25.09.2018

Sowohl beim Familiennachzug zu subsidiär Geschützten, als auch beim Familienasyl und dem Nachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt es keine guten Nachrichten. Gesetze und Rechtsprechung von Gerichten werden in Deutschland nur unzureichend umgesetzt – zum Nachteil der Geflüchteten.

Familiennachzug zu subsidiär Geschützten: Schleppend

Das Glücks­rad wur­de 853 Mal gedreht, hat aber nur 65 Gewinner*innen her­vor­ge­bracht. Die ers­ten Erfah­run­gen mit dem »Fami­li­en­nach­zugs­neu­re­ge­lungs­ge­setz«, der neu­en gesetz­li­chen Grund­la­ge für die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu sub­si­di­är Geschütz­ten, bestä­ti­gen die Befürch­tun­gen des Flücht­lings­rats Nie­der­sach­sen und ande­rer Menschenrechtsorganisationen.

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Visa für den Fami­li­en­nach­zug wur­den im August 2018 erteilt.

Im August 2018 wur­den nicht ein­mal 1.000 Anträ­ge (853 Anträ­ge) von den Behör­den gesich­tet und geprüft. Dabei wur­den im ers­ten Monat nach Inkraft­tre­ten der Neu­re­ge­lung nur 42 Visa tat­säch­lich erteilt. In 65 Fäl­len wur­de die Zustim­mung der Behör­den erteilt, davon allein in 57 Fäl­len von Behör­den des Lan­des Ber­lin. Die ers­ten Erfah­run­gen wei­sen dar­auf hin, dass der büro­kra­ti­sche Auf­wand des neu­en Ver­fah­rens, wie von Fach­ver­bän­den kri­ti­siert, immens hoch ist.

Keine Kapazitäten trotz ewigem Vorlauf

Das Aus­wär­ti­ge Amt begrün­det dies mit der Kom­ple­xi­tät des neu­en Ver­fah­rens und man­geln­den Bear­bei­tungs­ka­pa­zi­tä­ten bei den deut­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen. Allein bei der Deut­schen Bot­schaft Bei­rut lie­gen 22.000 Ter­min­an­trä­ge für Zusam­men­füh­rungs­ver­fah­ren vor. Schon bei den zuvor durch­ge­führ­ten Zusam­men­füh­run­gen zu aner­kann­ten Flücht­lin­gen hat­te sich die Bear­bei­tungs­zeit der Ver­fah­ren ver­drei­facht. Wäh­rend die Bot­schaft auf ihrer Home­page von sechs Mona­ten spricht, müs­sen tat­säch­lich vie­le Fami­li­en lan­ge dar­über hin­aus war­ten. Bereits die jet­zi­gen Ver­fah­rens­dau­ern und jah­re­lan­gen Fami­li­en­tren­nun­gen sind damit für die Betrof­fe­nen unerträglich.

Für die ers­ten fünf Mona­te nach Inkraft­tre­ten des Geset­zes, also bis ein­schließ­lich Dezem­ber 2018, ist das monat­li­che Kon­tin­gent jeweils auf einen ande­ren Monat über­trag­bar. Das heißt, ins­ge­samt max. 5.000 Visa könn­ten bis Jah­res­en­de erteilt wer­den. Ob die­se Sum­me über­haupt erreicht wird, ist höchst frag­lich. Nach die­sem Zeit­raum soll kei­ne Über­trag­bar­keit außer­halb eines Monats­zeit­raums mehr mög­lich sein.

Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Auch außer­halb der Grup­pe der sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten blei­ben Fami­li­en getrennt: Nach­dem die Bun­des­re­gie­rung bereits jah­re­lang den Fami­li­en­nach­zug zu unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen fast unmög­lich gemacht hat, etwa durch die Ver­hin­de­rung des Geschwis­ter­nach­zugs, durch lan­ge behörd­li­che Ver­fah­ren oder durch Anwei­sun­gen an das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF), wur­de jetzt bekannt, dass sie auch die Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs (Urteil vom 12. April 2018, C‑550/16) nicht beach­ten will und für nicht anwend­bar hält.

Der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH) hat­te in dem Urteil klar­ge­stellt, dass unbe­glei­te­te Flücht­lin­ge, die zum Zeit­punkt der Asyl­an­trag­stel­lung min­der­jäh­rig waren und Flücht­lings­schutz nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on erhal­ten, auch dann ihr Recht auf Fami­li­en­nach­zug behal­ten, wenn sie im Lau­fe des Asyl­ver­fah­rens voll­jäh­rig wer­den (sie­he auch die Pres­se­mit­tei­lung des EuGH vom 12. April 2018).

Zeitspiel der Bundesregierung

Das Aus­wär­ti­ge Amt argu­men­tiert nun, dass das Urteil sich auf nie­der­län­di­sches Recht bezo­gen habe und nicht ins deut­sche Recht über­trag­bar sei. Es will nun wei­ter auf den Zeit­punkt der behörd­li­chen Ent­schei­dung abstel­len und hat mit­ge­teilt, dass die­se Rechts­fra­ge dem Euro­päi­schen Gerichts­hofs erneut zur Klä­rung, dann aber von deut­schen Gerich­ten, vor­ge­legt wer­den kön­ne. Damit spielt die Bun­des­re­gie­rung erneut zynisch auf Zeit und nimmt anhal­ten­de Fami­li­en­tren­nun­gen in Kauf.

Vor­her hat­te das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge bereits die Pra­xis beim Fami­li­en­asyl mit der Begrün­dung geän­dert, maß­geb­lich sei nicht die Asyl­an­trag­stel­lung, son­dern der Zeit­punkt der behörd­li­chen Ent­schei­dung. Begrün­det wur­de dies damit, dass Fami­li­en­asyl nur im deut­schen Auf­ent­halts­recht exis­tie­re und nicht im euro­päi­schen Recht.

Verschärfung beim Familienasyl

Auch beim The­ma Fami­li­en­asyl haben die Behör­den ihre Ver­fah­ren ver­schärft. Der soge­nann­te Kas­ka­den­nach­zug beim Nach­zug zu unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen (UMF) als ein­zi­ge rea­lis­ti­sche Per­spek­ti­ve zur Auf­recht­erhal­tung des Fami­li­en­le­bens einer Kern­fa­mi­lie wird durch das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge eben­falls hin­ter­trie­ben. Zieht zunächst ein Eltern­teil zum UMF nach und bean­tragt dann Fami­li­en­asyl, lei­tet das BAMF mitt­ler­wei­le sys­te­ma­tisch Wider­rufs­ver­fah­ren ein. Es wird dann geprüft, ob die Schutz­zu­er­ken­nung beim UMF wider­ru­fen wer­den kann.

Obwohl dies in vie­len Fäl­len über­haupt nicht in Rede steht, wird das Fami­li­en­asyl­ver­fah­ren damit absicht­lich in die Län­ge gezo­gen. Bevor das Eltern­teil aber kei­nen Schutz erhält, kön­nen auch die wei­te­ren Mit­glie­der der Kern­fa­mi­lie kein Nach­zugs­ver­fah­ren in die Wege leiten.

Karim Alwa­si­ti, Flücht­lings­rat Niedersachsen