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Unzumutbar: Geflüchtete müssen mit Passgebühren Verfolgerstaaten finanzieren
Geflüchtete werden von Behörden oft aufgefordert, bei der Botschaft ihres Herkunftslandes einen Pass zu beschaffen, selbst wenn der Staat für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist und hohe Passgebühren nimmt. Im Auftrag von PRO ASYL hat Fachanwalt Dr. Matthias Lehnert untersucht, was für Passbeschaffung und Identitätsklärung zumutbar ist.
Weil der syrische Machthaber Baschar al-Assad nach wie vor die eigene Bevölkerung unterdrückt, unterliegt Syrien umfangreichen Sanktionen der EU. Diese sollen die Finanzflüsse unterbinden, um dem Regime die Finanzierung zu erschweren. Dennoch werden Syrer*innen, die vor diesem Regime geflohen sind, regelmäßig von deutschen Ausländerbehörden aufgefordert, einen Pass bei der syrischen Auslandsvertretung zu beschaffen – und sind dadurch gezwungen, ihren Verfolgerstaat durch die horrenden Passgebühren zu unterstützen.
Dies problematisiert PRO ASYL schon seit Jahren und unterstützt die Kampagne #DefundAssad von der Organisation Adopt a Revolution, die sich dafür einsetzt, dass kein Geld an den syrischen Folterstaat fließt.
Ähnlich geht es auch anderen Geflüchteten, etwa Eritreer*innen, von denen die Botschaft eine willkürliche Steuer und eine Reueerklärung verlangt. Wieder andere bekommen trotz massiver Bemühungen keinen oder keinen anerkannten Pass und stehen dadurch vor praktischen Problemen, etwa Menschen aus Afghanistan und Somalia. Ein Pass aber ist nicht nur die Voraussetzung, um ins Ausland reisen und dort etwa Verwandte besuchen zu können.
Vor allem verlangt die Ausländerbehörde einen Pass zum Beispiel vor der Ausstellung einer Niederlassungserlaubnis. Auch zur Identitätsklärung wird zuallererst ein Pass verlangt, bevor andere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Geduldete ohne Pass können umfassenden Sanktionen unterworfen werden.
Politisch brisant, rechtlich komplex
Die Frage der Passbeschaffung ist für Geflüchtete daher sehr relevant und auch politisch brisant – und gleichzeitig rechtlich sehr komplex. Es gibt keine rechtlich gefestigte Definition, was in Bezug auf Passbeschaffung und Identitätsklärung zumutbar ist. Im Rahmen der gemeinsamen Kampagne #DefundAssad hat PRO ASYL daher bei dem Fachanwalt Dr. Matthias Lehnert das Gutachten »Passbeschaffung im Aufenthaltsrecht: Rechtliche Verpflichtungen und Grenzen der Zumutbarkeit« in Auftrag gegeben, das dieser Frage nachgeht (hier eine Kurzfassung).
Das Gutachten konkretisiert den unbestimmten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit bei der Passbeschaffung und Identitätsklärung in den verschiedenen Konstellationen und bietet damit eine fundierte Grundlage für eine kohärente und nachvollziehbare Praxis der Behörden. Für mehr Rechtssicherheit für die Geflüchteten ist dies unverzichtbar.
Unzumutbarkeit der Passbeschaffung bei drohenden Menschenrechtsverletzungen
Dr. Matthias Lehnert stellt in dem Gutachten heraus, dass sich die gesetzlichen Pflichten, einen Pass zu besitzen oder zu beschaffen, siehe §3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und § 60b AufenthG, nicht allein auf die Menschen ohne Pass beziehen, sondern auch auf die Behörden. Sie müssen etwa Hinweise geben und unter Umständen einen Passersatz oder Ausweisersatz ausstellen, mit denen ebenfalls die Passpflicht erfüllt wird, siehe §§5–7 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) und § 48 Abs. 4 AufenthG.
Derzeit handhaben die Ausländerbehörden die Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer, den Passersatz, sehr restriktiv. Begründet wird dies oft damit, dass die Ausstellung eines solchen Ersatzpasses einen Eingriff in die Passhoheit des Herkunftslandes darstelle. Lehnert legt dar, dass diese Annahme falsch ist: Dem Staat wird das Recht zur Passerteilung dadurch nicht entzogen. Rechtlich gibt es dagegen gute Gründe dafür, auf einen Pass aus dem Herkunftsland zu verzichten, denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil festgestellt, dass das Recht auf Ausreisefreiheit nur durch hochrangige Rechtsgüter eingeschränkt werden kann.
Der Gutachter macht daher Konstellationen ausfindig, in denen grundsätzlich – und nicht nur durch individuelle Umstände – davon auszugehen ist, dass die Passbeschaffung unzumutbar ist: Demnach ist Menschen, denen gravierende Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Behörden drohen, die Passbeschaffung bei diesem Staat prinzipiell unzumutbar. Dies gilt für viele subsidiär Schutzberechtigte, denen dieser Schutz zuerkannt wird, weil ihnen willkürliche Gewalt in einem Krieg, Menschenrechtsverletzungen wie die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung drohen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1–2 AsylG).
Unseren Informationen nach kosten Pässe in Damaskus nur circa 7 Euro, im Expressverfahren 51 Euro. Syrer*innen in Deutschland zahlen hingegen zwischen 250 und 700 Euro, manchmal auch noch mehr
Syrien und Eritrea: Passgebühren als Einnahmequelle und Repressionsinstrument
Dass die Passbeschaffung wegen hoher Gebühren unzumutbar ist, wird von den Ausländerbehörden meist nicht akzeptiert. Das Fallbeispiel Syrien zeigt aber deutlich, dass die erhobenen Gebühren die Bearbeitungskosten übersteigen. Unseren Informationen nach kosten Pässe in Damaskus nur circa 7 Euro, im Expressverfahren 51 Euro. Syrer*innen in Deutschland zahlen hingegen zwischen 250 und 700 Euro, manchmal auch noch mehr – und das für eine nur zweijährige Gültigkeit. Auch in den Oppositionsgebieten Syriens sind die Gebühren höher als in Damaskus. Dies offenbart, dass die Passausstellung vom Regime als Repressionsinstrument genutzt wird. Nach einer Schätzung der Kampagne DefundAssad fließen pro Tag durch die Passausstellung im Ausland 274.000 Euro an den syrischen Staat.
Das Gutachten beschreibt, dass Regime, die Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verüben, die Einnahmen durch derart überhöhte Passgebühren auch für diese Verbrechen nutzen und so internationale Sanktionen umgehen. Dies auch noch von Personen zu verlangen, die unter diesem Regime selbst gelitten haben, ist laut Gutachten unzumutbar. Der Gutachter folgert, dass Syrer*innen daher grundsätzlich ein Reiseausweis ausgestellt werden sollte.
Eritrea verlangt Reueerklärung
Von hohen Zahlungen sind auch Eritreer*innen betroffen. Sie müssen bei den eritreischen Auslandsvertretungen die sogenannte Diaspora-Steuer von zwei Prozent ihres Einkommens zahlen, wenn sie konsularische Dienstleistungen – zu denen auch die Passausstellung zählt – benötigen. Das Erheben von Steuern ist zwar prinzipiell zulässig. Doch das Gutachten zeigt auf, dass diese Steuer willkürlich erhoben wird, da es für sie in Eritrea weder eine klare Rechtsgrundlage gibt noch die Möglichkeit eines Rechtsbehelfs gegen die Steuererhebung existiert. Zudem tragen die Einnahmen erheblich zum eritreischen Staatshaushalt und damit auch zu den vom Regime verübten Verbrechen bei: zwei Gründe, wieso die Zahlung unzumutbar ist.
Für Eritrea kommen noch weitere unzumutbare Anforderungen hinzu. Die eritreischen Auslandsvertretungen verlangen vor konsularischen Leistungen eine Reueerklärung mit einem Eingeständnis, mit der Desertion aus dem mörderischen Militärdienst und der Flucht aus Eritrea eine Straftat begangen zu haben. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesbezüglich bereits entschieden, dass eine Erklärung, mit der man sich selbst einer Straftat bezichtigt, unzumutbar ist. Eritreer*innen ist damit grundsätzlich ein Reiseausweis für Ausländer auszustellen.
Auch deutsche Behörden und Gerichte müssen aufklären
Unzumutbar ist grundsätzlich auch, wenn mit der Passbeschaffung eine Gefährdung von Angehörigen oder der Person selbst einhergeht, auch wenn dies nicht direkt beim Botschaftsbesuch, sondern durch Bekanntgabe über den Aufenthalt in Deutschland zu befürchten ist.
Halten Geflüchtete, die keine Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, die Passbeschaffung bei der Auslandsvertretung ihres Herkunftsstaates für unzumutbar, fordern die deutschen Behörden sie auf, die Gründe dafür umfassend darzulegen. Die individuelle Aufklärungspflicht hat dem Gutachten zufolge aber Grenzen: Gründe, die die Passbeschaffung allgemein betreffen und nicht nur individuell gelten, müssen von Behörden und Gerichten aufgeklärt werden.
Es gibt Alternativen
Um reisen zu können, ist ein Pass erforderlich. Die Passpflicht ist aber auch eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Schutzberechtigte sind zwar für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen von der Passpflicht ausgenommen (§ 5 Abs. 3 AufenthG), bei der Aufenthaltsverfestigung durch Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sieht das Aufenthaltsgesetz jedoch keine Ausnahme vor. Deshalb wird in der Praxis auch von Schutzberechtigten, selbst anerkannten Flüchtlingen, oft verlangt, dass sie einen Pass des Herkunftslandes vorlegen. Das Gutachten macht deutlich, dass dies keine zwingende Voraussetzung ist, da die Passpflicht auch durch einen Passersatz oder Ausweisersatz erfüllt werden kann.
Geduldete unterliegen besonderen Passbeschaffungspflichten (§ 60b Abs. 2, 3 AufenthG). Werden ihre Bemühungen von den Ausländerbehörden als unzureichend betrachtet, können diese sie umfassend sanktionieren. Aber auch bei Geduldeten gelten laut Gutachten die schon erläuterten Einschränkungen der Zumutbarkeit. Problematisch ist dem Gutachten zufolge, dass im Aufenthaltsgesetz als zumutbar angesehen wird, eine Freiwilligkeitserklärung zu unterzeichnen, mit der Erklärende zum Ausdruck bringen, freiwillig zurückkehren zu wollen (§ 60b Abs. 3 Nr. 3 AufenthG). Das verlangt der Iran für die Passausstellung. Dieser Regelung tritt der Gutachter Lehnert vehement entgegen, da eine Verpflichtung, eine unwahre Erklärung abzugeben, das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt. Ist die Passbeschaffung unzumutbar, können Geduldete der Ausweispflicht nach § 48 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz auch durch eine Duldungsbescheinigung nachkommen.
Klärung der Identität als Voraussetzung für Aufenthaltstitel und Einbürgerung
Neben der Passpflicht ist auch die Klärung von Identität und Staatsbürgerschaft in der Regel eine Voraussetzung für eine Niederlassungserlaubnis und für die Einbürgerung Schutzberechtigter. Liegt ein Pass des Herkunftslandes vor, ist die Identität in aller Regel damit bereits geklärt. Kann ein Pass nicht vorgelegt werden, muss mithilfe anderer amtlicher Dokumente mit Lichtbild, anderer amtlicher Urkunden oder im äußersten Fall auch mit nichtamtlichen Beweisen wie Zeug*innenaussagen die Identität aufgeklärt werden. Dieses sogenannte Stufenmodell hat sich durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Einbürgerung etabliert. Der Gutachter schlägt vor, diese Stufen gesetzlich zu kodifizieren, die Prüfung aber in einer Gesamtschau vorzunehmen, um jahrelange Wartezeiten im Einbürgerungsverfahren möglicherweise zu reduzieren.
Auch die Identitätsklärung im Aufenthaltsrecht bedarf dringend einer gesetzlichen Regelung, die vorgibt, welche Beweismittel und welche grundrechtlichen Belange (etwa das Recht auf Familie im Visumsverfahren) berücksichtigt werden müssen. So sollte etwa für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte bei im Herkunftsland drohender staatlicher Menschenrechtsverletzung gesetzlich geregelt werden, dass eine Kontaktaufnahme mit den Behörden des Herkunftsstaates per se unzumutbar ist – und dies auch bei der Einbürgerung gilt. Dafür sollte, wie im bereits Ende 2021 im Koalitionsvertrag angekündigt, bei Unzumutbarkeit der Passbeschaffung und Identitätsklärung gesetzlich die Möglichkeit geschaffen werden, eine Versicherung an Eides Statt abzugeben – etwa bei der Einbürgerung oder der Verfestigung von Aufenthaltstiteln.
Forderungen von PRO ASYL
PRO ASYL fordert, die Ergebnisse des Gutachtens umzusetzen:
- Anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten, denen staatliche Menschenrechtsverletzungen drohen, ist eine Kontaktaufnahme mit den Behörden des Herkunftsstaates per se unzumutbar – auch im Rahmen der Einbürgerung.
- Alle subsidiär Geschützten, denen ein ernsthafter Schaden von ihrem Herkunftsstaat droht, müssen von deutschen Behörden Reiseausweise für Ausländer bekommen.
- Werden bei der Passbeschaffung unangemessen hohe Zahlungen von einem Staat erhoben, der Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verübt, ist davon auszugehen, dass die Einnahmen diese Verbrechen mitfinanzieren. Syrer*innen und Eritreer*innen müssen allein daher Reiseausweise für Ausländer erhalten.
- Antragsteller*innen müssen bei der Beantragung von Reiseausweisen für Ausländer nur ihre individuellen Gründe vortragen. Gründe, die die Passbeschaffung im Herkunftsland allgemein betreffen, müssen von Behörden und Gerichten aufgeklärt werden.
- Die Identitätsklärung im Aufenthaltsrecht bedarf einer gesetzlichen Regelung, die vorgibt, welche Beweismittel und welche grundrechtlichen Belange berücksichtigt werden müssen.
- Nötig ist eine gesetzliche Grundlage für die Versicherung an Eides statt als Möglichkeit der Identitätsklärung bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln und der Einbürgerung.
(jb)