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Die aufgerüstete griechische Grenze in der Evros-Region. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Petros Giannakouris

Vor sieben Jahren wurde der EU-Türkei-Deal unterzeichnet. Dieses Abkommen ist zwar de facto gescheitert, gefährdet aber seither trotzdem die Rechtsstaatlichkeit an Europas Außengrenzen und insbesondere in Griechenland. Gemeinsam mit unseren griechischen Partner*innen von Refugee Support Aegean (RSA) analysieren wir die Situation.

Die am 18. März 2016 unter­zeich­ne­te Erklä­rung zwi­schen der EU und der Tür­kei wird noch immer als Blau­pau­se dafür ver­kauft, wie eine künf­ti­ge euro­päi­sche Flücht­lings­po­li­tik aus­se­hen könn­te. Dabei steht er für einen Aus­stieg der EU aus dem inter­na­tio­na­len Flücht­lings­schutz und för­dert die Nor­ma­li­sie­rung einer Poli­tik, die Men­schen­le­ben, Rechts­staat­lich­keit und die Demo­kra­tie selbst gefährdet.

Und Tat­sa­che ist auch: Der soge­nann­te Flücht­lings­deal liegt auf bei­den Sei­ten der Ägä­is in Trüm­mern. In der Tür­kei im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes, denn zu den Opfern des kata­stro­pha­len Erd­be­bens gehö­ren mehr als 1,5 Mil­lio­nen in der Tür­kei leben­de Flücht­lin­ge, die nun vor dem Nichts ste­hen. Und in Grie­chen­land wer­den seit März 2016 Schutz­su­chen­de auf den grie­chi­schen Inseln sys­te­ma­tisch ihrer Rech­te beraubt.

Grenzverfahren, Inhaftierung und vermeintlich »sichere Drittstaaten«

Der EU-Tür­kei-Deal und die aktu­el­le Pra­xis in Grie­chen­land zei­gen, wie gefähr­lich Grenz­ver­fah­ren und das Dritt­staa­ten­kon­zept für den Flücht­lings­schutz sind.  Auf dem Son­der­gip­fel der euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs am 9. Febru­ar 2023 wur­de ver­ein­bart, dass das Kon­zept ver­meint­lich »siche­rer Dritt­staa­ten« inten­si­ver genutzt wer­den und die Euro­päi­sche Asyl­agen­tur dafür Leit­li­ni­en aus­ar­bei­ten soll. Mit der Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) sol­len die Kri­te­ri­en für »siche­re Dritt­staa­ten« so weit abge­senkt wer­den, dass der mas­sen­haf­ten Abwei­sung von  eigent­lich schutz­be­rech­tig­ten Men­schen in der EU kaum noch etwas im Wege steht.

Das Abkom­men funk­tio­niert schon allein des­halb nicht, weil sich die Tür­kei seit drei Jah­ren wei­gert, Schutz­su­chen­de aus Grie­chen­land zurückzunehmen.

Zugleich wird  in Grie­chen­land der Rechts­staat wei­ter abge­baut: Wie Regie­rung und Behör­den  mit Flücht­lin­gen umge­hen, stellt eine der größ­ten Bedro­hun­gen für die demo­kra­ti­schen Grund­la­gen des Lan­des dar. Das Ergeb­nis des Abkom­mens war und ist, dass Flücht­lin­gen ihre Grund­rech­te vor­ent­hal­ten wer­den, das Recht auf Asyl in Fra­ge gestellt wird, Asyl­su­chen­de inhaf­tiert oder in  Lagern ein­ge­schlos­sen und sie mit allen Mit­teln dar­an gehin­dert wer­den, in die EU einzureisen.

So wur­den und wer­den Tau­sen­de Flücht­lin­ge auf den grie­chi­schen Inseln vom recht­mä­ßi­gen Schutz aus­ge­schlos­sen. Push­backs – ille­ga­le und äußerst bru­ta­le Zurück­wei­sun­gen von Schutz­su­chen­den – sind in Grie­chen­land an der Tages­ord­nung und sind das Fun­da­ment des grie­chi­schen »Grenz­schut­zes«. Das bele­gen erneut ein erst kürz­lich ver­öf­fent­lich­ter Zwi­schen­be­richt der grie­chi­schen Natio­na­len Men­schen­rechts­kom­mis­si­on und die bei­spiel­lo­se Anzahl von Inter­ven­tio­nen des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) bei den grie­chi­schen Behör­den im ver­gan­ge­nen Jahr.

Griechischer Staatsgerichtshof bestätigt Scheitern des Deals 

Zum Jah­res­tag des sie­ben­jäh­ri­gen Bestehens des EU-Tür­kei-Deals bestä­tigt nun auch der grie­chi­sche Staats­ge­richts­hof des­sen Schei­tern (Beschluss Nr. 177/2023). Das Gericht erkennt das Offen­sicht­li­che an: Das Abkom­men funk­tio­niert schon allein des­halb nicht, weil sich die Tür­kei seit drei Jah­ren wei­gert, Schutz­su­chen­de aus Grie­chen­land zurück­zu­neh­men. Die Richter*innen des Staats­ge­richts­hofs spra­chen sich mit gro­ßer Mehr­heit dafür aus, die Ein­stu­fung der Tür­kei als »siche­ren Dritt­staat« für Schutz­su­chen­de aus Syri­en, Afgha­ni­stan, Paki­stan, Ban­gla­desch und Soma­lia für nich­tig zu erklä­ren, und haben den Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) um Klä­rung gebeten.

Die Richter*innen des Staats­ge­richts­hofs spra­chen sich mit gro­ßer Mehr­heit dafür aus, die Ein­stu­fung der Tür­kei als »siche­ren Dritt­staat« für Schutz­su­chen­de aus Syri­en, Afgha­ni­stan, Paki­stan, Ban­gla­desch und Soma­lia für nich­tig zu erklären

Gleich­zei­tig ver­wei­gert die EU-Kom­mis­si­on die Prü­fung, ob Grie­chen­lands Pra­xis, Asyl­an­trä­ge sys­te­ma­tisch zurück­zu­wei­sen und Schutz­su­chen­de auf die Tür­kei als ver­meint­lich »siche­ren Dritt­staat«  zu ver­wei­sen, mit EU-Recht ver­ein­bar ist. Eine gemein­sa­me Beschwer­de von PRO ASYL und RSA, in der die EU-Kom­mis­si­on auf­ge­for­dert wird, unver­züg­lich Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Grie­chen­land ein­zu­lei­ten, ist noch immer nicht beant­wor­tet worden.

Grundrechte wiederherstellen, EU-Türkei-Deal beenden!

Vor die­sem Hin­ter­grund for­dern wir gemein­sam mit unse­ren grie­chi­schen Partner*innen von Refu­gee Sup­port Aegean:

  • Die sofor­ti­ge Auf­he­bung des EU-Tür­kei-Deals und die Abkehr von  Abschre­ckung und Mili­ta­ri­sie­rung an den Außengrenzen
  • Ein­hal­tung und Respek­tie­rung des Non-Refou­le­ment-Prin­zips an Land und auf See
  • Siche­re Flucht­we­ge für Asyl­su­chen­de, um den töd­li­chen Über­fahr­ten auf dem Mit­tel­meer end­lich ein Ende zu set­zen. Gera­de jetzt, nach den ver­hee­ren­den Erd­be­ben in der Tür­kei und in Syri­en, müs­sen siche­re Wege und kon­kre­te Ver­fah­ren wie unbü­ro­kra­ti­sche Visa, Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung und Resett­le­ment für die syri­schen, afgha­ni­schen und ira­ni­schen Flücht­lin­ge gewähr­leis­tet werden.
  • Einen  groß ange­leg­ten Umver­tei­lungs­me­cha­nis­mus zwi­schen den EU-Mitgliedstaaten
  • Das sofor­ti­ge Ende der auf den Inseln gel­ten­den »geo­gra­fi­schen Beschrän­kung« für Schutz­su­chen­de, die Über­füh­rung der Asyl­su­chen­den in bes­se­re Lebens­ver­hält­nis­se  auf das Fest­land und eine deut­li­che Stär­kung des Aufnahmesystems
  • Die radi­ka­le Ände­rung der kata­stro­pha­len Auf­nah­me- und Asyl­po­li­tik in Grie­chen­land und die Gewähr­leis­tung grund­le­gen­der Prin­zi­pi­en des inter­na­tio­na­len Schut­zes und der Rechts­staat­lich­keit, die in Grie­chen­land sys­te­ma­tisch ver­letzt werden

(rsa)