseh­bar aktu­ell nicht umsetz­bar sind, schü­ren dage­gen fal­sche Erwar­tun­gen und spie­len denen in die Hän­de, die Flücht­lings­schutz und Men­schen­rech­te wei­ter unter­gra­ben wollen.

Anstatt Luft­schlös­ser zu bau­en, wäre es vor­aus­schau­en­der nun alle Res­sour­cen in den Aus­bau der sozia­len Infra­struk­tur in Deutsch­land zu ste­cken (sie­he hier­zu auch den zivil­ge­sell­schaft­li­chen Fünf-Punk­te-Plan für eine funk­tio­nie­ren­de Asyl‑, Auf­nah­me- und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik). Die Bun­des­re­gie­rung darf kei­ne illu­so­ri­schen Plä­ne ver­fol­gen, son­dern muss men­schen­rechts­kon­form und prag­ma­tisch handeln.

(hk)