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EuGH stärkt den Schutz der Familie
Das Recht auf Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bleibt auch dann bestehen, wenn diese während ihres Asylverfahrens volljährig werden. Wie lange das Verfahren dauert, darf dabei nicht entscheidend sein. So urteilte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) und betonte damit erneut den hohen Stellenwert der Familie.
In dem entschiedenen Fall reiste eine minderjährige Eritreerin unbegleitet in die Niederlande ein und stellte dort mit 17 Jahren ihren Asylantrag. Einen Aufenthaltstitel als Asylberechtigte erhielt sie allerdings erst, als sie bereits volljährig war. Als es dann darum ging, wieder mit ihren Eltern und minderjährigen Brüdern vereint zu werden, lehnten die niederländischen Behörden und Gerichte die Anträge auf Familiennachzug ab – mit der Begründung, die junge Eritreerin sei nun nicht mehr minderjährig.
Dagegen stellte der EuGH nun mit seinem Urteil vom 12.04.2018 klar: Es kann nicht davon abhängen, wie schnell eine Behörde über einen Asylantrag entscheidet. Das würde sonst dazu führen, dass zwei unbegleitete, gleichaltrige Minderjährige, die gleichzeitig ihren Asylantrag stellen, je nach der Bearbeitungsdauer ihrer Anträge unterschiedlich behandelt werden könnten. Das Recht auf Familiennachzug würde von der Arbeitsbelastung der zuständigen Behörden sowie der politischen Entscheidungen der Mitgliedstaaten über die Personalausstattung und Bearbeitungspriorisierungen abhängen. Bei der Familienzusammenführung muss aber vielmehr eine gleiche und vorhersehbare Behandlung gewährleistet werden.
Dieses Verfahren steht auch nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten, vielmehr schreibt es die europäische Rechtsauslegung so vor. Allerdings muss der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden – d.h. grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab Flüchtlingsanerkennung.
Anspruch auch in Deutschland zu gewährleisten
In der deutschen Praxis und Rechtsprechung (siehe noch BVerwG-Urteil vom 18.04.2013) hieß es bisher, dass der Nachzug zu unbegleiteten Minderjährigen nur möglich sei, wenn die betroffene Person noch bei Einreise der Eltern minderjährig ist. Dem kann so nicht mehr gefolgt werden. § 36 Abs. 1 AufenthG, der den Elternnachzug regelt, muss entsprechend gesetzlich konkretisiert werden bzw. bereits jetzt so ausgelegt werden, dass auch bei volljährig Gewordenen der Anspruch auf Nachzug erfüllt wird.
Fraglich ist, wie das von der Großen Koalition scheinbar willkürlich festgelegte Kontingent für den Familiennachzug mit den Grundprinzipien des Unionsrechts vereinbar sein soll.
Für Betroffene, deren Anträge schon jetzt aufgrund eingetretener Volljährigkeit abgelehnt wurden, bestehen weiterhin rechtliche Möglichkeiten: Wurde der Antrag auf Familiennachzug innerhalb drei Monaten ab Anerkennung gestellt und dann abgelehnt, können sie in der Regel noch innerhalb eines Jahres gegen die Versagung des Visums remonstrieren sowie gegebenenfalls Klage einreichen. Auch für diejenigen, die aufgrund der bisherigen Rechtslage keinen Antrag gestellt hatten, ist nun zu prüfen, ob noch ein Anspruch besteht.
Europarechtlicher Stellenwert der Familie: Debatte zum Familiennachzug zu subsidiär Geschützten
Zwar hat der EuGH im konkreten Fall über anerkannte Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention entschieden. Nichtsdestotrotz sendet dieses Urteil ein entscheidendes Signal auch an die deutsche Debatte zum Familiennachzug zu subsidiär Geschützten: Das Gericht betont, dass das europäische Recht für Flüchtlinge »günstigere Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung vorsieht, weil ihrer Lage wegen der Gründe, die sie zur Flucht aus ihrem Heimatland gezwungen haben und sie daran hindern, dort ein normales Familienleben zu führen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.« (Rn. 32).
Diese Situation stellt sich genauso für Geflüchtete, die beispielsweise aufgrund eines Bürgerkriegs nicht mit ihrer Familie zusammenleben können, mithin für subsidiär Schutzberechtigte.
Ebenso ist die Aussage des EuGH von Bedeutung, dass »die gleiche und vorhersehbare Behandlung aller Antragsteller zu gewährleiten [ist], die sich zeitlich in der gleichen Situation befinden, indem sichergestellt wird, dass der Erfolg des Antrags auf Familienzusammenführung in erster Linie von Umständen abhängt, die in der Sphäre der Antragsteller liegen, nicht aber von Umständen, die in der Behördensphäre liegen« (Rn. 60). Dies fußt ausdrücklich auf den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit.
Fraglich ist, wie das von der Großen Koalition scheinbar willkürlich festgelegte Kontingent von monatlich 1000 berechtigten Nachzügen zu subsidiär Schutzberechtigten mit diesen Grundprinzipien des Unionsrechts vereinbar sein soll.
(beb)