Image
Stacheldraht, Zelte, Elend: Das neue Lager Moria auf Lesbos. Foto: Alea Horst

»No more Morias« hatte die Europäische Union als Resultat auf den Brand im Elendslager versprochen. Schon jetzt lässt sich sagen: Sie hat dieses Versprechen einmal mehr nicht gehalten – und menschenwürdige Alternativen zum Lager Moria 2 werden auf Lesbos sogar dicht gemacht.

In Per­son von EU-Kom­mis­sa­rin Ylva Johans­son wur­de im Sep­tem­ber ver­kün­det, in der Euro­päi­schen Uni­on sol­le es kei­ne Elend­sla­ger wie Moria mehr geben. Wohl­klin­gen­de Wor­te, die von der Rea­li­tät lei­der all­zu schnell über­holt wurden.

Über 7.000 Menschen in Moria 2

Die Berich­te aus dem rasch auf einem ehe­ma­li­gen Mili­tär­stütz­punkt in der Nähe von Kara Tepe auf Les­bos aus dem Boden gestampf­ten Lager Moria 2 klin­gen nicht bes­ser als die aus Moria: Die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung ist eben­so wie die Ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln man­gel­haft, bei Regen­fäl­len wer­den regel­mä­ßig vie­le der Zel­te auf dem schlam­mi­gen Boden über­schwemmt. Auf Beschwer­den reagiert die  Lager­lei­tung trot­zig: Die Geflüch­te­ten sol­len doch Grä­ben aus­he­ben.

Sani­tä­re Anla­gen sind Man­gel­wa­re, noch immer gibt es bei­spiels­wei­se kei­ne ver­nünf­ti­gen Duschen. »Manch­mal kön­nen wir tage­lang nicht duschen. Dann gehen wir ins Meer und baden dort, aber das Was­ser ist sehr kalt«, berich­tet Naser*, Fol­ter­op­fer aus Syrien.

»Moria war die Höl­le für uns, aber das hier, das ist schlim­mer als die Hölle.«

Fran­cis­co aus der DR Kon­go auf tagesschau.de

Abstands- und Hygie­ne­re­geln las­sen sich in dem Lager nicht befol­gen. Für jede Klei­nig­keit muss man in lan­gen War­te­schlan­gen anste­hen. Moria 2 zer­mürbt sei­ne Bewohner*innen ähn­lich wie Moria zuvor psy­chisch und phy­sisch. Nicht nur auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie resü­mie­ren Helfer*innen vor Ort: »Das Lager macht krank.«

Auf die über 7.000 Men­schen kommt ein har­ter Win­ter im Coro­na-Lock­down zu, denn in Grie­chen­land gilt seit kur­zem erneut eine strik­te Aus­gangs­sper­re. Feh­len wird den Geflüch­te­ten dabei auch die selbst­ge­schaf­fe­ne Infra­struk­tur, die es trotz allen Elends im alten Moria gab: Klei­ne Läden, behelfs­mä­ßi­ge Bäcke­rei­en, Fri­seure­inrich­tun­gen und vie­les mehr hat­ten die Geflüch­te­ten sich dort nach und nach erbaut. Im neu­en Lager ist ihnen sogar das Kochen unter­sagt, die Men­schen sind voll auf das weni­ge ange­wie­sen, was die Behör­den zur Ver­fü­gung stel­len. Denn zumin­dest eine Sache ist im neu­en Moria bes­ser orga­ni­siert: Das Lager wird pedan­tisch von einem gro­ßen Auf­ge­bot an Sicher­heits­kräf­ten über­wacht. Ein Sinn­bild für die Prio­ri­tä­ten der EU.

Die Lage auf den anderen Inseln: Unverändert schlimm

Moria war nie das ein­zi­ge Elend­sla­ger, weder an den EU-Außen­gren­zen, noch in Grie­chen­land selbst. Auch auf den Inseln Samos oder Chi­os gibt es ähn­li­che Über­be­le­gun­gen, die glei­chen Män­gel, die­sel­be Per­spek­tiv­lo­sig­keit. Im Lager Vat­hy auf Samos ist nach dem Erd­be­ben in der Ägä­is kürz­lich ein Brand aus­ge­bro­chen, das Camp Vial auf Chi­os war wegen Coro­na-Aus­brü­chen schon mehr­fach unter Qua­ran­tä­ne.

Allei­ne, weil dort offen­kun­dig nichts an den schlim­men Zustän­den geän­dert wird, lässt sich das »No more Mori­as« – Ver­spre­chen nicht für voll nehmen.

Allei­ne, weil dort offen­kun­dig nichts an den schlim­men Zustän­den geän­dert wird, lässt sich das »No more Mori­as« – Ver­spre­chen nicht für voll neh­men. Beson­ders bestür­zend ist aber, dass nun auch die weni­gen men­schen­wür­di­gen Alter­na­ti­ven zur Unter­brin­gung auf den grie­chi­schen Inseln zer­stört werden.

Leuchtturmprojekt PIKPA wird geräumt

Im Camp PIKPA auf Les­bos, das haupt­säch­lich durch ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment getra­gen wird, hat­ten seit 2012 mehr als 30.000 beson­ders vul­nerable Schutz­su­chen­de – wie Fami­li­en mit klei­nen Kin­dern, Opfer von Fol­ter und Men­schen mit Behin­de­rung – ein Zuhau­se auf Zeit gefun­den. Unser Refu­gee Sup­port Aege­an-Team in Grie­chen­land hat für die Bewohner*innen von PIKPA in zahl­rei­chen Fäl­len recht­li­che und psy­cho­lo­gi­sche Unter­stüt­zung geleistet.

Dank der Akti­on »Oster­licht Moria« des baye­ri­schen Kul­tus­mi­nis­ters a.D., Hans Mai­er, und sei­ner Fami­lie konn­ten in Zusam­men­ar­beit mit der Stif­tung PRO ASYL zuletzt auch eini­ge neue Con­tai­ner in PIKPA auf­ge­stellt sowie ein Wöch­ne­rin­nen-Pro­jekt begon­nen wer­den. Müt­ter mit Neu­ge­bo­re­nen wur­de damit erspart, ins Elend von Moria zurückzumüssen.

All das steht jetzt vor dem Aus, denn PIKPA wur­de Ende Okto­ber geräumt, die Geflüch­te­ten ins alte Lager Kara Tepe trans­fe­riert. Auch dort sind sie aber nicht dau­er­haft sicher, denn die­se Ein­rich­tung soll eben­falls zum Jah­res­en­de schlie­ßen. Die grie­chi­schen Behör­den han­deln nach der Devi­se: Kei­ne Gna­de für Camps, die Geflüch­te­ten men­schen­wür­di­ge Zuflucht und Unter­brin­gung bieten.

Vor EGMR anhängige Anträge werden ignoriert

Um jeden Preis wer­den Sym­bo­le der Mensch­lich­keit auf Les­bos geräumt, auf dem Rücken von Frau­en, Kin­dern, Fol­ter­op­fern und Trau­ma­ti­sier­ten. Die Bot­schaft, die davon aus­geht, ist deut­lich – und umso deut­li­cher wird sie durch die Tat­sa­che, dass bei der Räu­mung selbst der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) vor voll­ende­te Tat­sa­chen gestellt wurde.

Unse­re Anwält*innen hat­ten Anträ­ge auf vor­läu­fi­ge Maß­nah­men (»Rule 39«) für Mandant*innen aus PIKPA gestellt, die Frist für ihre Stel­lung­nah­me lief bis zum 2. Novem­ber. Für die grie­chi­sche Regie­rung kein Grund zum War­ten: Am 30. Okto­ber wur­de PIKPA geräumt. Der EGMR stell­te erst im Nach­hin­ein fest, dass die Unter­brin­gung der Schutz­su­chen­den im alten Lager Kara Tepe aus­rei­chend sei. Ein rechts­staat­lich sehr frag­wür­di­ges Vorgehen.

Ziel im Einklang mit der EU: Geschlossene Lager

Hin­ter all dem steckt das Ziel, umfas­send kon­trol­lier­te und zum Teil geschlos­se­ne Lager für Geflüch­te­te zu errich­ten, um ihre Bewe­gungs­frei­heit ein­zu­schrän­ken und sie somit auch im öffent­li­chen Stra­ßen­bild weit­ge­hend unsicht­bar zu machen.

Ähn­li­che Lager stellt die Euro­päi­sche Uni­on mit ihrem »New Pact on Migra­ti­on and Asyl­um« in Aus­sicht, in denen Schutz­su­chen­de auch unter Haft­be­din­gun­gen an den EU-Außen­gren­zen fest­ge­hal­ten wer­den können.

Lockdown erschwert auch Flüchtlingshilfe

Die stren­gen Coro­na-Aus­gangs­be­schrän­kun­gen spie­len der Regie­rung dabei in die Hän­de. Schon im Früh­jahr waren eini­ge der Flücht­lings­la­ger mona­te­lang unter Qua­ran­tä­ne. Beson­ders schwie­rig wird es aber, wenn nun die Asyl­ver­fah­ren wei­ter­lau­fen und Geflüch­te­te end­gül­tig kaum Mög­lich­kei­ten haben, unab­hän­gi­ge Rechts­be­ra­tung oder ande­re Hil­fe­stel­lun­gen zu erlangen.

Unse­re Anwält*innen ver­su­chen in die­ser Situa­ti­on, tele­fo­nisch mit ihren Mandant*innen in Kon­takt zu blei­ben, alle lau­fen­den Ver­fah­ren wer­den selbst­ver­ständ­lich wei­ter ver­folgt, aber ihre Arbeit fin­det unter mas­siv erschwer­ten Umstän­den statt.

Moria 2 wur­de als Not­fall­re­ak­ti­on errich­tet. Aber die Men­schen leben dort nun seit zwei Mona­ten im Schlamm – und das soll offen­bar zum Dau­er­zu­stand wer­den. Grie­chen­land und die EU müs­sen end­lich (men­schen­wür­dig) handeln!

(mk / dm)