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Viele Menschen zeigen ihre Solidarität mit der Ukraine bei einer Demo am Brandenburger Tor in Berlin. Foto: Wiebke Judith / PRO ASYL

Mit Entsetzen schauen wir auf den russischen Einmarsch in der Ukraine. Auch für viele Ukrainer*innen in Deutschland steht die Welt nun Kopf: Die Angst um Familie und Freund*innen ist groß. Bei manchen kommt die Sorge um den eigenen Aufenthalt in Deutschland hinzu. PRO ASYL stellt folgend die rechtliche Situation dar und Forderungen auf.

Am Don­ners­tag dem 24. Febru­ar 2022 wur­de die Ukrai­ne auf Befehl des rus­si­schen Prä­si­den­ten Putin vom rus­si­schen Mili­tär ange­grif­fen – nur einen Tag spä­ter wird davon berich­tet, dass die ers­ten rus­si­schen Trup­pen bereits in der ukrai­ni­schen Haupt­stadt Kiew sind. Laut dem UN-Flücht­lings­werk sind über 100.000 Men­schen inner­halb des Lan­des auf der Flucht vor den Kampf­hand­lun­gen, Tau­sen­de ver­su­chen zudem das Land zu verlassen.

An PRO ASYL wen­den sich in den letz­ten Tagen vie­le Men­schen, die Angst um ihre ukrai­ni­schen Ange­hö­ri­gen haben und nach den Mög­lich­kei­ten eines Asyl­an­trags oder sons­ti­gen Auf­nah­me­mög­lich­kei­ten fra­gen. Vie­le sor­gen sich um Ange­hö­ri­ge, die noch in der Ukrai­ne sind; ande­re um Ange­hö­ri­ge, die der­zeit zu Besuch in Deutsch­land sind, deren Auf­ent­halt aber dem­nächst abläuft und die nicht möch­ten, dass ihre Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen oder Freund*innen in die Ukrai­ne und die unge­wis­se Situa­ti­on des Kriegs­ge­sche­hens zurück­keh­ren müssen.

Des­we­gen stel­len wir hier eini­ge wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen zusam­men. Auf­grund der schnel­len Ent­wick­lun­gen kann es aber sein, dass sich Bestim­mun­gen ändern und dies nicht direkt aktua­li­siert wer­den kann. Bei wich­ti­gen auf­ent­halts­recht­li­chen Fra­gen soll­ten sich betrof­fe­ne Per­so­nen an ent­spre­chen­de Bera­tungs­stel­len wenden.

Wie können Ukrainer*innen in die EU und nach Deutschland einreisen?

Men­schen aus der Ukrai­ne kön­nen für Kurz­auf­ent­hal­te (bis zu 90 Tage inner­halb eines Zeit­raums von 180 Tagen) visum­frei in die EU und damit auch nach Deutsch­land ein­rei­sen, sofern sie im Besitz eines bio­me­tri­schen Rei­se­pas­ses sind (sie­he hier­zu auch die aktu­el­len Infor­ma­tio­nen des Aus­wär­ti­gen Amtes zur Ukrai­ne). Seit des­sen Ein­füh­rung im Mai 2015 wur­den den etwa 44 Mil­lio­nen ukrai­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen aber erst rund 19 Mil­lio­nen die­ser Päs­se aus­ge­stellt. Das for­ma­le Hin­der­nis eines bio­me­tri­schen Pas­ses als Vor­aus­set­zung einer visum­frei­en Ein­rei­se darf aktu­ell Flucht nicht verhindern!

Flucht­we­ge müs­sen offen blei­ben, d.h. die Gren­zen dür­fen für Men­schen aus der Ukrai­ne nicht geschlos­sen wer­den und müs­sen zudem auch für ande­re Staats­an­ge­hö­ri­ge offen sein. Laut Medi­en­be­richt vom 25.02.2022 hat zum Bei­spiel die Slo­wa­kei die Gren­zen für Flüch­ten­de geöff­net und lässt Ukrainer*innen ohne Doku­men­te ins Land. In der Ukrai­ne leben unter ande­rem Geflüch­te­te aus Syri­en, Afgha­ni­stan, Tsche­tsche­ni­en und Soma­lia, die nun erneut zur Flucht gezwun­gen sein könnten.

150.000

Men­schen aus der Ukrai­ne leben in Deutschland

Was passiert mit Menschen aus der Ukraine, die sich bereits in Deutschland aufhalten?

Laut Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter leben in Deutsch­land rund 150.000 Men­schen aus der Ukrai­ne, der weit über­wie­gen­de Teil hat einen Auf­ent­halts­ti­tel. Eine nied­ri­ge vier­stel­li­ge Zahl dürf­te sich im Asyl­ver­fah­ren befin­den, rund 3.000 dürf­ten mit einer Dul­dung hier leben, also aus­rei­se­pflich­tig sein. Außer­dem hält sich eine unbe­kann­te Grö­ßen­ord­nung an Men­schen hier auf, die bspw. zu Besuch bei Ange­hö­ri­gen sind.

Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um hat mir Erlass vom 24. Febru­ar 2022 fol­gen­de Hin­wei­se an die Innen­mi­nis­te­ri­en der Bun­des­län­der verschickt:

  • Nor­ma­ler­wei­se muss für die Ertei­lung eines Auf­ent­halts­ti­tels neben ande­ren Vor­aus­set­zun­gen die Per­son gemäß § 5 Abs. 2 Auf­enthG mit dem pas­sen­den Visum – zum Bei­spiel zum Ehe­gat­ten­nach­zug – ein­ge­reist sein. Im Fall der Ukrai­ne ist es laut dem BMI aktu­ell aber nicht zumut­bar ein Visums­ver­fah­ren nach­zu­ho­len – sprich aus Deutsch­land in die Ukrai­ne aus­zu­rei­sen, um von dort ein Visum zu bean­tra­gen (§ 5 Abs. 2 S. 2 Alter­na­ti­ve 2 Auf­enthG)

Das heißt, dass Ukrainer*innen, die sich visums­frei in Deutsch­land auf­hal­ten oder nach Deutsch­land ein­rei­sen und die Vor­aus­set­zun­gen für eine lang­fris­ti­ge Auf­ent­halts­er­laub­nis (z.B. zum Fami­li­en­nach­zug, für ein Stu­di­um oder eine qua­li­fi­zier­te Arbeit) erfül­len, die­se bei der ört­li­chen Aus­län­der­be­hör­de bean­tra­gen können.

  • Auf­ent­halts­er­laub­nis für 90 Tage im Anschluss an visums­frei­en Kurz­auf­ent­halt: Das BMI stellt außer­dem fest, dass Ukrainer*innen, die sich visums­frei in Deutsch­land auf­hal­ten, gemäß § 40 Auf­enthV eine Auf­ent­halts­er­laub­nis für wei­te­re 90 Tage bekom­men kön­nen, da ein Aus­nah­me­fall ent­spre­chend Art. 20 Abs. 2 Schen­ge­ner Durch­füh­rungs­über­ein­kom­men vor­liegt. In die­sen Fäl­len soll laut BMI eine Auf­ent­halts­er­laub­nis für einen im Auf­ent­halts­ge­setz nicht vor­ge­se­he­nen Auf­ent­halts­zweck nach § 7 Abs. 1 S. 3 Auf­enthG erteilt werden.

Ukrainer*innen kön­nen nach Ablauf hres Visums bzw. der Visums­frei­heit bei der ört­li­chen Aus­län­der­be­hör­de eine Ver­län­ge­rung um wei­te­re 90 Tage beantragen.

Die Erlas­se des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums sind für die Bun­des­län­der zwar nicht bin­dend, aber wer­den in der Regel befolgt. Dies soll­te bei die­sem Erlass drin­gend der Fall sein, da eine unbü­ro­kra­ti­sche und schnel­le Ver­län­ge­rung von Auf­ent­halts­ti­teln not­wen­dig ist. Für Men­schen ohne bio­me­tri­schen Pass, die mit Besuchs­vi­sum in Deutsch­land sind oder ein­rei­sen, gibt es laut EU-Visa­ko­dex eben­falls eine Mög­lich­keit der Ver­län­ge­rung des Visums um 90 Tage.

Das bedeu­tet, dass Ukrainer*innen, die sich visum­frei oder mit Besuchs­vi­sum in Deutsch­land auf­hal­ten oder ein­rei­sen nach Ablauf ihres Visums bzw. der Visums­frei­heit bei der ört­li­chen Aus­län­der­be­hör­de eine Ver­län­ge­rung um wei­te­re 90 Tage bean­tra­gen kön­nen und nicht zurück müs­sen, also bei ihren Ange­hö­ri­gen oder Freund*innen blei­ben können.

Von die­sen Rege­lun­gen sind aller­dings Per­so­nen aus der Ukrai­ne, die im Asyl­ver­fah­ren sind oder nur eine Dul­dung haben, nicht direkt umfasst. Bis­lang wur­den Asyl­ver­fah­ren von Antragsteller*innen aus der Ost­ukrai­ne mit Ver­weis auf die Schutz­mög­lich­keit in der West­ukrai­ne meist abge­lehnt. Die­se Ent­schei­dungs­pra­xis wird abseh­bar geän­dert wer­den müs­sen. Men­schen, die in Deutsch­land sind oder jetzt nach Deutsch­land kom­men und Asyl bean­tra­gen möch­ten, soll­ten sich nicht nur des­we­gen unbe­dingt vor­her indi­vi­du­ell bera­ten lassen.

Um aus­rei­se­pflich­ti­ge Ukrainer*innen zu schüt­zen und um ihnen Sicher­heit zu bie­ten, soll­ten die Bun­des­län­der gemäß § 23 Abs. 1 Auf­enthG die­ser Per­so­nen­grup­pe eine Auf­ent­halts­er­laub­nis ertei­len, wozu das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um das hier­für erfor­der­li­che Ein­ver­neh­men erklä­ren soll­te. Auch ein for­ma­ler Abschie­bungs­stopp ist ange­sichts der dra­ma­ti­schen Ent­wick­lun­gen angezeigt.

Was ist der »vorübergehende Schutz« den Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorschlägt?

In einer Schal­te von Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser und den Innenminister*innen und ‑sena­to­ren der Bun­des­län­der wur­de laut Medi­en­be­richt die Anwen­dung des soge­nann­ten »vor­über­ge­hen­den Schut­zes« (§ 24 Auf­enthG) ins Spiel gebracht. Die­ser Sta­tus stammt aus der euro­päi­schen Richt­li­nie über »Min­dest­nor­men für die Gewäh­rung vor­über­ge­hen­den Schut­zes im Fal­le eines Mas­sen­zu­stroms von Ver­trie­be­nen« (Richt­li­nie 2001/55/EG).

Für die Anwen­dung die­ser Norm bedarf es einen ent­spre­chen­den Beschluss des Rates der EU mit qua­li­fi­zier­ter Mehr­heit über das Vor­lie­gen eines »Mas­sen­zu­stroms von Ver­trie­be­nen«. Als Kon­se­quenz wür­de der »vor­über­ge­hen­de Schutz« für die im Rats­be­schluss ent­spre­chend defi­nier­te Per­so­nen­grup­pe in allen Mit­glied­staa­ten der EU gel­ten (Art. 5 Richt­li­nie 2001/55/EG).

Aktu­ell gibt es noch kei­ne Hin­wei­se dar­auf, dass eine Akti­vie­rung des »vor­über­ge­hen­den Schut­zes« auf euro­päi­scher Ebe­ne eine Mehr­heit fin­den würde.

Auf­grund der ent­spre­chend not­wen­di­gen poli­ti­schen Mehr­heit in der EU kam es bis­lang noch nie zur Anwen­dung die­ser Richt­li­nie – auch nicht wäh­rend der hohen Asyl­an­trags­zah­len 2015.

Der »vor­über­ge­hen­de Schutz« gilt zunächst für ein Jahr und kann sich zwei­mal auto­ma­tisch um sechs Mona­te ver­län­gern (Art. 4 Abs. 1 Richt­li­nie 2001/55/EG). Neben dem Aus­lau­fen des Schut­zes kann die­ser auch durch erneu­ten Rats­be­schluss been­det wer­den, wenn eine siche­re und dau­er­haf­te Rück­kehr mög­lich ist (Art. 6 Abs. 1 lit. b Richt­li­nie 2001/55/EG). Es bleibt den Begüns­tig­ten unbe­nom­men, wäh­rend des Schut­zes einen Asyl­an­trag zu stel­len (Art. 17 Richt­li­nie 2001/55/EG).

Aktu­ell gibt es noch kei­ne Hin­wei­se dar­auf, dass eine Akti­vie­rung des »vor­über­ge­hen­den Schut­zes« auf euro­päi­scher Ebe­ne eine Mehr­heit fin­den wür­de – auch wenn die Chan­cen hier­für ange­sichts des all­ge­mei­nen Schre­ckens über den rus­si­schen Ein­marsch und der Beteue­run­gen zur Flücht­lings­auf­nah­me aus der Ukrai­ne höher sein dürf­ten als in den ver­gan­ge­nen Jahren.

(wj/dmo)