16.03.2023
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Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Nord­rhein-West­fa­len. Foto: Wikimedia Commons

Das Chancen-Aufenthaltsrecht soll langjährig Geduldeten eine Brücke in ein dauerhaftes Bleiberecht bauen. Das spiegelt sich in Anwendungshinweisen einiger Bundesländer wider. Doch das Oberverwaltungsgericht NRW entscheidet bei Grenzübertrittsbescheinigungen gegen das Land, macht Hoffnungen zunichte – und widerspricht dem Bundesverwaltungsgericht.

Zwi­schen dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Nord­rhein-West­fa­len auf der einen sowie eini­gen Bun­des­län­dern und  dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt auf der ande­ren Sei­te besteht Unei­nig­keit dar­über, ob soge­nann­te Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gun­gen  als fak­ti­sche Dul­dun­gen im Sin­ne des Auf­ent­halts­ge­set­zes gel­ten oder nicht. Wich­tig ist das für poten­zi­ell Begüns­tig­te des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts, weil sie sich bis zum Stich­tag 31. Okto­ber 2022 seit fünf Jah­ren unun­ter­bro­chen gedul­det, gestat­tet oder mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis im Bun­des­ge­biet auf­ge­hal­ten haben müs­sen, um das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht bean­tra­gen zu kön­nen. Zudem müs­sen sie auch bei der Antrag­stel­lung bezie­hungs­wei­se spä­tes­tens zum Zeit­punkt der Ertei­lung gedul­det sein.

Wenn nun aber die Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gun­gen, die von Aus­län­der­be­hör­den oft sogar ohne Anlass anstel­le einer Dul­dung aus­ge­stellt wer­den, nicht als fak­ti­sche  Dul­dung gel­ten, kön­nen eini­ge der poten­zi­ell Begüns­tig­ten die erfor­der­li­chen fünf Jah­re ohne Unter­bre­chun­gen nicht nach­wei­sen oder gel­ten bei Antrag­stel­lung nicht als gedul­det – und blei­ben so vom Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ausgeschlossen.

Versprechen aus dem Koalitionsvertrag

Dabei hat die Ampel­ko­ali­ti­on mit dem am 1. Janu­ar 2023 in Kraft getre­te­nen Chan­cen-Auf­ent­halts­recht (gere­gelt in  § 104c Auf­ent­halts­ge­setz) ein Ver­spre­chen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag umge­setzt. Nach dem Gesetz­ent­wurf soll das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht Men­schen, die seit über fünf Jah­ren gedul­det sind und »über die lan­ge Auf­ent­halts­zeit ihr Lebens­um­feld in Deutsch­land gefun­den haben, […] eine auf­ent­halts­recht­li­che Per­spek­ti­ve eröff­net und eine Chan­ce ein­ge­räumt wer­den, die not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen für einen recht­mä­ßi­gen Auf­ent­halt zu erlan­gen«.

Oft schrei­ben Aus­län­der­be­hör­den ein­fach Fan­ta­sie­pa­pie­re aus.

Wie gesagt ist die Grund­vor­aus­set­zung für das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht, dass sich poten­zi­ell  Begüns­tig­te am Stich­tag 31. Okto­ber 2022 seit fünf Jah­ren unun­ter­bro­chen gedul­det, gestat­tet oder mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis im Bun­des­ge­biet auf­ge­hal­ten haben und auch zum Zeit­punkt der Antrag­stel­lung bezie­hungs­wei­se spä­tes­tens der Ent­schei­dung gedul­det sind und über eine ent­spre­chen­de Beschei­ni­gung ver­fü­gen (§ 60a Abs. 2 i.Vm. Abs. 4 Auf­enthG).

Ausländerbehörden verweigern Duldungsbescheinigung

In vie­len Fäl­len stel­len Aus­län­der­be­hör­den aber weder eine Dul­dungs­be­schei­ni­gung aus noch betrei­ben sie auf­ent­halts­be­en­den­de Maß­nah­men, son­dern geben statt­des­sen eine soge­nann­te Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung (GÜB) aus. Eigent­lich soll die Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung  den Aus­län­der­be­hör­den zur Über­prü­fung die­nen, ob  voll­zieh­bar aus­rei­se­pflich­ti­ge Per­so­nen  das Bun­des­ge­biet tat­säch­lich ver­las­sen haben: Die jewei­li­ge Per­son gibt  die Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung bei Aus­rei­se bei der Bun­des­po­li­zei ab, die dar­auf die Aus­rei­se bestä­tigt und die Beschei­ni­gung an die zustän­di­ge Aus­län­der­be­hör­de zurücksendet.

Oft wird von Aus­län­der­be­hör­den die Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung aber ein­fach an Stel­le einer Dul­dungs­be­schei­ni­gung aus­ge­stellt. Oder es wird eine Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung zunächst tat­säch­lich für den vor­ge­se­he­nen Zweck aus­ge­fer­tigt. Rei­sen die Betrof­fe­nen dann aber  nicht aus, wird die Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung ein­fach ver­län­gert, statt ent­we­der auf­ent­halts­be­en­den­de Maß­nah­men zu ergrei­fen oder eine Dul­dungs­be­schei­ni­gung aus­zu­stel­len. Neben  Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gun­gen schrei­ben Aus­län­der­be­hör­den auch  Fan­ta­sie­pa­pie­re wie  eine Beschei­ni­gung über die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men,  die aber tat­säch­lich gar nicht voll­zo­gen werden.

Voraufenthaltszeit trotz fünf Jahre Aufenthalt nicht erfüllt?

Hier wie dort haben Betrof­fe­ne dann mit Blick auf das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht das Pro­blem, dass ent­we­der der erfor­der­li­che fünf­jäh­ri­ge Vor­auf­ent­halts­zeit­raum nicht unun­ter­bro­chen gedul­det war oder dass sie zum Zeit­punkt der Antrag­stel­lung kei­ne Dul­dungs­be­schei­ni­gung vor­wei­sen können.

Damit die  Betrof­fe­nen den­noch die fünf­jäh­ri­ge Vor­auf­ent­halts­zeit erfül­len kön­nen, haben  eini­ge Bun­des­län­der in ihren Anwen­dungs­hin­wei­sen zum Chan­cen-Auf­ent­halts­recht fest­ge­legt, dass auch ein Auf­ent­halt mit Beschei­ni­gun­gen über die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men oder mit Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gun­gen – zum Teil unter wei­te­ren Vor­aus­set­zun­gen – als gedul­de­ter Auf­ent­halt im Sin­ne des § 104c Auf­enthG gilt.

Eini­ge Bun­des­län­der erken­nen Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gun­gen an

In Nord­rhein-West­fa­len heißt es in Ergän­zun­gen zu den Anwen­dungs­hin­wei­sen des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums etwa: »Sind Betrof­fe­ne im Besitz einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung (GÜB) oder einer aus­län­der­be­hörd­li­chen Beschei­ni­gung über die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men, sind sie wäh­rend die­ses Zeit­raums als fak­tisch gedul­det im Sin­ne des § 104c Auf­enthG anzu­se­hen.« Die glei­che For­mu­lie­rung wird in den Nie­der­säch­si­schen Anwen­dungs­hin­wei­sen verwendet.

Fast wort­gleich heißt es auch in den Anwen­dungs­hin­wei­sen Thü­rin­gens für die Situa­ti­on zum Zeit­punkt der Antrag­stel­lung: »Sofern Betrof­fe­ne zum Zeit­punkt der Antrag­stel­lung im Besitz einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung (GÜB) oder einer aus­län­der­be­hörd­li­chen Beschei­ni­gung über die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men sind, sind sie wäh­rend die­ses Zeit­raums als fak­tisch gedul­det im Sin­ne des § 104c Auf­enthG anzu­se­hen.« Und für die Anrech­nung von Vor­auf­ent­halts­zei­ten heißt es dort: »Zei­ten, in denen die Antrag­stel­len­den im Besitz einer GÜB oder einer aus­län­der­be­hörd­li­chen Beschei­ni­gung über die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men waren, eine Abschie­bung jedoch nicht voll­zo­gen wur­de, sind anre­chen­ba­re Vor­auf­ent­halts­zei­ten i. S. d. § 104c Auf­enthG.«

Bayern macht Einschränkungen

Auch Bay­ern erkennt grund­sätz­lich an, dass Zeit­räu­me mit Grenz­über­tritts- statt Dul­dungs­be­schei­ni­gun­gen als anre­chen­bar anzu­se­hen sind, macht aber Ein­schrän­kun­gen. In den Anwen­dungs­hin­wei­sen wird auch auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts ver­wie­sen, die der Pflicht zur Anrech­nung die­ser Zeit­räu­me zugrun­de liegt: »In Fäl­len, in denen das einer Dul­dung zugrun­de­lie­gen­de Abschie­bungs­hin­der­nis ent­fal­len ist und in der Fol­ge ledig­lich eine Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung aus­ge­stellt wer­den konn­te, gilt in Bezug auf das Merk­mal »unun­ter­bro­chen gedul­det« das Folgende: 

Wenn eine Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung aus­ge­stellt wur­de, die Abschie­bung aller­dings aus Kapa­zi­täts­grün­den über einen län­ge­ren Zeit­raum nicht durch­ge­führt wer­den konn­te, ist auch vor dem Hin­ter­grund der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.1997 – 1 C 3/97:»(…) Der Gesetz­ge­ber geht also von der zügi­gen Durch­füh­rung der Abschie­bung aus. Erge­ben sich Hin­der­nis­se, die eine erheb­li­che Ver­zö­ge­rung der Abschie­bung nach sich zie­hen, ist nach § 55 II Aus­lG [Anm.: ent­spricht § 60a Abs. 2 Satz 1 Auf­enthG] zu ver­fah­ren.«) zuguns­ten des Betrof­fe­nen davon aus­zu­ge­hen, dass in der Rück­schau eigent­lich eine Dul­dung zu ertei­len gewe­sen wäre. 

Ein sol­cher Zeit­raum ist jeden­falls regel­mä­ßig anzu­neh­men, wenn der Aus­län­der für einen über sechs Mona­te hin­aus­ge­hen­den Zeit­raum im Besitz einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung gewe­sen ist. dass eine Dul­dung aus­zu­stel­len gewe­sen wäre, ist im Übri­gen ins­be­son­de­re zuguns­ten von Aus­län­dern, die im Sin­ne des vor­he­ri­gen Sat­zes für eine län­ge­re Zeit im Besitz einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung waren, zu ver­mu­ten, wenn die­se bis heu­te nicht rück­ge­führt wer­den konn­ten, ohne dass die­ser Umstand auf akti­vem oder pas­si­vem Wider­stand sei­tens der Betrof­fe­nen im Rah­men einer Abschie­bungs­maß­nah­me beruht.«

Das Bundesverwaltungsgericht sagt klar: Es gibt keinen Status unterhalb der Duldung

Tat­säch­lich stell­te das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt mit der in den baye­ri­schen Anwen­dungs­hin­wei­sen zitier­ten Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts aus dem Jah­re 1997 bereits den Grund­satz auf, dass es kei­nen auf­ent­halts­recht­li­chen Sta­tus unter­halb einer Dul­dung gibt. Dort wird aus­ge­führt: »Sobald kei­ne Zwei­fel an der Zuläs­sig­keit der Abschie­bung eines aus­rei­se­pflich­ti­gen Aus­län­ders mehr bestehen, ist es grund­sätz­lich eine nicht mehr in ihrem Ermes­sen ste­hen­de gesetz­li­che Pflicht der Aus­län­der­be­hör­de, die Aus­rei­se­pflicht unver­züg­lich durch­zu­set­zen (vgl. BTDrucks 11/6321 S. 76 zu § 55 Abs. 4; vgl. fer­ner zum Erfor­der­nis der Abschie­bung »unver­züg­lich« nach Erlö­schen einer Dul­dung § 56 Abs. 6 Satz 1 AuslG).

Nur eine Aus­set­zung der Abschie­bung (Dul­dung) kann dann noch die Voll­stre­ckung der Aus­rei­se­pflicht – vor­über­ge­hend – hin­dern (vgl. Kanein/Renner, a.a.O. § 49 Aus­lG Rn. 2). Abge­se­hen von dem Fall der gesetz­li­chen Dul­dung des § 69 Abs. 2 Satz 1 Aus­lG [Anm.: ent­spricht im Wesent­li­chen § 81 Abs. 3–4 Auf­enthG ] regelt § 55 Aus­lG [ent­spricht im Wesent­li­chen § 60a Auf­enthG] ent­spre­chend den oben dar­ge­stell­ten Inten­tio­nen des Gesetz­ge­bers abschlie­ßend die Vor­aus­set­zun­gen für die Ertei­lung einer Dul­dung nach dem Ausländergesetz. 

Eine still­schwei­gen­de Aus­set­zung der Abschie­bung anstel­le der nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Aus­lG der Schrift­form bedürf­ti­gen Dul­dung kommt mit­hin nicht in Betracht (vgl. Fraen­kel, Ein­füh­ren­de Hin­wei­se zum neu­en Aus­län­der­ge­setz, S. 291). Die­se Erwä­gun­gen spre­chen gegen die vom Beru­fungs­ge­richt ver­tre­te­ne Rechts­an­sicht, die dazu führt, dass ein Aus­län­der, der trotz voll­zieh­ba­rer Aus­rei­se­pflicht nicht frei­wil­lig aus­reist, sich ohne gere­gel­ten Sta­tus im Bun­des­ge­biet auf­hält, obwohl die Aus­län­der­be­hör­de die Aus­rei­se­pflicht wegen tat­säch­li­cher Unmög­lich­keit der Abschie­bung nicht zwangs­wei­se durch­set­zen kann. Die Sys­te­ma­tik des Aus­län­der­ge­set­zes läßt grund­sätz­lich kei­nen Raum für einen der­ar­tig unge­re­gel­ten Auf­ent­halt. Viel­mehr geht das Gesetz davon aus, dass ein aus­rei­se­pflich­ti­ger Aus­län­der ent­we­der abge­scho­ben wird oder zumin­dest eine Dul­dung erhält. Die tat­säch­li­che Hin­nah­me des Auf­ent­halts außer­halb förm­li­cher Dul­dung, ohne dass die Voll­stre­ckung der Aus­rei­se­pflicht betrie­ben wird, sieht das Gesetz nicht vor.«

Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen ignoriert das Bundesverwaltungsgericht

Unge­ach­tet die­ser ein­deu­ti­gen grund­le­gen­den Recht­spre­chung, die auch im Rah­men der Gel­tung des Auf­ent­halts­ge­set­zes sei­ne Gül­tig­keit bewahrt hat (ver­glei­che etwa aus jün­ge­rer Zeit hier­zu ein Urteil des Ver­wal­tungs­ge­richt Greifs­wald vom 28.1.2021), hat nun jüngst das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Nord­rhein-West­fa­len in einem Beschluss vom 10.2.2023 im Rah­men die Rechts­an­sicht ver­tre­ten, dass die oben zitier­ten Anwen­dungs­hin­wei­se die­ses Bun­des­lan­des kei­ne Gül­tig­keit besit­zen sol­len. Die­se Rechts­an­sicht äußer­te das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt in einem obiter dic­tum. Das bedeu­tet, dass es auf die­se Rechts­mei­nung im Rah­men der Ent­schei­dung gar nicht ankam, son­dern die­se nur geäu­ßert wur­de, weil sich die Gele­gen­heit dazu bot  – denn der Betrof­fe­ne hät­te schon auf­grund des Vor­lie­gens der Vor­aus­set­zun­gen des Aus­schluss­grun­des des § 104c Abs. 1 Nr. 2 Auf­enthG in Fol­ge der Ver­ur­tei­lung zu einer Frei­heits­stra­fe nicht vom Chan­cen-Auf­ent­halts­recht pro­fi­tie­ren können.

In der Ent­schei­dung führt das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt aus: »Nicht ver­ein­bar mit dem Auf­ent­halts­ge­setz ist […] die NRW-spe­zi­fi­sche Ergän­zung bzw. Abwei­chung unter b.) zu Zif­fer 1.3 der Anwen­dungs­hin­wei­se des BMI. Die­se ist wie folgt for­mu­liert: »Sind Betrof­fe­ne im Besitz einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung (GÜB) oder einer aus­län­der­be­hörd­li­chen Beschei­ni­gung über die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men, sind sie wäh­rend die­ses Zeit­raums als fak­tisch gedul­det im Sin­ne des § 104c Auf­enthG anzusehen.«

Die­se Bestim­mung ver­kennt, dass nach der oben zitier­ten Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts [Anm.: Urteil vom 18. Dezem­ber 2019 ‑1 C 34.18,Rn. 24 und 30] ein Aus­län­der nur dann gedul­det ist, wenn ihm eine rechts­wirk­sa­me Dul­dung erteilt wor­den ist oder wenn er einen Rechts­an­spruch auf Dul­dung hat. Der Besitz einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung oder einer aus­län­der­be­hörd­li­chen Beschei­ni­gung über die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men reicht inso­weit nicht aus. Eine fak­ti­sche Dul­dung sieht die Kon­zep­ti­on des Auf­ent­halts­ge­set­zes nicht vor und ist auch der Neu­re­ge­lung des § 104c Auf­enthG nicht zu entnehmen.«

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt wider­spricht dem Oberverwaltungsgericht!

Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Nord­rhein­west­fa­len ver­kennt bei die­ser Rechts­auf­fas­sung, dass nach der oben zitier­ten grund­le­gen­den Ent­schei­dung aus dem Jah­re 1997 das Auf­ent­halts­recht – um es mit den kla­ren Wor­ten des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts zu for­mu­lie­ren – gera­de davon aus­geht, dass eine aus­rei­se­pflich­ti­ge Per­son »ent­we­der abge­scho­ben wird oder zumin­dest eine Dul­dung erhält«.

Fak­ti­sche Dul­dung vom Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt anerkannt

Dar­über hin­aus ver­wen­det das  Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt  in der vom Ober­ver­wal­tungs­ge­richt bemüh­ten Ent­schei­dung aus dem Jah­re 2019 sogar den Begriff der fak­ti­schen Dul­dung, von dem das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt behaup­tet, dass er der Kon­zep­ti­on des Auf­ent­halts­ge­set­zes fremd sei. Danach darf es bei einer bestehen­den Pflicht der Aus­län­der­be­hör­de zur Ertei­lung einer Dul­dung der betrof­fe­nen Per­son »nicht zum Nach­teil gerei­chen, wenn sie die­ser Pflicht im Ein­zel­fall trotz Vor­lie­gens der Vor­aus­set­zun­gen nicht nach­kommt und den Auf­ent­halt ledig­lich fak­tisch duldet«.

Die zitier­ten Anwen­dungs­hin­wei­se der genann­ten Bun­des­län­der sind also geset­zes­kon­form. Ledig­lich bei den Anwen­dungs­hin­wei­sen Bay­erns steht in Fra­ge,  ob eine bis zu sechs­mo­na­ti­ge Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung noch nicht als fak­ti­sche Dul­dung anzu­er­ken­nen ist. Aus Sicht von PRO ASYL gilt:  Eine Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung soll­te viel­mehr mit dem Ablauf der jeweils gesetz­ten Aus­rei­se­frist als fak­ti­sche Dul­dung aner­kannt wer­den, wenn nicht unver­züg­lich auf­ent­halts­be­en­den­de Maß­nah­men ergrif­fen wer­den. Die übri­gen Bun­des­län­der sind gut bera­ten, ihre Anwen­dungs­hin­wei­se ent­spre­chend zu for­mu­lie­ren bezie­hungs­wei­se anzupassen.

(pva/wr)