22.02.2023
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Protest in München für Menschenrechte im Iran. Foto: Nk Ni/ Unsplash

Seit dem Tod Jina Mahsa Aminis im vergangenen September dauern die Demonstrationen im Iran an. Trotz schwerster Repression durch das Regime bleibt der Protest ungebrochen. Eine Rückkehr für Geflüchtete in den Iran scheint absurder denn je. Doch viele haben keinen Schutzstatus. Sind Folgeanträge für sie eine Lösung?

Inhaf­tiert, ver­prü­gelt, ermor­det – der Tod von Mah­sa Ami­ni im Gewahr­sam der ira­ni­schen Behör­den lös­te im Iran die schwers­ten Pro­tes­te seit Jahr­zehn­ten im Land aus. Die 22-Jäh­ri­ge war am 13. Sep­tem­ber 2022 von der ira­ni­schen Sit­ten­po­li­zei wegen angeb­lich unis­la­mi­scher Klei­dung ver­haf­tet worden.

Auch jetzt noch, fünf Mona­te nach ihrem Tod, dau­ern die Pro­tes­te an. Und das, obwohl das ira­ni­sche Regime mit aller Macht ver­sucht, die Pro­tes­te nie­der­zu­schla­gen. Berich­te von unab­hän­gi­gen Orga­ni­sa­tio­nen schät­zen, dass seit Beginn der Pro­tes­te mehr als 500 Men­schen getö­tet wur­den, dar­un­ter zahl­rei­che Min­der­jäh­ri­ge. Vier Demons­tran­ten wur­den bis­lang durch die Behör­den öffent­lich hin­ge­rich­tet, nach Mel­dung der ira­ni­schen NGO Iran Human Rights droht wei­te­ren 109 die Todesstrafe.

Bis zu 20 Tsd.

Pro­tes­tie­ren­de wur­den verhaftet

Bis zu 20.000 Pro­tes­tie­ren­de wur­den nach Schät­zun­gen zudem inhaf­tiert. Die Betrof­fe­nen berich­ten von Fol­ter und Miss­hand­lun­gen durch die Sicher­heits­kräf­te. Sie sei­en aus­ge­peitscht, ver­prü­gelt oder mit Elek­tro­scho­ckern gefol­tert wor­den. Auch von sexu­el­len Über­grif­fen berich­ten die Opfer.

Ein Recher­che­kol­lek­tiv aus WDR, NDR und Süd­deut­scher Zei­tung zitiert aus einem als ver­trau­lich ein­ge­stuf­ten Bericht des Aus­wär­ti­gen Amtes: »Zahl­rei­che Berich­te über durch Fol­ter und psy­chi­schen Druck erzwun­ge­ne Geständ­nis­se« sei­en bekannt. »See­li­sche und kör­per­li­che Fol­ter sowie unmensch­li­che Behand­lung bei Ver­hö­ren und in Haft« wären üblich.

Iraner*innen in Deutschland werden vom BAMF weiter abgelehnt

Obwohl der Bun­des­re­gie­rung also eige­ne Erkennt­nis­se vor­lie­gen, haben die­se bis­lang kei­ne erkenn­ba­ren Aus­wir­kun­gen auf die Beur­tei­lung der Gefähr­dungs­la­ge von in Deutsch­land leben­den Iraner*innen. So zei­gen die Zah­len des Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) aus dem ver­gan­ge­nen Jahr, dass selbst mit der berei­nig­ten Quo­te mehr als jede*r zwei­te Iraner*in, der*die einen Asyl­an­trag stellt, abge­lehnt wird. Die Zah­len zei­gen dabei auch nach der Revo­lu­ti­on kei­ne Ver­än­de­rung, im Gegen­teil, es ist, sogar ein leich­ter Anstieg der Asyl-Ableh­nungs­quo­ten zu erken­nen, wie wir berich­te­ten. Der Trend setzt sich auch im Janu­ar die­ses Jah­res fort, wo die berei­nig­te Schutz­quo­te nach den Zah­len des BAMF erneut nur 48 Pro­zent erreich­te. Laut Medi­en­be­rich­ten aktua­li­sier­te das BAMF Anfang des Jah­res sei­ne Her­kunfts­län­der­leit­sät­ze basie­rend auf einer neu­en Lage­ein­schät­zung des Aus­wär­ti­gen Amts von Novem­ber 2022.

PRO ASYL for­dert, dass es aktu­ell zumin­dest zu kei­nen Ableh­nun­gen kom­men darf. In Afgha­ni­stan hat­te das BAMF nach der Macht­über­nah­me der Tali­ban nega­ti­ve Ent­schei­dun­gen in Bezug auf afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de aus­ge­setzt. Ent­spre­chend muss jetzt in Bezug auf ira­ni­sche Geflüch­te­te gehan­delt wer­den. Die Neu­be­wer­tung der Lage muss zu mehr Schutz von Iraner*innen führen.

Zugleich betei­li­gen sich aber auch vie­le der lan­ge Zeit vor Beginn der Unru­hen hier leben­den Iraner*innen an Pro­tes­ten, tre­ten also in der Öffent­lich­keit mit poli­ti­schen For­de­run­gen auf. Die Bun­des­re­gie­rung geht in einer Ant­wort auf eine klei­ne Anfra­ge der Lin­ken-Abge­ord­ne­ten Cla­ra Bün­ger davon aus, dass ira­ni­sche Oppo­si­tio­nel­le in Deutsch­land im Fokus der ira­ni­schen Behör­den ste­hen. Es gibt auch Erkennt­nis­se vom deut­schen Ver­fas­sungs­schutz, dass die hier Pro­tes­tie­ren­den vom ira­ni­schen Nach­rich­ten­dienst beob­ach­tet werden.

Es darf daher ange­nom­men wer­den, dass die­sen Oppo­si­tio­nel­len im Iran Ver­fol­gung droht. Für sie reicht nicht aus, dass – mit Aus­nah­men für Gefährder*innen und Täter*innen schwe­rer Straf­ta­ten – Abschie­bun­gen in Bezug auf den Iran seit der letz­ten Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz bun­des­weit vor­über­ge­hend aus­ge­setzt sind (TOP 16 der IMK-Beschlüs­se vom 02.12.2022).

Hoffnung Folgeantrag?

Für die Grup­pe der exil­po­li­tisch täti­gen Iraner*innen könn­ten Fol­ge­an­trä­ge eine Per­spek­ti­ve für einen gesi­cher­ten Auf­ent­halt darstellen.

Ein Fol­ge­an­trag (§ 71 Asyl­ge­setz)  ist ein erneu­ter Asyl­an­trag nach einem bereits abge­schlos­se­nen Asylverfahren.

Ein Fol­ge­an­trag kann gestellt wer­den, wenn »sich die dem Ver­wal­tungs­akt zugrun­de lie­gen­de Sach- oder Rechts­la­ge nach­träg­lich zuguns­ten des Betrof­fe­nen geän­dert hat« (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Ver­wal­tungs­ver­fah­rens­ge­setz). Wenn eine sol­che Ände­rung vor­liegt, wird erneut voll­stän­dig unter Ein­be­zie­hung aller Tat­sa­chen eine Prü­fung vor­ge­nom­men. Beim Fol­ge­an­trag wird dann die Ver­fol­gungs­ge­fahr mit Hin­blick auf die heu­ti­ge Lage im Iran beur­teilt und nicht zum Zeit­punkt des ers­ten Asylantrags.

In der Regel ist ein Fol­ge­an­trag per­sön­lich bei der zustän­di­gen Außen­stel­le des BAMFs zu stellen.

Denn in begrün­de­ten Fäl­len, also etwa, wenn eine Teil­nah­me an öffent­li­chen Pro­tes­ten – womög­lich gar mit Bil­dern in sozia­len Medi­en – fest­zu­stel­len ist, so dass die begrün­de­te Gefahr besteht, dass der ira­ni­sche Nach­rich­ten­dienst hier­von Kennt­nis erlangt hat, kann ein Fol­ge­an­trag mög­li­cher­wei­se zu einer Flücht­lings­an­er­ken­nung füh­ren.  Noch lie­gen uns kei­ne Ent­schei­dun­gen des BAMFs in sol­chen Fäl­len vor, ein­zel­ne posi­ti­ve Gerichts­ur­tei­le  (VG Würz­burg, Urteil vom 19. Dezem­ber 2022 – W 8 K 22.30631) gibt es aber bereits.

Damit ein Fol­ge­an­trag geprüft wird, muss sich die Sach- oder Rechts­la­ge zuguns­ten der Per­son geän­dert haben oder es müs­sen neue Beweis­mit­tel vor­lie­gen – solan­ge es nicht die Schuld der Per­son war, die­se Umstän­de nicht im ers­ten Asyl­ver­fah­ren ein­ge­bracht zu haben (§ 51 Ver­wal­tungs­ver­fah­rens­ge­setz).

Wenn dies der Fall ist, dann wird wie bei einem regu­lä­ren Asyl­ver­fah­ren geprüft, ob die Per­son etwa aus poli­ti­schen Grün­den im Hei­mat­land ver­folgt wird. Im Mit­tel­punkt des­sen steht die per­sön­li­che Anhö­rung. Zen­tra­le Fra­ge bei die­ser ist, ob die Aus­sa­gen der Per­son als glaub­haft ein­ge­schätzt wer­den. Dazu braucht es vor allem kon­kre­te Anga­ben hin­sicht­lich z.B. der poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen und Hand­lun­gen sowie der befürch­te­ten Ver­fol­gung bei Rückkehr.

Dabei hilft es, wenn die eige­ne Tätig­keit doku­men­tiert wird, um durch mit­ge­brach­te Unter­la­gen die Aus­sa­gen zu unter­stüt­zen. Auch frü­he­re oppo­si­tio­nel­le Tätig­kei­ten im Iran oder in Deutsch­land kön­nen sich posi­tiv auswirken.

Außer­dem wird dann in einem nächs­ten Schritt bewer­tet, ob die oppo­si­tio­nel­le Hal­tung auch vom Iran wahr­ge­nom­men wur­de und des­halb Ver­fol­gung droht.

Wie sich also die Lage im Ein­zel­fall dar­stellt, hängt von vie­len Fak­to­ren ab. Wir emp­feh­len daher, zu Bera­tungs­stel­len oder Anwält*innen zu gehen, bevor ein Fol­ge­an­trag gestellt wird. 

Dabei ist aller­dings die Unter­schei­dung zwi­schen objek­ti­ven und sub­jek­ti­ven Nach­flucht­grün­den zu beachten:

Ein objek­ti­ver Nach­flucht­grund ist in der Ver­schär­fung der Repres­sa­li­en sei­tens des ira­ni­schen Regimes gegen Oppo­si­tio­nel­le im Zuge der aktu­el­len Pro­tes­te zu sehen, der unab­hän­gig vom eige­nen Zutun hier leben­der Iraner*innen ent­stan­den ist. Hat sich also bei­spiels­wei­se eine Per­son bereits in Iran vor ihrer Aus­rei­se oppo­si­tio­nell betä­tigt, und hat dies in ihrem ers­ten Asyl­ver­fah­ren noch nicht für eine Flücht­lings­an­er­ken­nung gereicht, kann auf Grund der objek­tiv ver­än­der­ten Lage in Iran die Situa­ti­on jetzt anders zu beur­tei­len sein und zur Zuer­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft führen.

Problem des »selbstgeschaffenen Nachfluchtgrundes«

Ein sub­jek­ti­ver Nach­flucht­grund ist dem­ge­gen­über ein Gefähr­dungs­grund, der erst nach der Flucht durch eige­nes Zutun ent­stan­den ist. Ein sol­cher liegt regel­mä­ßig bei erst­ma­li­gen (exil-)politischen Akti­vi­tä­ten erst nach Ver­las­sen des Her­kunfts­lan­des vor.

Nach § 28 Absatz 2 des Asyl­ge­set­zes gilt, dass bei der­ar­ti­gen sub­jek­ti­ven, selbst­ge­schaf­fe­nen Nach­flucht­grün­den in einem Fol­ge­ver­fah­ren die Flücht­lings­ei­gen­schaft »in der Regel« nicht zuer­kannt wer­den kann. Das BAMF könn­te so zu der Auf­fas­sung gelan­gen, dass bei einer Per­son, die sich vor der Flucht aus Iran nie oppo­si­tio­nell betä­tigt hat und dies nun erst­ma­lig in Soli­da­ri­tät mit den Pro­tes­ten in Iran tut, ein sub­jek­ti­ver Nach­flucht­grund vor­liegt, der zur Ver­sa­gung der Flücht­lings­ei­gen­schaft führt.

Es gibt aber auch Aus­nah­men der von § 28 des Asyl­ge­set­zes auf­ge­stell­ten Regel. Hat sich gera­de erst auf Grund der Ermor­dung von Jina Mah­sa Ami­ni und des bru­ta­len Vor­ge­hens des ira­ni­schen Regimes gegen die dar­auf­hin ent­flamm­ten Pro­tes­te eine tie­fe, inne­re oppo­si­tio­nel­le Über­zeu­gung gebil­det, die zu erst­ma­li­gen (exil-)politischen Akti­vi­tä­ten geführt hat, muss nach zutref­fen­der Ansicht von einer sol­chen Aus­nah­me aus­ge­gan­gen und infol­ge­des­sen die Flücht­lings­ei­gen­schaft zuer­kannt werden.

Selbst wenn aber eine sol­che Aus­nah­me nicht aner­kannt wird, muss dies nicht zur gänz­li­chen Ableh­nung eines Asyl­fol­ge­an­tra­ges füh­ren. Ange­sichts der aktu­el­len Lage im Iran könn­te ein Fol­ge­an­trag zumin­dest auch zu einem Abschie­bungs­ver­bot führen.

Dane­ben sind auch wei­te­re Blei­be­per­spek­ti­ven denk­bar, etwa über den neu geschaf­fe­nen Chan­cen­auf­ent­halt oder wegen nach­hal­ti­ger Inte­gra­ti­on (§§ 25a und b Aufenthaltsgesetz).

Wich­tig ist: Betrof­fe­ne soll­ten sich stets fach­kund­lich oder auch anwalt­lich zu ihrer per­sön­li­chen Situa­ti­on bera­ten las­sen (hier gibt es eine Über­sicht von Bera­tungs­stel­len).