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In Elendslagern wie hier auf Lesbos sitzen immer noch tausende Menschen ohne Perspektive fest. Foto: Alea Horst

Heute ist in Hannover der letzte Flieger mit Schutzsuchenden, die im Rahmen der humanitären Aufnahmeprogramme von Griechenland nach Deutschland evakuiert wurden, gelandet. Doch was ist mit allen anderen, die zurückbleiben im Elend der griechischen Lager?

»Wir haben Wort gehal­ten«, erklär­te Bun­des­in­nen­mi­nis­ter See­ho­fer anläss­lich der Lan­dung des letz­ten Flu­ges. Für die 103 Män­ner, Frau­en und Kin­der an Bord bedeu­tet ihre Ankunft in Deutsch­land die Chan­ce auf ein neu­es Leben. Aber noch immer sit­zen zehn­tau­sen­de Men­schen, dar­un­ter Fami­li­en, kran­ke Kin­der sowie Jugend­li­che, die auf sich allein gestellt sind, unter erbärm­li­chen Bedin­gun­gen in Lagern auf den grie­chi­schen Inseln und auf dem grie­chi­schen Fest­land fest.

Zum Ende der deut­schen Betei­li­gung an der Auf­nah­me­ak­ti­on von Flücht­lin­gen aus Grie­chen­land for­dert PRO ASYL des­halb ein neu­es, erwei­ter­tes Pro­gramm, das nicht nur aner­kann­te Flücht­lin­ge, son­dern alle Ange­kom­me­nen umfasst – vor allem die auf den grie­chi­schen Inseln im recht­li­chen Lim­bo Festsitzenden.

Gro­ße Tei­le der deut­schen Zivil­ge­sell­schaft, Kom­mu­nen und Bun­des­län­der sind bereit, mehr Schutz­su­chen­de auf­zu­neh­men. Deutsch­land hat Platz. Dass das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) dies nach wie vor ver­hin­dert und den begrü­ßens­wer­ten Ein­satz von Lan­des­re­gie­run­gen, Bürgermeister*innen und enga­gier­ten Men­schen aus der Zivil­ge­sell­schaft aus­bremst, ist unbegreiflich.

Die Aufnahme: Perspektive für wenige 

Es ist gut, dass die Bun­des­re­gie­rung ins­ge­samt etwa 2.760 Kin­dern mit Behand­lungs­be­darf und ihren engs­ten Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, unbe­glei­te­ten Jugend­li­chen sowie aner­kann­ten Flücht­lin­gen die Ein­rei­se nach Deutsch­land ermög­licht hat. Jede Ein­zel­ne die­ser Auf­nah­men ist wich­tig und rich­tig. Gemes­sen an der Situa­ti­on ist sie jedoch abso­lut nicht ausreichend.

Es ist kein Geheim­nis, welch kata­stro­pha­len Zustän­den hil­fe­su­chen­de, teils trau­ma­ti­sier­te Men­schen in den EU-Hot­spots auf den grie­chi­schen Inseln aus­ge­setzt sind. Moria ist zu einem Syn­onym für das häss­li­che Gesicht Euro­pas gewor­den, für den Schand­fleck einer rei­chen Uni­on, die lie­ber wegsieht.

Mit den Auf­nah­men ändert sich nichts an dem men­schen­un­wür­di­gen Sys­tem der Hot­spots an Euro­pas Außengrenzen.

Im März 2020, zum Zeit­punkt des Koali­ti­ons­be­schlus­ses zur Auf­nah­me, befan­den sich etwa 40.000 Schutz­su­chen­de auf den grie­chi­schen Inseln. Ihre Eva­ku­ie­rung wäre bereits damals drin­gend not­wen­dig und mög­lich gewe­sen – allein der poli­ti­sche Wil­le fehl­te. Statt­des­sen brüs­tet sich die Bun­des­re­gie­rung knapp ein Jahr spä­ter mit der Auf­nah­me weni­ger tau­send Menschen.

Mit den Auf­nah­men ändert sich nichts an dem men­schen­un­wür­di­gen Sys­tem der Hot­spots an Euro­pas Außen­gren­zen. Die Ver­elen­dung auf den Inseln ist ein­kal­ku­liert. Rechts­staat­li­che Ver­fah­ren gibt es hier nicht, statt­des­sen droht die Abschie­bung unter Anwen­dung des EU-Tür­kei Deals in die Türkei.

Solidarisch? EU-weit bleibt die Zahl der Zusagen gering

Deutsch­land hat die Auf­nah­men aus Grie­chen­land im Rah­men einer euro­päi­schen Koali­ti­on zuge­si­chert. Von ins­ge­samt 3.782 Auf­nah­men aus Grie­chen­land durch EU-Staa­ten steht Deutsch­land mit rund 2.750 erfüll­ten Auf­nah­me­zu­sa­gen allei­ne auf wei­ter Flur.

Die EU-Mit­glieds­staa­ten, die nach Deutsch­land die meis­ten Zusa­gen gemacht haben, sind Por­tu­gal mit 1.500 und Frank­reich mit 1.000 Zusa­gen. Bis­her haben sie jedoch ledig­lich 81 Per­so­nen (Por­tu­gal) bezie­hungs­wei­se 576 Men­schen (Frank­reich) auf­ge­nom­men. Laut einer Aus­kunft an das grie­chi­sche Par­la­ment vom März 2021 haben zum Zeit­punkt März ledig­lich die Schweiz, Luxem­burg und die Nie­der­lan­de die von ihnen ver­spro­che­nen Quo­ten erfüllt – ins­ge­samt haben die drei Staa­ten aber gera­de mal 140 Men­schen aufgenommen.

Die Hoffnung ist der Enttäuschung gewichen

Die Auf­nah­me­ak­ti­on selbst hat unter den Geflüch­te­ten auf den Inseln, aber auch auf dem grie­chi­schen Fest­land, zunächst für Hoff­nung gesorgt – und dann zu gro­ßen Ent­täu­schun­gen geführt. Denn das Ver­fah­ren war intrans­pa­rent, es ist nicht ersicht­lich, unter wel­chen Kri­te­ri­en wel­che Men­schen aus­ge­wählt wur­den, wie etwa ein Bericht des Inves­ti­ga­tiv-Maga­zins Report Mainz vom ver­gan­ge­nen Früh­ling deut­lich machte.

Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Ärz­te ohne Gren­zen kri­ti­sier­ten, akut gefähr­de­te Min­der­jäh­ri­ge sei­en zunächst nicht beach­tet wor­den, die Umset­zung sei chao­tisch gewe­sen, die Aus­wahl teils will­kür­lich. Bereits getä­tig­te Zusa­gen wur­den sogar in letz­ter Sekun­de zurück­ge­nom­men. Es ist nicht mög­lich, Kla­ge gegen die Ent­schei­dun­gen ein­zu­le­gen. Die Auf­nah­me­pro­gram­me sind ein rei­ner Gnadenakt.

Die Situation für Geflüchtete auf dem griechischen Festland nicht vergessen!

So wich­tig es ist, auch und gera­de in der Coro­na-Pan­de­mie an die Geflüch­te­ten auf den Inseln zu den­ken, so darf nicht ver­ges­sen wer­den, dass die Situa­ti­on auf dem grie­chi­schen Fest­land wenig bes­ser ist. Selbst aner­kann­te Flücht­lin­ge wer­den dort ihrem Schick­sal über­las­sen – ohne jeg­li­che Unter­stüt­zung von­sei­ten des Staa­tes lan­den vie­le in der Obdachlosigkeit.

Unmit­tel­bar nach der Aner­ken­nung des Asyl­an­trags wer­den Flücht­lin­ge in Grie­chen­land aus den Unter­künf­ten und Flücht­lings­la­gern geworfen

Unmit­tel­bar nach der Aner­ken­nung wer­den Flücht­lin­ge aus den Unter­künf­ten und Flücht­lings­la­gern gewor­fen, in denen sie wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens unter­ge­bracht waren. Der Zugang zu staat­li­chen Leis­tun­gen ist vor­aus­set­zungs­reich. Ein aktu­el­ler Bericht mit Fall­bei­spie­len, vor kur­zem von PRO ASYL und Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) ver­öf­fent­licht, macht das deutlich.

Lichtblick: Deutsche Gerichte untersagen Abschiebungen nach Griechenland

Mitt­ler­wei­le erken­nen dies auch immer mehr deut­sche Gerich­te an. Vor weni­gen Tagen hat der 10. Senat des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts Nie­der­sa­chen in Lüne­burg, unter expli­zi­ter Bezug­nah­me auf den Bericht von PRO ASYL/ RSA, ent­schie­den, dass Flücht­lin­ge, die in Grie­chen­land bereits inter­na­tio­na­len Schutz erhal­ten haben, auf­grund der kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen nicht dort­hin abge­scho­ben wer­den dürfen.

Die­ses Urteil steht in einer Rei­he von posi­ti­ven Gerichts­ent­schei­dun­gen, die die Ver­elen­dung und Gefähr­dung von Flücht­lin­gen in Grie­chen­land adres­sie­ren. Im Janu­ar war etwa das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len in zwei weg­wei­sen­den Urtei­len zu dem Schluss gekom­men, dass auch jun­ge, gesun­de und allein­ste­hen­de Män­ner, denen bis­her von vie­len Gerich­ten eine Rück­kehr noch zuge­mu­tet wor­den war, nicht zurück­ge­schickt wer­den dürfen.

(er)