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Wie die Behörden den Familiennachzug weiter torpedieren

Sowohl beim Familiennachzug zu subsidiär Geschützten, als auch beim Familienasyl und dem Nachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt es keine guten Nachrichten. Gesetze und Rechtsprechung von Gerichten werden in Deutschland nur unzureichend umgesetzt – zum Nachteil der Geflüchteten.
Familiennachzug zu subsidiär Geschützten: Schleppend
Das Glücksrad wurde 853 Mal gedreht, hat aber nur 65 Gewinner*innen hervorgebracht. Die ersten Erfahrungen mit dem »Familiennachzugsneuregelungsgesetz«, der neuen gesetzlichen Grundlage für die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten, bestätigen die Befürchtungen des Flüchtlingsrats Niedersachsen und anderer Menschenrechtsorganisationen.
Im August 2018 wurden nicht einmal 1.000 Anträge (853 Anträge) von den Behörden gesichtet und geprüft. Dabei wurden im ersten Monat nach Inkrafttreten der Neuregelung nur 42 Visa tatsächlich erteilt. In 65 Fällen wurde die Zustimmung der Behörden erteilt, davon allein in 57 Fällen von Behörden des Landes Berlin. Die ersten Erfahrungen weisen darauf hin, dass der bürokratische Aufwand des neuen Verfahrens, wie von Fachverbänden kritisiert, immens hoch ist.
Keine Kapazitäten trotz ewigem Vorlauf
Das Auswärtige Amt begründet dies mit der Komplexität des neuen Verfahrens und mangelnden Bearbeitungskapazitäten bei den deutschen Auslandsvertretungen. Allein bei der Deutschen Botschaft Beirut liegen 22.000 Terminanträge für Zusammenführungsverfahren vor. Schon bei den zuvor durchgeführten Zusammenführungen zu anerkannten Flüchtlingen hatte sich die Bearbeitungszeit der Verfahren verdreifacht. Während die Botschaft auf ihrer Homepage von sechs Monaten spricht, müssen tatsächlich viele Familien lange darüber hinaus warten. Bereits die jetzigen Verfahrensdauern und jahrelangen Familientrennungen sind damit für die Betroffenen unerträglich.
Für die ersten fünf Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, also bis einschließlich Dezember 2018, ist das monatliche Kontingent jeweils auf einen anderen Monat übertragbar. Das heißt, insgesamt max. 5.000 Visa könnten bis Jahresende erteilt werden. Ob diese Summe überhaupt erreicht wird, ist höchst fraglich. Nach diesem Zeitraum soll keine Übertragbarkeit außerhalb eines Monatszeitraums mehr möglich sein.
Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Auch außerhalb der Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten bleiben Familien getrennt: Nachdem die Bundesregierung bereits jahrelang den Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen fast unmöglich gemacht hat, etwa durch die Verhinderung des Geschwisternachzugs, durch lange behördliche Verfahren oder durch Anweisungen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), wurde jetzt bekannt, dass sie auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 12. April 2018, C‑550/16) nicht beachten will und für nicht anwendbar hält.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in dem Urteil klargestellt, dass unbegleitete Flüchtlinge, die zum Zeitpunkt der Asylantragstellung minderjährig waren und Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten, auch dann ihr Recht auf Familiennachzug behalten, wenn sie im Laufe des Asylverfahrens volljährig werden (siehe auch die Pressemitteilung des EuGH vom 12. April 2018).
Zeitspiel der Bundesregierung
Das Auswärtige Amt argumentiert nun, dass das Urteil sich auf niederländisches Recht bezogen habe und nicht ins deutsche Recht übertragbar sei. Es will nun weiter auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung abstellen und hat mitgeteilt, dass diese Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshofs erneut zur Klärung, dann aber von deutschen Gerichten, vorgelegt werden könne. Damit spielt die Bundesregierung erneut zynisch auf Zeit und nimmt anhaltende Familientrennungen in Kauf.
Vorher hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits die Praxis beim Familienasyl mit der Begründung geändert, maßgeblich sei nicht die Asylantragstellung, sondern der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung. Begründet wurde dies damit, dass Familienasyl nur im deutschen Aufenthaltsrecht existiere und nicht im europäischen Recht.
Verschärfung beim Familienasyl
Auch beim Thema Familienasyl haben die Behörden ihre Verfahren verschärft. Der sogenannte Kaskadennachzug beim Nachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) als einzige realistische Perspektive zur Aufrechterhaltung des Familienlebens einer Kernfamilie wird durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ebenfalls hintertrieben. Zieht zunächst ein Elternteil zum UMF nach und beantragt dann Familienasyl, leitet das BAMF mittlerweile systematisch Widerrufsverfahren ein. Es wird dann geprüft, ob die Schutzzuerkennung beim UMF widerrufen werden kann.
Obwohl dies in vielen Fällen überhaupt nicht in Rede steht, wird das Familienasylverfahren damit absichtlich in die Länge gezogen. Bevor das Elternteil aber keinen Schutz erhält, können auch die weiteren Mitglieder der Kernfamilie kein Nachzugsverfahren in die Wege leiten.
Karim Alwasiti, Flüchtlingsrat Niedersachsen