News
Abschiebungen nach Italien: Deutschland schickt Familien in eine unsichere Zukunft
Seit Juni sind Familien mit Kindern wieder von Dublin-Überstellungen aus Deutschland nach Italien betroffen. Bislang wurde darauf wegen der offenkundigen Defizite im italienischen Asylsystem verzichtet. Nun verlässt man sich offenbar auf bloße Zusagen Italiens zur Aufnahme. Aber wie ist die Realität?
Ab Ende 2014 wurden Familien nicht mehr nach Italien zurückgeschickt, auch wenn sie dort ihren Asylantrag gestellt hatten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat aber erklärt, solche Verfahren seit dem 01. Juni 2017 wieder durchzuführen – mit Ausnahme von Familien mit Kleinstkindern. Die Aufnahmekapazität für Familien mit Kindern sei mittlerweile erhöht worden, außerdem habe Italien »Garantien« für die Aufnahme und Unterbringung abgegeben, heißt es als Begründung.
Die Situation vor Ort zeigt jedoch, dass Aufnahmekapazitäten und Betreuung in Italien ungenügend sind – nicht nur für Familien, sondern auch für alle anderen Schutzsuchenden. Auch verschiedene Verwaltungsgerichte sehen das so, wie z.B. das VG Oldenburg, das kürzlich die Abschiebung eines Mannes aus der Elfenbeinküste verhinderte. In Italien drohe er »bei einem Leben völlig am Rande der Gesellschaft obdachlos zu werden und zu verelenden«. Betroffene sollten sich also notfalls an die Gerichte wenden, zum Teil werden Abschiebungen dann noch gestoppt. Einige Meldungen zur Lage in Italien:
Desolater Zustand von Hotspots und Haftzentren
Das Komitee des Ombudsmann für die Rechte der Inhaftierten und der Freiheitsberaubten hat die Abschiebungshaftzentren und die Hotspots in Italien besucht und seinen ersten Bericht dazu veröffentlicht. Dieser enthält eine lange Liste von Mängeln, die den Aufenthalt der in Italien Angekommenen kennzeichnen.
Dreck, Kälte und das Fehlen von Aufenthaltsräumen, die gemischte Unterbringung und die Vorenthaltung der eigenen Rechte – das ist das Bild, das der Bericht über die Lage in den Inhaftierungs- und Abschiebezentren und den Hotspots zeichnet. Die meisten Erstaufnahmezentren für Geflüchtete befinden sich in einem desolaten Zustand. Insgesamt wurden in der Zeit von Januar 2016 bis April 2017 neun Einrichtungen besucht.
Minderjährige Flüchtlinge in Italien
Von Dezember 2016 bis Mai 2017 haben UNICEF und die Initiative REACH 850 Minderjährige zwischen 15 und 17 Jahren in den Hauptankunftshäfen Europas – Griechenland und Italien – befragt. In Italien sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 12.239 minderjährige Geflüchtete angekommen. Der Großteil ist männlich, unbegleitet, zwischen 16 und 17 Jahren und aus verschiedenen Ländern Westafrikas und am Horn von Afrika.
Rund 75 Prozent der Befragten in Italien haben nach eigenen Angaben selbst entschieden alleine zu fliehen. Sie kommen aus Ländern, die durch Konflikte und extreme Armut geprägt sind, ohne Zugang zu Grundrechten und ohne Zukunftsaussichten. Viele berichten von politischer, religiöser und ethnischer Verfolgung in ihren Heimatländern. Im Durchschnitt dauerte die Flucht vom Heimatland bis zur Ankunft in Italien ein Jahr und zwei Monate, oft geprägt durch schwere physische Arbeit und Ausbeutung in den Haupttransferpunkten Niger, Algerien und Libyen.
Ausbeutung und Nicht-Versorgung
Die Unterbringungen für minderjährige Flüchtlinge verfügen meist nicht über das richtige Personal, sind weit abgelegen und öffnen Tür und Tor für eine Ausbeutung der jungen Menschen. Über die Situation der unbegleiteten Minderjährigen berichtet Borderline Sicilia:
»Die Minderjährigen werden an einem Ort »aufgenommen«, an dem man die schlechten Zustände, unter denen sie leben, und ihre Abschottung ausnutzt, um sie leichter ausbeuten zu können. In der Region Trapani finden sich bereits im Morgengrauen Schlangen von Kindern ein, die bereit sind, sich ein wenig Geld auf dem Land zu verdienen.« Für über zehn Stunden Arbeit erhalten sie dort am Ende des Tages oft nicht mehr als 15 Euro. Auch viele erwachsene Flüchtlinge werden, beispielsweise in der Tomatenernte, ausgebeutet. Mafiöse Strukturen nutzen ihre Rechtlosigkeit dabei aus.
Das Zeltlager in Pian del Lago: Ein Nicht-Ort der Verzweiflung
Weil die Asylzentren überfüllt sind, bilden sich auch wilde Zeltlager. In Pian del Lago, direkt vor dem Zentrum für Asylsuchende von Caltanissetta, campen seit Jahren Flüchtlinge.
»Die Situation im Lager ist zum Verzweifeln: Während wir uns noch mit einigen Anwesenden unterhalten, sehen wir weiter hinten, wie der 31 Jahre junge Pakistaner J. sich unablässig mit Glasscherben ritzt.«
In das hochgesicherte Zentrum hineinzukommen ist nicht einfach, auf einen freien Platz wartet man wochenlang. Immer wieder wurde das Zeltlager geräumt, immer wieder siedeln sich hier aber verzweifelte Geflüchtete an, um entweder ihre Dokumente verlängern zu lassen oder einen Asylantrag zu stellen.
Rom: Geflüchtete werden aus besetztem Haus geräumt
Aufgrund der mangelnden Unterbringungsplätze sind besetzte Häuser in Großstädten inzwischen zur Normalität für Geflüchtete geworden. In Rom wurde am 19. August ohne Vorankündigung ein Gebäude von der Polizei geräumt, in dem seit 2013 mehr als 800 Menschen lebten, hauptsächlich Eritreer*innen und Äthiopier*innen. Sie hatten sich dort nach dem Schiffbruch vom 3. Oktober 2013 angesiedelt. Die meisten von ihnen sind im Besitz von regulären Papieren.
Die Polizei überraschte viele noch im Schlaf, unter ihnen auch viele Familien. Wohin sie sollten, wurde ihnen nicht gesagt. Die meisten Geflüchteten haben nun kein Dach mehr über dem Kopf, einige Familien wurden wo anders untergebracht, einige kehrten nach Angaben des »Standard« zurück in das geräumte Haus.
Flüchtlinge als »Image-Schädigung« – Menschenrechtsverletzungen im Hintergrund
Interessant am Rande: Das Zivilgericht von Bari hat der Stadt Bari eine Entschädigung von 30.000 Euro zugesprochen. Die Kommune hatte sich beschwert, dass das CIE (Identifikations- und Abschiebezentrum) der Stadt Bari ein schlechtes Image verpasst habe.
Laut Richter die Folge von »unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, die gegenüber den Häftlingen praktiziert wurden«. Zum Anspruch auf Schadensersatz der Geschädigten aufgrund von Menschenrechtsverletzungen hatte sich der Richter allerdings nicht geäußert. Eine traurige Prioritätensetzung.
(Judith Gleitze / Gabriella Silvestri)