Hintergrund
Lessons learned oder auf dem Weg zur alten Härte?
Vor 20 Jahren starb Aamir Ageeb unter den Händen von Bundespolizisten an Bord eines Abschiebungsfluges.
Am 28. Mai 1999 starb der Sudanese Aamir Ageeb an Bord des Lufthansafluges LH 588 von Frankfurt nach Kairo an den Folgen einer vorsätzlichen Körperverletzung durch Beamte des Bundesgrenzschutzes (heute: Bundespolizei). Bereits in einer Gewahrsamszelle wie ein Bündel verschnürt, wurde ihm beim Transport zum Flugzeug ein Motorradhelm aufgesetzt. Im Flugzeug wurden zusätzlich zu der Fesselung auch seiner Oberschenkel seine Arme an den Sitzlehnen und die Beine am Sitz mit Klettbändern fixiert. Als Ageeb durch Schreie auf sich aufmerksam macht, drücken die Begleitbeamten seinen Oberkörper nach unten und seinen Kopf nach vorne. Nach dem Erlöschen der Anschnallzeichen wird klar: Das hat der Zwangspassagier nicht überlebt. Ein lagebedingter Erstickungstod durch massive Einwirkung von Gewalt, so die Rechtsmedizin.
Nicht der erste Tote
Es war dies bereits der zweite Tote bei einem Abschiebungsflug aus Deutschland. 1994 hatte Kola Bankole aus Nigeria ähnliche Techniken der Gewaltanwendung seitens der Begleitbeamten nicht überlebt. Jahrelang waren die nötigen Konsequenzen vom Dienstherrn, dem BMI, hieraus nicht gezogen worden, obwohl die Risiken des lagebedingten Erstickungsstodes bei der Anwendung von atembehindernden Techniken in internationalen Forensiker- und Polizeikreisen längst bekannt waren. Politisch verantwortlich: Der damalige Bundesinnenminister Kanther und der allerdings erst ein halbes Jahr vor Ageebs Tod ins Amt gekommene Otto Schily.
Milde Strafen für die Verantwortlichen
Im Fall Ageeb ergingen milde Bewährungsstrafen gegen die drei tatbeteiligten Grenzschutzbeamten, Aber das Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt hatte ans Licht gebracht, was beim BGS in den 90er Jahren an der Tagesordnung war: Die Durchsetzung von Abschiebungen mit lebensgefährlichen Zwangstechniken, wobei die Beteiligten vor ihren Vorgesetzen im Unklaren darüber gelassen wurden, wo die Grenzen liegen. Diese schauten zu, wie im Alltag mit Gewaltanwendung herumexperimentiert wurde – und wurden im Strafverfahren fast ausnahmslos weder als Zeugen gehört noch zur Verantwortung gezogen. Der zum Tatzeitpunkt oberste Grenzschützer am Flughafen Frankfurt, Udo Hansen, aufgefallen vor Gericht mit seltsamen Äußerungen zur polizeilichen Ausbildung, stieg laufbahnmäßig steil auf.
Abu Ghraib lasse grüßen, hatte der vorsitzende Richter im Frankfurter Verfahren grimmig gesagt und detailliert zusammengefasst, wie ein Grenzschützer Aamit Ageeb bereits in der Gewahrsamszelle vorgefunden hatte: In der erniedrigenden, unmenschlichen und lebensgefährlichen Hogtie-Feselung, auf dem Bauch liegend, Hände und Füße auf dem Rücken verschnürt, von Vorgesetzten jedenfalls nicht moniert. Das BMI zeigte sich empört über den richterlichen Vergleich, nicht über die Tatsachen.
Dienstanweisung als Folge
Immerhin: Eine Konsequenz aus dem Strafverfahren und der öffentlichen Diskussion über die Kette der organisierten Verantwortungslosigkeit war die Einführung einer umfangreichen Dienstanweisung (Best Rück Luft) mit der Maxime „Keine Abschiebung um jeden Preis“. Sie gilt bis heute und verbietet neben vielem anderen die Anwendung atembehindernder Techniken. PRO ASYL merkte zum Strafurteil und zur Dienstanweisung kritisch an, es werde von der Bereitschaft der Bundespolizei und der politisch Verantwortlichen abhängen, ob die Lehren wirklich gezogen würden. Das Motto der Dienstanweisung lege auch die Frage nahe: Welcher Preis darf es denn sein?
Und heute?
20 Jahre ist das her. Und immerhin: Tote bei Abschiebungsflügen aus Deutschland hat es danach nicht gegeben. Wirken also Dienstanweisung und verbesserte Ausbildung?
August 2018: Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) beobachtet einen Charterabschiebungsflug von München nach Kabul. Besuche des CPT werden i.d.R. den Behörden angekündigt. Die beteiligten deutschen Dienststellen sind zur Kooperation verpflichtet und haben alle Möglichkeiten, ihr Verhalten auf die Beobachtermission einzustellen. Die beobachtet allerdings dramatische Szenen am Münchner Flughafen. Einer der Afghanen, die abgeschoben werden sollten, leistete massiven Widerstand bei der Platzierung im Flugzeug, woraufhin ein insgesamt sechsköpfiges Team sich daran machte, diesen zu brechen. Dem Zwangspassagier wurde ein Beißschutz in den Mund eingeführt.
»Einer dieser Begleitbeamten legte von hinten seinen Arm um den Hals des Rückzuführenden und zog mit seiner anderen Hand dessen Nase nach oben […]«
Was folgte sei hier nach dem CPT-Bericht zitiert: „Die beiden neben ihm sitzenden Begleitbeamten versuchten, ihn in seinem Sitz zu halten, indem sie seine Arme festhielten. Dabei wurden sie von einem aus vier Begleitpersonen bestehenden Backup-Team unterstützt, wovon sich drei hinter seinem Sitz positionierten. Einer dieser Begleitbeamten legte von hinten seinen Arm um den Hals des Rückzuführenden und zog mit seiner anderen Hand dessen Nase nach oben, sodass sein Kollege einen Beißschutz in den Mund des Rückzuführenden einführen konnte.
In Reaktion hierauf verstärkte der Rückzuführende seinen Widerstand, woraufhin ein zweiter Begleitbeamter des Backup-Teams eingriff und den Kopf des Rückzuführenden auf einen Nebensitz zog und sein Knie auf dessen Kopf platzierte, um Druck auszuüben und kooperatives Verhalten zu erreichen, während die Hände des Rückzuführenden hinter dessen Rücken mit einem Klettband gefesselt wurden. Ein weiterer Begleitbeamter drückte mit seinem Daumen auf die Schläfe des Rückzuführenden. Ein weiteres Klettband wurde unterhalb der Knie des Rückzuführenden angebracht, um seine Beine zusammenzubinden. Dem Rückzuführenden wurde außerdem ein Helm aufgesetzt und an seinen Armen und Beinen wurden weitere Klettbänder angebracht. Des Weiteren wurde Gewalt angewendet, um ihn mit den Händen festzuhalten.
Zu diesem Zeitpunkt wurde der Rückzuführende von drei hinter seinem Sitz positionierten Begleitbeamten festgehalten und auf jeder Seite saß ein weiterer Beamter. Ein sechster Beamter kniete auf den Knien und Oberschenkeln des Rückzuführenden, um ihn mit seinem Gewicht in seinem Sitz zu halten. Nach etwa 15 Minuten griff der sechste Begleitbeamte mit seiner linken Hand die Genitalien des Rückzuführenden und drückte mehrmals länger zu, um den Rückzuführenden dazu zu bringen, sich zu beruhigen. Als das Flugzeug rund zehn Minuten später startete, standen zwei Begleitbeamte immer noch hinter dem Sitz des Rückzuführenden, um sicherzustellen, dass er sitzen blieb. Kurz darauf beruhigte sich der Rückzuführende, nachdem ihm gesagt wurde, dass die meisten Zwangsmittel entfernt werden würden, sofern er sich kooperativ verhalte. Für etwa eine Stunde blieb er mit den Händen hinter dem Rücken gefesselt. Da er ruhig blieb, wurde die Fesselung gelöst.
Im Verlauf dieses Eingriffs beobachtete die Delegation, dass der Rückzuführende Atemschwierigkeiten bekam und noch mehr in Erregung geriet, als der erste Begleitbeamte des Backup-Teams den Arm um seinen Hals legte, da der dort ausgeübte Druck zu einer vorübergehenden Atemwegsbehinderung führte.“
Die Bundespolizei leugnet
Das CPT verweist auf die auch in der Dienstanweisung zu Abschiebung auf dem Luftwege geregelte Selbstverständlichkeit, dass keinerlei Kontrolltechniken angewendet werden dürfen, die die Atemfähigkeit einschränken. Zum Griff in die Genitalien wird angemerkt: „Eine Person durch Drücken der Genitalien zu misshandeln, was eindeutig darauf abzielt, durch Zufügung starker Schmerzen kooperatives Verhalten zu erreichen, ist unverhältnismäßig und unangemessen. Dies umso mehr, als die Person von sechs Begleitbeamten fixiert wurde.“
Als Kronzeuge wird ein Beobachter der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX angeführt. Das ist polizeilicher Corpsgeist in europäischem Maßstab.
In seiner Stellungnahme zum CPT-Bericht antwortet das zuständige Bundesjustizministerium deeskalierend: Man habe die Bundespolizei von der Empfehlung in Kenntnis gesetzt und diese habe sie aufgegriffen. Da hatte man aber offenbar im Ministerium nicht mit der Entschlossenheit der Bundespolizeiführung gerechnet, sich mit dem CPT anzulegen. Was dieses gesehen haben will, leugnet man rundweg ab. Atembehindernde Techniken und Griffe in die Genitalien habe es nicht gegeben, so eine Pressemitteilung vom 10. Mai 2019. Als Kronzeuge wird ein Beobachter der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX angeführt. Das ist polizeilicher Corpsgeist in europäischem Maßstab. Wir kennen ihn aus der Vergangenheit, wann immer es um die Angemessenheit von Methoden geht, mit denen Widerstand gebrochen wird. Geleugnet wird, solange es möglich ist. Wo keine Tat, da keine Täter.
Neue Härte
Die Nachdenklichkeit nach den beiden Todesfällen 1994 und 1999 scheint einer neuen Härte bei der Durchführung von Abschiebungen gewichen zu sein, trommeln doch viele Politiker des Regierungslagers nach dem Takt der Rechten für mehr Abschiebungen und ihre rigorosere Durchführung. In diesem Klima werden dann auch mal aus symbolischen Gründen Schwerkranke per Ambulanzflieger abgeschoben, wie in Hamburg im März dieses Jahres. Oder es werden medizinische Atteste missachtet, um Abschiebungen möglich zu machen. Fit to fly lautet die Devise. Wer den Flug überlebt, war fit für ihn. Da es auf den Charterflügen i.d.R. keine unabhängigen Beobachter gibt, konnte man bisher nur mutmaßen, was in dieser Black Box geschehen mochte. Zu befürchten ist: Was das CPT da sah, wirft nur ein kleines Schlaglicht auf ein größeres Problem. Wenn unter den Augen externer Beobachter so zugegriffen wird, dann darf man sich keine Illusionen machen. Pro Asyl hatte schon im Oktober 2004 in einer Presseerklärung die Frage gestellt: Der erste Eurocharter- Abschiebungstote – nur eine Frage der Zeit?
Nach Aamir Ageebs Tod hatte es Jahre später mit der Einrichtung unabhängiger Abschiebungsbeobachtungen auf einigen deutschen Flughäfen, eine Initiative insbesondere der Kirchen, einen Versuch gegeben, Licht in die Black Box Abschiebung zu bringen. Deren Jahresberichte konstatieren unisono, dass exzessive Gewalt bei Abschiebungen am Boden nicht beobachtet werden konnte. Allerdings endet deren Einblick mit dem Schließen der Flugzeugtür.
Bundespolizei attackiert Pilot*innen
Bundespolizeichef Dieter Romann gebärdet sich, auch im Vergleich mit seinen Vorgängern, nicht zum ersten Mal als Radikaler im öffentlichen Dienst. Vor kurzem erst meinte er zur Durchsetzung von Abschiebungen die Flugkapitäne in die Pflicht nehmen zu müssen. Die sind ihm zu zimperlich, wenn sie aus Gründen der Luftsicherheit die Mitnahme von Abzuschiebenden manchmal ablehnen. Wer meint, die international anerkannten Regelungen zur sog. Bordgewalt der Flugkapitäne in Frage stellen zu müssen und den Berufsstand als potenzielle Abschiebungsverhinderer diskreditieren zu müssen, der sucht die Provokation.
Es schließt sich hier auch der Kreis zum Fall Ageeb. Dessen Tod führte nämlich dazu, dass auf eine Anfrage hin das BMI im August 1999 erstmals klarstellen musste, dass es die Flugkapitäne sind, die die Kommandogewalt an Bord nach Schließen der Türen haben und Risiken für die Luftsicherheit zuvor beurteilen müssen. Jetzt aber wird wieder an Grenzen gerüttelt und Stimmung gemacht. Dieter Romann führt diese fachlich-politisch aussichtlose Auseinandersetzung wohl einfach deswegen, weil er sie in seiner Position lostreten kann und der Fachminister ihm nicht in die Parade fährt. Er gibt den rechten Flügelmann als „Profi“. So etwa hat es ja auch Hans-Georg Maaßen gemacht. Wie der FREITAG am 8.10.2018 über Romann schrieb: Er sei „Der Letzte aus dem Rat Pack“, des Anti-Merkel-Trios, das seit 2015 Stimmung gemacht habe gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, mit Duzfreund Maaßen und dem ehemaligen BND-Chef Schindler, der dem Pack auch den Namen verpasst habe, so die Süddeutsche Zeitung.
Die Rolle der Abschiebeärzt*innen
Was das CPT bei seiner Deutschland-Mission sonst sah, zeigt, wie sehr auch andere seit Jahrzehnten kritisierte Praktiken das Abschiebungsgeschehen prägen. So saß im Kabul-Flieger ein Afghane, den man wenige Tage, nachdem er sich bei einem Sprung aus dem Fenster einen Bruch des Lendenwirbels zugezogen hatte, aus NRW für den Flug gemeldet hatte. Ohne dass die notwendige Nachsorge durchgeführt oder nach Abschiebung gesichert gewesen wäre, wurde er drei Tage nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus für reisetauglich befunden und – wegen großer Schmerzen – liegend abgeschoben. CPT widmet sich in seiner Kritik der doppelbödigen Rolle von Ärzten, die möglicherweise unter Verstoß gegen ärztliche Grundsätze einerseits über die Reisetauglichkeit entscheiden und dann auch noch als Begleitärzte mitfliegen.
Das Rollenverständnis dieser „Fachärzte für Abschiebung“ ist ein jahrzehntealtes Ärgernis und Debatten über die zugrundeliegende ärztliche Ethik haben nur selten ein Publikum in Gerichtssälen gefunden, wenn dabei etwas schiefging. Beim Kabul-Flug war jedenfalls ein „Anstaltsarzt“ dabei, was wohl zu verstehen ist als ein Arzt, der im Rahmen einer JVA wirkt. Das CPT fordert sehr deutlich den Einsatz unabhängiger Fachkräfte. Genau die allerdings versuchen sich die Protagonisten verschärfter Abschiebungspolitik vom Hals zu halten — durch Gesetze, wie dem aktuellen Geordnete-Rückkehr-Gesetz, die die Beachtung ärztlicher Atteste von unabhängigen Ärzten immer weiter auszuschließen versuchen und überhöhte Anforderungen an solche stellen, die zu erfüllen kein Facharzt ausreichend Zeit hat. Unabhängige Fachkräfte vor Abschiebungen? So weit käme es noch in diesem Rechtsstaat, der regelmäßig Vertrauen in seine Praktiken einfordert. Der dem CPT, das eine sichtbare Kennzeichnung der Begleitbeamten fordert, entgegenhält: Wird derzeit nicht für erforderlich gehalten, so das Justizministerium in seiner Stellungnahme zum CPT-Bericht.
Begleitpersonal ist oft nicht ausgebildet
Was dem CPT weiter Sorgen macht, interessiert die politisch Verantwortlichen seit Längerem überhaupt nicht: Abschiebungsflüge werden in erheblichem Ausmaß von Personal begleitet, dass für diese Aufgabe nicht ausgebildet ist. Auf dem beobachteten Kabul-Flug waren ein Drittel der Begleiter Angehörige von polizeilichen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten(BFE). Sie hatten die Ausbildung zum „Personenbegleiter Luft“ nicht absolviert. Das überrascht: Waren es nicht die Polizeigewerkschaften, die sich in Bezug auf die bei Demonstrationen und anderen Großlagen eingesetzten Einheiten über den aufgelaufenen Überstundenberg beklagt haben? Wieso finden da nicht wenige offenbar Zeit für Abschiebungseinsätze, aber nicht für die entsprechenden Ausbildungslehrgänge? Auch vom Justizministerium kommen vage Versprechungen, man bemühe sich, die Zahl der Ausgebildeten bis 2021 drastisch zu erhöhen. Und in der Zwischenzeit?
Es ist zu erwarten, dass BMI und Bundespolizeiführung das brisante Thema und die CPT-Kritik aussitzen. Sie scheinen sich darauf zu verlassen, dass Institutionen, die das „europäisch“ im Namen führen, im aktuellen politischen Klima trotz ihres Mandates in der Öffentlichkeit nicht ernstgenommen werden und die kommenden Abschiebungsflüge wieder unbeobachtet stattfinden, von den Kumpels von FRONTEX einmal abgesehen. Ja, es ist nicht nur ein deutsches, es ist dies auch ein europäisches Problem: Die bei Abschiebungen Getöteten der Vergangenheit, das Vergessen und Verdrängen, wie auch die zunehmende Härte bei aktuellen Abschiebungen, wenn Rechtspopulisten zur Jagd blasen.
Der Bericht muss ernst genommen werden!
Ich habe die Menschen, die für den Tod Aamir Ageebs unmittelbar verantwortlich waren, während des Strafprozesses im Gerichtssaal erlebt. Man darf sie sich nicht vorstellen als per se zu Gewalttätigkeiten neigende Männer, denen alles zuzutrauen war. Nein, sie waren erschrocken über das, was sie angerichtet hatten. Sie hatten es nicht gewollt. Sie standen am Ende einer Befehlskette, in der das harte Durchgreifen erwartet, aber nicht samt seinen Grenzen näher geregelt wurde. Man sollte sich auch die Beamten auf dem vom CPT beobachteten Flug nicht als brutale Gewalttäter vorstellen, wird sich aber dennoch fragen, in welchem Umfeld abseits der soldatischen Einzelkämpferausbildung der schmerzhafte Griff an die Genitalien heute gelehrt wird. Die Begleitbeamten standen unter dem Druck der politischen Erwartung, eine Abschiebung durchzusetzen — um fast jeden Preis.
Das allerdings rechtfertigt nichts in einem Staat, in dem es auch heute keines großen Mutes bedarf, sich solchen Zumutungen zu verweigern. Es gibt Polizisten, die Abschiebungen abgebrochen aus guten Gründen abgebrochen haben. Abmahnungen sind nicht bekannt geworden.
Der Appell, den CPT-Bericht ernst zu nehmen und die Konsequenzen jetzt zu ziehen, gilt den Vorgesetzten und insbesondere den politisch Verantwortlichen. Es gilt, bei Abschiebungen die Menschenrechte zu beachten, die Anwendung exzessiver Gewalt zu verhindern und zugleich der Fürsorgepflicht für die eingesetzten Beamten nachzukommen, indem nicht erneut ein Konstrukt der organisierten Verantwortungslosigkeit zugelassen wird.
Seit fast 20 Jahren hängt in meinem Büro das Plakat einer Mahnwache zur Prozesseröffnung im Verfahren um den Tod Aamir Ageebs, zu der neben PRO ASYL weitere Organisationen aufriefen:
„Als Arbeitende sind die Zeitgenossen auf Mittun als solches gedrillt. Und jene Gewissenhaftigkeit, die sie sich anstelle ihres Gewissens angeschafft haben(sich anzuschaffen, von der Epoche gezwungen wurden), kommt einem Gelöbnis gleich; dem Gelöbnis, das Ergebnis der Tätigkeit, an der sie teilnehmen, nicht vor sich zu sehen; wenn sie nicht umhin können, es vor sich zu sehen, es nicht aufzufassen; wenn sie nicht umhin können, es aufzufassen, es nicht aufzubewahren, es zu vergessen – kurz: dem Gelöbnis, nicht zu wissen, was sie tun.“ (Günter Anders)
Zu gedenken ist auch viele Jahre später der damals namentlich bekannten Todesopfer bei Abschiebungen:
- Aamir Ageeb
- Joy Gardner
- Khaled Abuzarifa
- Kola Bankole
- Marcus Omofuma
- Mariame Getu Hago
- Ricardo Barrientos
- Samson Chukwu
- Semira Adamu
Und weiterer Menschen, die in einem Klima zunehmender Härte an europäischen Grenzen, in Abschiebungshaft, bei Abschiebungen oder in der Folge von Abschiebungen zu Tode kamen. Viele Namen bleiben unbekannt.
Bernd Mesovic, Leiter Abteilung Rechtspolitik von PRO ASYL