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20 Jahre nach Lübecker Brandanschlag: Die Vergangenheit ist nie vergangen
Bei einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft starben vor 20 Jahren zehn Menschen. Das damalige Totalversagen der Sicherheitsbehörden lässt Erinnerungen aufkommen.
Am 18. Januar 1996 spielten sich in Lübeck in den Morgenstunden grauenhafte Szenen ab. Zehn Menschen sterben in einer brennenden Flüchtlingsunterkunft, 38 werden zum Teil schwer verletzt. Die Menschen verbrennen oder sterben beim Sprung aus dem Fenster. Wenig später werden drei junge deutsche Männer aus Grevesmühlen, die sich in der Nähe aufhielten, festgenommen. Alle drei haben zumindest zeitweise der rechten Szene angehört. Ebenfalls ein deutlicher Ermittlungsansatz: Alle drei hatten durch Feuer versengte Haare und Augenbrauen. Grevesmühlen ist für die rechte Szene kein unbeschriebenes Blatt, dort gibt es aktive Strukturen wie Wehrsportgruppen und Ableger der Hammerskins.
1996 ist ein Jahr der Radikalisierung der rechten Szene, auch die später zum sogenannten »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) zählenden Neonazis Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe beginnen in dieser Zeit, mit Bombenattrappen zu hantieren.
Ermittelt wird gegen die Opfer
Doch was dann geschieht, erinnert an die Struktur des Staatsversagens in Sachen NSU – zum Teil bis in die Details. Die kruden Erklärungen der Tatverdächtigungen werden hingenommen, vermeintliche Alibis tauchen auf: Freilassung. Stattdessen wird nunmehr ein im Haus wohnender Libanese, der beim Brand selbst Verletzungen erlitten hat, verdächtigt. Er soll die Tat angeblich auf dem Weg ins Krankenhaus einem Sanitäter gestanden haben.
Und nun geschieht, was sich in Deutschland auch später wiederholt: Strafverfolger und auch Journalisten richten ihren Blick auf das Umfeld der Flüchtlinge. Plötzlich geht es um angebliche Autoschiebereien, Kinderpornografie, Drogenhandel. Auch eine andere Version passt in die Logik der Ermittlungsbehörden: Es hätte zwischen den Flüchtlingen aufgrund ihrer verschiedenen »ethnischen« Hintergründe Auseinandersetzungen gegeben. Nur an einen, gerade Anfang der 90er Jahre naheliegenden, rechten Anschlag wird nicht weiter gedacht. Mitte 1997 wird der inzwischen angeklagte Libanese freigesprochen. Die deutschen Tatverdächtigen sind – viel Zeit ist vergangen – längst aus dem Schneider. Obwohl sich einer der deutschen Tatverdächtigen während einer Haftstrafe aus anderen Gründen im Gefängnis mit dem Brandanschlag gegenüber Mithäftlingen brüstet, werden keine neuen Ermittlungen aufgenommen.
Kette von Versäumnissen bei den Sicherheitsbehörden
Die Ermittlungen sind eine Kette von Versäumnissen. Es kommt der Verdacht auf, eine Verbindungsperson der Polizei sei in den Fall mittelbar verwickelt. Bereits am 14. März 2013 hat Wolf-Dieter Vogel in der ZEIT eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen den Vorfällen in Lübeck und dem Umgang mit den Taten des NSU festgestellt. Rainer Link hat am 6. Februar 2015 im Deutschlandfunk den Fall dargestellt: »Zehn tote Asylbewerber, keine Spur von den Tätern.« Im Wikipedia-Artikel zum Lübecker Brandanschlag finden sich weitere Hinweise auf Zusammenhänge und Folgen.
Als der damalige Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller den überlebenden Bewohnern des Hauses Personaldokumente ausstellen ließ, mit denen sie ihre toten Angehörigen zur Beisetzung in die Heimatländer begleiten und dann zurückkehren konnten, hielt der damalige Innenminister Schleswig-Holsteins, Ekkehard Wienholtz, es für nötig, Bouteiller zum Rücktritt aufzufordern, weil er damit seine Befugnisse überschritten habe. Indes: Eine parlamentarische Aufarbeitung der damaligen Ermittlungen und politischen Vorgänge hat es nicht gegeben. Dabei könnte der Fall Lübeck, sollten rechte Täter beteiligt gewesen sein, einer der schwersten rassistischen Anschläge der bundesdeutschen Geschichte sein – neben dem Oktoberfestattentat in München 1980 und der NSU-Mordserie.
Brandanschlag von Lübeck ist eine Mahnung für die Gegenwart
Lübeck war in den Neunziger Jahren eines der Hauptaktionsfelder des gewalttätigen Rechtsextremismus. Brandanschläge auf die Synagoge, ein Briefbombenattentat auf den Bürgermeister, Hakenkreuzschmierereien auf dem jüdischen Friedhof, an Kirchen und Wohnhäusern von Geistlichen und an der Brandruine selbst. Die Vervielfachung der gewalttätigen Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte im Jahre 2015 mahnt: Die Vergangenheit ist niemals wirklich vergangen. Der fortbestehenden Bereitschaft der extremen Rechten, zu morden, kann man sich sicher sein. Den Unwillen eines Teils der Sicherheitsbehörden, ernsthaft zu ermitteln, muss man weiterhin in Rechnung stellen.
2015: Dramatischer Anstieg von Gewalt gegen Flüchtlinge (13.01.16)