17.08.2015
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Zeltstädte und Katastrophenbilder wie hier aus Dresden? Für viele deutsche Innenpolitiker ist klar, wer schuld ist: Nicht etwa das Versagen der Behörden. Schuld sind natürlich Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten. Sie sollen nun mit Leistungskürzungen abgeschreckt werden. Foto: Veit Kuehne / facebook

Unionspolitiker wollen Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten mit Leistungskürzungen abschrecken. Die Vorschläge sind nicht nur gefährliche Stimmungsmache, sondern ein Angriff auf die Menschenwürde und eine klare Missachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben.

Die Bot­schaft ist sim­pel: Erhal­ten sie weni­ger Geld, kom­men weni­ger Flücht­lin­ge. Im heu­te Jour­nal hat Innen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­zie­re (CDU) Ein­schrän­kun­gen bei den Leis­tun­gen für  Asyl­su­chen­de gefor­dert. Die Zahl der Flücht­lin­ge aus den West­bal­kan­staa­ten müs­se drin­gend gesenkt wer­den. „Wir kön­nen mehr Sach­leis­tun­gen machen, wir kön­nen uns das Taschen­geld genau­er anschau­en“ so de Mai­ziè­re gegen­über dem ZDF. Ins­be­son­de­re in den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen sol­le weni­ger Bar­geld aus­ge­zahlt werden.

Auch der Städ­te- und Gemein­de­bunds for­dert eine Über­prü­fung des „Taschen­gelds“ damit „Anrei­ze“ ver­mie­den wer­den. Der Chef der NRW-CDU, Armin Laschet sowie der Baye­ri­sche Innen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann spra­chen sich eben­falls für dras­ti­sche Ein­schrän­kun­gen bei den Bar­geld­leis­tun­gen für bestimm­te Flücht­lings­grup­pen aus.

Uni­on schürt Neiddebatte

Der Sub­text hin­ter den For­de­run­gen: Flücht­lin­ge aus den West­bal­kan­staa­ten kom­men ledig­lich wegen der zu hohen Leis­tun­gen nach Deutsch­land. Dies ist nicht nur ein Hohn für all jene Men­schen, die vor exis­tenz­be­dro­hen­der Armut und ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung aus Ser­bi­en, Maze­do­ni­en oder Mon­te­ne­gro flie­hen, die­ser Popu­lis­mus befeu­ert eine Neid­de­bat­te, die den Nähr­bo­den für eine wei­te­re Zunah­me der ras­sis­ti­schen Het­ze und Gewalt gegen Flücht­lin­ge schafft.

Mini­ma­le Teil­ha­be: Wie hoch ist das „Taschen­geld“ und wozu dient es?

Fak­tisch sind die Bar­geld­leis­tun­gen zudem denk­bar gering. Allein­ste­hen­de erhal­ten der­zeit 143 Euro „Taschen­geld“ im Monat. Einer vier­köp­fi­gen Fami­lie mit Kin­dern unter sechs Jah­ren ste­hen 426 Euro zu. Die­ser Bar­be­trag ist kei­ne frei­wil­li­ge Zusatz­leis­tung wie es der Euphe­mis­mus „Taschen­geld“ sug­ge­riert, son­dern dient dazu, eine mini­ma­le Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Leben – also ein Mini­mum an Inte­gra­ti­on – zu ermög­li­chen. Pro Tag sind es pro Per­son zwi­schen 4 und 5 Euro. Alle paar Tage eine Fahrt mit dem Nah­ver­kehr, ab und zu ins Inter­net­ca­fe und die Tele­fon­kos­ten zah­len – viel mehr ist damit nicht zu machen.

Strei­chung des Min­dest­bar­be­trags ist rechtswidrig

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat aus­drück­lich klar­ge­stellt, dass die­ser Bar­be­trag für per­sön­li­che Bedürf­nis­se Teil des ver­fas­sungs­recht­lich garan­tier­ten Anspruchs auf ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum ist. Er ist Bestand­teil des „sozio­kul­tu­rel­len Exis­tenz­mi­ni­mums“. Eine Strei­chung des Min­dest­bar­be­trags ist schlicht rechts­wid­rig. Dies gilt ins­be­son­de­re, wenn die Kür­zun­gen pau­scha­len Abschre­ckungs­in­ter­es­sen die­nen. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat­te betont, dass Leis­tungs­ein­schrän­kun­gen aus „migra­ti­ons­po­li­ti­schen Erwä­gun­gen“ nicht zuläs­sig sind.

Sach­leis­tun­gen statt Bar­geld: Essen was vom Amt kommt.

Zusätz­lich zu dem Min­dest­bar­be­trag („Taschen­geld“) erhal­ten Flücht­lin­ge Unter­kunft, Ver­pfle­gung, Klei­dung und Hygie­nemit­tel. Ledig­lich hier­bei kann über­haupt auf Sach­leis­tun­gen zurück­ge­grif­fen wer­den. So erhal­ten Flücht­lin­ge in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen etwa Kan­ti­nen­es­sen, Hygie­ne­pa­ke­te oder Klei­dung aus der Klei­der­kam­mer. Nach der Ver­tei­lung auf die Kom­mu­nen wird dann vor­ran­gig Bar­geld aus­ge­zahlt. In den 90er Jah­ren wur­den in vie­len Kom­mu­nen Hygie­ne- und Lebens­mit­tel oder Gut­schei­ne aus­ge­teilt. Wegen der hohen Logis­tik- und Ver­wal­tungs­kos­ten wur­de die­se Pra­xis jedoch weit­ge­hend ein­ge­stellt. Eine Rück­kehr zu Essens­pa­ke­ten und Gut­schei­nen statt Bar­geld wäre fatal: Men­schen wür­de damit das Recht genom­men, sich selbst­be­stimmt zu ernäh­ren und zu versorgen.

Angriff auf die Men­schen­wür­de von Flüchtlingen

Abzu­war­ten bleibt, wel­che Fol­gen die der­zei­ti­gen Vor­stö­ße von Uni­ons­po­li­ti­kern haben. Zu befürch­ten ist zum einen, dass eine Geset­zes­in­itia­ti­ve zur Ein­schrän­kung des Leis­tungs­an­spruchs auf den Weg gebracht wird. Wahr­schein­lich ist zudem, dass in eini­gen Bun­des­län­dern bereits zuvor mit grund­rechts­wid­ri­gen Leis­tungs­kür­zun­gen expe­ri­men­tiert wird. Dies wäre nicht nur akti­ve Inte­gra­ti­ons­ver­hin­de­rung und ein Angriff auf die Men­schen­wür­de von Flücht­lin­gen, son­dern eine kla­re Miss­ach­tung ver­fas­sungs­recht­li­cher Vorgaben.

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