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Viele Flüchtlinge erhalten von ihren Herkunftsländern keine Ausweispapiere oder verlieren diese auf der gefährlichen Flucht. In Deutschland will man nun ihre Verfahrensrechte aushöhlen und sie im Schnellverfahren abhandeln. Foto: Giorgos Moutafis

Der nun öffentlich gewordene Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium sieht massive Verschärfungen vor: Aushebelung des Rechtsstaats durch beschleunigte Asylverfahren, völliger Ausschluss vom Asylverfahren wegen Residenzpflichtverstoßes, Familientrennungen

Die Bun­des­re­gie­rung plant einen Fron­tal­an­griff auf das indi­vi­du­el­le Asyl­recht. Der­zeit wird inner­halb der Gro­ßen Koali­ti­on ein Gesetz­ent­wurf ver­han­delt, der bis Weih­nach­ten im Schnell­ver­fah­ren ver­ab­schie­det wer­den soll. Damit soll der Beschluss der Par­tei­vor­sit­zen­den von CDU, CSU und SPD vom 5. Novem­ber 2015 umge­setzt wer­den. Der Refe­ren­ten­ent­wurf, der heu­te bekannt gewor­den ist, ent­hält mas­si­ve Ver­schär­fun­gen des Asyl­rechts, die über die am 5. Novem­ber ver­ab­re­de­ten Punk­te weit hinausgehen.

Beschleu­nig­te Asyl­ver­fah­ren (§ 30a AsylG-Entwurf)

Der Refe­ren­ten­ent­wurf ent­hält eine lan­ge Lis­te von Anwen­dungs­fäl­len, die die Durch­füh­rung eines beschleu­nig­ten Asyl­ver­fah­rens vor­se­hen. „Beschleu­nig­te Ver­fah­ren“ hei­ßen im Klar­text: Asyl­ver­fah­ren unter Aus­höh­lung der Ver­fah­rens­rech­te der Asyl­su­chen­den. PRO ASYL sieht das Vor­ha­ben als Fron­tal­an­griff auf das indi­vi­du­el­le Asyl­recht an.

Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) ent­schei­det in die­sen Fäl­len in einer Woche. Der abge­lehn­te Asyl­be­wer­ber muss inner­halb von einer Woche gegen sei­ne Abschie­bung kla­gen und einen Eil­an­trag stel­len. Das Ver­wal­tungs­ge­richt darf ihn nicht münd­lich anhö­ren, son­dern soll eben­falls – auf­grund der Akten­la­ge – inner­halb von einer Woche ent­schei­den. Der Amts­er­mitt­lungs­grund­satz wird aus­ge­he­belt – der Rich­ter darf nur berück­sich­ti­gen, was der Betrof­fe­ne vor­ge­tra­gen hat.

Die­ses Son­der­ver­fah­ren (§ 36 AsylG) soll nun in einer gan­zen Rei­he von Anwen­dungs­fäl­len durch­ge­führt wer­den – bei­spiels­wei­se, wenn der Asylsuchende

-          nur Umstän­de vor­ge­bracht hat, die für den Asyl­an­trag nicht von Belang sind,

-          er aus einem siche­ren Her­kunfts­staat kommt,

-          sei­ne Rei­se­do­ku­men­te besei­tigt hat – oder dies auch nur ver­mu­tet wird,

-          unrecht­mä­ßig ein­ge­reist ist und es ver­säumt hat, sich frü­hest­mög­lich bei den Behör­den zu melden.
(§ 30a AsylG-Entwurf)

Den Umstand, dass Asyl­su­chen­de ohne Rei­se­do­ku­men­te hier ankom­men, als Aus­schluss­grund vom regu­lä­ren Asyl­ver­fah­ren zu wer­ten, ist völ­lig unver­ant­wort­lich. Denn der über­wie­gen­de Teil der Asyl­su­chen­de ist gezwun­gen, ohne Päs­se nach Deutsch­land zu kom­men, weil sie von den Staa­ten, die sie ver­folgt haben, gar kei­ne Doku­men­te erhal­ten kön­nen. Die geplan­te Rege­lung ermög­licht es, das „beschleu­nig­te Asyl­ver­fah­ren“ zum Stan­dard­ver­fah­ren zu machen.

Eini­ge der geplan­ten Rege­lun­gen eröff­nen der Will­kür Tür und Tor, weil sie in den For­mu­lie­run­gen völ­lig unbe­stimmt sind. Wenn ein Asyl­su­chen­der bei­spiels­wei­se „Umstän­de vor­ge­bracht hat, die für den Asyl­an­trag nicht von Belang sind“, heißt das nicht, dass ihm kei­ne Ver­fol­gung droht. Es ist nicht sel­ten, dass Asyl­su­chen­den kei­ne Infor­ma­tio­nen über das deut­sche Asyl­recht haben oder falsch infor­miert wor­den sind. Es gibt immer wie­der Fäl­le, in denen Asyl­su­chen­de sagen, sie sei­en gekom­men, um zu arbei­ten, obwohl sie vor Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen geflo­hen sind. Es ist Auf­ga­be der  Behör­den und  Gerich­te, das Ver­trau­en der Flücht­lin­ge zu gewin­nen und auf­zu­klä­ren, ob eine Ver­fol­gung droht.

Nicht­be­trei­ben des Ver­fah­rens (§ 33 AsylG-Entwurf)

Einen völ­li­gen Aus­schluss vom Asyl­ver­fah­ren sieht der Gesetz­ent­wurf vor, wenn dem Asyl­su­chen­den unter­stellt wer­den kann, er wür­de sein Asyl­ver­fah­ren nicht betrei­ben. Dann „gilt“ der Asyl­an­trag als zurück­ge­nom­men. Dies wird schon dann ange­nom­men, wenn der Asyl­su­chen­de gegen die Resi­denz­pflicht – also das Ver­bot, den ihm zuge­wie­se­nen Wohn­ort zu ver­las­sen – ver­sto­ßen hat. Dies ist völ­lig unver­hält­nis­mä­ßig. Denn die Kon­se­quenz die­ser Rege­lung ist, dass  fol­gen­der Bei­spiels­fall mög­lich ist: Wegen eines Besuchs von Freun­den in einem ande­ren Ort kommt es zum Aus­schluss vom Asyl­ver­fah­ren. Dem Betrof­fe­nen droht die Abschie­bung ins Her­kunfts­land, wo ihm womög­lich Fol­ter und ande­re schwe­ren Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen drohen.

Die geplan­te Rege­lung ver­stößt nicht nur gegen den Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz, son­dern ist auch mit der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, die vor Abschie­bung in den Fol­ter­staat abso­lut schützt, und der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on nicht vereinbar.

Dau­er­haf­te Ver­schär­fung des Fami­li­en­nach­zugs (§ 29 AufenthG-Entwurf)

Der Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Geschütz­ten soll ver­schärft wer­den. Anders als im Beschluss der Par­tei­vor­sit­zen­den vom 5. Novem­ber ist jedoch kei­ne nur vor­über­ge­hen­de Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs „zur Bewäl­ti­gung der aktu­el­len Situa­ti­on“, son­dern eine dau­er­haf­te Ver­schär­fung vorgesehen.

Es wird eine gene­rel­le War­te­frist von zwei Jah­ren ein­ge­führt, bevor ein Fami­li­en­nach­zug statt­fin­den kann. Dies wird de fac­to zu einer Fami­li­en­tren­nung von vier bis fünf Jah­ren füh­ren. Denn schon ohne die neue War­te­frist sind Fami­li­en auf­grund der Flucht oft­mals lan­ge getrennt. Die Dau­er des Asyl­ver­fah­rens in Deutsch­land beträgt z.B. für Afgha­nen oft­mals mehr als 12 Mona­te. Erst nach posi­ti­vem Asyl­be­scheid kann ein Antrag auf Fami­li­en­nach­zug gestellt wer­den. Das dann fol­gen­de Bot­schafts­ver­fah­ren dau­ert eben­falls rund ein Jahr.

Kommt es zu der nun geplan­ten War­te­frist von zwei Jah­ren wer­den Fami­li­en de fac­to auf Jah­re getrennt. Dies ist mit dem Grund­recht auf Schutz der Fami­lie (Art. 6 GG) nicht zu vereinbaren.

Das EU-Recht betont, wie wich­tig der Fami­li­en­nach­zug für die Inte­gra­ti­on ist: „Die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung ist eine not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung dafür, dass ein Fami­li­en­le­ben mög­lich ist. Sie trägt zur Schaf­fung sozio­kul­tu­rel­ler Sta­bi­li­tät bei, die die Inte­gra­ti­on Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ger in dem Mit­glied­staat erleich­tert; dadurch wird auch der wirt­schaft­li­che und sozia­le Zusam­men­halt geför­dert, der als grund­le­gen­des Ziel der Gemein­schaft im Ver­trag auf­ge­führt wird.“ (Erwä­gungs­grund 4 der Familienzusammenführungsrichtlinie)

Eine wei­te­re Ver­schär­fung wird eben­falls ver­mehrt zur Tren­nung von Fami­li­en füh­ren. Die erst am 1. August 2015 ein­ge­führ­te Gleich­stel­lung beim Fami­li­en­nach­zug von sub­si­di­är Geschütz­ten mit aner­kann­ten Flücht­lin­gen soll wie­der rück­gän­gig gemacht wer­den. Das heißt, dass künf­tig kein Fami­li­en­nach­zug erlaubt wer­den kann, wenn der Betrof­fe­ne eine zu klei­ne Woh­nung hat und noch nicht so viel Geld ver­dient, dass dies für die nach­zie­hen­den Fami­li­en sofort aus­rei­chen würde.

Die­se stren­gen Anfor­de­run­gen sind für Men­schen, die vor Bom­ben und krie­ge­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen geflo­hen sind, völ­lig inakzeptabel.

Der ver­wei­ger­te Fami­li­en­nach­zug führt dazu, dass die Ange­hö­ri­gen ent­we­der aku­ten Gefah­ren im Her­kunfts­land aus­ge­setzt sind oder gezwun­gen sind, gefähr­li­che Flucht­we­ge übers Mit­tel­meer zu wählen.

Abschie­bun­gen trotz lebens­be­droh­li­cher Erkran­kun­gen (§ 60 Abs. 7 AufenthG-Entwurf)

Laut dem Gesetz­ent­wurf sol­len künf­tig aus­drück­lich auch Abschie­bun­gen von lebens­be­droh­lich erkrank­ten Per­so­nen mög­lich sein. Dies ist eine  Ver­schär­fung, die kei­ne Ent­spre­chung in dem Papier der Par­tei­vor­sit­zen­den vom 5. Novem­ber hat. Per Gesetz soll die Ver­mu­tung auf­ge­stellt wer­den, dass auch in Gha­na und Nige­ria eine aus­rei­chen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung gewähr­leis­tet ist (sie­he S. 9 des Gesetz­ent­wurfs). Den Behör­den und Gerich­ten soll es künf­tig per Gesetz unter­sagt wer­den, einen lebens­be­droh­lich Erkrank­ten vor Abschie­bung  nach Gha­na oder Nige­ria zu schütz­ten. Die­se Rege­lung  setzt zum Bei­spiel an HIV oder Aids erkrank­te Men­schen der Gefahr aus, einen schnel­len Tod zu erlei­den. Denn in Län­dern wie Nige­ria ist die Ver­sor­gung mit den lebens­er­hal­te­nen Medi­ka­men­te für die Mehr­heit der HIV-Infi­zier­ten nicht zugäng­lich – erst recht nicht, wenn es sich um homo­se­xu­el­le Men­schen han­delt. Ob ein Abschie­bungs­schutz wegen feh­len­der Gesund­heits­ver­sor­gung besteht, muss im Ein­zel­fall geprüft wer­den. Die nun geplan­te gesetz­li­che Unbe­denk­lich­keits­be­schei­ni­gung ist mit den Men­schen­rech­ten nicht vereinbar.

Lis­te der Abschie­bungs­ärz­te (§ 60a Abs. 2d AufenthG-Entwurf)

Der Gesetz­ent­wurf sieht vor, dass künf­tig nur noch spe­zi­el­le vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um ernann­te Abschie­be­ärz­te die medi­zi­ni­sche Begut­ach­tung vor der Abschie­bung durch­füh­ren dür­fen. Lei­det ein abge­lehn­ter Asyl­be­wer­ber z.B. an einer Post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung und wür­de die Abschie­bung zu einer aku­ten Ver­schlech­te­rung sei­nes Gesund­heits­zu­stan­des füh­ren, so darf er nicht abge­scho­ben wer­den. Dies hat gute Grün­de: Wird etwa eine schwe­re psy­chi­sche Erkran­kung nicht erkannt, kann die unmit­tel­bar bevor­ste­hen­de Abschie­bung zum Sui­zid füh­ren. Bei­spiels­wei­se hat sich am 27. Juni 2007 der 30jährige kur­di­sche Abschie­bungs­häft­ling Mus­ta­fa Alca­li in der Frank­fur­ter Abschie­bungs­haft erhängt, nach­dem der dama­li­ge von den Behör­den bestell­te Arzt eine Fehl­dia­gno­se gestellt hat­te. Ein Straf­ver­fah­ren wegen fahr­läs­si­ger Tötung folgte.

Nach dem Gesetz­ent­wurf sol­len künf­tig nur noch vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um bestell­te Ärz­te die Berech­ti­gung haben, über Fra­gen der „Rei­se­fä­hig­keit“ zu ent­schei­den. Schon heu­te gibt es Ärz­te, die aus­schließ­lich im Inter­es­se der Aus­län­der­be­hör­den agie­ren und nichts ande­res machen, als auf­trags­ge­mäß die Unbe­denk­lich­keit beschei­ni­gen. Man­che Ärz­te beglei­ten Abschie­bun­gen und bekom­men hier­für ein ein­träg­li­ches Tageshonorar.

Mit der nun vor­ge­se­he­nen Rege­lung wer­den lang­jäh­ri­ge Dis­kus­si­ons­pro­zes­se zwi­schen Behör­den, Innen­mi­nis­te­ri­en und der Bun­des­ärz­te­kam­mer schlicht igno­riert. Schon Anfang der 2000er Jah­re hat­ten die Innen­mi­nis­ter zunächst ver­sucht, Ärz­te­pools mit poten­zi­el­len (behördenaffinen)Gutachtern, kei­nes­wegs Fach­leu­te für die jewei­li­gen Krank­heits­bil­der, bei den Behör­den anzu­sie­deln und mit will­fäh­ri­gen Ärz­ten bis hin zur Abschie­bungs­be­glei­tung expe­ri­men­tiert. Ein mit der Bun­des­ärz­te­kam­mer dis­ku­tier­ter „Infor­ma­ti­ons- und Kri­te­ri­en­ka­ta­log“, der eine ganz­heit­li­che, medi­zin­ethi­sche Betrach­tungs­wei­se eben­so vor­sah wie den Ein­satz von Sach­ver­stän­di­gen, die nach einem Cur­ri­cu­lum der Bun­des­ärz­te­kam­mer qua­li­fi­ziert sind, fand in der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz kei­ne Mehr­heit. Jetzt soll offen­bar im Kon­flikt mit der Posi­ti­on der Bun­des­ärz­te­kam­mer und Beschlüs­sen der Ärz­te­ta­ge ver­sucht wer­den, Medi­zi­ner ein­zu­set­zen, die sich auf eine aus­län­der­recht­lich ver­kürz­te Sicht der Din­ge ein­las­sen. Nach dem frü­her oft erleb­ten Maß­stab: Wer ggf. in ärzt­li­cher Beglei­tung den Flug über­lebt, der ist im Prin­zip gesund(gewesen).  Auf berufs- und stan­des­recht­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen wird man sich ein­zu­stel­len haben. Die exklu­si­ve Beauf­tra­gung von will­fäh­ri­gen Abschie­bungs­ärz­ten gefähr­det die Betrof­fe­nen in ihrer kör­per­li­chen und psy­chi­schen Integrität.

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