11.07.2016

Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Flüchtlingsunterkunft angezündet. Auch kommt es immer häufiger zu persönlichen Attacken auf Flüchtlinge – doch der öffentliche Aufschrei bleibt aus.

Am 4. April 2015 brann­te in Trög­litz (Sach­sen-Anhalt) der Dach­stuhl einer geplan­ten Flücht­lings­un­ter­kunft. Zuvor hat­te es meh­re­re Demons­tra­tio­nen gegen die Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten im Ort gege­ben. Die Öffent­lich­keit war scho­ckiert, bun­des­weit wur­de über den Vor­fall berich­tet. Der kurz vor dem Brand auf­grund der Pro­tes­te zurück­ge­tre­te­ne Bür­ger­meis­ter befürch­te­te, Trög­litz wür­de künf­tig in einem Atem­zug mit Mölln und Hoyers­wer­da genannt. Er soll­te sich irren – es blieb ein kur­zer Auf­schrei. Sogar die Tat­sa­che, dass das Gebäu­de auch ein Jahr spä­ter nicht fer­tig saniert war und ein sechs Mona­te nach dem Brand fest­ge­nom­me­ner tat­ver­däch­ti­ger NPD-Sym­pa­thi­sant wie­der frei­ge­las­sen wur­de, wur­de von Medi­en kaum mehr kommentiert.

Freitaler Parolen: Zuerst belächelt, jetzt gesellschaftlich akzeptiert

Im säch­si­schen Frei­tal kam es Ende Juni 2015 zu einer Rei­he von Demons­tra­tio­nen gegen die Flücht­lings­un­ter­kunft. Beglei­tet von gro­ßen Gegen­de­mons­tra­tio­nen und Will­kom­mens­fes­ten amü­sier­te sich die Öffent­lich­keit über die »besorg­ten Bür­ger« und ihre rechts­extre­men Parolen.

Ein paar Mona­te spä­ter hat sich die Aggres­si­on zum Nor­mal­zu­stand ent­wi­ckelt: Flücht­lin­ge in Frei­tal wer­den, öffent­lich weit­ge­hend unbe­ach­tet, immer wie­der zum Ziel von Atta­cken. For­de­run­gen wie »kri­mi­nel­le Aus­län­der raus« oder »Wer Deutsch­land nicht liebt, muss Deutsch­land ver­las­sen« sind längst auch anders­wo zur Gewohn­heit geworden.

Die Kanzlerin zeigt sich – und erntet Zorn 

Ende August 2015 gerie­ten die Aus­schrei­tun­gen in Hei­den­au in die bun­des­wei­ten Schlag­zei­len. Meh­re­re Näch­te lang wur­de die neu bezo­ge­ne Unter­kunft bela­gert, dabei kam es zu teils gewalt­tä­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Nun bezog sogar die Bun­des­kanz­le­rin öffent­lich Stel­lung und besuch­te erst­mals eine Flücht­lings­un­ter­kunft. Vor Ort wur­de sie von rech­ten Demons­tran­ten übel beschimpft.

Ein, zwei, viele Tröglitze: Es brennt bundesweit

136

Brand­an­schlä­ge auf Flücht­lings-unter­künf­te wur­den im Jahr 2015 gezählt,

267

Flücht­lin­ge wur­den bei tät­li­chen Über­grif­fen verletzt.

PRO ASYL und die Ama­deu Anto­nio Stif­tung füh­ren eine fort­lau­fen­de Sta­tis­tik zu rech­ter Gewalt. Dort sind für 2015 ins­ge­samt 1.072 Straf­ta­ten an Flücht­lings­un­ter­künf­ten detail­liert pro­to­kol­liert, davon 136 Brand­an­schlä­ge. Auch das Bun­des­kri­mi­nal­amt spricht von über 1.000 Über­grif­fen. Man kann von Glück sagen, dass in den letz­ten Mona­ten – Stand Früh­jahr 2016 – nie­mand in einem bren­nen­den Asyl­heim zu Tode gekom­men ist. Auch per­sön­li­che Angrif­fe neh­men in ganz Deutsch­land zu: Die Chro­nik zähl­te 2015 ins­ge­samt 183 tät­li­che Über­grif­fe, bei denen 267 Flücht­lin­ge ver­letzt wurden.

Die Atta­cken gegen Flücht­lin­ge gesche­hen dabei kei­nes­wegs nur ver­steckt oder ver­schämt. Denn auch die Zahl der frem­den­feind­li­chen Demons­tra­tio­nen wächst: 288 im Jahr 2015, ab 2016 schoss die Zahl noch ein­mal in die Höhe. Offen­bar kön­nen sich die rech­ten Stim­mungs­ma­cher mit ihren men­schen­feind­li­chen Paro­len zuneh­mend akzep­tiert fühlen.

Die Öffentlichkeit stumpft ab

Nach­dem die Vor­fäl­le in der zwei­ten Jah­res­hälf­te 2015 mas­siv zuge­nom­men hat­ten, geriet das The­ma »Gewalt gegen Flücht­lin­ge« aller­dings nur noch bei beson­ders auf­fäl­li­gen Atta­cken in die über­re­gio­na­len Schlag­zei­len, bei­spiels­wei­se bei den Schüs­sen auf eine Unter­kunft im hes­si­schen Hof­heim oder den Vor­fäl­len in Claus­nitz im Febru­ar 2016: Dort konn­te man per Video­auf­nah­me mit­er­le­ben, wie ein grö­len­der Mob einen Bus mit Flücht­lin­gen blo­ckiert. Kurz dar­auf brann­te in Baut­zen eine Flücht­lings­un­ter­kunft – und schau­lus­ti­ge Bür­ger klat­schen joh­lend Bei­fall. Erin­ne­run­gen an Ros­tock-Lich­ten­ha­gen wur­den wach.

Die Öffent­lich­keit scheint sich an bren­nen­de Flücht­lings­un­ter­künf­te und an Angrif­fe auf Flücht­lin­ge und Migrant*innen gewöhnt zu haben. 

Die all­täg­li­che Gewalt gegen Flücht­lin­ge bleibt jedoch eine Rand­no­tiz. Nur in einem Bruch­teil der Fäl­le regt sich – oft durch die sozia­len Medi­en ver­brei­tet – brei­te Empö­rung. Die Öffent­lich­keit scheint sich dar­an gewöhnt zu haben, dass in Deutsch­land Flücht­lings­un­ter­künf­te ange­zün­det und Flücht­lin­ge und Migrant*innen atta­ckiert wer­den. Der drin­gend not­wen­di­ge Auf­schrei bleibt zumeist aus. Das ist beson­ders gefähr­lich, weil die Auf­klä­rungs­quo­te von sol­chen Taten erschre­ckend gering ist.

Nachlässige Strafverfolgung 

Nur in einem Bruch­teil der Fäl­le konn­ten Tat­ver­däch­ti­ge ermit­telt wer­den, wie unter ande­rem eine Recher­che der ZEIT vom 3.12.2015 ergab. Die Auf­klä­rungs­quo­te liegt deut­lich unter der  bei­spiels­wei­se bei Brand­an­schlä­gen übli­chen. Erschre­ckend gering ist auch die Anzahl der tat­säch­lich ergan­ge­nen Urteile.

Die zuneh­men­de Sicher­heit der rech­ten Sze­ne hängt wesent­lich mit der nach­läs­si­gen Straf­ver­fol­gung von ras­sis­tisch moti­vier­ten Straf­ta­ten zusam­men. Geschich­te wie­der­holt sich: Schon nach den Pogro­men in den 90er-Jah­ren konn­te sich die rech­te Sze­ne vor Straf­ver­fol­gung weit­ge­hend sicher fühlen.

Staatliche Akteure erkennen rechten Terror nicht

Die weni­gen Ermitt­lungs­er­fol­ge nach Angrif­fen auf Asyl­un­ter­künf­te wer­den bis­wei­len damit begrün­det, dass vie­le Täter*innen  nicht zur rech­ten Sze­ne zu zäh­len sei­en – häu­fig erweist sich die­se Aus­sa­ge bei nähe­rem Hin­schau­en aber als falsch. Hin­zu kommt: Auch unor­ga­ni­sier­te Täter*innen bewe­gen sich in einem sozia­len Umfeld, mit dem sie sich aus­tau­schen, das sie in ras­sis­ti­schen Ein­stel­lun­gen bestä­tigt oder gar zur Tat ermu­tigt. Oft geschieht dies sogar sehr offen in sozia­len Netz­wer­ken – die Ermitt­lungs­be­hör­den stel­len mit­un­ter aber kei­ne ent­spre­chen­den Nach­for­schun­gen an.

Hun­der­te Haft­be­feh­le gegen Neo­na­zis wer­den nicht voll­streckt – allein die­se Tat­sa­che soll­te Anlass genug für flä­chen­de­cken­de Unter­su­chun­gen sein.

Auch eine Ein­ord­nung der unzäh­li­gen frem­den­feind­li­chen Straf­ta­ten in mög­li­che rechts­ter­ro­ris­ti­sche Struk­tu­ren erfolgt über­haupt nicht. Das erin­nert fatal an das jah­re­lan­ge Ver­sa­gen der Ermitt­lungs­be­hör­den, die vom NSU ver­üb­ten Taten in einen sol­chen Zusam­men­hang zu brin­gen. Allein die Erkennt­nis, dass hun­der­te Haft­be­feh­le gegen Neo­na­zis nicht voll­streckt wer­den und mög­li­cher­wei­se man­che von ihnen im Unter­grund agie­ren, soll­te Anlass genug für flä­chen­de­cken­de Unter­su­chun­gen sein.

Keinen weiteren Rückfall in die dunklen Tage zulassen!

Neben bun­des­wei­ter Zusam­men­ar­beit der Ermitt­lungs­be­hör­den, kon­se­quen­ter Straf­ver­fol­gung der Täter und wirk­sa­mem Schutz von Flücht­lin­gen und ihren Unter­künf­ten braucht es auch eine kri­ti­sche Öffent­lich­keit, die frem­den­feind­li­che Straf­ta­ten nicht als all­täg­lich hin­nimmt, son­dern fort­wäh­rend dar­über berich­tet und Ver­säum­nis­se bei den Ermitt­lun­gen anpran­gert. Poli­tik und Zivil­ge­sell­schaft dür­fen nicht zulas­sen, dass wir einen Rück­fall in die dunk­len Tage zu Beginn der 1990er-Jah­re erleben!

Dafür ist es drin­gend not­wen­dig, dass rech­te Het­ze und Gewalt kon­se­quent bekämpft wird. Was es trotz aller situa­ti­ven Empö­rung aber bis­lang nicht gibt, ist eine ziel­ge­rich­te­te, brei­te gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Debat­te, wie man der zuneh­men­den Ero­si­on des Anstands und der Aus­brei­tung rech­ter Gewalt auch lang­fris­tig begeg­net. Die Inte­gra­ti­on ras­sis­ti­scher und frem­den­feind­li­cher Posi­tio­nen in die Gesell­schaft durch ihre ach­sel­zu­cken­de oder gar aus­ge­spro­che­ne Akzep­tanz ist eben­so gefähr­lich wie Ver­schär­fun­gen des Asyl­rechts in der trü­ge­ri­schen Hoff­nung, den rech­ten Mob damit zu befrieden.

Max Klöck­ner

(Die­ser Bei­trag erschien im Juni 2016 im Heft zum Tag des Flücht­lings 2016.)


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