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Auf beiden Seiten der Ägäis: EU-Türkei-Deal liegt in Trümmern
Vor sieben Jahren wurde der EU-Türkei-Deal unterzeichnet. Dieses Abkommen ist zwar de facto gescheitert, gefährdet aber seither trotzdem die Rechtsstaatlichkeit an Europas Außengrenzen und insbesondere in Griechenland. Gemeinsam mit unseren griechischen Partner*innen von Refugee Support Aegean (RSA) analysieren wir die Situation.
Die am 18. März 2016 unterzeichnete Erklärung zwischen der EU und der Türkei wird noch immer als Blaupause dafür verkauft, wie eine künftige europäische Flüchtlingspolitik aussehen könnte. Dabei steht er für einen Ausstieg der EU aus dem internationalen Flüchtlingsschutz und fördert die Normalisierung einer Politik, die Menschenleben, Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie selbst gefährdet.
Und Tatsache ist auch: Der sogenannte Flüchtlingsdeal liegt auf beiden Seiten der Ägäis in Trümmern. In der Türkei im wahrsten Sinne des Wortes, denn zu den Opfern des katastrophalen Erdbebens gehören mehr als 1,5 Millionen in der Türkei lebende Flüchtlinge, die nun vor dem Nichts stehen. Und in Griechenland werden seit März 2016 Schutzsuchende auf den griechischen Inseln systematisch ihrer Rechte beraubt.
Grenzverfahren, Inhaftierung und vermeintlich »sichere Drittstaaten«
Der EU-Türkei-Deal und die aktuelle Praxis in Griechenland zeigen, wie gefährlich Grenzverfahren und das Drittstaatenkonzept für den Flüchtlingsschutz sind. Auf dem Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 9. Februar 2023 wurde vereinbart, dass das Konzept vermeintlich »sicherer Drittstaaten« intensiver genutzt werden und die Europäische Asylagentur dafür Leitlinien ausarbeiten soll. Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sollen die Kriterien für »sichere Drittstaaten« so weit abgesenkt werden, dass der massenhaften Abweisung von eigentlich schutzberechtigten Menschen in der EU kaum noch etwas im Wege steht.
Das Abkommen funktioniert schon allein deshalb nicht, weil sich die Türkei seit drei Jahren weigert, Schutzsuchende aus Griechenland zurückzunehmen.
Zugleich wird in Griechenland der Rechtsstaat weiter abgebaut: Wie Regierung und Behörden mit Flüchtlingen umgehen, stellt eine der größten Bedrohungen für die demokratischen Grundlagen des Landes dar. Das Ergebnis des Abkommens war und ist, dass Flüchtlingen ihre Grundrechte vorenthalten werden, das Recht auf Asyl in Frage gestellt wird, Asylsuchende inhaftiert oder in Lagern eingeschlossen und sie mit allen Mitteln daran gehindert werden, in die EU einzureisen.
So wurden und werden Tausende Flüchtlinge auf den griechischen Inseln vom rechtmäßigen Schutz ausgeschlossen. Pushbacks – illegale und äußerst brutale Zurückweisungen von Schutzsuchenden – sind in Griechenland an der Tagesordnung und sind das Fundament des griechischen »Grenzschutzes«. Das belegen erneut ein erst kürzlich veröffentlichter Zwischenbericht der griechischen Nationalen Menschenrechtskommission und die beispiellose Anzahl von Interventionen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bei den griechischen Behörden im vergangenen Jahr.
Griechischer Staatsgerichtshof bestätigt Scheitern des Deals
Zum Jahrestag des siebenjährigen Bestehens des EU-Türkei-Deals bestätigt nun auch der griechische Staatsgerichtshof dessen Scheitern (Beschluss Nr. 177/2023). Das Gericht erkennt das Offensichtliche an: Das Abkommen funktioniert schon allein deshalb nicht, weil sich die Türkei seit drei Jahren weigert, Schutzsuchende aus Griechenland zurückzunehmen. Die Richter*innen des Staatsgerichtshofs sprachen sich mit großer Mehrheit dafür aus, die Einstufung der Türkei als »sicheren Drittstaat« für Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia für nichtig zu erklären, und haben den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung gebeten.
Die Richter*innen des Staatsgerichtshofs sprachen sich mit großer Mehrheit dafür aus, die Einstufung der Türkei als »sicheren Drittstaat« für Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia für nichtig zu erklären
Gleichzeitig verweigert die EU-Kommission die Prüfung, ob Griechenlands Praxis, Asylanträge systematisch zurückzuweisen und Schutzsuchende auf die Türkei als vermeintlich »sicheren Drittstaat« zu verweisen, mit EU-Recht vereinbar ist. Eine gemeinsame Beschwerde von PRO ASYL und RSA, in der die EU-Kommission aufgefordert wird, unverzüglich Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einzuleiten, ist noch immer nicht beantwortet worden.
Grundrechte wiederherstellen, EU-Türkei-Deal beenden!
Vor diesem Hintergrund fordern wir gemeinsam mit unseren griechischen Partner*innen von Refugee Support Aegean:
- Die sofortige Aufhebung des EU-Türkei-Deals und die Abkehr von Abschreckung und Militarisierung an den Außengrenzen
- Einhaltung und Respektierung des Non-Refoulement-Prinzips an Land und auf See
- Sichere Fluchtwege für Asylsuchende, um den tödlichen Überfahrten auf dem Mittelmeer endlich ein Ende zu setzen. Gerade jetzt, nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien, müssen sichere Wege und konkrete Verfahren wie unbürokratische Visa, Familienzusammenführung und Resettlement für die syrischen, afghanischen und iranischen Flüchtlinge gewährleistet werden.
- Einen groß angelegten Umverteilungsmechanismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten
- Das sofortige Ende der auf den Inseln geltenden »geografischen Beschränkung« für Schutzsuchende, die Überführung der Asylsuchenden in bessere Lebensverhältnisse auf das Festland und eine deutliche Stärkung des Aufnahmesystems
- Die radikale Änderung der katastrophalen Aufnahme- und Asylpolitik in Griechenland und die Gewährleistung grundlegender Prinzipien des internationalen Schutzes und der Rechtsstaatlichkeit, die in Griechenland systematisch verletzt werden
(rsa)