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Eine neue Koalition der aufnahmebereiten Staaten? Zum Treffen der EU-Innenminister am 8.Oktober
Bundesinnenminister Seehofer will das EU-Innenministertreffen in Luxemburg nutzen, um mehr Staaten für einen »Notfall-Mechanismus« zu gewinnen. Auf einem vorangehenden Mini-Treffen auf Malta haben vier Mitgliedstaaten sich auf eine Absichtserklärung verständigt, um die sog. Ausschiffungskrise zu beenden. Doch der Vorschlag geht nicht weit genug!
PRO ASYL fordert in einem umfassenden Rettungsplan, das Sterben und das Leid der Flüchtlinge im Mittelmeer zu beenden: Dazu gehört als Sofortmaßnahme, die Schaffung eines EU- Seenotrettungsdienstes, eines Solidarmechanismus für alle Bootsflüchtlinge und das Ende der menschenverachtenden Kooperation mit Libyen.
Seit Juni 2018 kam es im zentralen Mittelmeer immer wieder zu den gleichen Bildern: Schiffe mit aus Seenot geretteten Menschen mussten vor den Küsten Maltas und Italiens ausharren und durften keinen Hafen anfahren. Die Ausschiffung machten Italien und Malta von den Zusagen anderer Mitgliedstaaten abhängig, die Geretteten zu übernehmen.
Auf einem Sondertreffen auf Malta am 23. September wurde nun von Italien, Malta, Deutschland und Frankreich versucht, einen Mechanismus zu finden, der diese Hängepartien beendet und eine schnelle Ausschiffung gewährleistet. Am 8. Oktober sollen auf einem Treffen der EU-Innenminister*innen weitere Staaten gefunden werden, die an dem »vorübergehenden Solidaritätsmechanismus« teilnehmen. Ein wichtiger Aspekt der Einigung von Malta ist, dass es vorab freiwillige Aufnahmezusagen von EU-Staaten geben soll und dies nicht pro Schiff jedes Mal neu verhandelt wird.
Umfassender Rettungsplan anstatt Minimallösung
Es ist zu begrüßen, dass an einem Ende dieser unerträglichen Blockadepolitik im zentralen Mittelmeer gearbeitet wird. Eine Lösung der humanitären Krise, die sich über den gesamten Mittelmeerraum erstreckt, ist jedoch nicht in Sicht.
PRO ASYL fordert in einem umfassenden Rettungsplan:
- Europäischen Seenotrettungsdienst schaffen
- Ende der Kooperation mit Libyen
- Solidarische Aufnahme und Verteilung von Bootsflüchtlingen auch aus Griechenland, Zypern und Spanien
Hintergründe und alle Forderungen sind in unserem Positionspapier zu finden.
Auf Malta gab es nur eine Minilösung
In der Absichtserklärung der vier willigen Staaten heißt es, der vorläufige Solidarmechanismus beziehe sich auf diejenigen, die auf hoher See aus Seenot gerettet wurden. Das ist lediglich eine kleine Lösung, um eine verschärfte, brutalisierte Form der Blockade, die unter dem früheren italienischen Innenminister Salvini stattfand, wieder zurückzunehmen. Das Problem: Diese Beschränkung klammert die meisten der in Europa ankommenden Schutzsuchenden aus. In Italien kommen 85 Prozent der Schutzsuchenden selbstständig aus Tunesien und vereinzelt auch aus Libyen an. Der Seeweg zwischen Griechenland und der Türkei, sowie zwischen Spanien und Marokko besteht zudem größtenteils aus Territorialgewässern und zählt nicht zur Hohen See. Die Ankünfte in Italien und Malta machen tatsächlich nur rund 13 Prozent der Ankünfte über den Seeweg in Europa allgemein aus – der Großteil kommt in Griechenland, gefolgt von Spanien an (eine Übersicht zu Ankünften in Europa findet sich hier). Folglich handelt es sich nur um einen Bruchteil der Menschen, die an Europas Küsten ankommen, die überhaupt umverteilt werden würden.
Verteilmechanismus auch für Griechenland, Zypern und Spanien nötig
In der Malta-Erklärung wird die »besondere Belastung« der Mittelmeeranrainerstaaten anerkannt. Ein Solidaritätsmechanismus müsste entsprechend auch alle Bootsankünfte umfassen, was allerdings nicht enthalten ist.
Bei der Verteilung müssen kulturelle Kontexte berücksichtigt und familiäre und verwandtschaftliche Beziehungen zugrunde gelegt werden
Die Umverteilung unter dem Mechanismus soll, wie bei den ad-hoc-Lösungen der letzten 16 Monate, nach Artikel 17 Absatz 2 der Dublin-III-Verordnung geschehen. PRO ASYL fordert: Diese Ermessensklausel sollte zugunsten des Schutzsuchenden ausgelegt werden. Bei der Verteilung müssen kulturelle Kontexte berücksichtigt und familiäre und verwandtschaftliche Beziehungen zugrunde gelegt werden.
EU- Seenotrettung jetzt!
In der gemeinsamen Absichtserklärung findet sich kein Hinweis auf ein Seenotrettungsprogramm der EU – nur die Luftraumüberwachung im südlichen Mittelmeer soll ausgebaut werden. Stattdessen wird weiterhin auf die Kooperation mit der »libyschen Küstenwache« gesetzt, vorgeblich um die Sicherheit der Schutzsuchenden nicht zu gefährden.
Durch riskante Manöver der »libyschen Küstenwache« kam es bereits zu Todesfällen. Geht es tatsächlich um die Sicherheit der Schutzsuchenden, muss die EU die Aufrüstung und Zusammenarbeit mit der »libyschen Küstenwache« sofort beenden und eine umfassende Seenotrettung organisieren.
Evakuierung aus Libyen!
Schutzsuchende müssen umgehend aus Libyen evakuiert werden, die EU muss hierfür genügend Resettlement-Plätze bereitstellen. Denn: In Libyen sind Schutzsuchende schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Ein Bericht der EU-Ratspräsidentschaft vom 04. September 2019 zeigt: Für die libysche Regierung, dem Partner der EU, ist die Internierung von Schutzsuchenden ein profitables Geschäft.
Trotz der verheerenden Situation verlaufen die Evakuierungen aus Libyen schleppend
In den libyschen Haftlagern kommt es zu Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigungen. Um mit ihnen noch mehr Geld zu verdienen, werden Schutzsuchende von Milizen vollkommen entrechtet. Dies wurde bereits in einem Sicherheitsbericht über Libyen des Europäischen Auswärtigen Dienstes vom April 2018 festgehalten.
Nach dem erneuten Bürgerkriegsausbruch sind Schutzsuchende zusätzlich Risiken ausgesetzt, in Kriegshandlungen involviert zu werden oder zwischen die Fronten zu geraten. Am 02. Juli 2019 wurden bei einem Luftangriff auf Tripolis 35 Schutzsuchende in einem Lager im Vorort Tajoura getötet.
Trotz der verheerenden Situation verlaufen die Evakuierungen aus Libyen schleppend. Insgesamt wird die Anzahl von Schutzsuchenden in Libyen auf 125.000 Menschen geschätzt. 48.122 Personen wurden bisher vom UNHCR registriert. Lediglich 3.926 Menschen wurden bisher aus Libyen in ein »Emergency Transit Centre« in den Niger oder nach Italien und Rumänien evakuiert. Von den 2.913 Evakuierten im Niger warten immer noch 1.096 Personen auf ihre Umsiedlung in eines der Resettlement-Aufnahmeländer.
Am 10. September 2019 wurde ein weiterer Evakuierungsplan mit Ruanda verkündet. 500 Schutzsuchende sollen aus Libyen in das zentralafrikanische Land evakuiert werden, die ersten 66 Personen wurden noch im September ausgeflogen.
Während es zu begrüßen ist, dass Schutzsuchende aus Libyen herausgeholt werden, ist vollkommen unklar, welche Perspektiven sie in Ruanda haben.
Rückführungen und Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern
Teil des Mechanismus soll die effektive und schnelle Rückführung von Personen sein, die keinen Schutz in der EU erhalten. Wie das in der Umsetzung geschehen soll, dazu findet sich in dem Dokument nichts. Um die volle Kooperation der Herkunftsländer zu gewährleisten, sollen »angemessene Hebel« genutzt werden. Schon jetzt wird kritisiert, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten zunehmend Entwicklungshilfe und andere Unterstützung von einer Zusammenarbeit in Migrationsfragen abhängig machen und so Druck aufbauen.
Die Zusammenarbeit mit Transitländern soll fortgesetzt und vertieft werden. Ein Fokus soll dabei auf dem Ausbau der Kapazitäten der Küstenwachen der südlichen Mittelmeeranrainer liegen, wie es jetzt schon mit der »libyschen Küstenwache« der Fall ist. Der UNHCR und die IOM werden beauftragt, eine menschenrechtskonforme Aufnahme nach der Ausschiffung zu fördern.
Menschenrechtskonforme Aufnahme von Flüchtlingen in Libyen?
Wie realitätsfern dieses Vorhaben ist, zeigt die Erschießung eines Schutzsuchenden am 20. September 2019, nur drei Tage vor dem Treffen auf Malta: die »libysche Küstenwache« hatte ein Flüchtlingsboot auf dem Weg nach Europa abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. Als die Schutzsuchenden sich weigerten, zurück in die Haftlager zu gehen – wo viele von ihnen vermutlich bereits Gewalt und Missbrauch erlebt hatten – gaben die »Küstenwächter« vor den Augen von UN-Angestellten Schüsse ab. Ein Sudanese wurde in den Bauch getroffen. Trotz Versorgung durch IOM-Ärzte starb er kurz danach an den Verletzungen.
Neue Koalition der Menschlichkeit und Solidarität
Ob eine »Koalition der Aufnahmebereiten«, der »Hilfsbereiten« in Luxemburg entsteht, bleibt abzuwarten. Die Schaffung einer europäischen Seenotrettung duldet keinen Aufschub mehr. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat die EU aufgefordert, eine neue staatliche Rettungsmission im Mittelmeer zu starten.
Dem Bundesinnenminister empfehlen wir, die wichtigsten Akteure einer neuen Koalition der Aufnahmebereiten nicht länger zu ignorieren: In Deutschland alleine haben sich über 90 Kommunen zum »Sicheren Hafen« und damit zur Aufnahme von Schutzsuchenden bereit erklärt. Eine neue Koalition der Menschlichkeit und Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme wird maßgeblich getragen von den Städten und Kommunen in Deutschland und Europa.
(kk, dm)