24.03.2021

Afgha­ni­sche Flücht­lin­ge sind in der Tür­kei schutzlos

PRO ASYL warnt vor dem mor­gi­gen EU-Gip­fel ein­dring­lich vor einem neu­en EU-Tür­kei-Deal und den geplan­ten Zurück­schie­bun­gen aus der EU in die Tür­kei. Für Flücht­lin­ge gibt es in der Tür­kei weder Schutz noch Per­spek­ti­ven – dies gilt ins­be­son­de­re für afgha­ni­sche Flücht­lin­ge. Afgha­ni­stan ist das Haupt­her­kunfts­land von neu­an­kom­men­den Schutz­su­chen­den in der Tür­kei, sie sind eine der größ­ten Flücht­lings­grup­pe in Griechenland.

Eine von PRO ASYL in Auf­trag gege­be­ne Stu­die zeigt deut­lich, dass afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de in der Tür­kei in einer ver­zwei­fel­ten Lage sind. Die meis­ten sind in die Ille­ga­li­tät gedrängt und leben in der stän­di­gen Angst vor Inhaf­tie­rung und Abschie­bung. Die Tür­kei ist kein siche­rer Dritt­staat. »Wer das Gegen­teil annimmt, schließt vor der Rea­li­tät in der Tür­kei die Augen und Ohren«, warnt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. »Es darf kei­nen neu­en Deal auf Kos­ten der Men­schen­rech­te geben«. Tau­sen­de wur­den und wer­den ohne Prü­fung der Flucht­grün­de, ohne Chan­ce auf Schutz ein­fach so aus der Tür­kei nach Afgha­ni­stan abgeschoben.

Zur Situa­ti­on von afgha­ni­schen Flücht­lin­gen in der Türkei

Afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de erhal­ten kei­nen Schutz durch den tür­ki­schen Staat. Theo­re­tisch kön­nen afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de in der Tür­kei ver­su­chen in das Resett­le­ment­pro­gramm der UN zu kom­men. Prak­tisch gibt es kaum eine Chance.

Ver­fes­tig­te Ver­wal­tungs­prak­ti­ken zwin­gen sie in ein Leben in Ille­ga­li­tät. Zu die­sem Fazit kommt eine von der Stif­tung PRO ASYL in Auf­trag gege­be­ne Kurz­stu­die. Basie­rend auf Inter­views mit tür­ki­schen Anwält*innen und NGO-Mitarbeiter*innen und der Ana­ly­se von Berich­ten staat­li­cher und nicht-staat­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen wur­den die Haupt­pro­ble­me von afgha­ni­schen Schutz­su­chen­den in der Tür­kei herausgearbeitet.

Mit Sys­tem: Zugang zur Regis­trie­rung bleibt versperrt

Der man­gel­haf­te Zugang zur Regis­trie­rung ist das zen­tra­le Pro­blem für Schutz­su­chen­de in der Tür­kei. Ohne Regis­trie­rung und damit ohne Aus­weis ist der Auf­ent­halt in der Tür­kei unrecht­mä­ßig. Inhaf­tie­rung und Abschie­bung sind jeder­zeit mög­lich. Die Schwie­rig­keit wird auch in der Sta­tis­tik deut­lich: Wäh­rend 2019 über 200.000 Afghan*innen ohne gül­ti­ge Doku­men­te auf­ge­grif­fen wur­den, wur­den ledig­lich 35.000 Anträ­ge auf Schutz registriert.

Covid-19 ver­schärft die Situation

2020 hat sich die Pro­ble­ma­tik zuge­spitzt, in vie­len Pro­vin­zen, etwa in Izmir und Konya, wur­de die Regis­trie­rung vor­läu­fig gestoppt. Zusätz­lich ver­schärf­te eine wei­te­re Maß­nah­me zur Bekämp­fung der Pan­de­mie die Situa­ti­on: Zur Nach­ver­fol­gung von Infek­ti­ons­ket­ten wur­de der soge­nann­te HES Code ein­ge­führt. Er ist zwin­gend etwa für die Nut­zung des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs oder beim Betre­ten öffent­li­cher Gebäu­de – wie dem PDMM – vor­zu­wei­sen. Für die Aus­stel­lung des Codes wird ein Aus­weis­do­ku­ment benö­tigt. Schutz­su­chen­de ohne Regis­trie­rung und damit ohne Aus­weis brau­chen einen HES Code, um Zugang zum PDMM und damit zur Regis­trie­rung zu erhal­ten. Ohne jedoch einen HES-Code zu haben, bleibt der Zugang zum PDMM versperrt.

Die Lage von Men­schen ohne Registrierung

Die meis­ten Geflüch­te­ten ver­su­chen in den urba­nen Zen­tren der Tür­kei zu über­le­ben. Seit einer Geset­zes­ver­schär­fung 2019 wird die Ver­mie­tung von Wohn­raum an Per­so­nen ohne Doku­men­te sank­tio­niert. Für nicht­re­gis­trier­te Geflüch­te­te ohne Rei­se­pa­pie­re besteht stän­dig die Gefahr der Inhaftierung.

Black­box Abschiebehaft

Anwält*innen und NGO-Mitarbeiter*innen berich­ten, dass afgha­ni­sche Geflüch­te­te in Abschie­be­haft dazu gedrängt wer­den, die Doku­men­te zur »frei­wil­li­gen Rück­kehr« zu unter­schrei­ben. Laut UNHCR, dem eine Über­wa­chungs­funk­ti­on bei der frei­wil­li­gen Aus­rei­se zukommt, fan­den im Zeit­raum Anfang Janu­ar bis Ende August 2020 8.900 frei­wil­li­ge Aus­rei­sen statt. NGOs bezwei­feln, dass die Aus­rei­sen aus der Abschie­be­haft als »frei­wil­lig« anzu­se­hen sind. Auch das Aus­maß bleibt unklar. NGOs wagen kei­ne Schät­zun­gen und von staat­li­cher Sei­te lie­gen kei­ne Sta­tis­ti­ken vor.

Ähn­lich wie die EU setzt auch die Tür­kei auf ver­stärk­te Koope­ra­ti­on mit Dritt­staa­ten, um Abschie­be­zah­len zu erhö­hen. Ins­be­son­de­re seit 2018 wer­den die Bezie­hun­gen zu Afgha­ni­stan in dem Bereich inten­si­viert. Zwar berich­ten Anwält*innen, das 2020 Abschie­bun­gen auf­grund der Pan­de­mie offi­zi­ell ein­ge­stellt wur­den, jedoch wur­den in den ers­ten sie­ben Mona­ten 2020 6.000 Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan aus der Tür­kei regis­triert. Laut Berich­ten sind beson­ders allein­ste­hen­de afgha­ni­sche Män­ner von Abschie­bun­gen aus Izmir, Van, Gazi­antep, Ada­na und Kay­se­ri betrof­fen gewe­sen. Die afgha­ni­sche NGO AMASO spricht für das Gesamt­jahr 2020 von fast 12.000 afgha­ni­schen Geflüch­te­ten, die aus der Tür­kei in das Bür­ger­kriegs­land abge­scho­ben wurden.

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