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Weiterhin keine Verbesserung beim Schutz für Iraner*innen in Deutschland
Seit dem Tod Jina Mahsa Aminis im vergangenen September dauern die Demonstrationen im Iran an. Trotz schwerster Repression durch das Regime bleibt der Protest ungebrochen. Eine Rückkehr für Geflüchtete in den Iran scheint absurder denn je. Doch viele haben keinen Schutzstatus. Sind Folgeanträge für sie eine Lösung?
Inhaftiert, verprügelt, ermordet – der Tod von Mahsa Amini im Gewahrsam der iranischen Behörden löste im Iran die schwersten Proteste seit Jahrzehnten im Land aus. Die 22-Jährige war am 13. September 2022 von der iranischen Sittenpolizei wegen angeblich unislamischer Kleidung verhaftet worden.
Auch jetzt noch, fünf Monate nach ihrem Tod, dauern die Proteste an. Und das, obwohl das iranische Regime mit aller Macht versucht, die Proteste niederzuschlagen. Berichte von unabhängigen Organisationen schätzen, dass seit Beginn der Proteste mehr als 500 Menschen getötet wurden, darunter zahlreiche Minderjährige. Vier Demonstranten wurden bislang durch die Behörden öffentlich hingerichtet, nach Meldung der iranischen NGO Iran Human Rights droht weiteren 109 die Todesstrafe.
Bis zu 20.000 Protestierende wurden nach Schätzungen zudem inhaftiert. Die Betroffenen berichten von Folter und Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte. Sie seien ausgepeitscht, verprügelt oder mit Elektroschockern gefoltert worden. Auch von sexuellen Übergriffen berichten die Opfer.
Ein Recherchekollektiv aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zitiert aus einem als vertraulich eingestuften Bericht des Auswärtigen Amtes: »Zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse« seien bekannt. »Seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft« wären üblich.
Iraner*innen in Deutschland werden vom BAMF weiter abgelehnt
Obwohl der Bundesregierung also eigene Erkenntnisse vorliegen, haben diese bislang keine erkennbaren Auswirkungen auf die Beurteilung der Gefährdungslage von in Deutschland lebenden Iraner*innen. So zeigen die Zahlen des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus dem vergangenen Jahr, dass selbst mit der bereinigten Quote mehr als jede*r zweite Iraner*in, der*die einen Asylantrag stellt, abgelehnt wird. Die Zahlen zeigen dabei auch nach der Revolution keine Veränderung, im Gegenteil, es ist, sogar ein leichter Anstieg der Asyl-Ablehnungsquoten zu erkennen, wie wir berichteten. Der Trend setzt sich auch im Januar dieses Jahres fort, wo die bereinigte Schutzquote nach den Zahlen des BAMF erneut nur 48 Prozent erreichte. Laut Medienberichten aktualisierte das BAMF Anfang des Jahres seine Herkunftsländerleitsätze basierend auf einer neuen Lageeinschätzung des Auswärtigen Amts von November 2022.
PRO ASYL fordert, dass es aktuell zumindest zu keinen Ablehnungen kommen darf. In Afghanistan hatte das BAMF nach der Machtübernahme der Taliban negative Entscheidungen in Bezug auf afghanische Schutzsuchende ausgesetzt. Entsprechend muss jetzt in Bezug auf iranische Geflüchtete gehandelt werden. Die Neubewertung der Lage muss zu mehr Schutz von Iraner*innen führen.
Zugleich beteiligen sich aber auch viele der lange Zeit vor Beginn der Unruhen hier lebenden Iraner*innen an Protesten, treten also in der Öffentlichkeit mit politischen Forderungen auf. Die Bundesregierung geht in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger davon aus, dass iranische Oppositionelle in Deutschland im Fokus der iranischen Behörden stehen. Es gibt auch Erkenntnisse vom deutschen Verfassungsschutz, dass die hier Protestierenden vom iranischen Nachrichtendienst beobachtet werden.
Es darf daher angenommen werden, dass diesen Oppositionellen im Iran Verfolgung droht. Für sie reicht nicht aus, dass – mit Ausnahmen für Gefährder*innen und Täter*innen schwerer Straftaten – Abschiebungen in Bezug auf den Iran seit der letzten Innenministerkonferenz bundesweit vorübergehend ausgesetzt sind (TOP 16 der IMK-Beschlüsse vom 02.12.2022).
Hoffnung Folgeantrag?
Für die Gruppe der exilpolitisch tätigen Iraner*innen könnten Folgeanträge eine Perspektive für einen gesicherten Aufenthalt darstellen.
Ein Folgeantrag (§ 71 Asylgesetz) ist ein erneuter Asylantrag nach einem bereits abgeschlossenen Asylverfahren.
Ein Folgeantrag kann gestellt werden, wenn »sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat« (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz). Wenn eine solche Änderung vorliegt, wird erneut vollständig unter Einbeziehung aller Tatsachen eine Prüfung vorgenommen. Beim Folgeantrag wird dann die Verfolgungsgefahr mit Hinblick auf die heutige Lage im Iran beurteilt und nicht zum Zeitpunkt des ersten Asylantrags.
In der Regel ist ein Folgeantrag persönlich bei der zuständigen Außenstelle des BAMFs zu stellen.
Denn in begründeten Fällen, also etwa, wenn eine Teilnahme an öffentlichen Protesten – womöglich gar mit Bildern in sozialen Medien – festzustellen ist, so dass die begründete Gefahr besteht, dass der iranische Nachrichtendienst hiervon Kenntnis erlangt hat, kann ein Folgeantrag möglicherweise zu einer Flüchtlingsanerkennung führen. Noch liegen uns keine Entscheidungen des BAMFs in solchen Fällen vor, einzelne positive Gerichtsurteile (VG Würzburg, Urteil vom 19. Dezember 2022 – W 8 K 22.30631) gibt es aber bereits.
Damit ein Folgeantrag geprüft wird, muss sich die Sach- oder Rechtslage zugunsten der Person geändert haben oder es müssen neue Beweismittel vorliegen – solange es nicht die Schuld der Person war, diese Umstände nicht im ersten Asylverfahren eingebracht zu haben (§ 51 Verwaltungsverfahrensgesetz).
Wenn dies der Fall ist, dann wird wie bei einem regulären Asylverfahren geprüft, ob die Person etwa aus politischen Gründen im Heimatland verfolgt wird. Im Mittelpunkt dessen steht die persönliche Anhörung. Zentrale Frage bei dieser ist, ob die Aussagen der Person als glaubhaft eingeschätzt werden. Dazu braucht es vor allem konkrete Angaben hinsichtlich z.B. der politischen Überzeugungen und Handlungen sowie der befürchteten Verfolgung bei Rückkehr.
Dabei hilft es, wenn die eigene Tätigkeit dokumentiert wird, um durch mitgebrachte Unterlagen die Aussagen zu unterstützen. Auch frühere oppositionelle Tätigkeiten im Iran oder in Deutschland können sich positiv auswirken.
Außerdem wird dann in einem nächsten Schritt bewertet, ob die oppositionelle Haltung auch vom Iran wahrgenommen wurde und deshalb Verfolgung droht.
Wie sich also die Lage im Einzelfall darstellt, hängt von vielen Faktoren ab. Wir empfehlen daher, zu Beratungsstellen oder Anwält*innen zu gehen, bevor ein Folgeantrag gestellt wird.
Dabei ist allerdings die Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Nachfluchtgründen zu beachten:
Ein objektiver Nachfluchtgrund ist in der Verschärfung der Repressalien seitens des iranischen Regimes gegen Oppositionelle im Zuge der aktuellen Proteste zu sehen, der unabhängig vom eigenen Zutun hier lebender Iraner*innen entstanden ist. Hat sich also beispielsweise eine Person bereits in Iran vor ihrer Ausreise oppositionell betätigt, und hat dies in ihrem ersten Asylverfahren noch nicht für eine Flüchtlingsanerkennung gereicht, kann auf Grund der objektiv veränderten Lage in Iran die Situation jetzt anders zu beurteilen sein und zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen.
Problem des »selbstgeschaffenen Nachfluchtgrundes«
Ein subjektiver Nachfluchtgrund ist demgegenüber ein Gefährdungsgrund, der erst nach der Flucht durch eigenes Zutun entstanden ist. Ein solcher liegt regelmäßig bei erstmaligen (exil-)politischen Aktivitäten erst nach Verlassen des Herkunftslandes vor.
Nach § 28 Absatz 2 des Asylgesetzes gilt, dass bei derartigen subjektiven, selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen in einem Folgeverfahren die Flüchtlingseigenschaft »in der Regel« nicht zuerkannt werden kann. Das BAMF könnte so zu der Auffassung gelangen, dass bei einer Person, die sich vor der Flucht aus Iran nie oppositionell betätigt hat und dies nun erstmalig in Solidarität mit den Protesten in Iran tut, ein subjektiver Nachfluchtgrund vorliegt, der zur Versagung der Flüchtlingseigenschaft führt.
Es gibt aber auch Ausnahmen der von § 28 des Asylgesetzes aufgestellten Regel. Hat sich gerade erst auf Grund der Ermordung von Jina Mahsa Amini und des brutalen Vorgehens des iranischen Regimes gegen die daraufhin entflammten Proteste eine tiefe, innere oppositionelle Überzeugung gebildet, die zu erstmaligen (exil-)politischen Aktivitäten geführt hat, muss nach zutreffender Ansicht von einer solchen Ausnahme ausgegangen und infolgedessen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden.
Selbst wenn aber eine solche Ausnahme nicht anerkannt wird, muss dies nicht zur gänzlichen Ablehnung eines Asylfolgeantrages führen. Angesichts der aktuellen Lage im Iran könnte ein Folgeantrag zumindest auch zu einem Abschiebungsverbot führen.
Daneben sind auch weitere Bleibeperspektiven denkbar, etwa über den neu geschaffenen Chancenaufenthalt oder wegen nachhaltiger Integration (§§ 25a und b Aufenthaltsgesetz).
Wichtig ist: Betroffene sollten sich stets fachkundlich oder auch anwaltlich zu ihrer persönlichen Situation beraten lassen (hier gibt es eine Übersicht von Beratungsstellen).