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Mehrere Fahnen aus Rettungsdecken auf der Demonstration "Notstand der Menschlichkeit" in Frankfurt 2019. Foto: Max Klöckner / PRO ASYL

Weltweit werden im Durchschnitt 37.000 Menschen pro Tag aus ihrer Heimat vertrieben. Ende des Jahres 2018 waren damit erstmals mehr als 70 Mio. Menschen auf der Flucht. Mit insgesamt 70,8 Mio. Flüchtlingen, Vertriebenen und Asylsuchenden ist die Zahl gegenüber dem Vorjahr um 2,3 Mio. gestiegen.

Im Ver­gleich zu vor 20 Jah­ren hat sie sich sogar ver­dop­pelt. (Quel­le: UNHCR Glo­bal Trends) Dem­ge­gen­über ist die Zahl der Asyl­su­chen­den in Deutsch­land das drit­te Jahr in Fol­ge deut­lich gesun­ken. 142.500 Asy­l­erst­an­trä­ge waren 2019 zu ver­zeich­nen, gegen­über 2018 (162.000) und dem Rekord­jahr 2016 (722.000) ein Rück­gang um 12% bzw. 80%. Inklu­si­ve Fol­ge­asyl­an­trä­gen lag die Zahl im Jahr 2019 bei 166.000.

(Folgende Ausführungen: Quellen immer BAMF bzw. die von dort abgefragten Statistiken sowie BMI)

142.500

betrug die Zahl der Asy­l­erst­an­trä­ge 2019. Dar­un­ter auch Neu­ge­bo­re­ne von Asylbewerber*innen.

Rückgang bei Asylerstanträgen

Erst­ma­lig wies das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um in sei­ner Vor­stel­lung der Asyl­sta­tis­ti­ken die Zahl der soge­nann­ten »grenz­über­schrei­ten­den Asyl­an­trä­ge« aus. Hier­bei han­delt es sich um Asyl­an­trä­ge, denen im Regel­fall ein Grenz­über­tritt vor­aus­ging, d.h. in die­sen Zah­len blei­ben Fol­ge­an­trä­ge oder Asyl­an­trä­ge von hier gebo­re­nen Kin­dern unbe­rück­sich­tigt. Ins­ge­samt 111.000 »grenz­über­schrei­ten­de« Asyl­an­trä­ge wur­den im Jahr 2019 gezählt, im Ver­gleich zum Vor­jahr ein Rück­gang um 18.500 bzw. von 14%.

Immer weniger Anträge nach Ersteinreise

Unstrit­tig sind die­se Zah­len als Indi­ka­tor für den tat­säch­li­chen Zugang von Asyl­su­chen­den wesent­lich geeig­ne­ter als die »offi­zi­el­len« Asyl­an­trags­zah­len des BAMF. Die­se beinhal­te­ten im letz­ten Jahr mit 23.500 Fol­ge­an­trä­gen sowie 31.500 Erst­an­trä­gen hier gebo­re­ner Kin­der näm­lich rund 55.000 Asyl­an­trä­ge von Men­schen, die nicht neu nach Deutsch­land ein­ge­reist sind.

BMI suggerierte höhere Einreisezahlen

In den letz­ten Jah­ren wur­den vom Innen­mi­nis­te­ri­um jedoch sehr ger­ne die Erst- und Fol­ge­an­trags­zah­len zusam­men­ge­zählt, um einen viel höhe­ren Zuzug von Asyl­su­chen­den zu sug­ge­rie­ren, als es tat­säch­lich der Fall war. Mit die­sen ver­meint­lich hohen Ein­rei­se­zah­len wur­den immer wei­te­re gesetz­li­che Restrik­tio­nen begrün­det. Noch bis Mit­te 2018 pro­gnos­ti­zier­te Innen­mi­nis­ter See­ho­fer, dass der im Koali­ti­ons­ver­trag »ver­ein­bar­te Kor­ri­dor für die Zuwan­de­rung« von 180.00 bis 220.000 Per­so­nen jähr­lich – hier­mit mein­te er vor allem Geflüch­te­te – erreicht oder über­schrit­ten wer­den könn­te. Dabei war längst klar, dass man hier­von schon damals weit ent­fernt war.

Nun­mehr scheint aber der Erfolg des eige­nen Han­delns im Vor­der­grund zu ste­hen und man lob­te sich in der Pres­se­er­klä­rung selbst, dass die »zahl­rei­chen Maß­nah­men der letz­ten Jah­re gegen unge­steu­er­te Zuwan­de­rung wir­ken«. Gleich­wohl blie­be »der Migra­ti­ons­druck an den Außen­gren­zen und nach Deutsch­land wei­ter­hin hoch«. Es mutet fast schon zynisch an, ange­sichts einer welt­wei­ten Rekord­zahl an Flücht­lin­gen und Ver­trie­be­nen von »Migra­ti­ons­druck«, zu spre­chen. Die immer grö­ßer wer­den­de Ver­zweif­lung und Not­la­ge der Men­schen bspw. in Nord­sy­ri­en, wo seit den Mili­tär­of­fen­si­ven der Tür­kei sowie des Assad-Regimes seit Ende letz­ten Jah­res Hun­dert­tau­sen­de in die Flucht geschla­gen wur­den, wird durch sol­che Aus­sa­gen völ­lig verkannt.

Syrien, Irak, Türkei, Iran & Afghanistan als Hauptherkunftsländer

Auch der Blick auf die Haupt­her­kunfts­län­der der Asyl­su­chen­den in Deutsch­land unter­streicht, dass der­ar­ti­ge ver­ba­le Ver­harm­lo­sun­gen völ­lig fehl am Platz sind. Mit 26.500 Asy­l­erst­an­trä­gen (hier: von zuvor neu ein­ge­reis­ten Asyl­su­chen­den) war Syri­en wei­ter­hin mit Abstand das Haupt­her­kunfts­land in Deutsch­land. Damit kam erneut fast jeder vier­te Schutz­su­chen­de aus dem Bür­ger­kriegs­land. Mit 11.000 bzw. 10.500 Schutz­su­chen­den folg­ten der Irak und die Tür­kei auf Platz zwei und drei der Hauptherkunftsländer.

Die Tür­kei war damit eines der weni­gen Län­der mit leicht anstei­gen­der Zahl. Die Tür­kei unter Erdoğan ist damit zuneh­mend nicht nur Auf­nah­me­land syri­scher Flücht­lin­ge, son­dern selbst Flucht­her­kunfts­land. Dahin­ter folgt der Iran mit knapp 8.000 Asyl­an­trä­gen, aus Afgha­ni­stan kamen über 7.000 Schutz­su­chen­de. Allein aus die­sen fünf Län­dern – alle­samt Kri­sen­her­de und Staa­ten, in denen mas­si­ve Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an der Tages­ord­nung sind – kamen 56% aller Asylsuchenden.

Auch welt­weit stell­ten Men­schen aus Syri­en die größ­te Flücht­lings­grup­pe: Ende 2018 waren 6,7 Mio. Syrer*innen außer­halb der Lan­des­gren­zen auf der Flucht, mit 2,7 Mio. Flücht­lin­gen folg­te Afghanistan.

Steigende Schutzquoten…

Nach­dem die Schutz­quo­ten für alle Her­kunfts­län­der seit Herbst 2015 rapi­de gesun­ken sind – die viel zu häu­fig übli­che Reak­ti­on bei stei­gen­den Flücht­lings­zah­len – stieg die Quo­te im letz­ten Jahr wie­der etwas an und mehr Men­schen haben Schutz gefun­den. Erhiel­ten im Jahr 2018 mit 50% noch genau die Hälf­te der Asyl­su­chen­den, deren Antrag inhalt­lich geprüft wur­de, Schutz, stieg die­se Quo­te im ver­gan­ge­nen Jahr auf knapp 57%: 36% erhiel­ten Flücht­lings­schutz nach der Gen­fer Kon­ven­ti­on, in 16% wur­de sub­si­diä­rer Schutz zuer­kannt, in 5% der Fäl­le lag ein natio­na­les Abschie­bungs­ver­bot vor. 43% der Betrof­fe­nen wur­den aus inhalt­li­chen Grün­den abgelehnt.

Die offi­zi­ell aus­ge­wie­se­nen Zah­len wei­sen mit einer Gesamt­schutz­quo­te von 38% sowie 29% Ableh­nun­gen wesent­lich nied­ri­ge­re Quo­ten aus. Das liegt dar­an, dass in der offi­zi­el­len Sta­tis­tik auch so genann­te for­mel­le Erle­di­gun­gen umfasst sind, also Asyl­an­trä­ge die weder abge­lehnt noch aner­kannt wer­den, son­dern nicht geprüft wer­den, weil bspw. ein ande­rer EU-Staat für die Prü­fung zustän­dig ist. Die­se stel­len ein Drit­tel aller Ent­schei­dun­gen dar (32%).

oder doch (noch) weniger Humanität?

Auf­fäl­li­ge Ver­än­de­run­gen im posi­ti­ven Sin­ne gab es beim Irak (Anstieg der Schutz­quo­te von 46% auf 52%), der Tür­kei (von 47% auf 53%) und bei Afgha­ni­stan (von 52% auf 63%). Dem­ge­gen­über ste­hen jedoch bei Staa­ten wie Eri­trea (von 94% auf 90%) oder dem Iran (34% auf 28%) signi­fi­kan­te Ände­run­gen im nega­ti­ven Sin­ne gegen­über, ohne dass sich die Situa­ti­on in die­sen Län­dern zum Guten ver­än­dert hät­te. Am deut­lichs­ten wird die Pra­xis, auf hohe Zugangs­zah­len mit nied­ri­ge­ren Schutz­quo­ten zu reagie­ren am Bei­spiel Iran, bei dem die Schutz­quo­te seit 2015 von 85% auf 28% im ver­gan­ge­nen Jahr sank.

Doch auch die posi­ti­ven Ver­än­de­run­gen bspw. bei der Tür­kei oder Afgha­ni­stan sind kaum mit einer flücht­lings­freund­li­che­ren BAMF-Pra­xis oder erhöh­ter Prüf­qua­li­tät zu erklä­ren. Sie sind ins­be­son­de­re bei Afgha­ni­stan Resul­tat einer hohen Quo­te an Kor­rek­tu­ren der Asyl­be­schei­de durch die Gerich­te, bei der Tür­kei schlägt sich ins­be­son­de­re der Skan­dal um die Beschlag­nah­mung von BAMF-Akten bei einem Ver­trau­ens­an­walt des Aus­wär­ti­gen Amtes durch tür­ki­sche Behör­den in der erhöh­ten Quo­te nie­der. Hin­zu kommt, dass der Groß­teil der Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen auf Grund von Fami­li­en­asyl gewährt wur­de, also abge­lei­tet von hier aner­kann­ten Ange­hö­ri­gen. Oft­mals geht es um hier nach dem Asyl­ver­fah­ren der Eltern gebo­re­ne Kin­der, für die i.d.R. von Amts wegen ein Asyl­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wird und die dann den­sel­ben Sta­tus wie ihre Eltern erhal­ten. Aber auch eini­ge im Rah­men des Fami­li­en­nach­zugs nach­ge­kom­me­ne Ange­hö­ri­ge, die hier zur Sta­tus­klä­rung Asyl bean­trag­ten, dürf­ten dar­un­ter sein.

Ins­ge­samt beru­hen mitt­ler­wei­le 78% aller Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen auf Fami­li­en­asyl (2018: 63%). Schaut man sich die­je­ni­gen Staa­ten mit den höchs­ten Schutz­quo­ten und dadurch ver­gleichs­wei­se hohem »Fami­li­en­nach­zugs­po­ten­zi­al« an, wird die­se Quo­te noch dras­ti­scher: Über 96% der Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen bei Syrer*innen lei­ten sich von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen ab, beim Irak sind es 95%, bei Afgha­ni­stan 72% und bei Eri­trea 96%.

Letzt­lich bleibt fest­zu­stel­len, dass sich die restrik­ti­ve Linie, die mit der Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs zu sub­si­di­är Geschütz­ten im März 2016 poli­tisch ein­ge­lei­tet wur­de und in den 1000er-Kon­tin­gen­ten seit August 2018 ihre Fort­set­zung fand, wei­ter­hin und auf­fäl­li­ger denn je in der BAMF-Ent­schei­dungs­pra­xis nie­der­schlägt: Für Asyl­su­chen­de aus die­sen Län­dern gibt es kaum noch eigen­stän­di­ge Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen oder über­haupt eine Chan­ce auf Asyl, son­dern allen­falls auf die Gewäh­rung sub­si­diä­ren Schut­zes oder von natio­na­len Abschie­bungs­ver­bo­ten. Das Kal­kül dahin­ter: Wer sei­ne Fami­lie nur unter sehr erschwer­ten Bedin­gun­gen und dann auch erst nach Jah­ren des War­tens nach­ho­len kann, sucht mög­li­cher­wei­se nicht in Deutsch­land um Schutz nach.

Vermeintlich »sichere Herkunftsländer« weniger sicher, als es die Politik gerne hätte

In den letz­ten Jah­ren wird regel­mä­ßig ver­sucht, die Lis­te der so genann­ten »siche­ren Her­kunfts­län­der«, in denen es per deut­schem Asyl­ge­setz kei­ne Ver­fol­gung geben soll, aus­zu­wei­ten. Dabei kön­nen laut einem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts aus dem Jahr 1996 die Aner­ken­nungs­quo­ten ein Indiz sein – sie sind aber bei wei­tem nicht aus­schlag­ge­bend und die tat­säch­li­che Men­schen­rechts­la­ge muss genau geprüft werden.

Die Erfolgs­aus­sich­ten für Asyl­su­chen­de aus Staa­ten wie Marok­ko, Tune­si­en, Alge­ri­en und Geor­gi­en sowie neu­er­dings auch Arme­ni­en, Gam­bia und die Elfen­bein­küs­te lie­gen dabei alles ande­re als bei null oder nur knapp dar­über, wie immer wie­der behaup­tet wird.

Die Erfolgs­aus­sich­ten für Asyl­su­chen­de aus Staa­ten wie Marok­ko, Tune­si­en, Alge­ri­en und Geor­gi­en sowie neu­er­dings auch Arme­ni­en, Gam­bia und die Elfen­bein­küs­te lie­gen dabei alles ande­re als bei null oder nur knapp dar­über, wie immer wie­der behaup­tet wird. Immer­hin 6% der Schutz­su­chen­den aus Marok­ko erhiel­ten im letz­ten Jahr Schutz durch das BAMF, vor Gericht waren sogar 11% erfolg­reich. Tune­si­sche Asyl­su­chen­de waren zwar nur in 3% der Fäl­le erfolg­reich, aller­dings wur­den 13% der BAMF-Beschei­de von den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten kor­ri­giert, also mehr als jede ach­te Ent­schei­dung. Auch bei Alge­ri­en (5% BAMF-Schutz­quo­te / 6% Kor­rek­tur durch die Gerich­te), Arme­ni­en (8% / 10%) oder den zuletzt eben­falls genann­ten Län­dern Gam­bia (11% BAMF-Schutz­quo­te, VG-Quo­ten lie­gen nicht vor) oder die Elfen­bein­küs­te (10% BAMF-Schutz­quo­te) gibt es beacht­li­che Quo­ten an erfolg­rei­chen Asylverfahren.

Auch wenn die­se Zah­len deut­lich unter Schnitt lie­gen und Schutz­su­chen­de aus die­sen Län­dern über­wie­gend abge­lehnt wer­den: Wie kann man Staa­ten als frei von Ver­fol­gung erklä­ren wol­len, wenn es zum Teil Schutz­quo­ten im zwei­stel­li­gen Bereich gibt, dem­nach durch­aus gra­vie­ren­de Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen zu ver­zeich­nen sind und es sich kei­nes­wegs nur um Aus­nah­me­fäl­le han­delt? Gera­de ange­sichts einer sehr restrik­ti­ven BAMF-Pra­xis täte der Gesetz­ge­ber gut dar­an, den Men­schen fai­re Asyl­ver­fah­ren zu garan­tie­ren, anstatt dafür zu sor­gen, dass noch mehr Men­schen in Schnell­ver­fah­ren abge­lehnt und im schlimms­ten Fall durch fal­sche Ent­schei­dun­gen in Lebens­ge­fahr gebracht werden.

Zudem wur­de in dem letz­ten Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren, im Rah­men des­sen Alge­ri­en, Marok­ko und Tune­si­en sowie Geor­gi­en zu »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« ein­ge­stuft wer­den soll­ten, aus­führ­lich dar­ge­legt, dass die Men­schen­rechts­la­ge in den Län­dern die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt auf­ge­stell­ten Kri­te­ri­en nicht erfüllt und so auch unab­hän­gig von den Schutz­quo­ten eine sol­che Ein­stu­fung nicht in Fra­ge kommt.

Weiterhin mehr als ein Viertel falscher BAMF-Bescheide

(Quel­le: Druck­sa­che 19/18498)

Nach wie vor wer­den vie­le Beschei­de des BAMF von den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten auf­ge­ho­ben: 2019 erwie­sen sich mehr als 22.181 Beschei­de als feh­ler­haft oder falsch und wur­den kor­ri­giert. Dies bedeu­tet eine Quo­te von über 26% (2018: 31%) der inhalt­lich über­prüf­ten BAMF-Ent­schei­dun­gen. Hin­zu kom­men über 3.800 so genann­te Abhil­fe­ent­schei­dun­gen des BAMF (v.a. syri­sche und afgha­ni­sche Flücht­lin­ge), in denen das BAMF sei­ne eige­ne Ent­schei­dung auf­hob und kor­ri­gier­te, bspw. auf Hin­weis des Gerichts, dass die Kla­ge Erfolg haben dürfte.

Bei ein­zel­nen Her­kunfts­län­dern war die berei­nig­te Erfolgs­quo­te bei Gericht im ers­ten Halb­jahr deut­lich höher als im Durch­schnitt. Bei afgha­ni­schen Geflüch­te­ten lag sie bei 48 Pro­zent – also nahe­zu jeder zwei­te Bescheid wur­de bemän­gelt und kor­ri­giert; bei ira­ni­schen Geflüch­te­ten lag sie bei 40 Pro­zent, bei soma­li­schen bei 47 Prozent.

Die Gerichts­quo­ten sind damit im Ver­gleich zu 2018 zwar ein wenig gesun­ken. Dies hat aber ins­be­son­de­re damit zu tun, dass das BAMF sei­ne Aner­ken­nungs­pra­xis (z.B. Afgha­ni­stan) mehr an der Recht­spre­chung ori­en­tiert. Dass aller­dings den­noch wei­ter­hin ein Vier­tel der Beschei­de feh­ler­haft oder falsch ist, bei Staa­ten wie Afgha­ni­stan, Soma­lia oder dem Iran sogar fast jeder zwei­te, ist jedoch ein Skan­dal, den sich kei­ne ande­re Behör­de in Deutsch­land erlau­ben könnte.

Integrationsfeindliche Ablehnungsstrategie

Doch auch dies scheint Teil der Abschre­ckungs­stra­te­gie gegen Flücht­lin­ge zu sein. Selbst wenn das BAMF in vie­len Gerichts­ver­fah­ren ver­liert und die Gerichts­kos­ten zu tra­gen hat, gibt es den Neben­ef­fekt, dass Kla­ge­ver­fah­ren ange­sichts von wei­ter­hin rund 275.000 anhän­gi­gen Asyl­kla­gen oft­mals ein, zwei oder drei Jah­re dau­ern kön­nen (durch­schnitt­li­che Dau­er im ers­ten Halb­jahr 2019: über 16 Mona­te, Ten­denz steigend).

Selbst wenn die Betrof­fe­nen nach Jah­ren des War­tens zu ihrem Recht kom­men, kön­nen sie so lan­ge nicht ihre Fami­lie nach­ho­len oder wer­den von der über Jah­re andau­ern­den Unsi­cher­heit, ob sie blei­ben kön­nen oder nicht, zer­mürbt. Nicht zuletzt bedeu­tet die­ser Schwe­be­zu­stand auch einen sehr erschwer­ten Zugang zu Sprach- und Inte­gra­ti­ons­kur­sen sowie zum Arbeits­markt. Somit wirkt die­se Pra­xis mas­siv inte­gra­ti­ons­feind­lich auf Men­schen, die schutz­be­dürf­tig sind, nicht zurück­keh­ren kön­nen und zum gro­ßen Teil in Deutsch­land blei­ben werden.

Flughafenverfahren – Schnellverfahren an den Grenzen 

Die Stra­te­gie der Abschre­ckung macht sich in den letz­ten Jah­ren zuneh­mend auch im so genann­ten Flug­ha­fen­ver­fah­ren bemerk­bar. Das Flug­ha­fen­ver­fah­ren ist ein Schnell­ver­fah­ren, bei dem Men­schen im Flug­ha­fen­tran­sit fest­ge­hal­ten wer­den und als nicht ein­ge­reist gel­ten. Über ihren Asyl­an­trag muss das BAMF bin­nen zwei Tagen ent­schei­den. Gelingt dies nicht, ist die Ein­rei­se zu erlau­ben und das Ver­fah­ren wird im Inland fortgeführt.

Im Rah­men die­ses Schnell­ver­fah­rens darf eine Ableh­nung nur als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« erfol­gen, d.h. die Ableh­nung und die Unbe­grün­det­heit des Antrags muss sich gera­de­zu auf­drän­gen – kom­ple­xe Sach­ver­hal­te kön­nen also unmög­lich im Rah­men einer Schnell­prü­fung bin­nen zwei Tagen auf­ge­klärt wer­den. Den­noch ist die Ableh­nungs­quo­te als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« in den letz­ten Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich gestie­gen. Lag sie 2014 noch bei 9%, wur­de zwei Jah­re spä­ter mit 25% bereits jeder Vier­te als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« abge­lehnt. Von 29%  in 2017 über 41% in 2018 ist die Ableh­nungs­quo­te auf mitt­ler­wei­le 48% in 2019 gestie­gen, d.h. fast jedem Zwei­ten wird unter­stellt, kei­ner­lei Asyl­grün­de zu haben.

Nach Aus­sa­gen des BAMF sei die­se mas­si­ve Zunah­me der »offen­sicht­lich unbegründet«-Ablehnungen aber kei­nes­wegs Fol­ge einer ver­schärf­ten Pra­xis, son­dern Fol­ge der indi­vi­du­ell-kon­kre­ten Sach­vor­trä­ge der Per­so­nen, wel­che ent­we­der aus »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« kom­mend oder »ohne im Besitz eines gül­ti­gen Pas­ses oder Pass­ersat­zes zu sein« auf einem Flug­ha­fen um Asyl nach­su­chen. (BT-Druck­sa­che 19/13945, S. 20). Aller­dings sagt der Besitz oder Nicht­be­sitz eines Pas­ses nichts über mög­li­che Asyl­grün­de aus und die Zahl der Asyl­su­chen­den aus »siche­ren Her­kunfts­län­dern« beweg­te sich mit 4 Anträ­gen bei unter einem Pro­zent der 458 Akten­an­la­gen des letz­ten Jahres.

Mit der Situa­ti­on in den Her­kunfts­län­dern kann der beschrie­be­ne Trend eben­falls nicht erklärt wer­den, wie das Bespiel Iran zeigt, aus dem im letz­ten Jahr über ein Vier­tel aller Asyl­su­chen­den im Flug­ha­fen­ver­fah­ren kamen: Wur­de bis 2017 nur ein ver­gleichs­wei­se gerin­ger Anteil der Asyl­su­chen­den aus dem Iran abge­lehnt (2015: 4%; 2016: 3%; 2017: 8%) stieg die Quo­te auf 21% in 2018 und auf 50% im letz­ten Jahr. Die rapi­de stei­gen­de Ableh­nungs­zahl hat dem­nach ganz offen­sicht­lich viel mehr mit der »Asyl­zah­len run­ter um jeden Preis«-Politik zu tun, als mit dem jewei­li­gen indi­vi­du­ell-kon­kre­ten Sach­vor­trag. Oder war­um soll­ten sich bin­nen kür­zes­ter Zeit die Sach­vor­trä­ge von Men­schen aus dem Iran in einer Art und Wei­se geän­dert haben, dass sich die Ableh­nung gera­de­zu auf­drän­gen muss?

Im Hin­blick auf die von der Poli­tik immer wie­der gefor­der­ten Asyl­ver­fah­ren an der deut­schen oder der EU-Außen­gren­ze muss zwin­gend auf das bereits seit Jah­ren bestehen­de Flug­ha­fen­ver­fah­ren hin­ge­wie­sen wer­den: Neben der men­schen­recht­lich höchst bedenk­li­chen Inter­nie­rung von Men­schen in geschlos­se­nen Lagern kann die Prü­fung, ob jemand schutz­be­dürf­tig ist oder nicht, nie­mals in einem nur weni­ge Tage dau­ern­den Schnell­ver­fah­ren erfol­gen. Gra­vie­ren­de Qua­li­täts­män­gel und im schlimms­ten Fall Fehl­ent­schei­dun­gen mit lebens­ge­fähr­li­chen Kon­se­quen­zen sind die logi­sche Kon­se­quenz davon (sie­he hier­zu eine ent­spre­chen­de Ana­ly­se von PRO ASYL).

Dublin-Bürokratie in einem Drittel aller Fälle

Die Zahl der  Dub­lin-Ver­fah­ren bleibt wei­ter unver­än­dert hoch: in fast 49.000 Fäl­len oder jedem drit­ten Asyl­ver­fah­ren (34%) wur­de ein  Dub­lin-Ver­fah­ren ein­ge­lei­tet. Mit über 14.000 wur­den die meis­ten Über­nah­me­ersu­chen an Ita­li­en gerich­tet (29% der Über­nah­me­ersu­chen), dahin­ter folgt mit 10.000 Über­nah­me­ersu­chen (20%) Grie­chen­land. Allein die­se bei­den Staa­ten, die mit der Auf­nah­me und Ver­sor­gung von Flücht­lin­gen ohne­hin völ­lig über­for­dert sind, sol­len also für fast 50% oder jeden zwei­ten Asyl­su­chen­den in Deutsch­land zustän­dig sein.

Abseits des Irr­sinns, über­for­der­te Staa­ten noch mehr zu über­for­dern und vor allem Men­schen in erbärm­lichs­te Ver­hält­nis­se schi­cken zu wol­len, ist das  Dub­lin-Ver­fah­ren ein zumeist lang­wie­ri­ges und höchst büro­kra­ti­sches Ver­fah­ren, das dem eigent­li­chen Zweck des Asyl­ver­fah­rens, näm­lich der Prü­fung der Schutz­be­dürf­tig­keit einer Per­son, vor­an­ge­schal­tet ist. Im Rah­men von Dub­lin wur­den 8.400 Per­so­nen in die zustän­di­gen Dub­lin-Mit­glieds­staa­ten über­stellt, also nur ein Bruch­teil der ursprüng­lich ein­ge­lei­te­ten Verfahren.

Im Gegen­zug wur­den im Rah­men von Dub­lin 6.100 Per­so­nen nach Deutsch­land über­stellt, für deren Asyl­ver­fah­ren Deutsch­land zustän­dig war – im Ergeb­nis hat­te Deutsch­land also 2.300 Asyl­ver­fah­ren weni­ger zu bear­bei­ten. Für die­se ver­gleichs­wei­se gerin­ge Zahl in fast 50.000 oder mehr als einem Drit­tel aller Fäl­le mona­te­lan­ge Zustän­dig­keits­ver­fah­ren vor­zu­schal­ten, bevor die eigent­li­che Prü­fung über die Schutz­ge­wäh­rung statt­fin­det, darf als sinn­lo­se Büro­kra­tie bezeich­net wer­den, die über­dies auf Kos­ten der Schutz­su­chen­den und vor allem der spä­ter als schutz­be­dürf­tig Aner­kann­ten geht. Im Schnitt zie­hen sich die­se Ver­fah­ren mehr als 15 Mona­te hin, wenn nach einem  Dub­lin-Ver­fah­ren der Asyl­an­trag doch in Deutsch­land geprüft wird.

Erfolgt eine Über­stel­lung im Rah­men von Dub­lin, lan­den die Betrof­fe­nen häu­fig in Elend und Obdach­lo­sig­keit, wie bspw. in Ita­li­en, wohin mit 2.600 mehr als 30% der Über­stel­lun­gen erfolg­ten. Nach Grie­chen­land erfolg­ten zwar nur 20 Über­stel­lun­gen, weil Grie­chen­land die Über­nah­me der Ver­fah­ren zumeist ablehn­te. Aller­dings bedeu­tet die­se Zahl im Ver­gleich zu 2018 (6 Über­stel­lun­gen) mehr als eine Ver­drei­fa­chung. Allein auf­grund der zuneh­men­den Über­nah­me­ersu­chen muss für die Zukunft ein wei­te­rer Anstieg befürch­tet werden.

Im Gegen­zug lehnt Deutsch­land mitt­ler­wei­le zuneh­mend Über­nah­me­ersu­chen aus Grie­chen­land ab. Knapp 1.700 Über­nah­me­ersu­chen aus Grie­chen­land ste­hen fast 1.400 Ableh­nun­gen des BAMF gegen­über. Ins­be­son­de­re pro­ble­ma­tisch an die­ser Pra­xis: In die­sen Fäl­len geht es regel­mä­ßig um Men­schen, die in Grie­chen­land fest­sit­zen – oft­mals in den Elend­sla­gern auf den Inseln – und die auf­grund von engen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen sogar einen Rechts­an­spruch auf ein Asyl­ver­fah­ren in Deutsch­land hät­ten, wo sie mit ihrer Fami­lie wie­der­ver­eint wären.

Die Über­for­de­rung und der Unwil­le der grie­chi­schen Behör­den füh­ren jedoch dazu, dass Fris­ten im  Dub­lin-Ver­fah­ren ver­säumt wer­den und die Über­nah­me­ersu­chen zu spät gestellt wer­den. Wie schon vie­le Ver­wal­tungs­ge­rich­te in Deutsch­land fest­ge­stellt haben, soll­ten die­se ver­fris­te­ten Anträ­ge dann ange­sichts der Wich­tig­keit von Kin­des­wohl und Fami­li­en­ein­heit über die huma­ni­tä­re Klau­sel der Dub­lin-Ver­ord­nung gere­gelt wer­den. Doch das BAMF bewer­tet in die­sen Fäl­len die Ein­hal­tung von Fris­ten regel­mä­ßig höher als die Ein­heit von Fami­li­en und es kommt zu dau­er­haf­ten Tren­nun­gen von Flücht­lings­fa­mi­li­en durch büro­kra­ti­sche Trick­se­rei­en – wenn nicht recht­zei­tig vor Gericht inter­ve­niert wird.

BAMF: Von der Asylbehörde zur Widerrufsbehörde

BAMF-Prä­si­dent Som­mer hat den Wan­del des BAMF zur Wider­rufs­be­hör­de selbst ver­kün­det, im letz­ten Jahr wur­de er schon fast voll­zo­gen: 184.000 Asy­l­ent­schei­dun­gen im Jahr 2019 ste­hen 170.000 Ent­schei­dun­gen über Wider­rufs­ver­fah­ren gegen­über. Ange­sichts wei­ter sin­ken­der Asyl­zah­len ist im Jahr 2020 somit erst­mals eine höhe­re Zahl an Wider­rufs­ver­fah­ren als an Asyl­ver­fah­ren zu erwarten.

Im Rah­men eines Wider­rufs­ver­fah­rens wird geprüft, ob die Betrof­fe­nen noch schutz­be­dürf­tig sind oder ob sich ihre indi­vi­du­el­len Ver­hält­nis­se oder die Ver­hält­nis­se in ihrem Her­kunfts­land nach­hal­tig und lang­fris­tig geän­dert haben und ihnen ihr Schutz­sta­tus ent­zo­gen wer­den kann. In Deutsch­land müs­sen die­se Wider­rufs­prü­fun­gen bei aner­kann­ten Flücht­lin­gen von Amts wegen erfol­gen – ziem­lich ein­zig­ar­tig in Euro­pa. Hun­dert­tau­sen­de Über­prü­fun­gen des Schutz­be­darfs wer­den also noch fol­gen müs­sen – das BAMF rech­net bis Ende 2021 mit 700.000 Verfahren.

Für Geflüch­te­te bedeu­ten die­se Wider­rufs­ver­fah­ren vor allem eines: Angst, Ver­un­si­che­rung und Sor­ge um ihre Zukunft, zumal sie häu­fig zu per­sön­li­chen Anhö­run­gen ins BAMF vor­ge­la­den wer­den. Ange­sichts der tat­säch­lich erfol­gen­den Wider­ru­fe darf unter­stellt wer­den, das genau die­ser Effekt sei­tens der Poli­tik beab­sich­tigt ist: Den Men­schen soll sug­ge­riert wer­den, dass es grund­sätz­lich jeder­zeit mög­lich ist, sie zurück zu schi­cken und dass sie letzt­lich nicht will­kom­men sind.

In weni­ger als 3% der Fäl­le erfolg­te 2019 tat­säch­lich ein Wider­ruf (2018: 1%). Da 83% der Wider­rufs­prü­fun­gen Men­schen aus den drei Staa­ten Syri­en, dem Irak und Afgha­ni­stan betra­fen, gegen­über denen auch 78% der tat­säch­li­chen Wider­ru­fe des Schutz­sta­tus erfolg­ten, dürf­te der Groß­teil der Wider­ru­fe nicht wegen einer geän­der­ten Situa­ti­on im Her­kunfts­land erfolgt sein, son­dern vor allen aus indi­vi­du­el­len Grün­den und mut­maß­lich weit über­wie­gend gegen­über Per­so­nen, die sich gar nicht mehr in Deutsch­land aufhalten.

Zu den Wider­ru­fen kommt ein mit 0,5% sehr gerin­ger Anteil an Rück­nah­men. Rück­nah­men erfol­gen, weil die Schutz­ge­wäh­rung fälsch­li­cher­wei­se erfolgt ist, bspw. weil die Betrof­fe­nen eine fal­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ange­ge­ben haben. Die­se Zahl bedeu­tet im Umkehr­schluss, dass 99,5% der Zuer­ken­nun­gen von Schutz zu Recht erfolgt sind und nicht – wie häu­fig unter­stellt – Hun­dert­tau­sen­de mit fal­scher Iden­ti­tät zu Unrecht Asyl erhal­ten haben.

Ange­sichts der wei­ter­hin fast ver­nach­läs­sig­bar nied­ri­gen Zahl fälsch­li­cher­wei­se ergan­ge­ner posi­ti­ver Beschei­de, aber über einem Vier­tel feh­ler­haf­ter nega­ti­ver Beschei­de, soll­te das BAMF im Rah­men sei­ner immer wie­der beton­ten Qua­li­täts­of­fen­si­ve Rück­nah­me­prü­fun­gen von Amts wegen ins­be­son­de­re bei sei­nen ableh­nen­den Beschei­den durch­füh­ren. Dies wäre ein tat­säch­li­cher Bei­trag zur Qua­li­täts­si­che­rung der Asyl­ver­fah­ren und im Sin­ne der wei­ter­hin völ­lig über­las­te­ten Ver­wal­tungs­ge­rich­te. Aber vor allem stün­de es den Schutz­su­chen­den zu, die so oft zu Unrecht abge­lehnt wurden.

Dirk Mor­lok


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