07.12.2015
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Die Lage in Afghanistan wird immer unsicherer, davor warnt auch die Bundeswehr. Trotzdem haben die Innenminister beschlossen, dorthin stärker abzuschieben. Foto: Flickr / Wir.Dienen.Deutschland

In einem Ausblick auf 2016 befürchten Experten der Bundeswehr eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan. Die zeitweise Eroberung einiger Regionen des Landes durch die Taliban wird erwartet, so das interne Papier. Die Innenminister halten trotzdem weiter am Plan fest, vermehrt in das Land abzuschieben.

Medi­en­be­rich­ten zufol­ge zeich­net das Papier mit dem Titel „Aus­blick Sicher­heits­la­ge 2016“ ein düs­te­res Bild für die Situa­ti­on in Afgha­ni­stan. Es wird eine Offen­si­ve der radi­kal­is­la­mi­schen Tali­ban im nächs­ten Jahr erwar­tet – in eini­gen Regio­nen könn­te die afgha­ni­sche Armee dadurch die Kon­trol­le zeit­wei­se ver­lie­ren. Sogar ein Zusam­men­bruch der afgha­ni­schen Sicher­heits­kräf­te wird in dem Aus­blick befürchtet.

Die Sicher­heits­la­ge ist unkalkulierbar

Von Janu­ar bis Okto­ber 2015 haben ins­ge­samt 20.434 afgha­ni­sche Flücht­lin­ge Asyl in Deutsch­land bean­tragt. Ein Resul­tat der bereits jetzt kri­ti­schen Sicher­heits­la­ge – schließ­lich haben die Tali­ban bereits 2015 ihr Ein­fluss­ge­biet ver­grö­ßert und bei­spiels­wei­se kurz­zei­tig die Pro­vinz­haupt­stadt Kun­dus unter ihre Kon­trol­le gebracht. Laut den Ver­ein­ten Natio­nen sind in Afgha­ni­stan allein im ers­ten Halb­jahr 2015 1592 Zivi­lis­ten getö­tet und 3329 ver­letzt wor­den. Im Schnitt ster­ben dort neun Zivi­lis­ten pro Tag.

Von Frie­den und Sicher­heit ist Afgha­ni­stan weit ent­fernt, die Situa­ti­on am Hin­du­kusch ist dra­ma­tisch wie lan­ge nicht mehr: Das Risi­ko für die Bewoh­ne­rIn­nen, Opfer einer Ent­füh­rung, eines Atten­tats oder einer Gewalt­tat zu wer­den, ist im gan­zen Land wei­ter gestie­gen – das bestä­tigt auch das Aus­wär­ti­ge Amt in sei­nem jüngs­ten Lage­be­richt. Ein wei­te­res Resul­tat der anhal­ten­den Kämp­fe ist die Ver­schlech­te­rung der Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on.

Bun­des­re­gie­rung ver­schließt die Augen vor der Realität

Wegen Rück­schlä­gen bei der Sicher­heits­si­tua­ti­on wur­de bereits vor eini­gen Wochen beschlos­sen, das Bun­des­wehr-Man­dat in Afgha­ni­stan zu ver­län­gern und sogar per­so­nell noch aus­zu­bau­en. Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rin von der Ley­en räumt unter­des­sen Feh­ler bei der Stra­te­gie in Afgha­ni­stan ein – stellt aber vor allem For­de­run­gen an die Afgha­nen, die ihre „Haus­auf­ga­ben machen“ müssten.

Auch Tho­mas de Mai­ziè­re schlug bereits im Okto­ber in die glei­che Ker­be: Afgha­ni­stan habe viel Ent­wick­lungs­hil­fe bekom­men, da kön­ne man erwar­ten, „dass die Men­schen dort blei­ben“, sag­te der Bun­des­in­nen­mi­nis­ter gegen­über der Tages­schau. Trotz der unsi­che­ren Lage im Land plant er näm­lich, ver­stärkt nach Afgha­ni­stan abzu­schie­ben – in ver­meint­lich siche­re Regio­nen. Die­se unver­ant­wort­li­che Poli­tik wur­de von der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz am ver­gan­ge­nen Frei­tag bestätigt.

Afgha­ni­stan: Kei­ne siche­ren Regio­nen, kei­ne inlän­di­schen Fluchtalternativen

Wenn die Minis­ter ihre Plä­ne wie geplant umset­zen, droht Afgha­nIn­nen also die Zwangs­rück­kehr in ein von Krieg und Gewalt gebeu­tel­tes Land, statt Schutz in Deutsch­land zu erhal­ten. In einem aus­führ­li­chen Papier zur aktu­el­len Lage in Afgha­ni­stan kommt PRO ASYL zum Ergeb­nis, dass die „siche­ren Regio­nen“ und „inlän­di­schen Flucht­al­ter­na­ti­ven“, die die Bun­des­re­gie­rung ins Feld führt, um Ableh­nun­gen und Abschie­bun­gen von afgha­ni­schen Flücht­lin­gen zu recht­fer­ti­gen, nicht exis­tie­ren. Auch die Aner­ken­nungs­quo­te für Flücht­lin­ge aus Afgha­ni­stan (berei­nig­te Schutz­quo­te im drit­ten Quar­tal 2015: über 86 Pro­zent) zeigt die Schutz­be­dürf­tig­keit der aus dem Land Flie­hen­den deutlich.

Über vie­le Jah­re hin­weg wur­de in Deutsch­land auf Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan ver­zich­tet – trotz bes­se­rer Sicher­heits­la­ge als heu­te. PRO ASYL for­dert von den poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen die Rück­kehr zu einer Poli­tik der Nicht-Abschie­bung und fai­re Asyl­ver­fah­ren unter Berück­sich­ti­gung der neu­es­ten poli­ti­schen Entwicklungen.

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