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Wandgemälde in der eritreischen Hauptstadt Asmara. Der Militärdienst dort kann sogar willkürlich bis über zehn Jahre dauern - für Frauen und Männer gleichermaßen. Foto: Flickr / David Stanley / cc-by-2.0

Trotz der unverändert desolaten Menschenrechtslage in Eritrea erhalten immer weniger Eritreer*innen in Deutschland eine Flüchtlingsanerkennung. 2015 hat das BAMF noch 95,5% von ihnen als Flüchtlinge anerkannt; seitdem sank diese Quote massiv. Im vorliegenden Fall verharmlost das BAMF sogar vorgebrachte Fluchtgründe eines eritreischen Geflüchteten.

Die Men­schen­rechts­la­ge hat sich im wei­ter­hin tota­li­tär regier­ten Eri­trea seit dem Frie­dens­ver­trag mit Äthio­pi­en im Juli 2018 nicht ver­bes­sert. Laut Berich­ten, etwa von der UN-Son­der­be­auf­trag­ten zur Situa­ti­on der Men­schen­rech­te in Eri­trea, dem UN-Men­schen­rechts­ko­mi­tee und Human Rights Watch wer­den Men­schen wei­ter­hin will­kür­lich und ohne gericht­li­ches Ver­fah­ren auf unbe­stimm­te Zeit inhaf­tiert und gefol­tert. Der ver­pflich­ten­de Natio­nal­dienst ist wei­ter­hin unbe­fris­tet – auch wenn mit dem Grenz­kon­flikt auch der Grund für die Mili­ta­ri­sie­rung weg­ge­fal­len ist.

Trotz­dem bekom­men immer mehr Eritreer*innen nur noch den sub­si­diä­ren Schutz, ein Abschie­bungs­ver­bot oder sogar eine Ableh­nung. Eine Ent­schei­dung, die das eri­tre­ische Regime beson­ders ver­harm­lost, hat das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) im Fall von Ama­nu­el (Name geän­dert) getroffen.

Willkürlich inhaftiert

Ama­nu­el stammt aus einem klei­nen Ort in Eri­trea an der Gren­ze zu Äthio­pi­en. Er war erst 14 Jah­re alt, als er von Sol­da­ten inhaf­tiert wur­de, weil ihm vor­ge­wor­fen wur­de, das Land ille­gal ver­las­sen zu wol­len. Ohne Ankla­ge, Bewei­se oder Ver­ur­tei­lung wur­de er für zwei Mona­te ins Gefäng­nis gesteckt. In der Anhö­rung beim Bun­des­amt berich­tet Ama­nu­el genau von die­ser Zeit. Er beschreibt die Inhaf­tie­rung, die enge Zel­le, die er sich mit vie­len ande­ren Jugend­li­chen tei­len muss­te, den ein­tö­ni­gen Tages­ab­lauf. Alle paar Tage wur­de er zu sei­nem ver­meint­li­chen Flucht­ver­such befragt: »Ich habe aber gesagt, dass ich dies nicht vor­hat­te, des­we­gen wur­de ich gefol­tert und geschla­gen. Es wur­de von mir ver­langt, dass ich gestehe«.

Gefährliche Flucht

Erst zwei Mona­te nach der Inhaf­tie­rung wur­de er auf Kau­ti­on frei­ge­las­sen. Am Fuß hat­te er eine schwe­re Fol­ter­ver­let­zung, die ver­sorgt wer­den muss­te. Als die­se nach ein paar Wochen ver­heilt war, floh Ama­nu­el tat­säch­lich. Sein Flucht­weg dau­er­te vie­le Jah­re und führ­te ihn von Äthio­pi­en über Sudan und Liby­en nach Euro­pa. Erst drei Jah­re nach Beginn der gefähr­li­chen Flucht wird er in Deutsch­land im Asyl­ver­fah­ren zu sei­nen Flucht­grün­den befragt.

»Bei uns wird das „Otto“, die Acht, genannt. Dabei wer­den die Leu­te mit den Füßen nach oben und den Hän­den hin­ter dem Rücken gefes­selt. Das habe ich immer wie­der gesehen.«

Ama­nu­el aus Eritrea

BAMF lässt Folteropfer Hymne singen 

In der Anhö­rung jedoch wird mit dem Min­der­jäh­ri­gen nicht gera­de zim­per­lich umge­gan­gen: Obwohl der Anhö­rer ein Son­der­be­auf­trag­ter für unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge ist, fehlt die ent­spre­chen­de Sen­si­bi­li­tät. Zu Beginn muss Ama­nu­el die eri­tre­ische Natio­nal­hym­ne vor­sin­gen. Zur Erin­ne­rung: Es han­delt sich hier um einen Min­der­jäh­ri­gen, der von eri­tre­ischen Sol­da­ten selbst inhaf­tiert und miss­han­delt wur­de und auch gese­hen hat, wie Men­schen gefol­tert wur­den. Ama­nu­el erzählt: »Bei uns wird das „Otto“, die Acht, genannt. Dabei wer­den die Leu­te mit den Füßen nach oben und den Hän­den hin­ter dem Rücken gefes­selt. Das habe ich immer wie­der gesehen.«

»Offensichtlich unbegründet«?

Obwohl sein Bericht detail­liert ist und die Glaub­wür­dig­keit nicht infra­ge gestellt wird, lehnt das BAMF den Asyl­an­trag des Geflüch­te­ten kurz nach sei­nem 18. Geburts­tag als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« ab – eine der här­tes­ten For­men der Ableh­nung. Wenn Ama­nu­el nicht inner­halb einer Woche einen Eil­an­trag bei Gericht stellt und das Gericht die auf­schie­ben­de Wir­kung der Kla­ge expli­zit anord­net, droht ihm unmit­tel­bar die Abschiebung.

Das Bun­des­amt lehnt einen Asyl­an­trag als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« ab, wenn die ange­ge­be­nen Grün­de unglaub­haft sind, zum Bei­spiel wegen gro­ßer Wider­sprü­che, wenn es fest­stellt, dass über die Staats­an­ge­hö­rig­keit getäuscht wur­de oder es offen­sicht­lich erscheint, dass allein wirt­schaft­li­che Grün­de für die Ein­rei­se vorliegen.

Kei­ner die­ser Grün­de liegt im Fall von Ama­nu­el vor. Das BAMF wirft dem Betrof­fe­nen den lan­gen Flucht­weg über meh­re­re Staa­ten vor und zieht dies als Begrün­dung für die Ableh­nung her­an. Die­se Ver­mi­schung ist recht­lich jedoch nicht halt­bar: Zu prü­fen ist, ob Ama­nu­el in Eri­trea ver­folgt wur­de oder ihm dort Fol­ter oder unmensch­li­che Bestra­fung droht.

Dass ihm bei einer Rück­kehr nach Eri­trea eine will­kür­li­che Inhaf­tie­rung und Bestra­fung auf­grund der ille­ga­len Aus­rei­se und dem Ent­zug vom Mili­tär­dienst droht, sieht das BAMF nicht als aus­rei­chend für die Zuer­ken­nung eines Schutzes.

BAMF relativiert Fluchtgründe

Die vor­ge­brach­ten Flucht­grün­de wer­den vom BAMF ver­harm­lost: Dass Ama­nu­el in Eri­trea ver­haf­tet wur­de und ihm ein Flucht­ver­such unter­stellt wur­de, kom­men­tiert das Bun­des­amt mit der Bemer­kung »dass jedem sou­ve­rä­nen Rechts­staat (…) obliegt, kri­mi­nel­le oder staats­feind­li­che Hand­lun­gen zu ver­fol­gen«. Dabei ist abso­lut unzwei­fel­haft, dass es sich bei Eri­trea nicht um einen Recht­staat han­delt (sie­he hier die Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf Fra­ge 8).

Den­noch scheint das Bun­des­amt die Inhaf­tie­rung und Miss­hand­lung eines Min­der­jäh­ri­gen zu rela­ti­vie­ren, wenn for­mu­liert wird, dass sei­ne Erleb­nis­se nicht über das Maß des­sen hin­aus­gin­gen »was alle Bewoh­ner hin­zu­neh­men hat­ten«. Da sie laut Bescheid »nicht die nöti­ge per­sön­li­che Inten­si­tät in Art, Dau­er und Umfang« hat­ten, fol­gert das BAMF, dass Ama­nu­el unver­folgt aus­ge­reist ist. Dass ihm bei einer Rück­kehr nach Eri­trea eine will­kür­li­che Inhaf­tie­rung und Bestra­fung auf­grund der ille­ga­len Aus­rei­se und dem Ent­zug vom Mili­tär­dienst droht, sieht das BAMF nicht als aus­rei­chend für die Zuer­ken­nung eines Schutzes.

Zwangssteuer? Kein Problem! 

Zudem for­dert die eri­tre­ische Regie­rung von im Aus­land leben­den Eritreer*innen eine soge­nann­te Auf­bau­steu­er von 2% des Ein­kom­mens ein, bevor sie eine kon­su­la­ri­sche Leis­tung in Anspruch neh­men kön­nen. Es lie­gen vie­le Berich­te vor, dass die­se mit­hil­fe von Ein­schüch­te­run­gen und Bedro­hun­gen ein­ge­trie­ben wird (zum Bei­spiel hier oder hier). Den Druck des Will­kür­staats auf eri­tre­ische Geflüch­te­te wischt das BAMF bei­sei­te. Der Ent­schei­der schlägt sogar vor, dass Ama­nu­el eine deut­sche Rück­kehr­för­de­rung bean­tragt »und einen Teil des För­der­be­tra­ges für die Ent­rich­tung der Dia­spo­ra-Steu­er« nutzt.

PRO ASYL unter­stützt Ama­nu­el in sei­nem Gerichts­ver­fah­ren. Inzwi­schen gibt es einen ers­ten Erfolg.

Furcht und Ungewissheit 

Bei Ama­nu­el ist die Angst groß: »Ich habe das Land ver­ra­ten, es ille­gal ver­las­sen, bin in das Fein­des­land gegan­gen. Mich wür­de eine schlim­me Gefäng­nis­zeit erwar­ten«. Ange­sichts sei­ner Geschich­te und der nach wie vor repres­si­ven Men­schen­rechts­la­ge im Land scheint die­se Furcht nur all­zu berechtigt.

PRO ASYL unter­stützt Ama­nu­el in sei­nem Gerichts­ver­fah­ren. Inzwi­schen gibt es einen ers­ten Erfolg: Das Gericht hat die auf­schie­ben­de Wir­kung der Kla­ge ange­ord­net. Eri­tre­as Will­kür­re­gime darf nicht ver­harm­lost wer­den; Geflüch­te­te sind nach wie vor auf Schutz ange­wie­sen. Die sin­ken­de BAMF-Aner­ken­nungs­quo­te bei eri­tre­ischen Flücht­lin­gen ist durch nichts zu rechtfertigen.

(jb/akr)

Am Mon­tag, 9. Dezem­ber 2019 fin­det im Bun­des­tag ab 14 Uhr ein öffent­li­ches Fach­ge­spräch mit dem Titel »Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer auf der Flucht. Men­schen­rechts­la­ge in Eri­trea und Deutsch­land« statt. PRO ASYL the­ma­ti­siert dabei die Ent­wick­lun­gen in der BAMF-Ent­schei­dungs­pra­xis bezüg­lich eri­tre­ischer Geflüch­te­ter in Deutschland.