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Wer Asylbewerberleistungen bezieht, muss an allen Ecken und Ende sparen. Die neuesten Kürzungen erschweren die Lage weiter. Foto: Symbolbild, pixabay

Vergangene Woche hat das BVerfG einen Großteil der Leistungskürzungen in Hartz IV für verfassungswidrig erklärt. Dies bestärkt auch die Debatte um das Asylbewerberleistungsgesetz. Das Sozialgericht Landshut hat bereits eine der umstrittenen Neuregelungen als voraussichtlich verfassungswidrig eingestuft und eine Nachzahlung angeordnet.

Am 5. Novem­ber 2019 hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) kurz gesagt fol­gen­de Leis­tungs­kür­zun­gen nach dem Sozi­al­ge­setz­buch II (genannt Hartz IV) für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt: Kür­zun­gen von 60% oder voll­stän­di­ge Kür­zun­gen, Kür­zun­gen von zwin­gend drei Mona­ten, die unab­hän­gig von einer zwi­schen­zeit­li­chen Erfül­lung der Mit­wir­kungs­pflicht bestehen sowie Kür­zun­gen, bei denen außer­ge­wöhn­li­chen Här­ten nicht berück­sich­tigt wer­den (für eine Bespre­chung des Urteils sie­he hier).

Dies wirft auch Fra­gen bezüg­lich der schon lan­ge umstrit­te­nen, und von PRO ASYL als ver­fas­sungs­wid­rig ein­ge­stuf­ten Kür­zun­gen im Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz auf.

Das Asylbewerberleistungsgesetz – ein Sonderregime zur Abschreckung

Das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) wur­de 1993 ver­ab­schie­det, um für Asyl­su­chen­de und ande­re Betrof­fe­ne im Ver­gleich zu deut­schen Sozialhilfeempfänger*innen deut­lich nied­ri­ge­re Leis­tun­gen ein­zu­füh­ren. Im glei­chen Jahr wur­de mit dem soge­nann­ten »Asyl­kom­pro­miss« das Recht, nach dem Grund­ge­setz Asyl zu bekom­men, deut­lich ein­ge­schränkt (seit damals Art. 16a Grund­ge­setz). Die Ein­füh­rung des Asyl­bLG war also Teil der dama­li­gen Abschre­ckungs- und Abschot­tungs­po­li­tik – und ist dies auch weiterhin.

Bundesverfassungsgericht: Es heißt Menschen- und nicht »Deutschenwürde«!

In einem weg­wei­sen­den Urteil zum Asyl­bLG 2012 stell­ten die Verfassungsrichter*innen fest, dass der Anspruch auf das aus der Men­schen­wür­de abge­lei­te­te Exis­tenz­mi­ni­mum deut­schen und aus­län­di­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen glei­cher­ma­ßen zusteht. Auch garan­tiert das Exis­tenz­mi­ni­mum nicht nur das »nack­te Über­le­ben«, son­dern muss eben­so eine Teil­ha­be am sozia­len, kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Leben ermög­li­chen. Die Leis­tun­gen nach dem Asyl­blG waren zu dem Zeit­punkt seit 1993 – also seit 9 Jah­ren – nicht erhöht wor­den! Ent­spre­chend ver­ur­teil­te das BVerfG die­se als  ein­deu­tig unzu­rei­chend und verfassungswidrig.

»Die Men­schen­wür­de ist migra­ti­ons­po­li­tisch nicht zu relativieren«

Ein beson­ders rele­van­tes Fazit aus dem Urteil ist: »Die Men­schen­wür­de ist migra­ti­ons­po­li­tisch nicht zu rela­ti­vie­ren«! Das heißt, dass Sozi­al­leis­tun­gen nicht zum Abschre­cken von Migrant*innen beson­ders nied­rig gehal­ten wer­den dür­fen – denn das ver­stößt gegen ihre Men­schen­wür­de. Der Gesetz­ge­ber muss dage­gen in einem trans­pa­ren­ten Ver­fah­ren bele­gen, dass eine Grup­pe von aus­län­di­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen tat­säch­lich einen gerin­ge­ren Bedarf als ande­re hat, um nied­ri­ge­re Leis­tun­gen recht­fer­ti­gen zu können.

Leistungskürzungen im AsylbLG sind verfassungswidrig

Nicht zur Debat­te stand in der Ver­hand­lung vor dem BVerfG 2012 die Fra­ge nach den Leis­tungs­kür­zun­gen im Asyl­bLG. Doch schon basie­rend auf die­sem Urteil schluss­fol­ger­ten PRO ASYL und ande­re Orga­ni­sa­tio­nen, dass die Kür­zun­gen ver­fas­sungs­wid­rig sind, da sie zu stark in das Exis­tenz­mi­ni­mum und damit in die Men­schen­wür­de der Betrof­fe­nen eingreifen.

Auf­grund ver­schie­de­ner Geset­zes­än­de­run­gen gibt es mitt­ler­wei­le eine gro­ße Zahl von Grün­den, war­um jeman­dem die Leis­tun­gen nach dem Asyl­bLG gekürzt wer­den können

Die­se Ein­schät­zung wird durch das Hartz IV-Urteil vom BVerfG gestärkt. Bei Leis­tungs­kür­zun­gen nach § 1a Asyl­bLG fal­len soge­nann­te Leis­tun­gen für den »not­wen­di­gen per­sön­li­chen Bedarf« weg, was 150€ ent­spricht. Das ist eine Leis­tungs­kür­zung von 43%, die deut­lich über der vom BVerfG im Hartz IV-Urteil noch akzep­tier­ten 30%igen Kür­zung liegt. Dar­über hin­aus wird auch der Bedarf für Klei­dung und Schu­he gestri­chen. Ins­ge­samt ist dies also ein sehr star­ker Ein­schnitt in das Existenzminimum.

Die Leis­tungs­kür­zung gilt für sechs Mona­te und muss auf­ge­ho­ben wer­den, wenn der Grund für die Sank­tio­nie­rung weg­fällt. Auf­grund ver­schie­de­ner Geset­zes­än­de­run­gen in den letz­ten Jah­ren gibt es mitt­ler­wei­le eine gro­ße Zahl von Grün­den, war­um jeman­dem die Leis­tun­gen nach dem Asyl­bLG gekürzt wer­den kön­nen (erst jüngst durch das Hau-Ab-Gesetz II ausgeweitet).

Im Gegen­satz zu Kür­zun­gen bei Hartz IV lie­gen die­se aber nicht dar­in begrün­det, dass die Betrof­fe­nen ihre Bedürf­tig­keit selbst ver­ur­sa­chen, weil sie angeb­lich nicht aus­rei­chend bei der Arbeits­su­che mit­wir­ken. Vie­le Per­so­nen, die Leis­tun­gen nach dem Asyl­bLG bezie­hen, dür­fen gar nicht arbei­ten. Statt­des­sen bezie­hen sich die Kür­zun­gen dar­auf, dass sie nicht bis zum fest­ge­setz­ten Ter­min aus­ge­reist sind oder ihnen wird vor­ge­wor­fen, bestimm­ten Mit­wir­kungs­hand­lun­gen rund um das Asyl­ver­fah­ren nicht nach­ge­kom­men zu sein. Damit trifft der vom BVerfG im Hartz IV-Urteil grund­sätz­lich akzep­tier­te Grund der Leis­tungs­kür­zung zur Erzwin­gung von Hand­lun­gen, die Men­schen aus der Bedürf­tig­keit hel­fen sol­len, bei Kür­zun­gen nach dem Asyl­bLG nicht zu.

Mit dem Hau-Ab-Gesetz II wur­de im Übri­gen sogar ein kom­plet­ter Leis­tungs­aus­schluss für voll­zieh­bar aus­rei­se­pflich­ti­ge Per­so­nen vor­ge­se­hen, die in einem ande­ren EU-Staat einen Schutz­sta­tus haben. Dass dies ver­fas­sungs­wid­rig ist, liegt ange­sichts bei­der Urtei­le auf der Hand.

Leistungsanpassungen mit einem Haken

Die Bun­des­re­gie­rung ist mitt­ler­wei­le gesetz­lich ver­pflich­tet, die Leis­tungs­sät­ze des Asyl­bLG jähr­lich ent­spre­chend der Ver­än­de­rungs­ra­te der Leis­tun­gen nach dem SGB XII anzupassen.

Gedul­de­te in einer Gemein­schafts­un­ter­kunft zäh­len zyni­scher Wei­se als »Schick­sals­ge­mein­schaft« und bekom­men so eine nied­ri­ge­re Bedarfs­stu­fe. Das ist realitätsfern! 

Nach­dem das Arbeits- und Sozi­al­mi­nis­te­ri­um bereits zwei Jah­re über­fäl­lig war mit der Anpas­sung,  leg­te es die­ses Jahr ein Ände­rungs­ge­setz vor, wel­ches mit einem »Kniff« dafür sorgt, dass es nicht zu Mehr­aus­ga­ben kommt. Seit dem 1. Sep­tem­ber 2019 gel­ten allein­ste­hen­de Asyl­su­chen­de und Gedul­de­te, die in einer Gemein­schafts­un­ter­kunft woh­nen, des­halb nicht mehr als allein­ste­hend, son­dern zäh­len zyni­scher Wei­se als »Schick­sals­ge­mein­schaft«. Des­we­gen bekom­men sie nicht mehr Leis­tun­gen nach der Bedarfs­stu­fe 1, für Allein­ste­hen­de, son­dern Leis­tun­gen nach der Bedarfs­stu­fe 2, wie Ehepartner*innen. In der Geset­zes­be­grün­dung wur­de dies damit gerecht­fer­tigt, dass es durch gemein­sa­mes Haus­hal­ten ähn­li­che »Ein­spar­ef­fek­te« geben würde.

Das ist abso­lut rea­li­täts­fern! In einer Gemein­schafts­un­ter­kunft leben Men­schen aus unter­schied­li­chen Län­dern und Kul­tu­ren, sie spre­chen oft noch nicht ein­mal die glei­che Spra­che. Wie soll man sich da auf einen gemein­sa­men Spei­se­plan und eine Ein­kaufs­lis­te ver­stän­di­gen? Tat­säch­lich wird dies im deut­schen Sozi­al­recht noch nicht ein­mal bei frei­wil­li­gen WGs, z. B. von Stu­die­ren­den, verlangt.

Sozialgericht Landshut: Änderung der Bedarfsstufe voraussichtlich verfassungswidrig!

In einem ers­ten Beschluss im Eil­ver­fah­ren zu einem sol­chen Fall hat das Sozi­al­ge­richt Lands­hut nun der Betrof­fe­nen Recht gege­ben und auf­schie­ben­de Wir­kung ange­ord­net. Das bedeu­tet, dass die Antrag­stel­le­rin nun wie­der die vol­len Leis­tun­gen, wie sie ihr als Allein­ste­hen­de eigent­lich zuste­hen, bekommt und nicht die rund 10% gerin­ge­ren Leis­tun­gen nach der Bedarfs­stu­fe 2, bis im Haupt­sa­che­ver­fah­ren final ent­schie­den wird. Zudem wur­de eine Nach­zah­lung angeordnet.

In sei­ner Begrün­dung stützt sich das Sozi­al­ge­richt auf das BVerfG-Urteil von 2012. Ent­spre­chend stellt es fest, dass der Gesetz­ge­ber nicht dar­ge­legt hat, dass sich eine sol­che Kür­zung aus einem tat­säch­lich gerin­ge­ren Bedarf ergibt. Statt­des­sen spricht alles dagegen:

»Deut­lich wird, dass die Absen­kung der Regel­be­dar­fe auf 90 % im Ver­gleich zu Allein­ste­hen­den nach den Ermitt­lun­gen des Gesetz­ge­bers das Zusam­men­le­ben, Part­ner­schaft und Wirt­schaf­ten aus einem Topf vor­aus­setzt. Es erscheint aus­ge­schlos­sen, dass nicht­ver­wand­te Per­so­nen in einer Gemein­schafts­un­ter­kunft regel­mä­ßig und ohne Berück­sich­ti­gung des Ein­zel­fal­les die genann­ten drei Kri­te­ri­en erfül­len«.

Bei den in einer Gemein­schafts­un­ter­kunft leben­den Per­so­nen ist davon aus­zu­ge­hen, dass sie unter­schied­li­che Bedar­fe bei Lebens­mit­teln oder Kom­mu­ni­ka­ti­on haben, über die sie selbst ent­schei­den wol­len und sollten.

Daher resü­miert das Sozi­al­ge­richt Lands­hut: »Ohne die Anord­nung der auf­schie­ben­den Wir­kung stün­den der Antrag­stel­le­rin gege­be­nen­falls weni­ger als die ihr nach Art. 1 und 2 GG zuste­hen­den exis­tenz­si­chern­den Leis­tun­gen zur Ver­fü­gung«.

Allein­ste­hen­de Erwach­se­ne, die in einer Gemein­schafts­un­ter­kunft woh­nen, und von der Ände­rung der Bedarfs­stu­fe betrof­fen sind, soll­ten mit ihrer loka­len Bera­tungs­stel­le die Mög­lich­keit eines Wider­spruchs besprechen. 

Sie­he zum The­ma Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz auch die Bro­schü­re vom Pari­tä­ti­schen Gesamt­ver­band.

(wj)