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Aus der Praxis: BAMF verharmlost Eritrea-Regime
Trotz der unverändert desolaten Menschenrechtslage in Eritrea erhalten immer weniger Eritreer*innen in Deutschland eine Flüchtlingsanerkennung. 2015 hat das BAMF noch 95,5% von ihnen als Flüchtlinge anerkannt; seitdem sank diese Quote massiv. Im vorliegenden Fall verharmlost das BAMF sogar vorgebrachte Fluchtgründe eines eritreischen Geflüchteten.
Die Menschenrechtslage hat sich im weiterhin totalitär regierten Eritrea seit dem Friedensvertrag mit Äthiopien im Juli 2018 nicht verbessert. Laut Berichten, etwa von der UN-Sonderbeauftragten zur Situation der Menschenrechte in Eritrea, dem UN-Menschenrechtskomitee und Human Rights Watch werden Menschen weiterhin willkürlich und ohne gerichtliches Verfahren auf unbestimmte Zeit inhaftiert und gefoltert. Der verpflichtende Nationaldienst ist weiterhin unbefristet – auch wenn mit dem Grenzkonflikt auch der Grund für die Militarisierung weggefallen ist.
Trotzdem bekommen immer mehr Eritreer*innen nur noch den subsidiären Schutz, ein Abschiebungsverbot oder sogar eine Ablehnung. Eine Entscheidung, die das eritreische Regime besonders verharmlost, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Fall von Amanuel (Name geändert) getroffen.
Willkürlich inhaftiert
Amanuel stammt aus einem kleinen Ort in Eritrea an der Grenze zu Äthiopien. Er war erst 14 Jahre alt, als er von Soldaten inhaftiert wurde, weil ihm vorgeworfen wurde, das Land illegal verlassen zu wollen. Ohne Anklage, Beweise oder Verurteilung wurde er für zwei Monate ins Gefängnis gesteckt. In der Anhörung beim Bundesamt berichtet Amanuel genau von dieser Zeit. Er beschreibt die Inhaftierung, die enge Zelle, die er sich mit vielen anderen Jugendlichen teilen musste, den eintönigen Tagesablauf. Alle paar Tage wurde er zu seinem vermeintlichen Fluchtversuch befragt: »Ich habe aber gesagt, dass ich dies nicht vorhatte, deswegen wurde ich gefoltert und geschlagen. Es wurde von mir verlangt, dass ich gestehe«.
Gefährliche Flucht
Erst zwei Monate nach der Inhaftierung wurde er auf Kaution freigelassen. Am Fuß hatte er eine schwere Folterverletzung, die versorgt werden musste. Als diese nach ein paar Wochen verheilt war, floh Amanuel tatsächlich. Sein Fluchtweg dauerte viele Jahre und führte ihn von Äthiopien über Sudan und Libyen nach Europa. Erst drei Jahre nach Beginn der gefährlichen Flucht wird er in Deutschland im Asylverfahren zu seinen Fluchtgründen befragt.
»Bei uns wird das „Otto“, die Acht, genannt. Dabei werden die Leute mit den Füßen nach oben und den Händen hinter dem Rücken gefesselt. Das habe ich immer wieder gesehen.«
BAMF lässt Folteropfer Hymne singen
In der Anhörung jedoch wird mit dem Minderjährigen nicht gerade zimperlich umgegangen: Obwohl der Anhörer ein Sonderbeauftragter für unbegleitete Minderjährige ist, fehlt die entsprechende Sensibilität. Zu Beginn muss Amanuel die eritreische Nationalhymne vorsingen. Zur Erinnerung: Es handelt sich hier um einen Minderjährigen, der von eritreischen Soldaten selbst inhaftiert und misshandelt wurde und auch gesehen hat, wie Menschen gefoltert wurden. Amanuel erzählt: »Bei uns wird das „Otto“, die Acht, genannt. Dabei werden die Leute mit den Füßen nach oben und den Händen hinter dem Rücken gefesselt. Das habe ich immer wieder gesehen.«
»Offensichtlich unbegründet«?
Obwohl sein Bericht detailliert ist und die Glaubwürdigkeit nicht infrage gestellt wird, lehnt das BAMF den Asylantrag des Geflüchteten kurz nach seinem 18. Geburtstag als »offensichtlich unbegründet« ab – eine der härtesten Formen der Ablehnung. Wenn Amanuel nicht innerhalb einer Woche einen Eilantrag bei Gericht stellt und das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage explizit anordnet, droht ihm unmittelbar die Abschiebung.
Das Bundesamt lehnt einen Asylantrag als »offensichtlich unbegründet« ab, wenn die angegebenen Gründe unglaubhaft sind, zum Beispiel wegen großer Widersprüche, wenn es feststellt, dass über die Staatsangehörigkeit getäuscht wurde oder es offensichtlich erscheint, dass allein wirtschaftliche Gründe für die Einreise vorliegen.
Keiner dieser Gründe liegt im Fall von Amanuel vor. Das BAMF wirft dem Betroffenen den langen Fluchtweg über mehrere Staaten vor und zieht dies als Begründung für die Ablehnung heran. Diese Vermischung ist rechtlich jedoch nicht haltbar: Zu prüfen ist, ob Amanuel in Eritrea verfolgt wurde oder ihm dort Folter oder unmenschliche Bestrafung droht.
Dass ihm bei einer Rückkehr nach Eritrea eine willkürliche Inhaftierung und Bestrafung aufgrund der illegalen Ausreise und dem Entzug vom Militärdienst droht, sieht das BAMF nicht als ausreichend für die Zuerkennung eines Schutzes.
BAMF relativiert Fluchtgründe
Die vorgebrachten Fluchtgründe werden vom BAMF verharmlost: Dass Amanuel in Eritrea verhaftet wurde und ihm ein Fluchtversuch unterstellt wurde, kommentiert das Bundesamt mit der Bemerkung »dass jedem souveränen Rechtsstaat (…) obliegt, kriminelle oder staatsfeindliche Handlungen zu verfolgen«. Dabei ist absolut unzweifelhaft, dass es sich bei Eritrea nicht um einen Rechtstaat handelt (siehe hier die Antwort der Bundesregierung auf Frage 8).
Dennoch scheint das Bundesamt die Inhaftierung und Misshandlung eines Minderjährigen zu relativieren, wenn formuliert wird, dass seine Erlebnisse nicht über das Maß dessen hinausgingen »was alle Bewohner hinzunehmen hatten«. Da sie laut Bescheid »nicht die nötige persönliche Intensität in Art, Dauer und Umfang« hatten, folgert das BAMF, dass Amanuel unverfolgt ausgereist ist. Dass ihm bei einer Rückkehr nach Eritrea eine willkürliche Inhaftierung und Bestrafung aufgrund der illegalen Ausreise und dem Entzug vom Militärdienst droht, sieht das BAMF nicht als ausreichend für die Zuerkennung eines Schutzes.
Zwangssteuer? Kein Problem!
Zudem fordert die eritreische Regierung von im Ausland lebenden Eritreer*innen eine sogenannte Aufbausteuer von 2% des Einkommens ein, bevor sie eine konsularische Leistung in Anspruch nehmen können. Es liegen viele Berichte vor, dass diese mithilfe von Einschüchterungen und Bedrohungen eingetrieben wird (zum Beispiel hier oder hier). Den Druck des Willkürstaats auf eritreische Geflüchtete wischt das BAMF beiseite. Der Entscheider schlägt sogar vor, dass Amanuel eine deutsche Rückkehrförderung beantragt »und einen Teil des Förderbetrages für die Entrichtung der Diaspora-Steuer« nutzt.
PRO ASYL unterstützt Amanuel in seinem Gerichtsverfahren. Inzwischen gibt es einen ersten Erfolg.
Furcht und Ungewissheit
Bei Amanuel ist die Angst groß: »Ich habe das Land verraten, es illegal verlassen, bin in das Feindesland gegangen. Mich würde eine schlimme Gefängniszeit erwarten«. Angesichts seiner Geschichte und der nach wie vor repressiven Menschenrechtslage im Land scheint diese Furcht nur allzu berechtigt.
PRO ASYL unterstützt Amanuel in seinem Gerichtsverfahren. Inzwischen gibt es einen ersten Erfolg: Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Eritreas Willkürregime darf nicht verharmlost werden; Geflüchtete sind nach wie vor auf Schutz angewiesen. Die sinkende BAMF-Anerkennungsquote bei eritreischen Flüchtlingen ist durch nichts zu rechtfertigen.
(jb/akr)
Am Montag, 9. Dezember 2019 findet im Bundestag ab 14 Uhr ein öffentliches Fachgespräch mit dem Titel »Kriegsdienstverweigerer auf der Flucht. Menschenrechtslage in Eritrea und Deutschland« statt. PRO ASYL thematisiert dabei die Entwicklungen in der BAMF-Entscheidungspraxis bezüglich eritreischer Geflüchteter in Deutschland.