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»Ich habe mehrfach begründet, warum ich nicht zur syrischen Botschaft kann«
Obada ist im Dezember 2015 gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder in Deutschland angekommen. Sein Bruder ist mittlerweile eingebürgert, Obada führt seit vielen Jahren einen Rechtsstreit, weil die Behörden ihn zur Passbeschaffung bei der syrischen Botschaft zwingen wollen. Im Interview erzählt er uns von seinen Fall.
Obada, du kommst aus Syrien und bist jetzt schon seit über acht Jahren hier in Deutschland, studierst, engagierst dich politisch. Aber du hast im Jahr 2021 einen Bußgeldbescheid vom Landkreis Germersheim bekommen. Erzähl uns doch mal, warum.
Ich wurde aufgefordert, mir einen neuen, gültigen syrischen Pass zu beschaffen, zum ersten Mal haben die Behörden in Germersheim mir dazu 2018 einen Brief geschickt. Ich habe ihnen dann mehrmals begründet, warum ich nicht zur syrischen Botschaft gehen kann. Das ging dann über mehrere Jahre, 2021 hat der zuständige Sachbearbeiter einen Bußgeldbescheid über 320 € verhängt.
Du sagst, du hast dargelegt, warum du nicht zur Botschaft gehen kannst. Was würde es denn für dich bedeuten, wenn du zur syrischen Botschaft gehst, um den Pass zu beantragen?
Es gibt einige Punkte, die ich für mich persönlich unzumutbar finde. Das erste und wichtigste ist, dass meine Familie dadurch gefährdet würde. Ich müsste in der Botschaft viele Angaben machen, nicht nur zu meiner Person und meinem Wohnort hier, sondern auch zu meiner Familie in Syrien. Und wir wissen, dass Sippenhaft für das Regime in Syrien gängige Praxis ist, das haben Amnesty International oder auch das Auswärtige Amt schon dokumentiert. Familienangehörige von Geflüchteten werden inhaftiert und unter Druck gesetzt. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.
Und die syrische Botschaft ruft auch hohe Summen für die Pässe auf, oder?
Genau, das ist der zweite Punkt: Die Unterstützung des Regimes. Sie fordern bis zu 800 € an Gebühren für die Passbeantragung. Ich bin ja in der Flüchtlingsarbeit aktiv und unterstütze einige Flüchtlinge, deren Familien teilweise nicht mehr in Syrien leben und die einen Pass beantragen würden. Bei ihnen sehe ich, wie schwierig es ist, überhaupt einen Termin zu bekommen. Der Prozess für einen normalen Pass, der 450 bis 500 Euro kosten würde, wird erschwert, damit die Leute einen Expresspass beantragen. Denn auf der anderen Seite erzeugt die deutsche Ausländerbehörde Druck. Und das ganze Geld fließt dem Regime zu, das damit seinen Krieg finanziert. Es gibt ja auch Berechnungen, dass nur im Jahr 2022 über 100 Millionen Euro so an das syrische Regime gegangen sind. Allein aus Deutschland.
»Das Geld, das dem Regime zufließt, tötet Menschen in Syrien. Jeden Tag.«
Das Geld kommt ja von den Menschen, die oft vor genau dieser Regierung geflohen sind. Was forderst du an der Stelle konkret von der Bundesregierung?
Ich fordere, dieser Praxis ein Ende zu bereiten und den Erlass vom damaligen Innenminister Seehofer aus 2018 rückgängig zu machen. Denn das Geld, das dem Regime zufließt, tötet Menschen in Syrien. Jeden Tag. Wir haben ja letztens gehört, dass Assad sogar trotz des Erdbebens einige Gebiete im Norden bombardieren ließ.
Der Erlass kann ganz einfach rückgängig gemacht werden, es geht dabei ja gar nicht um Identitätsklärung. Die meisten Syrer, die ich kenne, die haben einen alten Pass, die haben andere Dokumente, die die Identität nachweisen. Wenn es Zweifel gibt, dann kann man die Beantragung eines neuen Passes fordern, aber nicht so pauschal und allgemein.
Du sprichst von einem Erlass – was ist das genau für ein Erlass? Wie du schon sagst, ist es ja nicht so, dass die Menschen gar keine Dokumente mitgebracht haben. Aber 2018 hat sich die Lage ja für euch geändert.
Ich bin 2015 nach Deutschland geflohen und habe einen Asylantrag gestellt. Dann kam die Entscheidung »subsidiärer Schutz« und dann habe ich von der Behörde einen »Ausweis für Ausländer« ausgestellt bekommen, den sogenannten grauen Pass, erst mal für ein Jahr. Die Entscheidung kam 2016, das heißt, bis Ende 2017 hatte ich einen gültigen Ausweis und in dem Zeitraum hatte ich auch noch einen gültigen syrischen Pass. Der lag bei der Ausländerbehörde, ich hatte ja das Ersatzdokument, um mich auszuweisen. Meine Identität war also geklärt, ich habe dazu auch noch einen syrischen Ausweis abgegeben und eine Geburtsurkunde. Aber das Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer hat dann eben erklärt, dass es für syrische Geflüchtete keine allgemeine Unzumutbarkeit mehr gibt, zur Botschaft zu gehen. Seitdem wird für subsidiär Geschützte kein Reiseausweis für Ausländer mehr ausgestellt, sondern sie sollen sich einen von ihrem Heimatland besorgen. Das Ziel dahinter war auch, Abschiebungen damit grundsätzlich zu ermöglichen. Aber eine Abschiebung kommt in meinem Fall ja gar nicht infrage.
Damit wurde der »graue Pass«, von dem du gesprochen hast, dann ungültig?
Ja, genau. Er wurde 2018 entzogen. Horst Seehofer hat mit dem Erlass ja quasi erklärt, dass es für alle Syrer zumutbar sei, die Botschaft aufzusuchen.
Ich habe dann sofort Rechtsberatung gesucht, am Anfang wusste ja auch keiner, was der Unterschied zwischen Flüchtlingseigenschaft und subsidiärem Schutz ist. Es hieß, man habe die gleichen Rechte. Aber es hat sich dann herausgestellt, dass ich zum Beispiel bei Schulausflügen und Studienfahrten innerhalb der Europäischen Union nicht mitfahren durfte. Und eben einen Pass beschaffen sollte. Menschen, die den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention bekommen, müssen das nicht.
Das wäre auch meine nächste Frage gewesen: Du hast erzählt, du hast den subsidiären Schutz bekommen. Dein Bruder aber die Flüchtlingseigenschaft. Wie kam das zustande? Gab es unterschiedliche Hintergründe oder wie kam das Amt darauf?
Ich bin zusammen mit meinem Zwillingsbruder Ende 2015 nach Deutschland geflohen. Wir haben die Asylanträge auch gemeinsam gestellt. Und unsere Leben hatten den gleichen Verlauf, wir waren z.B. immer in den gleichen Schulklassen. Getrennt hat uns dann der Bescheid vom BAMF: Er hat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen, ich den subsidiären Schutz. Er hatte nie rechtliche Schwierigkeiten, bekam den Flüchtlingspass und ist mittlerweile auch eingebürgert. Diese Entscheidung hatte viele Folgen für mich. Ich habe zum Beispiel meine Mutter seit zehn Jahren nicht gesehen. Sie ist schon vor uns aus Damaskus geflohen, in den Libanon und dann nach Saudi-Arabien. Mein Bruder durfte sie 2019 dann besuchen, nach sieben Jahren. Ich habe sie immer noch nicht gesehen.
Du hast auch einen Asylfolgeantrag gestellt, um das zu ändern. Wie ist das ausgegangen?
Ich habe mich ja schon in Syrien in der Schülerbewegung engagiert und habe mein politisches Engagement in Deutschland fortgeführt und für Frieden und Demokratie in Syrien demonstriert.
2019 haben wir gegen einen Auftritt eines syrischen Sängers protestiert, der Propaganda für Assad macht und in seiner Musik die Verbrechen verherrlicht. Bei den Protesten war ich auch im Fernsehen, der Bericht wurde dann sogar auf einem syrischen Fernsehsender übersetzt und gezeigt. Da habe ich dann mit meinem Rechtsanwalt einen Asylfolgeantrag gestellt. Er wurde aber als unzulässig abgelehnt, das seien selbst geschaffene Nachfluchtgründe. Obwohl ich ja schon vorher, als Kind und Jugendlicher in Syrien aktiv war.
Dein Bruder ist mittlerweile auch eingebürgert. Du nicht?
Ja, wir haben gleichzeitig einen Antrag gestellt. Schon 2021. Ich habe mehrfach bei der Behörde nachgefragt, aber bis jetzt keine Antwort bekommen. Gar keine.
Wie schnell ging das bei deinem Bruder?
Er wurde letzten Monat eingebürgert, im Februar. Er musste dafür aber auch eine Untätigkeitsklage einreichen.
Kommen wir noch mal zu deinem ganzen Rechtsstreit um die Passbeschaffung. Wie ist es denn nach dem Schreiben 2018 weitergegangen und zum Bußgeldbescheid gekommen?
Als ich das Schreiben von der Behörde bekommen habe und aufgefordert wurde, einen neuen, gültigen syrischen Pass zu besorgen, war ich erstmal schockiert. In dem Schreiben stand, es sei strafbar, wenn man keinen gültigen Pass beschafft und es könnte eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geben. Daraufhin habe ich dann direkt Kontakt mit PRO ASYL aufgenommen und gefragt, was ich tun kann. Dort wurde ich dann in Hinsicht auf die Freiheitsstrafe beruhigt und man hat mir erklärt, dass es bei der Passbeschaffungspflicht einen Unterschied zwischen der Flüchtlingseigenschaft und dem subsidiären Schutz gibt. Dort muss man individuell begründen, warum man nicht zur Botschaft gehen kann. Das habe ich dann getan – aber mein Sachbearbeiter hat geantwortet, dass ihn das nicht interessiert. Dann kamen weitere Schreiben und schließlich der Bußgeldbescheid. In der Zwischenzeit habe ich 2020 auch einen Antrag auf einen Reiseausweis für Ausländer gestellt, also den Ausweis, der mir 2018 entzogen wurde. Die Ausländerbehörde hat darüber aber noch nicht entschieden.
Und wie ist der aktuelle Stand jetzt?
Ich habe gegen den Bescheid natürlich Einspruch eingelegt und hatte Ende 2022 die erste Verhandlung am Amtsgericht Germersheim. Leider mit negativem Ausgang. In der Begründung hat mir der Richter sogar vorgeworfen, ich hätte seit 2017 keinen gültigen Aufenthaltstitel. Was natürlich nicht stimmt, ich hatte die ganze Zeit einen solchen und einen sogenannten Ausweisersatz. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland kann ich mich damit ja ausweisen, es ging nur um die Frage der Passpflicht und ob mir das zumutbar sei. Aber der Richter meinte, das sei nicht überzeugend, ich würde meine Familie ja nicht durch den Besuch gefährden, sondern durch mein politisches Engagement. Aber das würde ja bedeuten, dass ich mich auch hier, innerhalb einer Demokratie, dann nicht frei äußern kann. Ich habe das lange anonym gemacht, aber mit meiner Familie natürlich auch Maßnahmen getroffen, damit sie nicht gefährdet sind, als ich dann offen demonstriert habe. Und die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung ist einfach größer, wenn ich zur Botschaft gehe. Dort muss ich ja nicht nur sagen, wo ich wohne und dem Regime damit ermöglichen, mich selbst hier in Deutschland zu finden, sondern auch Fragen wie zum Beispiel zur Anschrift meiner Familie beantworten.
Du bist dagegen jetzt nochmal vorgegangen?
Genau, wir haben Rechtsbeschwerde beantragt und begründet und warten jetzt auf die Zulassung vom Pfälzischen Oberlandesgericht.
Vielen Dank für das Gespräch und toll, dass du weiter hartnäckig bleibst. Wir wünschen dir viel Erfolg!
PRO ASYL unterstützt Obada über den Rechtshilfefonds und ist Teil des Bündnisses #DefundAssad gegen die Passbeschaffungspflicht für Syrer*innen. Mehr Informationen dazu gibt es hier: https://defundassad.de/
Interview: mk / jo