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Verschärfung des Asylrechts statt Korrekturmöglichkeit für Behördenschlamperei
Mitten im Hochsommer hat das Bundeskabinett eine Regelung auf den Weg gebracht, der eine sorgfältige Beratung bei kühlerem Wetter gut getan hätte. Menschen mit Schutzstatus werden künftig zur Mitwirkung an Widerrufs- und Rücknahmeverfahren verpflichtet. Dabei wird jedoch in unzulässiger Weise behördliche Verantwortung auf die Betroffenen abgewälzt.
Die Einführung weiterer Mitwirkungspflichten in Widerrufs- und Rücknahmeverfahren wird damit begründet, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den Jahren 2015 und 2016 viele Fälle in einem schriftlichen Verfahren entschieden hat. In einem Teil der Fälle waren Identität und Staatsangehörigkeit möglicherweise nicht ausreichend geklärt. Es liegen also keine Erfahrungen vor, dass Flüchtlinge ihrerseits bislang nicht ausreichend mitgewirkt hätten.
Niemand wird sich einem Gesetzentwurf entgegenstellen, wenn er sich auf die Korrektur dieses eingestandenen Behördenversagens richtet und regelt, dass sich Schutzberechtigte auf Aufforderung des BAMF zur erkennungsdienstlichen Behandlung oder anderen Identitätsfeststellungsverfahren einfinden müssen. Aber statt dies pragmatisch zu regeln, will der Entwurf erkennbar mehr.
Zum Hintergrund: Im schriftlichen Verfahren anerkannt wurden 2015/2016 ganz überwiegend Flüchtlinge aus Syrien, deren Schutzbedürftigkeit auf der Hand lag, bis heute weiterbesteht und zum aktuellen Zeitpunkt auch nicht widerrufen werden dürfte. Ausnahme: Wird nun festgestellt, dass jemand nicht syrischer Flüchtling ist, dann besteht die Möglichkeit, den gewährten Status zurückzunehmen, da er unter falschen Voraussetzungen zustande gekommen ist und – was entscheidend ist – auch im Übrigen keine Gründe vorhanden sind, nach denen Schutz zuerkannt werden kann. Wohlgemerkt: Das dürfte bei den wenigsten dieser Betroffenen der Fall sein.
Der jetzige Entwurf unterstellt, dass die im schriftlichen Verfahren Anerkannten nicht mit den Behörden kooperieren und macht aus Behördenversagen einen Makel der Flüchtlinge.
Die gesetzlichen Anforderungen an Widerruf und Rücknahme sind auch heute schon klar. Es gibt ohnehin bereits eine turnusmäßige Überprüfung, ob die Voraussetzungen für den Status noch gegeben sind. Will man – im Turnus oder wegen neu bekannt gewordener Umstände – ein Widerrufsverfahren einleiten, erhalten die Betroffenen einen Brief des Bundesamtes mit der Mitteilung, man beabsichtige, ein solches Verfahren einzuleiten und werden zur Stellungnahme aufgefordert. Es liegt nahe, dass sie ein Interesse haben müssen, darzulegen, dass ihre Bedrohungslage noch andauert.
Der jetzige Entwurf aber unterstellt, dass die im schriftlichen Verfahren Anerkannten nicht mit den Behörden kooperieren und macht aus Behördenversagen einen Makel der Flüchtlinge. Kommt der Angeschriebene der Mitwirkungspflicht nicht nach, kann nach Aktenlage entschieden werden. So weit, so nachvollziehbar. Dann aber heißt es im Gesetzentwurf weiter: »Ferner ist zu berücksichtigen, inwieweit der Ausländer seinen Mitwirkungsverpflichtungen nachgekommen ist.«
Allen Ernstes soll die Frage, ob ein Schutzberechtigter auf einen Brief des BAMF reagiert hat, bei der Frage maßgeblich sein, ob ein Schutzbedarf weiter existiert? Es soll dann also keine Rolle mehr spielen, ob eine Verfolgung besteht oder Gefahren durch Krieg weiterhin drohen? Die Absurdität dieses Vorschlags aus dem Bundesinnenministerium ist offensichtlich. Anstatt diese weit über das Grundanliegen hinausgehende Idee im Kabinett zurechtzurücken, springt die SPD Seehofer zur Seite und will sogar noch mehr: Schutzberechtigte sollen künftig ihren Status schon allein auf Grundlage einer »Nichtbetreibensfiktion« verlieren können – und nicht etwa wegen geänderter Umstände.
Allen Ernstes soll die Frage, ob ein Schutzberechtigter auf einen Brief des BAMF reagiert hat, bei der Frage maßgeblich sein, ob ein Schutzbedarf weiter existiert?
Die Strategie des Entwurfes ist nicht, gegebenenfalls Identitätsklärungen nachzuholen, sondern über die diffuse Konstruktion einer weitergehenden Mitwirkungspflicht Verunsicherung bei den Betroffenen auszulösen und die Zahl der außerturnusmäßigen Widerrufsprüfungen zu erhöhen. Allein für die Anschreiben mit der Aufforderung zur Mitwirkung sind 112 Beamtenstellen reserviert. Macht Seehofer die Widerrufsbaustelle in großem Stil auf, wird das bei Weitem nicht ausreichen.
Sinn macht das nicht. In der großen Mehrheit wird es beim Schutzstatus bleiben, der ggf. vor den Verwaltungsgerichten erstritten werden muss. Die Statistik zu Widerrufsverfahren des BAMF weist aus: Eine Vielzahl von Überprüfungen der Entscheidungen erbrachte 2017 nur in einer geringen Zahl von Fällen ein Ergebnis, das zum Anlass für eine Einleitung von förmlichen Widerrufsverfahren führte. In den letztlich 2.527 entschiedenen Widerrufsverfahren wurde nur 421 Personen der Schutzstatus entzogen. Stellt man in Rechnung, dass es der Gesetzentwurf insbesondere Syrer*innen beträfe, dann dürfte nach der gesetzlichen Neuregelung die Statistik eher noch weniger Statusverluste ausweisen.
Fazit: Würde sich der Gesetzentwurf auf den Kern beschränken, die Identität in Zweifelsfällen nachträglich zu klären, dann bräuchte es keine Diskussion. So aber wird mit der widersinnigen Verknüpfung von Mitwirkungspflicht und inhaltlicher Entscheidung Verunsicherung erzeugt.
Doch dieses Fazit scheint die Bundesregierung nicht zu interessieren: Während ihre eigene Geschäftsordnung vorschreibt, dass Fachverbände und Organisationen frühzeitig im Gesetzgebungsverfahren anzuhören sind und ihre Kritik zu würdigen ist, hat man sich dieses Verfahrens praktisch entledigt: Wie seit 2016 üblich wurde den Verbänden, eine Frist zur Stellungnahme gesetzt, die nicht zu halten ist. Die Einladung zur Beteiligung erfolgte am Donnerstag, 26.07.2018, 18.56 Uhr. Frist zu Abgabe einer Stellungnahme wurde dann schon auf den nächsten Tag, Freitag, 15.00 Uhr gesetzt. Diese missbräuchliche Form der Ausgestaltung der Mitwirkungsmöglichkeiten von Expert*innen wirft ihren Schatten voraus auf die missbräuchliche Verwendung von Mitwirkungspflichten für Schutzberechtigte.