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Screenshot aus dem Video, das zuerst auf einer rechten Facebook-Seite auftauchte. Seitens der Initiatoren der Blockade war man offenbar stolz darauf, Flüchtlinge aus Iran, Syrien, Afghanistan und Libanon in Angst und Schrecken versetzt zu haben. Quelle: Youtube

Was tut der Staat eigentlich gegen die immer bedrohlichere rechte Hetze und Gewalt? Wie reagiert die Bundespolitik auf die massiven rassistischen Vorfälle? Das Beispiel Clausnitz zeigt nicht nur den rassistischen Wahnsinn einiger weniger. Und nicht nur das Versagen der sächsischen Behörden. Es zeigt ein generelles Staatsversagen beim Schutz von Flüchtlingen vor rassistischer Gewalt und Hetze.

Die Rücken­de­ckung kam von ganz oben: »Die Poli­zei hat rich­tig gehan­delt«, erklär­te Tho­mas DeMai­zié­re  ange­sichts eines Ein­sat­zes der säch­si­schen Poli­zei, der am Wochen­en­de bun­des­weit für Ent­set­zen gesorgt hat­te. Er kön­ne die Kri­tik nicht nach­voll­zie­hen, so der Bundesinnenminister.

Zwei Vide­os aus dem säch­si­schen Claus­nitz zei­gen, wie eine rund hun­dert­köp­fi­ge Men­schen­men­ge unter lau­ten »Wir sind das Volk«-Rufen einen Bus mit ersicht­lich ver­ängs­tig­ten Asyl­su­chen­den blo­ckiert, die zu einer Flücht­lings­un­ter­kunft gebracht wer­den sol­len. Als der Bus nach stun­den­lan­ger Blo­cka­de end­lich zur Unter­kunft gelangt, bil­den Poli­zis­ten ledig­lich ein schma­les Spa­lier vom Bus zur Ein­gangs­tür – und zer­ren ver­ängs­tig­te Asyl­su­chen­de gewalt­sam ins Haus, dar­un­ter einen vor Angst wei­nen­den Jun­gen. Die Men­ge johlt vor Freude.

Ermitt­lun­gen gegen die Opfer

War­um hat die Poli­zei die unan­ge­mel­de­te Ver­samm­lung nicht auf­ge­löst? War­um ging sie nicht ent­schie­den gegen jene vor, die die Zufahrt blo­ckier­ten und den Bus umstell­ten? War­um schirm­te sie die Flücht­lings­un­ter­kunft nicht gegen die aggres­si­ve Men­schen­men­ge ab? Was tat sie, um die über Stun­den im Bus fest­ge­setz­ten Men­schen aus der beängs­ti­gen­den Situa­ti­on zu befreien?

Auf der dies­be­züg­li­chen Pres­se­kon­fe­renz nimmt der Poli­zei­prä­si­dent Uwe Reiß­mann sei­ne Beam­ten pau­schal in Schutz. »An die­sem Ein­satz gibt es nichts zu rüt­teln.« Die Schuld schiebt er auf die Flücht­lin­ge: sie hät­ten mit aggres­si­ven Hand­zei­chen die Men­ge pro­vo­ziert. »Was wir sicher­lich aus­wei­ten wer­den, sind Ermitt­lun­gen gegen den ein oder ande­ren Insas­sen des Bus­ses«, so Reiß­mann. Wegen einer aggres­si­ven Ges­te, einem Stinkefinger.

Wäh­rend­des­sen kommt ans Licht, dass der Lei­ter der Flücht­lings­un­ter­kunft das AfD-Mit­glied Tho­mas Het­ze ist, der sich schon frü­her auf Kund­ge­bun­gen gegen die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen aus­ge­spro­chen hat. Und dass sein Bru­der einer der Mit­or­ga­ni­sa­to­ren der Demons­tra­ti­on gegen die Flücht­lin­ge war. Der Heim­lei­ter wird ver­setzt. »Zum Schut­ze sei­ner Per­son«, nicht weil an ihm etwas zu bean­stan­den sei, ver­kün­det der ver­ant­wort­li­che Land­rat.

Und schließ­lich brennt am glei­chen Wochen­en­de eine geplan­te Asyl­un­ter­kunft im säch­si­schen Baut­zen ab. Unter Applaus von Schau­lus­ti­gen, die die Lösch­ar­bei­ten behindern.

Säch­si­sche Verhältnisse

Was sich in Sach­sen abspielt, ist schon län­ger uner­träg­lich. »Viel zu lang konn­ten sich Rassist*innen unbe­hel­ligt in Sach­sen for­mie­ren und struk­tu­rie­ren, wäh­rend anti-ras­sis­ti­sche Pro­tes­te kri­mi­na­li­siert und unter Gene­ral­ver­dacht gestellt wur­den, womit es kaum mög­lich gewor­den ist, dass sich eine star­ke und enga­gier­te Zivil­ge­sell­schaft bil­den konn­te«, kom­men­tiert der Säch­si­sche Flücht­lings­rat die Vor­fäl­le vom Wochen­en­de. Schon lan­ge ver­dich­tet sich der Ein­druck, dass die säch­si­schen Behör­den bei ras­sis­ti­schen Vor­fäl­len Tole­ranz wal­ten las­sen, aber Unter­stüt­zer von Flücht­lin­gen und Geg­ner von Pegi­da mit gewalt­tä­ti­gen Poli­zei­ein­sät­zen und Straf­an­zei­gen überziehen.

Dass es in Sach­sen nicht nur die Poli­zei sträf­lich unter­lässt, sich ras­sis­ti­scher Het­ze und Gewalt  ent­ge­gen­zu­stel­len, ver­deut­lich­te jüngst die Debat­te über rech­te Gewalt, die letz­te Woche im Bun­des­tag statt­fand. Dort trat der säch­si­sche CDU-Poli­ti­ker Mari­an Wendt ans Red­ner­pult und nann­te es „eng­stir­nig und ideo­lo­gisch ver­brämt“, im Zusam­men­hang mit poli­ti­scher Gewalt und Hass den Blick nur nach rechts zu rich­ten, wie der Tages­spie­gel berich­tet. Es gebe in Deutsch­land auch vie­le links­extre­mis­ti­sche Gewalt­ta­ten. Dann warb er für den Dia­log mit Pegi­da: Man dür­fe Men­schen nicht pau­schal für ihre Gedan­ken ver­ur­tei­len. »Wir müs­sen mit ihnen spre­chen. (…) Die Men­schen haben Fra­gen, und die­se Fra­gen müs­sen wir beant­wor­ten. Die Fra­ge ist doch: War­um gehen die Men­schen zu Pegi­da und nicht zur CDU?« Die letz­te Fra­ge ist ange­sichts der weit nach rechts gedrif­te­ten CDU-Sach­sen wahr­lich schwer zu beantworten.

Das Sach­sen-Pro­blem ist nicht nur ein säch­si­sches Problem

Sach­sen mag zwar ein Son­der­fall sein – 2012 bemerk­te der grü­ne Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Miro Jen­ner­jahn im Gespräch mit dem Blog Publi­ka­ti­ve es sei ange­mes­sen, von einer »Säch­si­schen Demo­kra­tie« zu spre­chen –, aber kann der Rest der Repu­blik dem mas­si­ven Ras­sis­mus-Pro­blem in Sach­sen dar­um unbe­tei­ligt zuse­hen? Müss­te nicht längst die CDU-Bun­des­par­tei gegen­über der säch­si­schen Lan­des­par­tei zumin­dest auf Distanz gehen? Statt­des­sen stellt Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Tho­mas DeMai­zié­re der säch­si­schen Poli­zei einen Per­sil­schein aus.

Auch die SPD steht in Sach­sen in poli­ti­scher Ver­ant­wor­tung. Auch die Bun­des-SPD muss sich die Fra­ge stel­len, wie lan­ge sie noch bereit ist, in Koali­ti­on mit der CDU die poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung für den in Sach­sen übli­chen tole­ran­ten Umgang mit Ras­sis­mus zu tra­gen. Georg Rest­le von Moni­tor stellt tref­fend fest, die »übli­chen offi­zi­el­len Empö­rungs­ri­tua­le« grif­fen zu kurz: »Wer ver­hin­dern will, dass wei­ter Flücht­lings­hei­me bren­nen und Flücht­lin­ge ange­grif­fen wer­den, muss wirk­lich ent­schie­den durch­grei­fen. Und das heißt auch: unfä­hi­ge Poli­zei­prä­si­den­ten ent­las­sen und Poli­ti­ker abstra­fen, die sich mit dem Ungeist frem­den­feind­li­cher Paro­len immer wie­der gemein machen. Nicht nur in Sachsen!«

Flücht­lin­ge not­falls aus Gefah­ren­ge­bie­ten evakuieren

An vie­len Orten in Deutsch­land sind fak­ti­sche Gefah­ren­ge­bie­te für Flücht­lin­ge ent­stan­den – vie­le davon lie­gen in Sach­sen. Die nach Claus­nitz ver­brach­ten Flücht­lin­ge erzäh­len in einem Inter­view mit SPIEGEL TV von ihren Ängs­ten und dass sie sich nicht auf die Stra­ße trau­en könn­ten. Und nicht nur in Claus­nitz sind Flücht­lin­ge tat­säch­lich in Gefahr, Opfer gewalt­tä­ti­ger Angrif­fe zu wer­den. Die hohe Zahl an ras­sis­ti­schen Anschlä­gen Gewalt­ta­ten und die nied­ri­gen Auf­klä­rungs­quo­ten zei­gen, dass die Poli­zei­be­hör­den vie­ler­orts nicht in der Lage oder sogar nicht wil­lens sind, Flücht­lin­ge effek­tiv zu beschüt­zen. Schon in Hei­den­au herrsch­te im letz­ten Jahr »Volks­fest­stim­mung« der pöbeln­de und Böl­ler wer­fen­de Mob konn­te sich vor Straf­ver­fol­gung sicher fühlen.

Die Argu­men­ta­ti­on, der Bus, der die Asyl­su­chen­den nach Claus­nitz brin­gen soll­te, hät­te nicht umdre­hen kön­nen, weil dies den ras­sis­ti­schen Mob hät­te tri­um­phie­ren las­sen, ist zynisch. Der Kon­flikt um die Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen darf nicht auf dem Rücken der Betrof­fe­nen aus­ge­foch­ten wer­den. Es kann nicht sein, dass Men­schen in Todes­angst ver­setzt oder gar in Lebens­ge­fahr gebracht wer­den, um ein Zei­chen gegen Ras­sis­mus zu setzen.

Viel­mehr steht die Poli­tik in der Ver­ant­wor­tung, anti­ras­sis­ti­sche Initia­ti­ven und ehren­amt­li­che Helfer*innen struk­tu­rell, finan­zi­ell und poli­tisch zu stär­ken. Auch in Sach­sen gibt es vie­le Men­schen, die sich aktiv gegen Ras­sis­mus ein­set­zen und jede freie Minu­te für die huma­ne Auf­nah­me von Flücht­lin­gen auf­brin­gen. Ohne sie wür­de schon lan­ge nichts mehr lau­fen. Doch die säch­si­sche Regie­rung stärkt die­se Grup­pie­run­gen und Men­schen nicht, son­dern gräbt ihnen den Boden ab. Und solan­ge die Poli­tik der säch­si­schen Lan­des­re­gie­rung nicht auf Bun­des­ebe­ne kri­ti­siert wird, liegt die poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung für die säch­si­schen Ver­hält­nis­se nicht nur in Sachsen.

Gemein­sam gegen Rassismus

Schon im Juli ver­gan­ge­nen Jah­res hat PRO ASYL umfang­rei­che Schutz­maß­nah­men gegen den Rech­ten Ter­ror gefor­dert. Die Poli­zei muss rea­lis­ti­sche Gefähr­dungs­ana­ly­sen auf­be­rei­ten und den Schutz von Flücht­lin­gen sicher­stel­len. Betrei­ber­fir­men von Flücht­lings­un­ter­künf­ten und ihre Beschäf­tig­ten müs­sen über­prüft wer­den, damit sicher­ge­stellt wer­den kann, dass sie Flücht­lin­ge zuver­läs­sig vor ras­sis­ti­schen Angrif­fen schüt­zen. Straf­tä­te­rIn­nen müs­sen kon­se­quent ver­folgt werden.

Doch ledig­lich nach mehr staat­li­cher Repres­si­on zu rufen, wird nicht hel­fen, wenn in den Rei­hen der Poli­zei selbst ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen vor­han­den sind. Der insti­tu­tio­nel­le Ras­sis­mus in den Behör­den muss auf die poli­ti­sche Agen­da. Es braucht end­lich von der Poli­zei unab­hän­gi­ge Ermitt­lun­gen, wenn der Poli­zei Fehl­ver­hal­ten vor­ge­wor­fen wird.

Und nicht zuletzt braucht es kla­re Signa­le der Soli­da­ri­tät mit Flücht­lin­gen, Migrant*innen und ande­ren Men­schen, die von rech­ter Gewalt bedroht sind. PRO ASYL hat gemein­sam mit vie­len ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen einen Auf­ruf gestar­tet. Unter dem Mot­to »Hand in Hand gegen Ras­sis­mus« wer­den am 19. März und 19. Juni 2016 bun­des­wei­te Aktio­nen statt­fin­den. Betei­li­gen Sie sich.