14.06.2021
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Street-Art des Künstlerkollektivs ArtLords in Kabul: »Afghanistans Schmerz ist mein Schmerz«. Tulpen stehen in der afghanischen Lyrik für »blutende Herzen« - hier im Gedenken an die Kriegstoten seit 2001. (c) Friederike Stahlmann

Mohamed Karimi hat als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet. Weil die Taliban ihn verfolgten, kam er im Rahmen des Ortskräfteprogramms 2014 nach Deutschland. Doch die Extremisten machen auch vor seiner Familie nicht Halt: Sie bedrohten seine Eltern und entführten seine Brüder

Herr Kari­mi*, Sie haben fünf Jah­re lang als Dol­met­scher und Kul­tur­mitt­ler in Kabul und im Nor­den Afgha­ni­stans für die Bun­des­wehr gear­bei­tet. Wie kam es dazu?

Kari­mi: Es begann im Som­mer 2008 mit einer Nacht, die ich nie ver­ges­sen wer­de. Es war ein Don­ners­tag­abend und ich war mit mei­ner Mut­ter drau­ßen im Hof. Gegen neun oder zehn Uhr haben wir Schüs­se gehört. Ich war neu­gie­rig und woll­te sehen, was da los ist. Aber mei­ne Mut­ter hat mich dar­an gehin­dert. Am nächs­ten Tag waren dann vie­le Leu­te drau­ßen, auch deut­sche Sol­da­ten, und ich habe erfah­ren, was in der Nacht zuvor pas­siert war: Zivi­lis­ten, dar­un­ter auch Frau­en, die mit dem Auto unter­wegs gewe­sen waren zu einer Hoch­zeit, waren von Sol­da­ten erschos­sen wor­den. Der Grund dafür war wohl, dass die Sol­da­ten ihnen befoh­len hat­ten, anzu­hal­ten, aber das haben sie nicht gemacht  – war­um, weiß ich nicht. Da haben die Sol­da­ten geschossen.

Das klingt nicht gera­de nach einem Arbeit­ge­ber, für den man auf der Stel­le tätig wer­den will…

Kari­mi: Am nächs­ten Tag bin ich zu den Dorf­be­woh­nern und zu den Sol­da­ten gegan­gen, weil ich neu­gie­rig war. Ich war der Ein­zi­ge im Dorf, der eng­lisch sprach. Des­halb konn­te ich zwi­schen den bei­den Grup­pen ver­mit­teln. Es hat sich dann erge­ben, dass ich gedol­metscht habe. Am Ende hat mir ein Offi­zier eine Visi­ten­kar­te in die Hand gedrückt und gesagt, wenn ich als Dol­met­scher für die Bun­des­wehr arbei­ten wol­le, sol­le ich mich mel­den. Das habe ich ein paar Mona­te spä­ter tat­säch­lich gemacht. Aber die Leu­te, die damals ihre Ver­wand­ten ver­lo­ren haben, vor denen habe ich immer Angst gehabt. Sie haben uns, mei­ne Fami­lie und mich, beschul­digt: »Ihr arbei­tet für die Mör­der unse­rer Fami­li­en!« Das The­ma Rache spielt eine gro­ße Rol­le in Afgha­ni­stan. Vie­le Men­schen in Afgha­ni­stan hal­ten die aus­län­di­schen Sol­da­ten für Besat­zer. Nach dem Ver­ständ­nis der Dorf­be­woh­ner und der Tali­ban hat­ten die »Besat­zer« gemor­det. Die­se Mor­de woll­ten sie auch an mir und mei­ner Fami­lie rächen.

»Einen Dol­met­scher zu töten ist für die Tali­ban noch wert­vol­ler als einen Sol­da­ten umzu­brin­gen. Aus ihrer Sicht sind wir Dol­met­scher die Augen und Ohren der Ungläubigen.«

Moha­med Karimi

Was genau haben Sie wäh­rend Ihrer Tätig­keit für die Bun­des­wehr gemacht?

Kari­mi: Ich war eine Art Bin­de­glied zwi­schen der Bun­des­wehr und der afgha­ni­schen Natio­nal­ar­mee. Meis­tens war ich unter­wegs – ich war bei Patrouil­len dabei, aber auch gemein­sam mit den Streit­kräf­ten im Ein­satz. Auch bei der Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung, etwa bei Natur­ka­ta­stro­phen, habe ich unter­stützt.  Die ers­ten Mona­te, die ich für die Bun­des­wehr gear­bei­tet habe, (Anm. der Redak­ti­on: Anfang 2009) habe ich mich sicher gefühlt. Damals war die Situa­ti­on ok, wir haben alle gehofft, dass sich die Lage im Land ver­bes­sert. Ich habe mich für die­se Arbeit ent­schie­den, weil ich mei­ner Hei­mat hel­fen woll­te, und natür­lich auch, weil es eine Mög­lich­keit war, Geld zu ver­die­nen. Aber schon kur­ze Zeit spä­ter wur­de mir klar, dass ich in Gefahr war. Mei­ne Fami­lie und ich haben unser Bes­tes getan, um mei­ne Tätig­keit zu verheimlichen.

War­um war das nötig? 

Kari­mi: Einen Dol­met­scher zu töten ist für die Tali­ban noch wert­vol­ler als einen Sol­da­ten umzu­brin­gen. Aus ihrer Sicht sind wir Dol­met­scher die Augen und Ohren der Ungläu­bi­gen. Und müs­sen dafür bestraft werden.

Wie sah Ihr Ver­steck­spiel aus?

Kari­mi: Ich habe mei­ne Fami­lie in die­ser Zeit nur alle drei bis vier Mona­te gese­hen. Wenn ich dann mal zuhau­se war, bin ich die meis­te Zeit über im Haus geblie­ben – auch, um neu­gie­ri­ge Fra­gen der Nach­barn und Bekann­ten zu ver­mei­den. Ganz umge­hen konn­te ich die natür­lich nicht, also habe ich gelo­gen und gesagt, dass ich stu­die­re und an einer Pri­vat­schu­le unter­rich­te. In mei­ner Arbeits­zeit habe ich Jeans und Hemd getra­gen, wie die Deut­schen . Zuhau­se habe ich mich das nicht getraut, das wäre zu auf­fäl­lig gewe­sen. Statt­des­sen bin ich  in der typisch afgha­ni­schen Beklei­dung rum­ge­lau­fen. Trotz­dem haben die Tali­ban es irgend­wie herausgefunden.

Was ist dann pas­siert, war­um konn­ten Sie nicht mehr in Afgha­ni­stan bleiben? 

Kari­mi: Als mein Arbeits­ver­trag für die Bun­des­wehr aus­ge­lau­fen war, muss­te ich mich eine Wei­le im Nor­den Afgha­ni­stans ver­ste­cken. Das war eine schlim­me Zeit. Ich wur­de von den Tali­ban bedroht – nicht nur ein Mal, nicht nur zwei Mal, immer wie­der. Das reich­te von Droh­brie­fen und Droh­an­ru­fen bis hin zu per­sön­li­chen »Besu­chen«. Ich hat­te dann ein Gespräch mit Bun­des­wehr-Offi­zi­el­len und durf­te schließ­lich über das Orts­kräf­te­pro­gramm nach Deutsch­land kom­men. Im August 2014 bin ich von Afgha­ni­stan nach Ham­burg geflogen.

»Die Tali­ban haben mei­nen Vater auf­ge­for­dert, mich an sie aus­zu­lie­fern, und mei­ner klei­nen Schwes­ter haben sie Säu­re über den Fuß gekippt – als Stra­fe für mei­ne Tätig­keit als Dolmetscher«

Moha­med Karimi

Wie ging es Ihnen nach Ihrer Ankunft in Deutschland? 

Kari­mi: Einer­seits war ich sehr glück­lich, denn ich konn­te mich end­lich frei bewe­gen und wuss­te: Hier pas­siert mir nichts. Ande­rer­seits war es sehr schwie­rig für mich, mei­ne Fami­lie allein zu las­sen. Sie ist das Wich­tigs­te für mich – wie wahr­schein­lich für alle Men­schen auf die­ser Welt. Ich bin der ältes­te Sohn, ich tra­ge Ver­ant­wor­tung für sie. Noch dazu wuss­te ich, dass auch mei­ne Fami­lie wegen mei­ner Arbeit bedroht wur­de; als ich noch im Land war und auch nach­dem ich schon in Deutsch­land leb­te. Mein Vater wur­de auf­ge­for­dert, mich an die Tali­ban aus­zu­lie­fern. Wenn ein Afgha­ne für die Bun­des­wehr, die NATO oder ande­re west­li­che Orga­ni­sa­tio­nen gear­bei­tet hat,  sind alle Fami­li­en­mit­glie­der in Gefahr. Die Tali­ban neh­men beson­ders die Män­ner der Fami­lie ins Visier. Und die Eltern – denen geben sie die Schuld dar­an, dass ihre Kin­der »ver­dor­ben« sind und für die »Ungläu­bi­gen« arbei­ten. Aber sogar mei­ne klei­ne Schwes­ter – damals noch ein Kind –  war nicht sicher vor ihnen. Sie haben ihr Säu­re über den Fuß gekippt.

Wie ist Ihre Fami­lie damit umge­gan­gen? Hat sie ver­sucht, in einem ande­ren Lan­des­teil Afgha­ni­stans Schutz zu suchen?

Kari­mi: Mei­ne Fami­lie muss­te sich ver­ste­cken und immer wie­der umzie­hen. Sie muss­ten in unmensch­li­chen Ver­hält­nis­sen leben und hat­ten zum Teil nicht mal etwas zu essen und zu trin­ken. Im Som­mer ist es schwie­ri­ger als im Win­ter, in ande­ren Lan­des­tei­len Schutz zu suchen. Denn im Som­mer sind die Tali­ban akti­ver. Im Win­ter sind vie­le von ihnen in den Nach­bar­län­dern in Aus­bil­dungs­camps. Mitt­ler­wei­le ist mei­ne Fami­lie nicht mehr im Land, son­dern auf der Flucht.

Wäh­rend­des­sen haben Sie ver­sucht, in Deutsch­land Fuß zu fassen… 

Kari­mi: Ja, im August 2014 bin ich ange­kom­men und im Novem­ber hat­te ich bereits einen Mini-Job in einem Amt, als Dol­met­scher und Asyl­be­treu­er. Vor­mit­tags habe ich gear­bei­tet, nach­mit­tags bin ich in die Schu­le gegan­gen, um Deutsch zu ler­nen. Drei Jah­re war ich als Asyl­be­treu­er beschäf­tigt. Außer­dem habe ich ein Jahr lang ein Prak­ti­kum in der Ver­wal­tung gemacht. Ich woll­te eigent­lich eine Aus­bil­dung zum Ver­wal­tungs­fach­an­ge­stell­ten begin­nen. Aber wäh­rend des Prak­ti­kums wur­de mir bewusst, dass ich das nicht packen wür­de. Der Stress und die Sor­ge um mei­ne Fami­lie waren zu groß. Ich habe im Prak­ti­kum mein Bes­tes gege­ben, aber ich war selbst nicht zufrie­den mit mei­ner Leis­tung, und mein Chef  auch nicht. Die­se Belas­tung, all die­se Schwie­rig­kei­ten – es war ein­fach zu viel. Jetzt bin ich für ein pri­va­tes Unter­neh­men als Sicher­heits­mit­ar­bei­ter tätig. Damit will ich nicht alt wer­den, aber für den Moment ist es okay.

Drei Tage lang wur­den zwei Brü­der unse­res Inter­view­part­ners von den Tali­ban gefan­gen gehal­ten. Sie konn­ten aus ihrem Ver­lies flie­hen und sind schließ­lich nach Deutsch­land geflüch­tet. Doch hier erkennt das Bun­des­amt für Migra­ti­on ihre Gefähr­dung nicht an, miss­traut ihren Schilderungen.

Ihr Bru­der Milad* ist eben­falls nach Deutsch­land geflo­hen, 2018 hat er vom BAMF trotz der Gefah­ren, die ihm in Afgha­ni­stan droh­ten, einen Ableh­nungs­be­scheid erhalten… 

Kari­mi: Wir haben alles dar­an gesetzt, dass er nicht abge­scho­ben wird, son­dern von Süd­deutsch­land aus zu mir in den Nor­den kom­men durf­te. Auch PRO ASYL hat uns dabei unter­stützt. Am Ende haben wir es geschafft, aber wir muss­ten hart dar­um kämp­fen. Dabei war Milad nicht straf­fäl­lig, er hat nichts getan, gar nichts, trotz­dem kam er in Abschie­bungs­haft! Die woll­ten ihn eis­kalt abschie­ben. Zum Glück konn­ten wir das ver­hin­dern. Aber ich hat­te in die­ser Pha­se kei­ne Zeit und kei­ne Kraft für irgend­et­was ande­res, auch nicht für die geplan­te Ausbildung.

Mitt­ler­wei­le sind auch Ihre bei­den jün­ge­ren, damals min­der­jäh­ri­gen Brü­der nach Deutsch­land geflüch­tet. Wie­so war das nötig? 

Kari­mi: Ich war Orts­kraft, mei­ne Brü­der nicht. Eigent­lich woll­ten die Tali­ban mich haben – mich haben sie aber nicht gekriegt. Des­halb haben sie sich auf mei­ne Brü­der kon­zen­triert  und sie jah­re­lang bedroht. Und nicht nur das. Sie wur­den ver­letzt, gekid­nap­ped und gefol­tert. 2019 war es so schlimm, dass sie Afgha­ni­stan ver­las­sen mussten.

Was genau war geschehen?

Kari­mi: Mein Bru­der Amir* wur­de im Som­mer 2018 bru­tal zusam­men­ge­schla­gen. Ver­mut­lich waren es die Tali­ban, aber da er von hin­ten getrof­fen wur­de, hat er die Angrei­fer nicht gese­hen. Er erlitt schwers­te Ver­let­zun­gen am Hin­ter­kopf sowie am gan­zen Kör­per und blu­te­te stark. Amir hat­te Glück, dass Pas­san­ten ihn in einem Gra­ben ent­deck­ten und nach Hau­se gebracht haben. Es dau­er­te Wochen, bis er wie­der fit war. Ein gutes hal­bes Jahr spä­ter dann der nächs­te Schock: Mein Vater, Amir und unser Bru­der Hassan* wur­den auf der Stra­ße ange­hal­ten – und die zwei Jungs wur­den mit­ge­nom­men. Drei Tage lang wur­den Amir und Hassan gefan­gen gehal­ten; die Tali­ban haben ver­sucht, sie zu rekru­tie­ren. Sie haben ihnen gesagt: »Ent­we­der ihr macht die Sün­de eures Bru­ders wie­der gut, indem ihr euch uns anschließt, oder ihr wer­det getö­tet.« Mei­ne Brü­der konn­ten dann aus einem ver­git­ter­ten Fens­ter und über eine Lei­ter auf dem Dach aus ihrem Ver­lies fliehen.

»Es ist eine Tat­sa­che, dass die Tali­ban nicht nur die Orts­kräf­te selbst bedro­hen, son­dern auch deren Fami­li­en­mit­glie­der. Die deut­schen Behör­den müs­sen das end­lich verstehen!«

Moha­med Karimi

Die­se Hor­ror­ge­schich­te ist doch sicher Anlass genug, dass das Bun­des­amt die Gefähr­dung Ihrer Brü­der aner­kennt und ihnen einen Schutz­sta­tus zubilligt?

Kari­mi: Das habe ich auch gedacht. Aber nein, das Bun­des­amt hat die Gefähr­dung nicht aner­kannt. Das ist eine nach­läs­si­ge und beschä­men­de Ent­schei­dung! Dass ich für die Bun­des­wehr gear­bei­tet habe, hat über­haupt kei­ne Rol­le gespielt. War­um nicht? Das muss doch rei­chen! Es ist eine Tat­sa­che, dass die Tali­ban nicht nur die Orts­kräf­te selbst bedro­hen, son­dern auch deren Fami­li­en­mit­glie­der. Sie machen noch nicht ein­mal vor ent­fern­ten Ver­wand­ten wie Onkel oder Nef­fen Halt, selbst wenn die gar nichts damit zu tun haben. Die deut­schen Behör­den müs­sen end­lich ver­ste­hen, dass die Tali­ban alle bestra­fen wollen!

Nach allem, was Ihnen und Ihrer Fami­lie wider­fah­ren ist: Haben Sie es je bereut, für die Bun­des­wehr tätig gewe­sen zu sein?

Kari­mi: Nein, ich habe es nicht bereut. Mein Leben hat sich zwar von Grund auf geän­dert und die Pro­ble­me, die wir haben, sind nicht gelöst. Aber ich konn­te mei­nem Land hel­fen und dazu bei­tra­gen, dass die afgha­ni­schen Sol­da­ten eine ordent­li­che Aus­bil­dung bekom­men haben. Wir Dol­met­scher haben eine wich­ti­ge Rol­le gespielt – ohne uns hät­te die NATO es nie geschafft. Denn wir haben ja nicht nur Wor­te über­setzt, son­dern ganz viel kul­tu­rell ver­mit­telt, in die eine und in die ande­re Rich­tung. Ich bin stolz dar­auf, dass ich für die Bun­des­wehr gear­bei­tet habe.

»Im Medi­en­be­reich und in punc­to Frau­en­rech­te gab es dank des west­li­chen Enga­ge­ments Fort­schrit­te. Aber alles, was erreicht wur­de, wird wie­der ver­lo­ren sein, wenn die Tali­ban end­gül­tig an der Macht sind.«

Moha­med Karimi

Die USA und ihre euro­päi­schen Ver­bün­de­ten waren knapp zwan­zig Jah­re im Ein­satz in Afgha­ni­stan.  Wie bewer­ten Sie das? 

Kari­mi:  Die USA woll­ten die Tali­ban abschaf­fen. Da waren sie inso­fern »erfolg­reich« als die Tali­ban seit dem 11. Sep­tem­ber 2001 kei­nen Anschlag mehr in den USA oder in Euro­pa ver­übt haben. Aber in Afgha­ni­stan gab es unglaub­lich vie­le zivi­le Opfer! Die­ser Krieg hät­te nicht zwan­zig Jah­re dau­ern dür­fen. Aber ein paar Fort­schrit­te gab es durchaus.

Wel­che sind das?

Kari­mi: Der Auf­bau der afgha­ni­schen Streit­kräf­te ist eini­ger­ma­ßen gelun­gen. Und auch der (Wie­der-) Auf­bau von Schu­len, Kran­ken­häu­sern, Brü­cken und so wei­ter ist teil­wei­se geglückt. Mit dem vie­len Geld, das in all der Zeit nach Afgha­ni­stan geflos­sen ist, hät­te man noch sehr viel mehr schaf­fen kön­nen, aber die Kor­rup­ti­on hat das ver­hin­dert. Im Medi­en­be­reich und in punc­to Frau­en­rech­te gab es Fort­schrit­te, da war das west­li­che Enga­ge­ment nütz­lich. Aber alles, was erreicht wur­de, wird wie­der ver­lo­ren sein, wenn die Tali­ban end­gül­tig an der Macht sind.

Die Tali­ban haben nun ver­lau­ten las­sen, ihren Lands­leu­ten, die für »den Wes­ten« tätig waren, nichts zu tun, wenn sie die »feind­li­chen Rei­hen« ver­lie­ßen und im Land blie­ben. Trau­en Sie dem?

Kari­mi: Die Tali­ban sind kei­ne homo­ge­ne Grup­pe, es gibt unter­schied­li­che Strö­mun­gen. Dar­un­ter sind auch wel­che, die Talib gewor­den sind, weil sie ihre gan­ze Fami­lie bei Angrif­fen von afgha­ni­schen Streit­kräf­ten oder bei Angrif­fen der Ame­ri­ka­ner und Euro­pä­er ver­lo­ren haben. Aber die Füh­rungs­per­so­nen der Tali­ban haben ihre Ideo­lo­gie sicher nicht geän­dert in all den Jah­ren. Das Land könn­te in einen hef­ti­gen Bür­ger­krieg gera­ten. Es besteht die Gefahr, dass die Tali­ban Kabul erobern. Und dann: noch mehr Blut­ver­gie­ßen. Noch mehr Flücht­lin­ge. Eine huma­ni­tä­re Katastrophe.

Ihrer Erfah­rung nach: Wie soll­te ein Auf­nah­me­pro­gramm für die Orts­kräf­te gestal­tet sein?

Kari­mi: Die Men­schen, die für aus­län­di­sche Trup­pen oder Orga­ni­sa­tio­nen in Afgha­ni­stan gear­bei­tet haben, sind in gro­ßer Gefahr. Ihnen und ihren Fami­li­en muss jetzt schnell gehol­fen wer­den. Deutsch­land will nur den Afgha­nen eine Chan­ce geben, hier­her zu kom­men, die in den letz­ten zwei Jah­ren für deut­sche Orga­ni­sa­tio­nen tätig waren. Aber das macht gar kei­nen Sinn! Wann man dort für west­li­che Ein­rich­tun­gen gear­bei­tet hat, spielt in den Augen der Tali­ban kei­ne Rol­le. Die ver­ges­sen nichts. Sie wol­len sich rächen und sie wer­den sich rächen.

Das Inter­view führ­ten Eli­sa Rhein­hei­mer und The­re­se Lerchl

*Aus Schutz­grün­den wur­den alle Namen anonymisiert