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Akten über Akten: Sämtliche Daten von Menschen ohne deutschen Pass sollen zentral erfasst werden - nicht nur analog, wie hier Unterlagen im Landgericht Hannover, sondern auch digital (Foto: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte)

Die Bundesregierung will ein Gesetz auf den Weg bringen, das die zentrale Speicherung persönlicher Dokumente geflüchteter Menschen vorsieht. Das verstößt gegen Grundrechte – und kann für die Betroffenen lebensgefährliche Folgen haben.

Häu­fig wer­den Geset­ze aus­ge­rech­net dann geän­dert, wenn kei­ner so genau hin­schaut. Zum Bei­spiel, wenn die Coro­na-Zah­len alles ande­re über­schat­ten. Was die Bun­des­re­gie­rung der­zeit plant, soll­te ein Alarm­si­gnal für alle sein, denen die Kon­trol­le über per­sön­li­che Infor­ma­tio­nen wich­tig ist. Im Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter (AZR) sol­len künf­tig zahl­rei­che Daten und Doku­men­te von Geflüch­te­ten erfasst und zehn­tau­sen­den deut­schen Beam­tin­nen und Beam­ten zugäng­lich gemacht werden.

Dabei gilt es hier­zu­lan­de eigent­lich als Tabu, per­sön­li­che Daten zu sam­meln und sie dann in einer zen­tra­len Datei zusam­men­füh­ren. Das hat zuletzt die Dis­kus­si­on über eine zen­tra­le Daten­er­fas­sung im Zuge der Infek­ti­ons­be­kämp­fung gezeigt. Anders ver­hält es sich aber offen­bar, wenn es um Men­schen ohne deut­schen Pass, ins­be­son­de­re Flücht­lin­ge, geht. Bereits seit 2016 ent­hält das AZR von Geflüch­te­ten – neben Daten zu Per­son, Auf­ent­halts­sta­tus und ande­rem – auch Fin­ger­ab­drü­cke, Infor­ma­tio­nen über Gesund­heits­un­ter­su­chun­gen und Imp­fun­gen, Schul-und Berufs­bil­dung, etc. Nun soll das Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter wie­der ein­mal mas­siv aus­ge­baut werden.

Zugriffsrechte für tausende staatliche Stellen

Mit dem Gesetz zur Wei­ter­ent­wick­lung des Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ters will die Bun­des­re­gie­rung künf­tig auch Asyl­be­schei­de, asyl- und auf­ent­halts­recht­li­che Gerichts­ent­schei­dun­gen und ande­re Doku­men­te von Geflüch­te­ten im Voll­text ver­füg­bar machen – inklu­si­ve der dar­in zu fin­den­den Flucht­ge­schich­ten, Fami­li­en­ver­hält­nis­se und per­sön­li­chen Merk­ma­le wie sexu­el­le Ori­en­tie­rung, Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit sowie die poli­ti­sche Ansich­ten. Neu ist auch die geplan­te Spei­che­rung der Per­so­nen­iden­ti­täts­num­mer aus dem Herkunftsland.

150.000

Men­schen kön­nen auf das Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter als Infor­ma­ti­ons­quel­le zugreifen

Wer soll auf die per­sön­li­chen Unter­la­gen aus dem asyl- und auf­ent­halts­recht­li­chen Ver­fah­ren künf­tig Zugriff haben? Alle 600 loka­len Aus­län­der­be­hör­den, die Län­der-Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen, die Bun­des­agen­tur für Arbeit, Sozi­al­äm­ter und Job­cen­ter, die Bun­des­po­li­zei, alle »sons­ti­gen« Poli­zei­voll­zugs­be­hör­den, Zoll­dienst­stel­len, Staats­an­walt­schaf­ten, das Bun­des­kri­mi­nal­amt, die Lan­des­kri­mi­nal­äm­ter sowie deut­sche Aus­lands­ver­tre­tun­gen. Wozu all die­se Stel­len die­se Zugriffs­rech­te auf die Doku­men­te benö­ti­gen, ist weder begrün­det noch nach­voll­zieh­bar. Für ihre Auf­ga­ben­er­fül­lung brau­chen sie viel­leicht das Ergeb­nis der Asyl­prü­fung, aber nicht die vor­ge­brach­ten Begrün­dun­gen und Gescheh­nis­se – die gehen sie schlicht nichts an.

Die neue Akten­samm­lung öff­net dem Miss­brauch bis hin zum Zugriff aus­län­di­scher (Ver­fol­ger-) Staa­ten Tür und Tor. Gelan­gen Infor­ma­tio­nen aus der Asy­l­ak­te an die Behör­den des Staa­tes, dem die Betrof­fe­ne ent­flo­hen ist, kann dies lebens­be­droh­li­che Fol­gen haben.

Durch das Gesetz sol­len die Ver­wal­tungs­ab­läu­fe ver­bes­sert wer­den. Die Rech­te der Betrof­fe­nen, vor allem auf Daten­schutz und auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung, spie­len kei­ne Rol­le. Ihre man­geln­de Berück­sich­ti­gung wird seit Jah­ren kri­ti­siert. Am aktu­el­len Gesetz­ent­wurf haben unter ande­rem das Netz­werk Daten­schutz­ex­per­ti­se mit dem ehe­ma­li­gen Schles­wig-Hol­stei­ni­schen Daten­schutz­be­auf­trag­ten Thi­lo Wei­chert, der Pari­tä­ti­sche Wohl­fahrts­ver­band und der Cari­tas­ver­band deut­li­che Kri­tik geäußert.

Speicherung von Asylakten – Daten zum Verfolgerstaat?

Die neue Akten­samm­lung öff­net dem Miss­brauch bis hin zum Zugriff aus­län­di­scher (Ver­fol­ger-) Staa­ten Tür und Tor. Gelan­gen Infor­ma­tio­nen aus der Asy­l­ak­te an die Behör­den des Staa­tes, dem die Betrof­fe­ne ent­flo­hen ist, kann dies lebens­be­droh­li­che Fol­gen haben: Wird eine zum Chris­ten­tum kon­ver­tier­te Ira­ne­rin in den Iran abge­scho­ben, droht ihr Gefäng­nis und Schlim­me­res, wenn die staat­li­chen Stel­len das wis­sen. Homo­se­xu­el­le, deren sexu­el­le Ori­en­tie­rung bekannt ist, müs­sen in Nige­ria und ande­ren Staa­ten mit Gefäng­nis rech­nen. Eine Kur­din, deren oppo­si­tio­nel­le Hal­tung hier nicht für eine Asyl­an­er­ken­nung reicht, erwar­tet in der Erdo­gan-Tür­kei mög­li­cher­wei­se den­noch Ver­haf­tung und Ver­fol­gung. Eine Gefahr besteht auch für Ange­hö­ri­ge, die in der Asy­l­ak­te genannt sind.

Auch hier­zu­lan­de ist die Gefahr von Miss­brauch durch Mit­ar­bei­ten­de in den Behör­den real. Dies zeigt der Fall eines ägyp­ti­schen Flücht­lings, den das ARD-Maga­zin FAKT auf­ge­deckt hat: Des­sen AZR-Daten wur­den von einem Mit­ar­bei­ter des Job­cen­ters abge­ru­fen, um den Betrof­fe­nen Angst zu machen und ihn zu maßregeln.

Die zen­tra­le, auto­ma­ti­sier­te Preis­ga­be von sehr per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen an eine Viel­zahl von Behör­den greift erheb­lich in das Recht der Betrof­fe­nen auf den Schutz des Pri­vat­le­bens und das Grund­recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung ein.

Die zen­tra­le, auto­ma­ti­sier­te Preis­ga­be sehr per­sön­li­cher Infor­ma­tio­nen an eine Viel­zahl von Behör­den greift erheb­lich in das Recht der Betrof­fe­nen auf den Schutz des Pri­vat­le­bens (Art. 8 EMRK, Art. 17 UN-Zivil­pakt) und das Grund­recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung (Art. 2 Grund­ge­setz) ein.

Zwar sieht der aktu­el­le AZR-Gesetz­ent­wurf vor, dass BAMF- und asyl­recht­li­che Gerichts­ent­schei­dun­gen nur gespei­chert wer­den, »soweit beson­de­re gesetz­li­che Ver­ar­bei­tungs­re­ge­lun­gen oder über­wie­gen­de schutz­wür­di­ge Inter­es­sen der betrof­fe­nen Per­son dem nicht ent­ge­gen­ste­hen.« Es feh­len aber wirk­sa­me Mög­lich­kei­ten der Betrof­fe­nen, die Kon­trol­le über ihre Daten zu wahren.

Dabei sind Daten, aus denen – wie gera­de in Asy­l­ak­ten – »poli­ti­sche Mei­nun­gen, reli­giö­se oder welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen oder die Gewerk­schafts­zu­ge­hö­rig­keit her­vor­ge­hen« sowie »Gesund­heits­da­ten oder Daten zum Sexu­al­le­ben oder der sexu­el­len Ori­en­tie­rung« nach der gel­ten­den Daten­schutz­grund­ver­ord­nung sogar beson­ders geschützt. Die gesetz­li­chen Vor­ga­ben sieht der Pari­tä­ti­sche Gesamt­ver­band »hier nicht annä­hernd erfüllt«. Das Netz­werk Daten­ex­per­ti­se stellt eben­so wie der Cari­tas­ver­band fest, dass der Gesetz­ent­wurf hin­sicht­lich des Umgangs mit die­sen beson­ders geschütz­ten Daten rechts­wid­rig ist.

Per­sön­li­che Unter­la­gen haben in einem zen­tra­li­sier­ten, zum Abruf frei­ge­ge­be­nen, Regis­ter nichts, aber auch gar nichts verloren!

Im Koali­ti­ons­ver­trag von 2018 steht, wor­um es der Regie­rung eigent­lich geht: Sie will das Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter »ertüch­ti­gen, um belast­ba­re­re Aus­künf­te erhal­ten zu kön­nen, allen rele­van­ten Behör­den unkom­pli­zier­ten Zugriff zu ermög­li­chen und es auch zur bes­se­ren Steue­rung der Rück­füh­rung und frei­wil­li­gen Aus­rei­se ein­set­zen zu kön­nen«. Mit dem Gesetz­ent­wurf ent­wi­ckelt sich das AZR wei­ter zu einem Manage­ment-Tool des Staa­tes, das dem Ziel von Beschleu­ni­gung und Abschie­bung die­nen soll. Wel­che Infor­ma­ti­ons­flüs­se im Zuge künf­ti­ger »Abschie­bungs­ko­ope­ra­ti­on« mit den Her­kunfts­staa­ten für legi­tim gehal­ten wer­den, ist dabei noch gar nicht absehbar.

Bei der ange­streb­ten Spei­che­rung von intims­ten Erfah­run­gen und Befind­lich­kei­ten der Betrof­fe­nen han­delt es sich um die beängs­ti­gen­de Preis­ga­be von per­sön­li­chen Daten derer, die die­sen Staat um Schutz ersucht haben. BAMF-Beschei­de, Gerichts­ent­schei­dun­gen, Stel­lung­nah­men über Gesund­heit oder Rei­se­fä­hig­keit und sons­ti­ge per­sön­li­che Unter­la­gen haben in einem zen­tra­li­sier­ten, zum Abruf frei­ge­ge­be­nen, Regis­ter nichts, aber auch gar nichts verloren!

(ak)