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Seit 2017 ist Obadas syrischer Pass abgelaufen. Einen neuen Pass kann er jedoch nicht beantragen, ohne seine Familie in akute Gefahr zu bringen. Der Ausländerbehörde ist das aber egal. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann

Obada ist im Dezember 2015 gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder in Deutschland angekommen. Sein Bruder ist mittlerweile eingebürgert, Obada führt seit vielen Jahren einen Rechtsstreit, weil die Behörden ihn zur Passbeschaffung bei der syrischen Botschaft zwingen wollen. Im Interview erzählt er uns von seinen Fall.

Oba­da, du kommst aus Syri­en und bist jetzt schon seit über acht Jah­ren hier in Deutsch­land, stu­dierst, enga­gierst dich poli­tisch. Aber du hast im Jahr 2021 einen Buß­geld­be­scheid vom Land­kreis Ger­mers­heim bekom­men. Erzähl uns doch mal, warum.

Ich wur­de auf­ge­for­dert, mir einen neu­en, gül­ti­gen syri­schen Pass zu beschaf­fen, zum ers­ten Mal haben die Behör­den in Ger­mers­heim mir dazu 2018 einen Brief geschickt. Ich habe ihnen dann mehr­mals begrün­det, war­um ich nicht zur syri­schen Bot­schaft gehen kann. Das ging dann über meh­re­re Jah­re, 2021 hat der zustän­di­ge Sach­be­ar­bei­ter einen Buß­geld­be­scheid über 320 € verhängt.

Du sagst, du hast dar­ge­legt, war­um du nicht zur Bot­schaft gehen kannst. Was wür­de es denn für dich bedeu­ten, wenn du zur syri­schen Bot­schaft gehst, um den Pass zu beantragen?

Es gibt eini­ge Punk­te, die ich für mich per­sön­lich unzu­mut­bar fin­de. Das ers­te und wich­tigs­te ist, dass mei­ne Fami­lie dadurch gefähr­det wür­de. Ich müss­te in der Bot­schaft vie­le Anga­ben machen, nicht nur zu mei­ner Per­son und mei­nem Wohn­ort hier, son­dern auch zu mei­ner Fami­lie in Syri­en. Und wir wis­sen, dass Sip­pen­haft für das Regime in Syri­en gän­gi­ge Pra­xis ist, das haben Amnes­ty Inter­na­tio­nal oder auch das Aus­wär­ti­ge Amt schon doku­men­tiert. Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von Geflüch­te­ten wer­den inhaf­tiert und unter Druck gesetzt. Das kann ich mit mei­nem Gewis­sen nicht vereinbaren.

Und die syri­sche Bot­schaft ruft auch hohe Sum­men für die Päs­se auf, oder?

Genau, das ist der zwei­te Punkt: Die Unter­stüt­zung des Regimes. Sie for­dern bis zu 800 € an Gebüh­ren für die Pass­be­an­tra­gung. Ich bin ja in der Flücht­lings­ar­beit aktiv und unter­stüt­ze eini­ge Flücht­lin­ge, deren Fami­li­en teil­wei­se nicht mehr in Syri­en leben und die einen Pass bean­tra­gen wür­den. Bei ihnen sehe ich, wie schwie­rig es ist, über­haupt einen Ter­min zu bekom­men. Der Pro­zess für einen nor­ma­len Pass, der 450 bis 500 Euro kos­ten wür­de, wird erschwert, damit die Leu­te einen Express­pass bean­tra­gen. Denn auf der ande­ren Sei­te erzeugt die deut­sche Aus­län­der­be­hör­de Druck. Und das gan­ze Geld fließt dem Regime zu, das damit sei­nen Krieg finan­ziert. Es gibt ja auch Berech­nun­gen, dass nur im Jahr 2022 über 100 Mil­lio­nen Euro so an das syri­sche Regime gegan­gen sind. Allein aus Deutschland.

»Das Geld, das dem Regime zufließt, tötet Men­schen in Syri­en. Jeden Tag.«

Das Geld kommt ja von den Men­schen, die oft vor genau die­ser Regie­rung geflo­hen sind. Was for­derst du an der Stel­le kon­kret von der Bundesregierung?

Ich for­de­re, die­ser Pra­xis ein Ende zu berei­ten und den Erlass vom dama­li­gen Innen­mi­nis­ter See­ho­fer aus 2018 rück­gän­gig zu machen. Denn das Geld, das dem Regime zufließt, tötet Men­schen in Syri­en. Jeden Tag. Wir haben ja letz­tens gehört, dass Assad sogar trotz des Erd­be­bens eini­ge Gebie­te im Nor­den bom­bar­die­ren ließ.

Der Erlass kann ganz ein­fach rück­gän­gig gemacht wer­den, es geht dabei ja gar nicht um Iden­ti­täts­klä­rung. Die meis­ten Syrer, die ich ken­ne, die haben einen alten Pass, die haben ande­re Doku­men­te, die die Iden­ti­tät nach­wei­sen. Wenn es Zwei­fel gibt, dann kann man die Bean­tra­gung eines neu­en Pas­ses for­dern, aber nicht so pau­schal und allgemein.

Du sprichst von einem Erlass – was ist das genau für ein Erlass? Wie du schon sagst, ist es ja nicht so, dass die Men­schen gar kei­ne Doku­men­te mit­ge­bracht haben. Aber 2018 hat sich die Lage ja für euch geändert.

Ich bin 2015 nach Deutsch­land geflo­hen und habe einen Asyl­an­trag gestellt. Dann kam die Ent­schei­dung »sub­si­diä­rer Schutz« und dann habe ich von der Behör­de einen »Aus­weis für Aus­län­der« aus­ge­stellt bekom­men, den soge­nann­ten grau­en Pass, erst mal für ein Jahr. Die Ent­schei­dung kam 2016, das heißt, bis Ende 2017 hat­te ich einen gül­ti­gen Aus­weis und in dem Zeit­raum hat­te ich auch noch einen gül­ti­gen syri­schen Pass. Der lag bei der Aus­län­der­be­hör­de, ich hat­te ja das Ersatz­do­ku­ment, um mich aus­zu­wei­sen. Mei­ne Iden­ti­tät war also geklärt, ich habe dazu auch noch einen syri­schen Aus­weis abge­ge­ben und eine Geburts­ur­kun­de. Aber das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um unter Horst See­ho­fer hat dann eben erklärt, dass es für syri­sche Geflüch­te­te kei­ne all­ge­mei­ne Unzu­mut­bar­keit mehr gibt, zur Bot­schaft zu gehen. Seit­dem wird für sub­si­di­är Geschütz­te kein Rei­se­aus­weis für Aus­län­der mehr aus­ge­stellt, son­dern sie sol­len sich einen von ihrem Hei­mat­land besor­gen. Das Ziel dahin­ter war auch, Abschie­bun­gen damit grund­sätz­lich zu ermög­li­chen. Aber eine Abschie­bung kommt in mei­nem Fall ja gar nicht infrage.

Damit wur­de der »graue Pass«, von dem du gespro­chen hast, dann ungültig?

Ja, genau. Er wur­de 2018 ent­zo­gen. Horst See­ho­fer hat mit dem Erlass ja qua­si erklärt, dass es für alle Syrer zumut­bar sei, die Bot­schaft aufzusuchen.

Ich habe dann sofort Rechts­be­ra­tung gesucht, am Anfang wuss­te ja auch kei­ner, was der Unter­schied zwi­schen Flücht­lings­ei­gen­schaft und sub­si­diä­rem Schutz ist. Es hieß, man habe die glei­chen Rech­te. Aber es hat sich dann her­aus­ge­stellt, dass ich zum Bei­spiel bei Schul­aus­flü­gen und Stu­di­en­fahr­ten inner­halb der Euro­päi­schen Uni­on nicht mit­fah­ren durf­te. Und eben einen Pass beschaf­fen soll­te. Men­schen, die den Flücht­lings­schutz nach der Gen­fer Kon­ven­ti­on bekom­men, müs­sen das nicht.

Das wäre auch mei­ne nächs­te Fra­ge gewe­sen: Du hast erzählt, du hast den sub­si­diä­ren Schutz bekom­men. Dein Bru­der aber die Flücht­lings­ei­gen­schaft. Wie kam das zustan­de? Gab es unter­schied­li­che Hin­ter­grün­de oder wie kam das Amt darauf?

Ich bin zusam­men mit mei­nem Zwil­lings­bru­der Ende 2015 nach Deutsch­land geflo­hen. Wir haben die Asyl­an­trä­ge auch gemein­sam gestellt. Und unse­re Leben hat­ten den glei­chen Ver­lauf, wir waren  z.B. immer in den glei­chen Schul­klas­sen. Getrennt hat uns dann der Bescheid vom BAMF: Er hat die Flücht­lings­ei­gen­schaft zuer­kannt bekom­men, ich den sub­si­diä­ren Schutz. Er hat­te nie recht­li­che Schwie­rig­kei­ten, bekam den Flücht­lings­pass und ist mitt­ler­wei­le auch ein­ge­bür­gert. Die­se Ent­schei­dung hat­te vie­le Fol­gen für mich. Ich habe zum Bei­spiel mei­ne Mut­ter seit zehn Jah­ren nicht gese­hen. Sie ist schon vor uns aus Damas­kus geflo­hen, in den Liba­non und dann nach Sau­di-Ara­bi­en. Mein Bru­der durf­te sie 2019 dann besu­chen, nach sie­ben Jah­ren. Ich habe sie immer noch nicht gesehen.

Du hast auch einen Asyl­fol­ge­an­trag gestellt, um das zu ändern. Wie ist das ausgegangen?

Ich habe mich ja schon in Syri­en in der Schü­ler­be­we­gung enga­giert und habe mein poli­ti­sches Enga­ge­ment in Deutsch­land fort­ge­führt und für Frie­den und Demo­kra­tie in Syri­en demonstriert.

2019 haben wir gegen einen Auf­tritt eines syri­schen Sän­gers pro­tes­tiert, der Pro­pa­gan­da für Assad macht und in sei­ner Musik die Ver­bre­chen ver­herr­licht. Bei den Pro­tes­ten war ich auch im Fern­se­hen, der Bericht wur­de dann sogar auf einem syri­schen Fern­seh­sen­der über­setzt und gezeigt. Da habe ich dann mit mei­nem Rechts­an­walt einen Asyl­fol­ge­an­trag gestellt. Er wur­de aber als unzu­läs­sig abge­lehnt, das sei­en selbst geschaf­fe­ne Nach­flucht­grün­de. Obwohl ich ja schon vor­her, als Kind und Jugend­li­cher in Syri­en aktiv war.

Dein Bru­der ist mitt­ler­wei­le auch ein­ge­bür­gert. Du nicht?

Ja, wir haben gleich­zei­tig einen Antrag gestellt. Schon 2021. Ich habe mehr­fach bei der Behör­de nach­ge­fragt, aber bis jetzt kei­ne Ant­wort bekom­men. Gar keine.

Wie schnell ging das bei dei­nem Bruder?

Er wur­de letz­ten Monat ein­ge­bür­gert, im Febru­ar. Er muss­te dafür aber auch eine Untä­tig­keits­kla­ge einreichen.

Kom­men wir noch mal zu dei­nem gan­zen Rechts­streit um die Pass­be­schaf­fung. Wie ist es denn nach dem Schrei­ben 2018 wei­ter­ge­gan­gen und zum Buß­geld­be­scheid gekommen?

Als ich das Schrei­ben von der Behör­de bekom­men habe und auf­ge­for­dert wur­de, einen neu­en, gül­ti­gen syri­schen Pass zu besor­gen, war ich erst­mal scho­ckiert. In dem Schrei­ben stand, es sei straf­bar, wenn man kei­nen gül­ti­gen Pass beschafft und es könn­te eine Geld­stra­fe oder sogar eine Frei­heits­stra­fe bis zu einem Jahr geben. Dar­auf­hin habe ich dann direkt Kon­takt mit PRO ASYL auf­ge­nom­men und gefragt, was ich tun kann. Dort wur­de ich dann in Hin­sicht auf die Frei­heits­stra­fe beru­higt und man hat mir erklärt, dass es bei der Pass­be­schaf­fungs­pflicht einen Unter­schied zwi­schen der Flücht­lings­ei­gen­schaft und dem sub­si­diä­ren Schutz gibt. Dort muss man indi­vi­du­ell begrün­den, war­um man nicht zur Bot­schaft gehen kann. Das habe ich dann getan – aber mein Sach­be­ar­bei­ter hat geant­wor­tet, dass ihn das nicht inter­es­siert. Dann kamen wei­te­re Schrei­ben und schließ­lich der Buß­geld­be­scheid. In der Zwi­schen­zeit habe ich 2020 auch einen Antrag auf einen Rei­se­aus­weis für Aus­län­der gestellt, also den Aus­weis, der mir 2018 ent­zo­gen wur­de. Die Aus­län­der­be­hör­de hat dar­über aber noch nicht entschieden.

Und wie ist der aktu­el­le Stand jetzt?

Ich habe gegen den Bescheid natür­lich Ein­spruch ein­ge­legt und hat­te Ende 2022 die ers­te Ver­hand­lung am Amts­ge­richt Ger­mers­heim. Lei­der mit nega­ti­vem Aus­gang. In der Begrün­dung hat mir der Rich­ter sogar vor­ge­wor­fen, ich hät­te seit 2017 kei­nen gül­ti­gen Auf­ent­halts­ti­tel. Was natür­lich nicht stimmt, ich hat­te die gan­ze Zeit einen sol­chen und einen soge­nann­ten Aus­weis­ersatz. Inner­halb der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land kann ich mich damit ja aus­wei­sen, es ging nur um die Fra­ge der Pass­pflicht und ob mir das zumut­bar sei. Aber der Rich­ter mein­te, das sei nicht über­zeu­gend, ich wür­de mei­ne Fami­lie ja nicht durch den Besuch gefähr­den, son­dern durch mein poli­ti­sches Enga­ge­ment. Aber das wür­de ja bedeu­ten, dass ich mich auch hier, inner­halb einer Demo­kra­tie, dann nicht frei äußern kann. Ich habe das lan­ge anonym gemacht, aber mit mei­ner Fami­lie natür­lich auch Maß­nah­men getrof­fen, damit sie nicht gefähr­det sind, als ich dann offen demons­triert habe. Und die Wahr­schein­lich­keit der Gefähr­dung ist ein­fach grö­ßer, wenn ich zur Bot­schaft gehe. Dort muss ich ja nicht nur sagen, wo ich woh­ne und dem Regime damit ermög­li­chen, mich selbst hier in Deutsch­land zu fin­den, son­dern auch Fra­gen wie zum Bei­spiel zur Anschrift mei­ner Fami­lie beantworten.

Du bist dage­gen jetzt noch­mal vorgegangen?

Genau, wir haben Rechts­be­schwer­de bean­tragt und begrün­det und war­ten jetzt auf die Zulas­sung vom Pfäl­zi­schen Oberlandesgericht.

Vie­len Dank für das Gespräch und toll, dass du wei­ter hart­nä­ckig bleibst. Wir wün­schen dir viel Erfolg!

PRO ASYL unter­stützt Oba­da über den Rechts­hil­fe­fonds und ist Teil des Bünd­nis­ses #Defund­As­sad gegen die Pass­be­schaf­fungs­pflicht für Syrer*innen. Mehr Infor­ma­tio­nen dazu gibt es hier: https://defundassad.de/

Inter­view: mk / jo