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Ob ein Flüchtling schon während dem Asylverfahren an einem Integrationskurs teilnehmen kann, hängt nur von seinem Herkunftsland ab. Diese pauschale Einordnung sorgt dafür, dass die Integration von vielen Menschen in Deutschland monate- und jahrelang unnötig verzögert wird. Foto: picture alliance / dpa

Zugang zu Integrationskursen während des laufenden Asylverfahrens erhalten nur Flüchtlinge mit »guter Bleibeperspektive«. Diese Sortierung sorgt in vielen Fällen dafür, dass die Integration von Menschen, die dauerhaft in Deutschland bleiben werden, unnötig verschleppt wird. Das kann man auch an den kürzlich veröffentlichten Asylzahlen 2016 sehen.

Ob ein Flücht­ling in Deutsch­land eine »gute« oder »schlech­te« Blei­be­per­spek­ti­ve hat, hängt nach Ansicht des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) erst­mal nur vom Her­kunfts­land ab. Das ist allein des­halb unsin­nig, weil der Kern des Asyl­sys­tems eine indi­vi­du­el­le Prü­fung von Flucht­grün­den vor­sieht, kei­ne pau­scha­le anhand des Her­kunfts­lan­des. An eini­gen Bei­spie­len wird aber beson­ders deut­lich, war­um die­se Vor­sor­tie­rung falsch ist.

Wer hat denn eine »gute Bleibeperspektive«?

Eine »gute Blei­be­per­spek­ti­ve« wird Men­schen aus Syri­en, Irak, Eri­trea, Soma­lia und dem Iran zuge­schrie­ben. Damit haben sie nicht nur Zugang zu Inte­gra­ti­ons­kur­sen bereits wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens, die Bun­des­agen­tur für Arbeit hat die­se Auf­fas­sung eben­so über­nom­men und ent­schei­det dar­auf basie­rend über den Zugang zum SGB III, also zu Maß­nah­men der Arbeitsförderung.

Begrün­det wird die Ein­stu­fung damit, dass die (unbe­rei­nig­te*) Schutz­quo­te für Flücht­lin­ge aus den genann­ten Län­dern im Asyl­ver­fah­ren bei über 50 Pro­zent liegt.  Natür­lich erhal­ten aller­dings auch Men­schen aus ande­ren Her­kunfts­staa­ten einen Schutz­sta­tus in Deutsch­land. Sie müs­sen aber allein auf­grund ihrer Her­kunft untä­tig den Abschluss des Ver­fah­rens abwar­ten. Und das kann dauern.

Der mona­te- und jah­re­lan­ge Aus­schluss zahl­rei­cher asyl­su­chen­der Men­schen von Inte­gra­ti­ons­kur­sen ist inte­gra­ti­ons­po­li­tisch völ­lig widersinnig.

Verschenkte Jahre: Dauer des Verfahrens könnte besser genutzt werden

Rund 7 Mona­te muss­ten Flücht­lin­ge im ver­gan­ge­nen Jahr auf eine Ent­schei­dung über ihren Asyl­an­trag war­ten. Vor allem für Flücht­lin­ge, die Ende 2015 auf dem Höhe­punkt der Migra­ti­ons­be­we­gun­gen nach Deutsch­land gekom­men sind, muss auch noch die lan­ge War­te­zeit, bis über­haupt ein Asyl­an­trag gestellt wer­den konn­te, hin­zu­ge­rech­net werden.

Dazu kommt, dass die Ver­fah­ren gera­de bei Schutz­su­chen­den aus Her­kunfts­län­dern, die nicht in der Kate­go­rie »gute Blei­be­per­spek­ti­ve« ein­ge­ord­net sind, bei denen es aber trotz­dem eine hohe Zahl an Aner­ken­nun­gen gibt, meist län­ger dau­ern. Die Dau­er des Asyl­ver­fah­rens für afgha­ni­sche Flücht­lin­ge war im ers­ten Halb­jahr bei­spiels­wei­se knapp dop­pelt so lang – über 13 Monate.

In man­chen Fäl­len spre­chen wir hier also von bis zu zwei Jah­ren, in denen die Inte­gra­ti­ons­be­mü­hun­gen von Men­schen, die dau­er­haft bei uns in Deutsch­land blei­ben wer­den, von Amts wegen blo­ckiert werden.

Keine »gute Bleibeperspektive« bei afghanischen Flüchtlingen?

Beson­ders unver­ständ­lich ist das bei Afghan*innen – nicht nur, dass ihre Schutz­quo­te mitt­ler­wei­le sogar über der Gren­ze von 50 Pro­zent liegt (55,8% unbe­rei­nig­te* Gesamt­schutz­quo­te im Jahr 2016), durch die unsi­che­re Lage in ihrem Hei­mat­land gibt es auch kaum Abschie­bun­gen dort­hin – ver­gan­ge­nen Monat wur­den erst­mals seit zwölf Jah­ren 34 Per­so­nen in einem Sam­mel­flie­ger abgeschoben.

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Afghan*innen erhal­ten einen Schutz­sta­tus. Vom früh­zei­ti­gen Besuch eines Inte­gra­ti­ons­kur­ses wer­den sie aber allein auf­grund ihrer Her­kunft ausgeschlossen. 

Vie­le Afghan*innen, deren Asyl­an­trag abge­lehnt wur­de, erhal­ten eine Dul­dung in Deutsch­land, oft­mals über vie­le Jah­re lang. Auch für sie ist also der (mög­lichst früh­zei­ti­ge) Besuch eines Inte­gra­ti­ons­kur­ses sinn­voll und richtig.

Noch absurder: Das Beispiel Jemen

Obwohl Schutz letzt­lich fast immer gewährt wird, haben jeme­ni­ti­sche Flücht­lin­ge in Deutsch­land kei­nen Zugang zu Inte­gra­ti­ons­kur­sen des BAMF. Der Grund: Sie sind zu weni­ge. Im ers­ten Halb­jahr 2016 haben 241 Jemenit*innen einen Asyl­an­trag gestellt, über 98 wur­de ent­schie­den, ledig­lich ein Antrag davon wur­de abge­lehnt. Nimmt man die sons­ti­gen Ver­fah­rens­er­le­di­gun­gen hin­zu, ergibt sich eine (unbe­rei­nig­te*) Schutz­quo­te von 69,4 Prozent.

War­um dür­fen Schutz­su­chen­de aus dem Jemen nun also nicht bereits früh­zei­tig einen Inte­gra­ti­ons­kurs besu­chen? Die Ant­wort ist eben­so sim­pel wie unver­ständ­lich: Neben einer Gesamt­schutz­quo­te von über 50% geht das BAMF nur dann von einer »guten Blei­be­per­spek­ti­ve« aus, wenn es eine »rele­van­te Zahl von Antrag­stel­lern« aus einem Land gibt. Im Klar­text heißt das: Die Jeme­ni­ten mögen zwar schutz­be­dürf­tig sein – sie sind aber zu weni­ge, um früh­zei­tig inte­griert zu wer­den. Logisch ist das nicht.

»Gute Bleibeperspektive« – ungerechte Prognose!

Der bis­lang prak­ti­zier­te Aus­schluss jeme­ni­ti­scher und afgha­ni­scher Geflüch­te­ter in Deutsch­land illus­triert die Unsin­nig­keit eines an der so genann­ten Blei­be­per­spek­ti­ve ori­en­tier­ten Asyl- und Inte­gra­ti­ons­sys­tems, des­sen Kri­te­ri­en weder kon­se­quent noch logisch sind. Selbst wenn ihre sta­tis­ti­sche Chan­ce, aner­kannt zu wer­den, wie im Fall von Afghan*innen und Jemenit*innen hoch oder sehr hoch ist, wer­den sie nicht zu Men­schen mit »guter Blei­be­per­spek­ti­ve« gezählt.

Eben­so durch das Ras­ter der früh­zei­ti­gen Inte­gra­ti­on fal­len sämt­li­che Asylantragsteller*innen aus ande­ren Staa­ten – auch wenn sie schließ­lich doch eine Aner­ken­nung und damit den Anspruch auf Inte­gra­ti­on erhal­ten. Und das sind gar nicht so wenige.

PRO ASYL for­dert die die Öff­nung von Inte­gra­ti­ons- und Sprach­kur­sen für alle – von Anfang an!

Fast drei Viertel erhalten Schutz in Deutschland!

Fast drei Vier­tel der Men­schen, die in Deutsch­land Schutz suchen, erhal­ten ihn auch, wenn ihr Asyl­an­trag inhalt­lich geprüft wird. Die berei­nig­te* Schutz­quo­te liegt, nimmt man Flücht­lin­ge aus allen Her­kunfts­län­dern zusam­men, für 2016 bei rund 71,5 Prozent.

Für die Ein­ord­nung der Her­kunfts­län­der nach Blei­be­per­spek­ti­ve wird jedoch die unbe­rei­nig­te Schutz­quo­te her­an­ge­zo­gen, die auch nicht-inhalt­li­che Ent­schei­dun­gen ein­be­rech­net. Oft gilt ein Asyl­ver­fah­ren des­halb als erle­digt, weil die Zustän­dig­keit nach dem Dub­lin-Sys­tem in einem ande­ren EU-Staat liegt. Über die indi­vi­du­el­le Schutz­be­dürf­tig­keit des Antrags­stel­lers soll dann nicht in Deutsch­land ent­schie­den, son­dern eine Abschie­bung in den jewei­li­gen Dritt­staat vor­be­rei­tet werden.

Vie­le die­ser geplan­ten Abschie­bun­gen fin­den aber letzt­end­lich gar nicht statt, die Men­schen blei­ben also trotz­dem in Deutsch­land. Das kann zum Bei­spiel dar­an lie­gen, dass in man­chen die­ser Staa­ten, wie Bul­ga­ri­en oder Grie­chen­land, die Zustän­de für Flücht­lin­ge so kata­stro­phal sind, dass Abschie­bun­gen dort­hin nicht durch­ge­führt werden.

Auch abgelehnte Asylbewerber bleiben oft hier

Und selbst für Men­schen, die letzt­end­lich im Asyl­ver­fah­ren abge­lehnt wer­den, macht ein früh­zei­ti­ger Sprach­kurs Sinn: Zum einen kön­nen auch für zeit­lich begrenz­ten Auf­ent­hal­ten die erwor­be­nen Sprach­kennt­nis­se oder Zer­ti­fi­ka­te für man­chen Flücht­ling bedeu­ten, dass er/sie das Land nicht mit lee­ren Hän­den verlässt.

Zum ande­ren blei­ben aus unter­schied­li­chen Grün­den auch ein Teil der abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den im Land, oft­mals bei­spiels­wei­se mit einer Dul­dung. Der mona­te- und jah­re­lan­ge Aus­schluss zahl­rei­cher asyl­su­chen­der Men­schen von Inte­gra­ti­ons­kur­sen ist also inte­gra­ti­ons­po­li­tisch völ­lig widersinnig.

Integrationskurse für alle von Anfang an!

Gera­de dadurch, dass vie­le Asyl­su­chen­de wäh­rend ihres Asyl­ver­fah­rens in Mas­sen­un­ter­künf­ten ohne viel Kon­takt zur rest­li­chen Gesell­schaft, unter­ge­bracht sind, wäre ein Besuch der Inte­gra­ti­ons­kur­se beson­ders wich­tig – und ein Aus­weg aus der im Lager oft vor­herr­schen­den Langeweile.

Auch hat die Tat­sa­che, dass Flücht­lin­ge aus ver­schie­de­nen Natio­nen inner­halb der Groß­un­ter­künf­te durch die vor­ge­nom­me­ne Ein­sor­tie­rung qua­si in »gute« und »schlech­te« Flücht­lin­ge unter­teilt wer­den, in der Ver­gan­gen­heit bereits zu Pro­ble­men geführt. Vie­le Men­schen dort kön­nen – ver­ständ­li­cher­wei­se – nicht nach­voll­zie­hen, war­um nur ein Teil von ihnen bereits sol­che Kur­se besu­chen darf.

PRO ASYL for­dert des­halb die sofor­ti­ge Ein­stel­lung der Ein­sor­tie­rung von Geflüch­te­ten in Men­schen mit »guter« oder »schlech­ter Blei­be­per­spek­ti­ve« und die Öff­nung von Inte­gra­ti­ons- und Sprach­kur­sen für alle von Anfang an!

In der Gesamt­schutz­quo­te des BAMF sind zwar alle Per­so­nen inbe­grif­fen, die einen Schutz­sta­tus erhal­ten – auf der ande­ren Sei­te wer­den aber auch nicht-inhalt­li­che Ableh­nun­gen in der Sta­tis­tik berück­sich­tigt. In der berei­nig­ten Schutz­quo­te wer­den nun alle Asy­l­ent­schei­dun­gen her­aus­ge­rech­net, in denen kei­ne inhalt­li­che Beur­tei­lung erfolgt ist. Das kön­nen for­mel­le Ent­schei­dun­gen, etwa wegen zwi­schen­zeit­li­chen Ände­run­gen des Auf­ent­halts­sta­tus, sein, vor allem han­delt es sich aber meist um Über­stel­lun­gen an ande­re EU-Staa­ten gemäß der Dublin-III-Verordnung.