16.10.2014
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Am 15.10.2014 versuchten erneut hunderte Flüchtlinge den Grenzzaun nach Melilla zu überwinden. Ein Video zeigt wie mit Schlagstöcken gegen die Flüchtlinge vorgegangen wird. Bild: aus einem Video von Prodein.

Erneut haben hunderte Flüchtlinge versucht den EU-Grenzzaun in Melilla zu überwinden. Nur wenige haben es geschafft, denn die Abschottung ist brutal. Flüchtlinge werden systematisch misshandelt – teilweise bis zum Tod. Die spanische Regierung schweigt sich aus.

Die Dun­kel­heit ist erfüllt von Schrei­en. In dem Durch­ein­an­der von Uni­for­men der Guar­día Civil und der marok­ka­ni­schen Poli­zei ist eine Grup­pe Beam­ter in brau­nen – marok­ka­ni­schen – Uni­for­men zu sehen, die offen­bar einen am Boden lie­gen­den Men­schen schla­gen und tre­ten – auf spa­ni­schem Gebiet.

Die Sze­ne ereig­net sich auf dem schma­len Strei­fen inner­halb der durch drei­fa­chen Zaun gesi­cher­ten Anla­ge – bei einem gemein­sa­men spa­nisch-marok­ka­ni­schen Ein­satz am 18. Juni 2014. Der spa­ni­schen Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Pro­de­in zufol­ge wird die­se Koope­ra­ti­on an der Außen­gren­ze Euro­pas von der EU mitfinanziert.

Gro­ße Stei­ne flie­gen gegen klet­tern­de Migran­ten. Ein Poli­zist, der eben­falls am Zaun hoch klet­tert, schlägt von hier aus mit dem Schlag­stock nach einem Flücht­ling, bis die­ser her­ab­stürzt. Im Mor­gen­grau­en legen marok­ka­ni­sche Poli­zis­ten vier bewe­gungs­lo­se Kör­per hin­ter einem Gebüsch ab. Pro­de­in zufol­ge wur­den am 18. Juni vier Migran­ten getö­tet und 150 ille­gal abge­scho­ben. Pro­de­in doku­men­tiert regel­mä­ßig die sys­te­ma­ti­schen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an die­sem Abschnitt der euro­päi­schen Außen­gren­ze, auch vom 18. Juni gibt es ein Video.  Auch von dem Ansturm auf den Grenz­zaun in die­ser Woche hat Pro­de­in ein Video veröffentlicht.

Min­des­tens drei Tote und fünf Ver­miss­te seit 18. Juni 

Dass Flücht­lin­ge bei sol­chen Abwehr-Ein­sät­zen getö­tet wer­den, ist kein Ein­zel­fall: Am 30. August star­ben der 26-jäh­ri­ge Rou­mi­an Tis­se und ein wei­te­rer Mann, bei­de aus Kame­run, auf marok­ka­ni­schem Ter­ri­to­ri­um bei dem Ver­such, über den Zaun zu klet­tern. Wie ein Augen­zeu­ge in einem Video von Pro­de­in berich­tet, wur­de am 13. August der 23-jäh­ri­ge Mali­er Tou­ma­ni Samake vom Zaun her­un­ter geprü­gelt und starb. „Die Guar­día Civil hat ihn geprü­gelt. […] Er ist gefal­len. Er war sofort tot“, erzählt der Zeu­ge dem spa­ni­schen Abge­ord­ne­ten Jon Iñar­ri­tu. Marok­ka­ni­sche Hilfs­kräf­te hät­ten die Lei­che abtransportiert.

Die Flücht­lin­ge bestä­ti­gen, dass sie sowohl von marok­ka­ni­schen Hilfs­kräf­ten als auch von der spa­ni­schen Poli­zei miss­han­delt wur­den. Im Video ver­öf­fent­lich­te Pro­de­in die Namen von fünf Ver­miss­ten – allei­ne im August 2014. Der Zei­tung El Mun­do zufol­ge sind 20 Flücht­lin­ge seit 2005 bei dem Ver­such, die spa­ni­schen Enkla­ven Mel­il­la und Ceu­ta über den Zaun zu errei­chen, gestorben.

Bis­her blie­ben die Gewalt­ex­zes­se an der Gren­ze völ­lig straf­frei. Die Aktio­nen wür­den von den Regie­run­gen Spa­ni­ens und der EU finan­ziert und von den Behör­den als vor­bild­li­che Koope­ra­ti­on gelobt, beklagt Pro­de­in. Die spa­ni­sche Regie­rung schiebt die Ver­ant­wor­tung für Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen im Bereich der Grenz­an­la­ge auf Marok­ko.

Am 10. Sep­tem­ber sag­te der spa­ni­sche Innen­mi­nis­ter Jor­ge Fernán­dez Díaz, er wis­se nicht, wie vie­le Flücht­lin­ge bei dem Ver­such, nach Spa­ni­en zu gelan­gen, ver­letzt wor­den sei­en. Die Direk­ti­on des spa­ni­schen Natio­nal­fern­se­hens soll die Aus­strah­lung der Zeu­gen­aus­sa­gen zum Tod von Tou­ma­ni Samake unter­sagt haben. Min­des­tens zwei Jour­na­lis­ten, die am 18. Juni an der Gren­ze fil­men woll­ten, wur­den zu hohen Buß­gel­dern ver­ur­teilt

Ille­ga­le Abschie­bun­gen und Ver­schleie­rung der Todesfälle

Trotz aller Gefah­ren ver­such­ten am 12. und 13. August ins­ge­samt rund 1.300 Men­schen, den Grenz­zaun zu erklim­men, berich­tet Human Rights Watch. In den fol­gen­den Tagen sei­en min­des­tens 60 Men­schen nach Marok­ko abge­scho­ben wor­den – spa­ni­schen und inter­na­tio­na­len Schutz­vor­schrif­ten zum Trotz. Pro­de­in pran­gert die völ­ker­rechts­wid­ri­gen, sys­te­ma­ti­schen Abschie­bun­gen seit zehn 10 Jah­ren an – bis­lang bleibt es jedoch bei der knüp­pel­har­ten Abschot­tungs­po­li­tik. Für die Auf­klä­rungs­ar­beit wur­de der Vor­sit­zen­de des Ver­eins,  Jozé Pala­zón, mit dem PRO ASYL Men­schen­rechts­preis ausgezeichnet.

Zum ers­ten Mal ermit­telt die Justiz 

Nach den ille­ga­len Abschie­bun­gen am 18. Juni und am 13. August hat ein Gericht in Mel­il­la zum ers­ten Mal Ermitt­lun­gen gegen einen lei­ten­den Beam­ten der Guar­día Civil auf­ge­nom­men und damit die men­schen­recht­li­che Ver­ant­wor­tung Spa­ni­ens für den Grenz­be­reich aner­kannt. Der Vor­sit­zen­de von Pro­de­in, Jozé Pala­zón, ist über­zeugt, dass die Mit­schuld des Innen­mi­nis­ters bewie­sen wer­den kann. 

Medi­en­an­ga­ben zufol­ge wur­den seit 2005 rund 72 Mil­lio­nen Euro in die Grenz­an­la­ge inves­tiert. Im April hat die spa­ni­sche Regie­rung wei­te­re zwei Mil­lio­nen für den Aus­bau der Gren­ze freigegeben. 

Web­sei­te von Pro­de­in mit zahl­rei­chen Video­do­ku­men­ta­tio­nen von Vor­fäl­len an der spa­nisch-marok­ka­ni­schen Grenze

Human-Rights-Watch-Bericht „Abu­sed and Expel­led“ zur Situa­ti­on von Flücht­lin­gen in Marokko

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