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»Dieses Gesetz wird die Asylverfahren nicht beschleunigen, sondern verzögern«
Am 10. November 2022 brachte die Regierung einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren in den Bundestag ein, über den schon am 2. Dezember abgestimmt werden soll. Wir haben mit Asylrechtsanwältin Berenice Böhlo über die Vorschläge und ihre Erfahrungen aus der Rechtspraxis gesprochen
Frau Böhlo, derzeit dauern Asylverfahren durchschnittlich 7,6 Monate, anschließende Klageverfahren dann nochmal 26,6 Monate. Das ist wertvolle Zeit, die Geflüchtete verlieren, um sich in Deutschland ein Leben aufzubauen oder zum Beispiel den Familiennachzug einzuleiten. Nun hat die Bundesregierung ein Gesetz vorgeschlagen, das die Asylverfahren und die Klageverfahren bei den Verwaltungsgerichten beschleunigen soll. Klingt doch erstmal gut – oder?
Der Titel des Gesetzes an sich ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn Titel und Inhalt des Gesetzes nicht übereinstimmen oder das Gesetz sogar den gegenteiligen Effekt haben wird. So ist es hier. Dieses Gesetz wird die Asylverfahren nicht beschleunigen, sondern verzögern. Zudem sieht der Entwurf mehrere Systembrüche vor und baut wichtige Verfahrensrechte für Schutzsuchende ab.
Fangen wir am Beginn eines Asylverfahrens an. Laut Entwurf sollen Schutzsuchende zu den Gründen ihres Asylantrags vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verstärkt über Videokonferenzen angehört werden. Das soll Zeit sparen, um Dolmetscher*innen von überall her zuschalten zu können. Was sind Ihre Bedenken dabei?
Die Anhörung ist das Kernstück des Asylverfahrens. Es ist unabdingbar, dass eine besondere Gesprächsatmosphäre und Vertrauenssituation geschaffen wird, damit Schutzsuchende über ihre oft traumatischen Erlebnisse frei sprechen können. Dies erfordert die Anwesenheit aller Beteiligten. Nimmt man der Anhörung auf diese Weise die Qualität, ist zu erwarten, dass mehr falsche Entscheidungen getroffen werden, die zu noch mehr Klageverfahren führen. Damit werden die Gerichte noch mehr belastet. Alles, was am Anfang vermeintlich an Zeit eingespart wird, rächt sich am Ende durch rechtswidrige Entscheidungen, die dann im gerichtlichen Verfahren geheilt werden müssen.
Übrigens besteht, ganz unabhängig von den grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken bei einer Videoanhörung, in dem Bereich gar kein Regelungsbedarf, denn für alle notwendigen Sprachen stehen im Bundesgebiet Sprachmittler*innen zur Verfügung. Das BAMF hat Arbeitsbedingungen zu schaffen, wozu auch die Bezahlung und die Übernahme der Anreisekosten gehören, damit Sprachmittlung auf dem möglichst höchsten Niveau erfolgen kann. Eine ordentliche Anhörung in Anwesenheit aller Beteiligten ist Teil des rechtlichen Gehörs und kein Gnadenakt.
»Faktisch gibt die Regelung dem BAMF einen Freibrief, entgegen dem angeblichen Gesetzeszweck weniger schnell Asylanträge zu bescheiden«
Nach der Anhörung folgt irgendwann die Entscheidung. Welche Regelungen sind hier geplant?
Der Zeitraum, in dem das BAMF über einen Asylantrag entscheiden muss, war bisher auf sechs Monate beschränkt, in Ausnahmefällen konnte er auf maximal 18 Monate ausgedehnt werden. Nun soll der Zeitraum auf 21 Monate ausgedehnt werden. Faktisch dient dies nicht der Aufklärung der Sachverhalte im Herkunftsland, sondern dem Abwarten, ob die Situation sich wieder stabilisiert. Die Möglichkeit des temporären Entscheidungsstopps gibt es bereits. Es gibt also keinen Regelungsbedarf. Faktisch gibt die Regelung dem BAMF einen Freibrief, entgegen dem angeblichen Gesetzeszweck weniger schnell Asylanträge zu bescheiden.
Ein Drittel aller Schutzsuchenden geht rechtlich gegen die Entscheidung des BAMFs vor. Das ist sehr viel, zum 31. Juli 2022 waren bei den Verwaltungsgerichten 135.603 erstinstanzliche Verfahren anhängig. Sie kennen den Gerichtsalltag – was könnte dort verbessert werden, damit die Klageverfahren schneller abgeschlossen werden?
Ein großes Problem ist, dass das BAMF regelmäßig nicht in den asylgerichtlichen Verhandlungen auftritt und auch telefonisch nicht erreichbar ist. Und wenn doch einmal Vertreter*innen des BAMFs anwesend sind, sind diese oft nicht befugt, Prozesserklärungen abzugeben. Zuletzt war dies zum Beispiel in den Afghanistan-Verfahren besonders virulent. Alle Prozessbeteiligten wussten, dass das Gericht bei den abgelehnten Afghan*innen den internationalen Schutz oder aber zumindest ein Abschiebeverbot erkennen wird. Das BAMF hätte diese Bescheide frühzeitig aufheben können, dann hätten sich die Klageverfahren frühzeitig erledigt. Aber es blieb lange untätig und dadurch mussten mündliche Verhandlungen durchgeführt werden, in denen die Bundesrepublik Deutschland unterlag. Das sind unnötige Kosten für die öffentliche Hand und führt zur massiven Belastung der Gerichte.
Um die Verwaltungsgerichte zu entlasten, soll eine „Vereinheitlichung der asylrechtlichen Rechtsprechung“ stattfinden. Konkret ist geplant, dass das Bundesverwaltungsgericht in Asylverfahren eine neue Rolle, nämlich die einer Tatsacheninstanz, erhält. Bitte einmal für Nichtjurist*innen: Was genau bedeutet das?
Dies bedeutet, dass das Bundesverwaltungsgericht sich nicht wie bisher nur zu strittigen und komplizierten Rechtsfragen äußert, also zur Anwendung und Auslegung der Gesetze entscheidet, sondern dass es auch in die Tasachenbewertung einsteigt. Dies ist systemwidrig und führt nicht zur Beschleunigung. Gerichtsverfahren werden dadurch nicht kürzer, sie verlagern sich nur. Und der erhoffte Effekt, dass durch Leitsatz-Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Prüfungsmaßstäbe geschaffen werden, wird nicht eintreten, denn es handelt sich auch hier trotzdem noch um Einzelfallentscheidungen.
Bleiben wir noch einen Moment bei den Gerichtsverfahren. Im Vergleich zum normalen Verwaltungsprozessrecht gilt für Geflüchtete im Asylrecht ein Sonderprozessrecht. Was genau heißt das, und können Sie uns aus Ihrer Praxis Beispiele geben?
Wesentliche Punkte sind die Verkürzung der Rechtsmittelfristen und die massive Beschränkung beim Zugang zur zweiten Instanz, also zu den Oberverwaltungsgerichten. Zum Teil haben wir nur eine Woche Zeit für das Rechtsmittel, dies ist einmalig im Verwaltungsrecht, wo ansonsten ein Monat gilt. Auch gibt es sehr hohe Hürden, gegen ein Verwaltungsgerichtsurteil im Asylrecht in Berufung zu gehen. Ein inhaltlich falsches Urteil kann nicht angefochten werden. Das ist ein anhaltender Skandal, der eines Rechtsstaates unwürdig ist.
Anstatt das Sonderprozessrecht abzubauen, sieht der Gesetzentwurf nun auch noch vor, dass die Verwaltungsgerichte bei anwaltlich vertretenen Kläger*innen entscheiden können, auf die mündliche Verhandlung zu verzichten und im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Die mündliche Verhandlung ist aber kein lästiges Anhängsel, sondern dient der effektiven Kontrolle behördlicher Entscheidungen und ist das Kernstück des Rechtsschutzes. Der Gesetzesvorschlag entwertete diese Bedeutung der gerichtlichen Entscheidung auf Grundlage einer mündlichen Verhandlung. In dem Entwurf sind noch zahlreiche weitere solche Maßnahmen vorgesehen, die dem Abbau der Verfahrensrechte der Geflüchteten dienen. Aber: Verfahrensrecht ist Verfassungsrecht, das gilt vor allem und besonders im Asylrecht.
Auch die geplante Regelung, den Streitgegenstand bei Unzulässigkeitsentscheidungen durch das BAMF im laufenden gerichtlichen Verfahren einfach ohne Zutun der Kläger*innenseite auszutauschen, hat nicht nur keinerlei Beschleunigungseffekt, sondern stellt eine Beschneidung im Rechtsweg dar und wird eine Vielzahl von komplizierten Rechtsfragen aufwerfen. Sie ist daher strikt abzulehnen.
Die Regierungskoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag in Anspielung auf die restriktive Migrationspolitik der vorherigen CDU-Regierung einen „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik“ angekündigt. Der Gesetzentwurf soll nun Teil dessen sein. Trotzdem waren die ersten Reaktionen, u.a. von zahlreichen Rechtsanwält*innen und auch von PRO ASYL, sehr verhalten. Ist denn gar nichts dabei, was Sie aus Ihrer anwaltlichen Sicht und aus der Sicht der schutzsuchenden Menschen begrüßen können?
Festzustellen ist, dass die Rhetorik zum Teil eine andere geworden ist im Vergleich zu der Vorgängerregierung. Es sind auch wenige Verbesserungen geplant, wie die Abschaffung der unsinnigen Regelüberprüfung von positiven Asylbescheiden alle drei Jahre. Diese soll zukünftig nur noch anlassbezogen erfolgen, dadurch werden Kapazitäten für das BAMF frei. Auch die geplante Einführung einer behördenunabhängigen Verfahrensberatung für Flüchtlinge ist grundsätzlich zu begrüßen.
Was aber den wesentlichen Inhalt des Gesetzes betrifft, sehe ich hier weder eine Modernisierung noch gar einen Neuanfang. Das Gesetz verortet fälschlicherweise die strukturellen Probleme bei den Asylverfahren bei den Betroffenen und ihren anwaltlichen Vertretungen. Das zeigt zum Beispiel die vorgeschlagene Neuregelung des Befangenheitsrechts gegenüber Richter*innen. Im Bereich Asyl gibt es so gut wie keine Befangenheitsanträge, die wenigen gestellten haben vermutlich gute Gründe, trotzdem wird hier so getan, als sei diese weitere Einschränkung der Verfahrensrechte notwendig. Die Probleme liegen aber bei der Exekutiven, bei der Qualität der Asylverfahren, diese sind nicht durch den Fokus auf die Judikative zu lösen.
Frau Böhlo, Sie unterstützen in Ihrer anwaltlichen Tätigkeit seit 2002 Geflüchtete darin, in Deutschland eine Bleibeperspektive zu finden. Welche Vorschläge haben Sie? Wie können Asylverfahren beschleunigt und die Gerichte entlastet werden?
Im ersten Halbjahr 2022 haben von allen Geflüchteten, die vor Gericht gezogen sind, 40 Prozent erfolgreich gegen fehlerhafte Bescheide des BAMFs geklagt. Der erste logische Ansatzpunkt für eine Entlastung der Gerichte wäre also, die Qualität der Asylverfahren beim BAMF zu verbessern. Den aber nimmt das Gesetz in keiner Weise in den Fokus. Im Gegenteil, viele der Vorschläge wie die bereits erwähnte Digitalisierung von Anhörungen werden die Qualität weiter mindern. Die Forderungen, die wir mit zahlreichen Flüchtlingsorganisationen schon 2016 in einer umfangreichen Studie zur Verbesserung der Qualität von Asylverfahren erhoben haben, gelten leider immer noch.
Zusammengefasst braucht es deutliche Qualitätsverbesserung in den Asylverfahren und bei den Entscheidungen. Dazu gehört auch, dass die Qualität der Sprachmittlung angehoben wird, über bessere Bezahlung, strengere Kontrollen und mehr Fortbildungen. Auch müssen Verfahrensbevollmächtigte wie wir Anwält*innen bei der Terminierung von Anhörungen einbezogen werden. Wenn wir erst wenige Tage vorher davon erfahren, fehlt es an Zeit. Je besser aber die Anhörung vorbereitet ist, umso besser sind am Ende die Entscheidungen und die Klagerate sinkt.
Ein weiterer wesentlicher Faktor für die Dauer von Asylverfahren ist zudem die Dokumentenprüfung, die sich über Monate hinzieht, hier muss Abhilfe geschaffen werden. Weiterhin muss der Personalmangel bei den Gerichten angegangen werden, der eine Hauptursache für den Klagestau ist. Das BAMF sollte konstruktiver mitarbeiten und dadurch Klageverfahren abkürzen. Das sind für mich die wesentlichen Punkte, die zu einer Beschleunigung führen würden.
Nichts davon geht der vorliegende Gesetzentwurf an. Fast alle Sachverständigen haben sich in der Anhörung im Innenausschuss kritisch bis eindeutig ablehnend zu dem Gesetzentwurf geäußert. Eine Koalition, die sich eine Modernisierung auf die Fahne schreiben will, steht es nicht gut an, die Sachverständigen bewusst zu ignorieren und das Gesetz im Rekordtempo durch den Bundestag zu peitschen. Nicht weniger Schutz, sondern mehr Schutz ist die Antwort, nicht weniger Verfahrensrechte, sondern mehr Verfahrensrechte. Das ist die einzige Antwort des Rechtsstaats in Zeiten auch hier unmittelbar wahrzunehmender Krisen wie des Kriegs gegen die Ukraine oder das Sterben im Mittelmeer.
Berenice Böhlo ist seit 2002 als Rechtsanwältin unter anderem für Asyl- und Aufenthaltsrecht tätig. Sie engagiert sich zudem unter anderem im Vorstand beim Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und beim Flüchtlingsrat Berlin.
(fw)