16.05.2018
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Demonstration von Exil-Eritreer*innen in Frankfurt. Foto: Rudi Friedrich, Connection e.V.

Die Schutzquoten für eritreische Flüchtlinge sind zwar immer noch hoch, in einigen europäischen Ländern wird aber immer wieder behauptet, die menschenrechtliche Lage dort würde sich verbessern. Die Beiträge bei der europaweiten Eritrea-Konferenz im vergangenen Jahr widerlegen diese Mutmaßungen, sie wurden nun in einer Broschüre zusammengefasst.

Zu die­sem Anlass ver­öf­fent­li­chen wir hier leicht ver­än­dert den ers­ten Teil der Ein­lei­tung. Die voll­stän­di­ge Bro­schü­re kann hier her­un­ter­ge­la­den und bei Con­nec­tion e.V. bestellt werden. 

1993 wur­de Eri­trea, nach einem jahr­zehn­te­lan­gen Krieg gegen Äthio­pi­en, unab­hän­gig. Seit­dem herrscht dort die »Volks­front für Demo­kra­tie und Gerech­tig­keit« (PFDJ), die aus der frü­he­ren bewaff­ne­ten »Unab­hän­gig­keits­be­we­gung der Eri­tre­ischen Volks­be­frei­ungs­front« (EPLF) her­vor­ge­gan­gen ist.

Die Willkür hat System

Der Par­tei­vor­sit­zen­de Isay­as Afe­werki ist seit­her gleich­zei­tig Staats­prä­si­dent und Regie­rungs­chef. Die Ver­fas­sung, obwohl von der kon­sti­tu­ie­ren­den Natio­nal­ver­samm­lung kurz nach der Unab­hän­gig­keit beschlos­sen, trat zu kei­nem Zeit­punkt in Kraft. Prä­si­dent Afe­werki ord­ne­te statt­des­sen die Erstel­lung einer alter­na­ti­ven Ver­fas­sung an, die nie bekannt wurde.

»Eri­trea wird in will­kür­li­cher Art und Wei­se durch den Prä­si­den­ten & sei­ne engs­ten Ver­trau­ten regiert. Die Höhe der staat­li­chen Ein­nah­men, z.B. durch die Minen, sind nicht öffent­lich bekannt. Die größ­ten Tei­le der Wirt­schaft wer­den durch die Ein­heits­par­tei kontrolliert.«

Mar­tin Plaut, Exper­te zum Horn von Afrika

Der Prä­si­dent und sei­ne Regie­rung sind nicht gewählt. Es hat kein ein­zi­ges Mal eine Wahl statt­ge­fun­den. Es gab noch nicht ein­mal eine Ver­samm­lung der regie­ren­den Partei.

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Kar­te von Eritrea

Fortwährende Menschenrechtsverletzungen

Als Fol­ge des Krie­ges mit Äthio­pi­en (1998–2000) gilt das Land als hoch­gra­dig mili­ta­ri­siert. Will­kür und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen sind weit ver­brei­tet. Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen und die Ver­ein­ten Natio­nen kri­ti­sie­ren bei­spiels­wei­se will­kür­li­che Ver­haf­tun­gen und Tötun­gen, Fol­ter, poli­ti­sche Ver­fol­gung, grau­sa­me Haft­be­din­gun­gen, Zwangs­ar­beit sowie Ein­schrän­kun­gen der Bewegungs‑, Meinungs‑, Glau­bens- und  Religionsfreiheit.

»Es gibt kei­ne unab­hän­gi­ge Jus­tiz, kein Par­la­ment & kei­ne ande­ren demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen im Land. Das hat zu einer Herr­schaft ohne jede Rechts­grund­la­ge geführt. Resul­tat ist seit 25 Jah­ren ein Kli­ma der Straf­frei­heit bei Ver­bre­chen gegen die Menschlichkeit.«

Mike Smith, Vor­sit­zen­der der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on des UN-Menschenrechtsausschusses

Willkürlicher »Nationaldienst«

Seit dem Krieg mit Äthio­pi­en müs­sen außer­dem alle Män­ner und Frau­en zwi­schen dem 18. und dem 50. Lebens­jahr Mili­tär­dienst leis­ten, der eigent­lich auf 18 Mona­te begrenzt ist, aber regel­mä­ßig über Jah­re ver­län­gert wird. Die Kriegs­dienst­leis­ten­den wer­den häu­fig zu Arbei­ten in der Land­wirt­schaft oder Ver­wal­tung zwangs­ver­pflich­tet und sind Miss­hand­lun­gen ausgesetzt.

Die Situa­ti­on wird noch dadurch ver­schärft, dass der Natio­nal­dienst von einer völ­lig will­kür­lich aus­ge­führ­ten Kon­trol­le durch­drun­gen ist, wie Gaim Kib­re­ab, ein aus Eri­trea nach Lon­don emi­grier­ter Wis­sen­schaft­ler berichtete.

»Es gibt kei­ner­lei Rege­lun­gen, die wich­ti­ge Berei­che – wie den Jah­res­ur­laub, wel­che Art von Bestra­fung bei Fehl­ver­hal­ten vor­ge­se­hen ist oder die Bezie­hung zwi­schen Wehr­pflich­ti­gen und Vor­ge­setz­ten – defi­nie­ren würden.«

Gaim Kib­re­ab, emi­grier­ter Wissenschaftler

Damit haben die Befehls­ha­ber freie Hand und kön­nen alles tun, was sie wol­len, ein­schließ­lich unmensch­li­cher und ernied­ri­gen­der Bestra­fung, Aus­beu­tung der Arbeits­kraft der Wehr­pflich­ti­gen zum per­sön­li­chen Vor­teil und sexu­el­ler Gewalt gegen­über Rekrutinnen.

Exilsteuer zur Regimefinanzierung

Kon­su­la­te und Bot­schaf­ten ver­lan­gen stell­ver­tre­tend für die eri­tre­ische Regie­rung eine soge­nann­te Exil­steu­er. Bei Inan­spruch­nah­me  von kon­su­la­ri­schen Diens­ten wird die Zah­lung einer 2%-Steuer auf das gesam­te Ein­kom­men fäl­lig. Eine Stu­die im Auf­trag der nie­der­län­di­schen Regie­rung zeigt, dass die­se Steu­er will­kür­lich, ohne kla­re Zie­le und zwangs­wei­se ein­ge­zo­gen wird.

Die Gel­der der Migrant*innen wer­den so zyni­scher­wei­se zu einer wich­ti­gen Ein­nah­me­quel­le für das eri­tre­ische Regime, für deren Ein­trei­bung auch noch in Eri­trea befind­li­che Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge unter Druck gesetzt oder gar inhaf­tiert werden.

»Die eri­tre­ische Regie­rung kon­trol­liert die Gren­zen rigo­ros, auch durch einen Schieß­be­fehl gegen­über jeder Per­son, die ver­sucht, uner­laubt die Gren­zen zu über­tre­ten. Zur glei­chen Zeit gibt es zuneh­mend Bewei­se dafür, dass die glei­che Regie­rung vom Men­schen­han­del profitiert.«

Mar­tin Plaut
~5.000

Men­schen flie­hen jeden Monat aus Eritrea!

Jeden Monat sind Tausende auf der Flucht

Auch die UN-Son­der­be­richt­erstat­te­rin zur Situa­ti­on der Men­schen­rech­te in Eri­trea, Shei­la Keet­ha­ruth, nann­te will­kür­li­che Haft, Tod im Gewahr­sam, Ver­schwin­den­las­sen, Unter­drü­ckung der reli­giö­sen Frei­heit, ein skla­ve­rei­ähn­li­ches Sys­tem des Natio­nal­diens­tes und sexu­el­len Miss­brauch von Frau­en in die­sem als Grün­de für Flucht aus Eritrea.

Es wird davon aus­ge­gan­gen, dass monat­lich rund 5.000 Men­schen aus dem Land in die Nach­bar­staa­ten Äthio­pi­en, Sudan, Dschi­bu­ti oder auch den Jemen flüch­ten – bei nur rund 4,5 Mil­lio­nen Einwohner*innen. Eritreer*innen waren mit 21.253 Per­so­nen 2016 die fünft­größ­te Grup­pe von Geflüch­te­ten, die Euro­pa über  das Mit­tel­meer erreich­ten – und dabei die die ein­zi­ge aus den Top 5, in deren Hei­mat­land es kei­nen aktu­el­len bewaff­ne­ten Kon­flikt gab.

Die meis­ten der eri­tre­ischen Flücht­lin­ge ver­blei­ben zwar in den Nach­bar­staa­ten, vie­le suchen unter Lebens­ge­fahr aber auch den Weg nach Euro­pa. Eini­ge euro­päi­sche Län­der, dar­un­ter die Schweiz, Deutsch­land und Däne­mark, ver­su­chen daher die kata­stro­pha­le Men­schen­rechts­la­ge und die Ver­fol­gungs­ge­fahr für Flücht­lin­ge herunterzuspielen.

In Deutsch­land erhal­ten Eritreer*innen immer sel­te­ner den vol­len Flücht­lings­schutz. Die­se Ent­wick­lung ist mit der unver­än­der­ten Situa­ti­on in der Mili­tär­dik­ta­tur nicht zu rechtfertigen. 

In Deutsch­land hat das bereits dazu geführt, dass Eritreer*innen immer sel­te­ner den vol­len Flücht­lings­sta­tus erhal­ten. Wäh­rend noch Anfang 2016 fast jede*r als Flücht­ling nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) aner­kannt wur­de, sank die Zahl im Jahr 2017 auf nur noch 54 Pro­zent, gleich­zei­tig stieg zwar die Zahl der­je­ni­gen, denen sub­si­diä­rer Schutz gewährt oder bei denen ein Abschie­be­ver­bot fest­ge­stellt wur­de, aber auch die der Ableh­nun­gen. Die­se Ent­wick­lung ist mit der unver­än­der­ten Situa­ti­on in der Mili­tär­dik­ta­tur nicht zu rechtfertigen.

Rudi Fried­rich, Con­nec­tion e.V.