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Gegen Abschiebungen und für Flüchtlingsrechte: Rund 8.000 Menschen demonstrieren im Februar 2018 in Brüssel. Foto: picture alliance/NurPhoto/Romy Arroyo Fernandez

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit plant die EU die Aushöhlung des Rechts auf Asyl, das auf EU-Ebene in Artikel 18 der Grundrechte-Charta verbrieft ist. Nach dem Motto »Schutz ja, aber nicht bei uns« soll das europäische Asylrecht nun so reformiert werden, dass der Zugang zu einem fairen Asylverfahren in der EU kaum noch durchsetzbar wäre.

Die EU-Kom­mis­si­on hat seit dem Früh­jahr 2016 weit­rei­chen­de Ände­run­gen an der Dub­lin-Ver­ord­nung, der EURO­DAC-Ver­ord­nung sowie den EU-Richt­li­ni­en zum Asyl­ver­fah­ren, den Aner­ken­nungs­vor­aus­set­zun­gen und den Auf­nah­me­be­din­gun­gen vor­ge­schla­gen. Ende Juni sol­len auf dem EU-Gip­fel, dem Tref­fen der Staats- und Regie­rungs­chefs, die neu­en Rege­lun­gen des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) dis­ku­tiert werden.

Bevor die vor­ge­schla­ge­nen Asyl­rechts­ver­schär­fun­gen in Kraft tre­ten kön­nen, müs­sen sowohl der Euro­päi­sche Rat als auch das Euro­päi­sche Par­la­ment zustim­men. Das Euro­päi­sche Par­la­ment hat sich zu den vor­ge­schla­ge­nen, gra­vie­ren­den Ein­schnit­ten in Tei­len bereits kri­tisch posi­tio­niert. Der Euro­päi­sche Rat, in dem die Innen­mi­nis­te­ri­en der Mit­glied­staa­ten feder­füh­rend ver­han­deln, drängt hin­gegen auf eine här­te­re Gang­art im Umgang mit Flüchtlingen.

Pflicht zur Abweisung in Drittstaat

Nach Vor­stel­lung der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on sol­len die EU-Mit­glied­staa­ten künf­tig ver­pflich­tet wer­den, Asyl­su­chen­de vor­ran­gig in ver­meint­lich »siche­re Dritt­staa­ten« abzu­wei­sen. Im Klar­text heißt das: Erreicht ein Schutz­su­chen­der etwa die Küs­te Ita­li­ens, hät­te die­ser weder Zugang zum Asyl­ver­fah­ren in Ita­li­en, noch könn­te er gel­tend machen, bei­spiels­wei­se zu sei­ner Fami­lie nach Deutsch­land über­stellt zu wer­den. Statt­des­sen müss­te Ita­li­en ledig­lich prü­fen, ob der Flücht­ling nicht auf einen ande­ren Staat ver­wie­sen wer­den kann.

In einem soge­nann­ten Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren soll ledig­lich geprüft wer­den, ob schutz­su­chen­de Men­schen über­haupt einen Asyl­an­trag in der EU stel­len dür­fen. Soll­ten sie durch einen soge­nann­ten siche­ren Dritt­staat gereist sein, soll ihnen die­ses Recht künf­tig ver­weigert wer­den. Die Flucht­grün­de, deren Prü­fung bis­lang aus­schlag­ge­bend für die Gewäh­rung von Schutz in der EU war, spie­len dann kei­ne Rol­le mehr.

Fak­tisch wur­de Grie­chen­land durch den EU-Tür­kei-Deal bereits dazu gedrängt, aus der Tür­kei ein­ge­reis­te Flücht­lin­ge auf­grund von Dritt­staa­ten­re­ge­lun­gen abzu­wei­sen. Das Euro­päi­sche Par­la­ment lehnt ein sol­ches ver­pflich­ten­des Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren ab. Die Regie­run­gen der Mit­glied­staa­ten unter­stüt­zen der­weil die Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes und drän­gen dar­auf, dass Staa­ten immer leich­ter als »sicher« dekla­riert wer­den kön­nen und somit eine Abwei­sung dort­hin mög­lich ist.

So soll ein Dritt­staat nach Vor­stel­lung eini­ger EU-Mit­glied­staa­ten auch dann in Gän­ze als sicher gel­ten, wenn er nur in Tei­len sei­nes Staats­ge­bie­tes oder nur für bestimm­te Grup­pen Schutz gewährt. Wei­ter­hin soll es in Zukunft irrele­vant sein, wie die Flücht­lin­ge in dem Dritt­staat ihr Leben fris­ten: Weder das Recht auf einen lega­len Wohn­sitz, noch auf Fami­li­en­nach­zug, noch auf Zugang zum Arbeits­markt sol­len garan­tiert sein.

Kettenabschiebungen bis in den Verfolgerstaat?

Die Reform­vor­schlä­ge der Kom­mis­si­on sind mit der zugleich beteu­er­ten Absicht, eine wirk­sa­me Beach­tung der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) auf EU-Ebe­ne sicher­stel­len zu wol­len, nicht ver­ein­bar. Die zen­tra­le Garan­tie der GFK ist der Schutz vor Refou­le­ment, also vor Zurück­wei­sung in Län­der, in denen einer geflüch­te­ten Per­son die Gefahr droht, wegen ihrer Reli­gi­on, poli­ti­schen Über­zeu­gung oder aus ande­ren Grün­den ver­folgt zu wer­den. Mit der flä­chen­de­cken­den Anwen­dung von Dritt­staa­ten­re­ge­lun­gen steigt die Gefahr, dass auch schutz­be­dürf­ti­ge Per­so­nen, denen in ihren Her­kunfts­län­dern Ver­fol­gung, Fol­ter oder Krieg dro­hen, ohne Berück­sich­ti­gung ihrer Gefähr­dungs­la­ge in den Dritt­staat abge­scho­ben wer­den könnten.

Kommt es in dem ver­meint­lich »siche­ren Dritt­staat« zu einer Wei­ter­schie­bung ins Her­kunfts­land, trü­ge auch die EU für die­se Ket­ten­ab­schie­bung die Ver­ant­wor­tung. Eine sol­che ist indes mit dem Refou­le­ment­schutz aus Art. 33 GFK nicht zu ver­ein­ba­ren und wäre zudem ein Ver­stoß gegen das Fol­ter­ver­bot nach Art. 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, der auch vor Ket­ten­ab­schie­bung in den Her­kunfts­staat schützt. Die Schutz­ver­wei­ge­rung in der EU wäre in einem sol­chen Fall eine ekla­tan­te Ver­let­zung des Völkerrechts.

Scharfe Sanktionen bei Weiterwanderung

Das Dub­lin-Sys­tem soll künf­tig vor allem einem Zweck die­nen: der Sank­ti­on der Sekun­där­mi­gra­ti­on. Die irre­gu­lä­re Wei­ter­wan­de­rung von Schutz­su­chen­den in ande­re EU-Staa­ten, die nicht für das Asyl­ver­fah­ren zustän­dig sind, soll nach Vor­stel­lung der EU-Kom­mis­si­on scharf sank­tio­niert wer­den. Die Straf­maß­nah­men rei­chen von der Aus­höh­lung von Ver­fah­rens­rech­ten, über den ver­wei­ger­ten Zugang zum Arbeits­markt, bis hin zur Unter­schrei­tung des Rechts auf ein Exis­tenz­mi­ni­mum und auf einen aus­rei­chen­den Gesundheitsschutz.

Die Vor­schlä­ge der EU-Kom­mis­si­on hät­ten eine zuneh­men­de Ille­ga­li­sie­rung und Pre­ka­ri­sie­rung von Asyl­su­chen­den zur Folge.

Das Euro­päi­sche Par­la­ment lehnt die­sen Sank­ti­ons­ka­ta­log ab. Die Vor­stö­ße der EU-Kom­mis­si­on wären auch mit dem in Deutsch­land ver­fas­sungs­recht­lich ­garan­tier­ten Anspruch auf ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum (Art. 1 und 20 GG) nicht zu ver­ein­ba­ren. Die Erfah­rung zeigt zudem, dass sich Asyl­su­chen­de nicht durch Sank­tio­nen von der Wei­ter­wan­de­rung abhal­ten las­sen, wenn sie im Erst­auf­nah­me­staat kei­ne Exis­tenz­mög­lich­keit für sich sehen oder dort mas­si­ven Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen aus­ge­setzt sind. Die Vor­schlä­ge der EU-Kom­mis­si­on hät­ten somit eine zuneh­men­de Ille­ga­li­sie­rung und Pre­ka­ri­sie­rung von Asyl­su­chen­den zur Folge.

Starre Zuständigkeitsfestlegung

Anders als im bis­he­ri­gen Dub­lin-Sys­tem soll es kei­ne zeit­li­che Begren­zung für die Zustän­dig­keit des Erst­auf­nah­me­staats mehr geben. Ein­mal getrof­fe­ne Zustän­dig­keits­fest­le­gun­gen sol­len für immer gelten.

Bis­lang muss der Mit­glied­staat, in dem sich ein Asyl­su­chen­der auf­hält, inner­halb gewis­ser Fris­ten das Dub­lin-Ver­fah­ren durch­füh­ren, andern­falls wird er selbst zustän­dig für das Asyl­ver­fah­ren. Im künf­ti­gen Dub­lin-Sys­tem soll es der­ar­ti­ge ­Rege­lun­gen nicht mehr geben, mit der Fol­ge, dass es zu einer dau­er­haf­ten Dis­kre­panz zwi­schen Auf­ent­halts­ort und zustän­di­gem Staat kom­men kann. Die­se star­re Zustän­dig­keits­re­gel soll auch gel­ten, wenn eine Über­stel­lung aus Grün­den nicht erfolgt, die die Asyl­su­chen­den nicht zu ver­tre­ten haben, etwa weil eine Erkran­kung vor­liegt oder der zustän­di­ge Staat die Auf­nah­me ver­wei­gert. So genann­te »refu­gees in orbit« könn­ten in der Fol­ge zum Mas­sen­phä­no­men wer­den – Schutz­su­chen­de, die kei­nen Zugang mehr zum Asyl­ver­fah­ren fin­den, da sich kein Staat der Prü­fung ihres Schutz­ge­suchs annimmt.

Schließ­lich sol­len nach Vor­stel­lung der Kom­mis­si­on auch das Selbst­ein­tritts­recht und der Rechts­schutz im Dub­lin-Ver­fah­ren beschränkt wer­den. Bis­her konn­te ein EU-Mit­glied­staat über das Selbst­ein­tritts­recht frei­wil­lig die Ver­ant­wor­tung für die Durch­füh­rung eines Asyl­ver­fah­rens über­neh­men, für das er nicht zustän­dig war. Künf­tig soll dies nur noch bei fami­liä­ren Kon­stel­la­tio­nen mög­lich sein. Das Euro­päi­sche Par­la­ment hat sich zu Recht auch gegen die­se Vor­schlä­ge aus­ge­spro­chen. Es will an dem bis­he­ri­gen wei­ten Anwen­dungs­be­reich des Selbst­ein­tritts­rechts fest­hal­ten und den Rechts­schutz unan­ge­tas­tet wis­sen. Nur so kön­nen huma­ni­tä­re Spiel­räu­me auch in Zukunft gewahrt bleiben.

Europa kündigt Solidarität auf

Hin­ter dem neu­tra­len Begriff »GEAS-Reform« steckt in Wirk­lich­keit ein Para­dig­men­wech­sel im euro­päi­schen Schutz­sys­tem für Flücht­lin­ge. Der Zugang zum Asyl­ver­fah­ren soll aus­ge­he­belt und die Haupt­ver­ant­wor­tung für Flücht­lin­ge an Dritt­staa­ten aus­ge­la­gert wer­den. Die­ser Exter­na­li­sie­rung des Flücht­lings­schut­zes auf Her­kunfts- und Tran­sit­re­gio­nen stellt nicht nur das indi­vi­du­el­le Asyl­recht in der EU in Fra­ge, son­dern auch das Gebot der inter­na­tio­na­len Solidarität.

In ihrer Prä­am­bel ver­pflich­tet die GFK die Unter­zeich­ner­staa­ten auf eine inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit, um »schwe­re Belas­tun­gen für ein­zel­ne Län­der« zu ver­mei­den. Wür­den die Plä­ne der Kom­mis­si­on ver­wirk­licht, wäre dies der Aus­stieg der EU-Staa­ten aus die­ser von der GFK gefor­der­ten Soli­da­ri­tät beim inter­na­tio­na­len Flüchtlingsschutz.

Marei Pel­zer

(Die­ser Arti­kel erschien erst­mals im Heft zum Tag des Flücht­lings 2018.)


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