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Mark aus Russland, Vlad aus Belarus und Ilja aus der Ukraine erzählen, warum sie den Dienst an der Waffe verweigern und welche Probleme das mit sich bringt. Foto: Connection e.V.

Zum Tag des Flüchtlings am 30. September lassen wir drei Kriegsdienstverweigerer zu Wort kommen. Mark aus Russland, Vlad aus Belarus und Ilja aus der Ukraine berichten in Interviews von ihrer Entscheidung, sich dem Krieg zu entziehen und dem Versuch, in Europa Schutz zu erhalten.

Seit der rus­si­sche Prä­si­dent Putin die Teil­mo­bil­ma­chung ver­kün­de­te,  ver­su­chen vie­le Rus­sen, das Land zu ver­las­sen. PRO ASYL errei­chen unzäh­li­ge Anfra­gen nach Hil­fe und Unter­stüt­zung. Wer sich einem Krieg ent­zieht, ver­dient Schutz. Aus die­ser Über­zeu­gung her­aus unter­stützt und finan­ziert PRO ASYL ein Pro­jekt des Ver­eins Con­nec­tion e.V., das Bera­tung für Deser­teu­re, Mili­tär­diens­ten­zie­her und Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer aus Russ­land, Bela­rus und der Ukrai­ne bie­tet.  Zum Tag des Flücht­lings am 30. Sep­tem­ber las­sen wir drei Män­ner aus die­sen Län­dern selbst zu Wort kom­men. Mark aus Russ­land, Vlad aus Bela­rus und Ilja aus der Ukrai­ne erzäh­len, war­um sie den Dienst an der Waf­fe ver­wei­gern und wel­che Pro­ble­me das mit sich bringt. Die Drei haben es geschafft, sie sind in Sicher­heit – doch vie­le ande­re nicht. PRO ASYL und Con­nec­tion e.V. for­dern die Bun­des­re­gie­rung daher auf, siche­re Zugangs­we­ge zu schaf­fen und mehr huma­ni­tä­re Visa zu ver­ge­ben, etwa an Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, die sich in Nach­bar­län­dern aufhalten.

»In der russischen Armee zu dienen ist nichts, worauf man stolz sein könnte«

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Mark aus Russland

Der 22-jäh­ri­ge Mark Roman­kov aus Russ­land hat­te in Deutsch­land stu­diert. Kurz vor Beginn des Krie­ges kam er erneut nach Deutsch­land und bean­trag­te eini­ge Wochen spä­ter Asyl. 

Wie haben Sie vom Beginn des Krie­ges erfahren?

Ich kam im Febru­ar 2022 nach Deutsch­land. Schon vor dem 24. Febru­ar hör­ten wir von den Kriegs­vor­be­rei­tun­gen. Aber ich dach­te nicht, dass es wirk­lich so weit kom­men wür­de. Ich dach­te, es wird eine ähn­li­che Situa­ti­on geben wie 2008 zwi­schen Russ­land und Geor­gi­en, als es dar­um ging, dass Geor­gi­en der NATO bei­tre­ten könn­te. Ich erwar­te­te ein ähn­li­ches Kräf­te­mes­sen. Aber am 24. Febru­ar wach­te ich mor­gens auf und hör­te die Nach­rich­ten von den Eltern mei­ner Freun­din aus Kiew. Der Krieg hat­te begon­nen. Selbst da dach­te ich noch, dass es nicht lan­ge dau­ern wür­de. Aber weni­ge Tage spä­ter war klar, dass es ein län­ge­rer Krieg wird. Und daher ent­schied ich, nicht mehr zurück nach Russ­land zu gehen. Mein Visum lief am 30. April ab. So bean­trag­te ich schließ­lich Asyl.

Besteht die Gefahr, dass Sie für den Krieg rekru­tiert werden?

Ich sah die Berich­te, dass Wehr­pflich­ti­ge in ihrem ein­jäh­ri­gen Dienst ins Kriegs­ge­biet in die Ukrai­ne geschickt wur­den. Ich war alar­miert. Die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on erklär­te zwar, dass dort nur Berufs­sol­da­ten kämp­fen wür­den. Aber die Rea­li­tät sieht anders aus. Inzwi­schen weiß ich, dass die Situa­ti­on noch schlim­mer ist, als ich dach­te. Wehr­pflich­ti­ge ster­ben dort.

War­um ver­wei­gern Sie den Kriegsdienst?

Die Armee ist noch immer eine Armee im Stil der Sowjet­zeit. Und solch ein Sys­tem will ich nicht unter­stüt­zen. Seit der Krieg begann, ist es aber mehr: Die Armee ist nun ein Sym­bol für das Böse. Es gibt nichts, wor­auf man stolz sein könn­te. Für mich selbst ist auch bedeut­sam: Mei­ne Part­ne­rin kommt aus der Ukrai­ne, wie auch ihre Eltern. Ich kann mir nicht vor­stel­len wie es ist, in einer Armee zu die­nen und gegen ihre Fami­lie zu kämpfen.

»Der Krieg hat­te begon­nen. Selbst da dach­te ich noch, dass es nicht lan­ge dau­ern wür­de. Aber weni­ge Tage spä­ter war klar, dass es ein län­ge­rer Krieg wird.«

Mark aus Russland

Wie hat Ihre Fami­lie auf Ihre Ent­schei­dung reagiert?

Mei­ne Fami­lie ist eng mit Russ­land ver­bun­den. Und sie ist Opfer der macht­vol­len Pro­pa­gan­da­ma­schi­ne, die ihr seit acht Jah­ren die Welt erklärt. Ich habe mei­nen Eltern nicht die gan­ze Geschich­te erzählt, sie wür­den sie nicht verstehen.

Was erhof­fen Sie sich für die Zukunft?

Mein größ­tes Pro­blem ist mei­ne Staats­an­ge­hö­rig­keit. Ich hof­fe, dass ich die abge­ben kann. Ich will nicht, dass mir der rus­si­sche Staat mein Leben ruiniert.

Wie kön­nen ande­re rus­si­sche Ver­wei­ge­rer unter­stützt werden?

In der Asyl­un­ter­kunft habe ich erlebt, dass ihr größ­tes Pro­blem der Man­gel an Infor­ma­tio­nen ist. Da ich Eng­lisch spre­che und Deutsch ver­ste­he, kamen sie oft zu mir und sag­ten: »Mark, was haben sie gesagt? Kannst Du dies oder jenes fra­gen?« Es ist auch nicht die gan­ze Zeit ein Über­set­zer da, und er kennt sich auch nicht mit den Ver­fah­ren aus. Ich glau­be es wäre eine gro­ße Sache, wenn es gelän­ge, die rus­si­schen Ver­wei­ge­rer bes­ser zu infor­mie­ren und zusammenzubringen.

Könn­te die Unter­stüt­zung von Deser­teu­ren und Ver­wei­ge­rern eine Mög­lich­keit sein, sich aktiv gegen die­sen Krieg zu stellen?

Ich sehe das so. Wenn Deutsch­land ein Pro­gramm für rus­si­sche Deser­teu­re auf­legt, ihnen Asyl gibt und sie för­dert, ist das gut. Aber Russ­land wird sehr schnell dar­auf reagie­ren und die Gren­zen schlie­ßen. Ich den­ke des­halb, dass eine Unter­stüt­zung eher im Stil­len statt­fin­den soll­te. Das gilt auch für Pro­gram­me für Student*innen, die noch immer nach Deutsch­land kom­men kön­nen. In die­ser Soft Power liegt eine gro­ße Stär­ke, weil vie­le, die Russ­land ver­las­sen, gro­ßes Poten­ti­al mit­brin­gen, was dann Russ­land feh­len wür­de. Die­je­ni­gen, die ich in der Asyl­un­ter­kunft getrof­fen habe, waren wirk­lich gegen den Krieg, auch wenn sie aus Tsche­tsche­ni­en kamen, aus Regio­nen, in denen es hart und rau zugeht. So fan­den wir auch eine gemein­sa­me Spra­che. Ich wuss­te, was sie füh­len, und sie wuss­ten, was ich füh­le: Wir sind Rus­sen, die gera­de ihre Hei­mat verlieren.

»Wenn ich zurückkehre, drohen mir bis zu zwanzig Jahre Gefängnis«

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Vlad aus Belarus

Der Bela­rus­se Vlad*, 18 Jah­re, ist im Früh­ling 2022 aus dem Auf­marsch­ge­biet an der ukrai­ni­schen Gren­ze und aus sei­ner bela­rus­si­schen Mili­tär­ein­heit in die EU geflüch­tet und hat Asyl beantragt. 

Die neue Pha­se des Krie­ges in der Ukrai­ne, der seit fast acht Jah­ren andau­ert, begann am 24. Febru­ar. Wie haben Sie die­se Zeit erlebt?

Im Herbst 2021 wur­de ich zum Mili­tär­dienst ein­be­ru­fen und hat­te kei­ne Mög­lich­keit, mich zu ver­wei­gern. Am 24. Febru­ar war ich vier Mona­te im Dienst und wuss­te nicht ein­mal, wie man mit einer Waf­fe umgeht. Ich habe nur ein paar Mal geschos­sen. Wir sind meis­tens mar­schiert und haben tak­ti­sche Auf­ga­ben geübt. Wir hör­ten auch vie­le ideo­lo­gi­sche Vor­trä­ge dar­über, dass im Wes­ten Fein­de und Nazis leben und dass jeder, der die Oppo­si­ti­on unter­stützt, erschos­sen wer­den sollte.

Wie haben Sie her­aus­ge­fun­den, dass der rus­si­sche Krieg in der Ukrai­ne begon­nen hat? Und wie haben Sie sich an die­sem Tag gefühlt?

Wir wur­den von einem Offi­zier über den Krieg infor­miert. Ich habe es nicht für mög­lich gehal­ten, ich konn­te mir nicht vor­stel­len, dass es einen gro­ßen Krieg geben wür­de. Ich dach­te, dass Russ­land und die Ukrai­ne sich strei­ten und dann Frie­den schlie­ßen wür­den. Als wir vor Kriegs­be­ginn zu ande­ren Ein­hei­ten fuh­ren, sah ich, dass die Rus­sen Züge mit Pan­zern, Hau­bit­zen und Schüt­zen­pan­zern brach­ten und ech­te Muni­ti­on ablu­den, ich sah Mili­tär­last­wa­gen aus Russ­land. Uns wur­de gesagt, dass das alles für Übun­gen sei, aber es kam mir selt­sam vor, so viel Mate­ri­al zu bewe­gen, um vier­zehn Tage lang zu trai­nie­ren. Und am 24. Febru­ar sahen mei­ne Mit­strei­ter und ich ein Video von Angrif­fen auf ukrai­ni­sche Ein­hei­ten und mili­tä­ri­sche Ein­rich­tun­gen. Ich ver­stand nicht, wie so etwas mög­lich war und ehr­lich gesagt, dach­te ich, die Ukrai­ne wür­de schnell über­rannt wer­den. An die­sem Tag dach­ten wir, dass Bela­rus in den Krieg zie­hen wür­de, und unter den Sol­da­ten herrsch­te Unru­he, vor allem als der Befehl »Hohe Bereit­schaft« ertön­te, der im Kriegs­fall gege­ben wird. Der Kom­man­deur gab alle Waf­fen aus, eini­ge mit schar­fer Muni­ti­on. Ich dach­te, ich wür­de in den Krieg zie­hen. Aber dann hat sich die Lage irgend­wie beruhigt.

Die ers­ten Angrif­fe auf die Ukrai­ne wur­den von Bela­rus aus geführt. Haben Sie das beobachtet?

Wir befan­den uns an der Gren­ze, wo wir die Auf­ga­be hat­ten, die Rus­sen auf dem Schieß­platz zu bewa­chen, von dem aus Mili­tär­flug­zeu­ge in die Ukrai­ne star­te­ten. Der Schieß­platz befand sich in der Nähe der ukrai­ni­schen Gren­ze und ich sah sowohl die Pilo­ten, die die Flug­zeu­ge flo­gen, als auch die Aus­rüs­tung in Rich­tung Süden star­ten. Aber ich konn­te kei­ne Fotos oder Vide­os machen: Han­dys waren ver­bo­ten, und wenn sie bemerkt wur­den, kam der Sol­dat in den Knast.

Wann wur­de Ihnen klar, dass Sie vor der Armee weg­lau­fen wollten?

Als wir an einer Übung an der Gren­ze zur EU teil­nah­men. Zwei Fak­to­ren spiel­ten dabei eine Rol­le: die Nähe der Gren­ze und die Ein­stel­lung der Beam­ten. Hat­te ich mir vor­her zäh­ne­knir­schend vor­ge­nom­men, die­se ein­ein­halb Jah­re durch­zu­hal­ten, wur­de mir nun klar, dass ich dazu nicht in der Lage sein wür­de. Mein Ver­dacht wuchs, dass es Krieg geben wür­de, und ich dach­te: War­um soll­te ich für die­se Men­schen kämp­fen, für die­se Behand­lung wie Vieh? Ein­mal haben die Vor­ge­setz­ten auf dem Schieß­stand getrun­ken und ein betrun­ke­ner Beam­ter hat mir in den Rücken getre­ten, weil er dach­te, ich wür­de etwas auf mei­nem Han­dy anschau­en. In der Armee gibt es Schi­ka­nen und die Offi­zie­re sind sich des­sen bewusst, unter­neh­men aber nichts dagegen.

Wie haben Sie sich auf Ihre Flucht vor­be­rei­tet und was geschah an dem Tag, als Sie Bela­rus verließen?

Ich habe eine Woche im Vor­aus mit den Vor­be­rei­tun­gen begon­nen. Ich besorg­te mir eine Kar­te der Gegend, über­leg­te mir, wel­che Stra­ße ich neh­men soll­te und plan­te, zu wel­cher Tages­zeit ich lau­fen woll­te. Ich wähl­te die Zeit früh am Mor­gen, als alle noch schlie­fen, weil ich so ein paar Stun­den Vor­sprung haben wür­de. Als ich mich auf mei­ne Flucht vor­be­rei­te­te, wuss­te ich, dass es mög­lich war, auf dem Gebiet der EU Asyl zu bekom­men. Und ich muss­te es ver­su­chen, weil ich es men­tal nicht mehr aus­hielt. Ich habe mei­ne Uni­form gewech­selt und mei­ne Waf­fe mit schar­fer Muni­ti­on auf dem Weg lie­gen las­sen. Ich wur­de von einem LKW-Fah­rer zur Gren­ze mit­ge­nom­men, der mich zum Glück nichts frag­te. An der Gren­ze muss­te ich über meh­re­re Zäu­ne klet­tern; der ers­te war mit Dräh­ten und Klin­gen ver­se­hen. Die Kame­ra nahm mich dort auf und ich merk­te, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb. Als ich über den Zaun klet­ter­te, ver­letz­te ich mich leicht und fiel zu Boden. Dann war da ein Zaun über einem Gra­ben, unter dem ich durch­klet­tern konn­te. Der nächs­te Zaun hat­te ver­faul­te Pfos­ten und ich habe ihn kaputt gemacht. Dann merk­te ich, dass ich bereits auf der ande­ren Sei­te der Gren­ze war und woll­te mich ergeben.

»Die meis­ten Wehr­pflich­ti­gen haben ähn­li­che Ansich­ten wie ich, denn sie sind jung und wol­len leben, nicht ster­ben. Sie wis­sen, dass der Krieg den Bela­rus­sen nichts als Schmerz und Tod brin­gen wird.«

Vlad* aus Belarus

Wie wur­den Sie in der Euro­päi­schen Uni­on aufgenommen?

Die Grenz­be­am­ten waren scho­ckiert und glaub­ten nicht, dass ich vor der Armee geflo­hen war. Die Son­der­ein­heit kam und hat mich sehr lan­ge befragt. Ich habe ehr­lich über den Grenz­über­gang berich­tet, bestä­tigt, dass Bela­rus indi­rekt in den Krieg ver­wi­ckelt war, und über den Ein­satz von Aus­rüs­tung berich­tet. Dann brach­ten sie mich zum Migra­ti­ons­dienst. Ich konn­te nicht glau­ben, dass ich es geschafft hat­te, dass ich in Sicher­heit war. Die Gefüh­le waren sehr stark, und mir wur­de klar, dass ich nicht so bald nach Hau­se kom­men wür­de, dass ich mei­ne Ver­wand­ten lan­ge nicht mehr sehen wür­de. Ich befin­de mich jetzt in einem Flücht­lings­la­ger und war­te auf Asyl und die Erlaub­nis, eine Arbeits­stel­le zu finden.

Wie haben Ihre Ver­wand­ten auf Ihre Flucht reagiert? 

Das Mili­tär, die Poli­zei und der KGB kamen nach Hau­se. Sie sag­ten, dass ich nicht bestraft wer­den wür­de, wenn ich zurück­keh­re, dass ich mei­nen Dienst in Ruhe been­den könn­te. Unter ihrem Druck rie­fen mich mei­ne Ver­wand­ten an und woll­ten mich über­re­den, nach Bela­rus zu kom­men. Aber mir war klar: Wenn ich das tue, dro­hen mir bis zu zwan­zig Jah­re Gefäng­nis und ich könn­te des Ter­ro­ris­mus und Extre­mis­mus bezich­tigt wer­den, weil ich mit einer Waf­fe davon­ge­lau­fen bin. Jetzt hat der Druck auf mei­ne Ver­wand­ten nachgelassen.

Und wie ist die Situa­ti­on in der bela­rus­si­schen Armee? Wie vie­le Sol­da­ten und Offi­zie­re sind bereit, in den Krieg gegen die Ukrai­ne zu ziehen?

Die meis­ten von ihnen wol­len kei­nen Krieg mit den Ukrai­nern füh­ren. Ein bela­rus­si­scher Sol­dat hat kein Motiv: War­um soll­te er einen ukrai­ni­schen Sol­da­ten oder einen ukrai­ni­schen Zivi­lis­ten töten? Aber Sol­da­ten sind ent­behr­li­ches Mate­ri­al, Kano­nen­fut­ter. Sie gehor­chen nur dem Befehl eines vor­ge­setz­ten Offi­ziers und haben kaum eine Wahl. Auf Befehls­ver­wei­ge­rung ste­hen 8 bis 15 Jah­re Haft, das heißt der Sol­dat muss töten, alter­na­tiv ins Gefäng­nis gehen oder flie­hen. Die meis­ten Wehr­pflich­ti­gen haben ähn­li­che Ansich­ten wie ich, denn sie sind jung und wol­len leben, nicht ster­ben. Sie wis­sen, dass der Krieg den Bela­rus­sen nichts als Schmerz und Tod brin­gen wird. Viel­leicht gibt es wel­che, die kämp­fen wol­len, aber das sind nur weni­ge. Die Beam­ten, mit denen ich gespro­chen habe, haben die glei­che Ein­stel­lung wie ich. Sie haben Fami­lie und Kin­der und wol­len nicht ihr Leben ris­kie­ren, um in einem Zink­sarg nach Hau­se zurückzukehren.

*Der Name ist aus Schutz­grün­den anonymisiert.

Die­ses Inter­view erschien zuerst auf der Home­page der bela­rus­si­schen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on Nash-Dom, deren Kam­pa­gne »NEIN heißt NEIN« von Con­nec­tion e.V. unter­stützt wird.

»Viele bezeichnen meine Position als feige oder verräterisch«

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Ilja aus der Ukraine

Der 36-jäh­ri­ge llja Owtscha­ren­ko aus der Ukrai­ne ist bei sei­ner Arbeits­stel­le in Ungarn geblie­ben, um nicht für den Krieg rekru­tiert zu wer­den. In Vide­os ruft er zur Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung auf. 

Was haben Sie gedacht, als Sie vom Aus­bruch des Krie­ges erfah­ren haben?

Als ich hör­te, dass der Krieg begon­nen hat­te, war ich bei der Arbeit in Ungarn. Der Gedan­ke, der mir durch den Kopf ging: Ich fühl­te mich schul­dig, nicht alles getan zu haben, um den Krieg zu ver­hin­dern und mei­ne Nef­fen aus dem Kriegs­ge­biet zu holen. Ich hät­te mich akti­ver um die Ver­brei­tung der Idee der Gewalt­lo­sig­keit bemü­hen kön­nen. Ich hät­te mich in den sozia­len Medi­en und auf Video­ka­nä­len akti­ver äußern kön­nen, deut­lich machen kön­nen, wie schäd­lich und gefähr­lich Patrio­tis­mus ist. Deut­lich machen kön­nen, wie absurd es ist, so vie­le Men­schen zu opfern, um eine Linie auf der Land­kar­te berich­ti­gen zu kön­nen. All das ging mir durch den Kopf.

Sie haben sich auf der Inter­net-Platt­form Tik­Tok zum Krieg geäu­ßert. Was war Ihre zen­tra­le Aussage?

Wir müs­sen ver­ste­hen, wel­che Gefahr ein Krieg für die Zivil­be­völ­ke­rung dar­stellt, gera­de auch ange­sichts der Atom­kraft­wer­ke, die im Kriegs­ge­biet lie­gen. Die Regie­rung zeig­te sich fest ent­schlos­sen, das gesam­te ukrai­ni­sche Ter­ri­to­ri­um ein­schließ­lich der Krim zurück­zu­er­obern. Es ist also die Fra­ge, ob wir die Krim und Donezk ein­fach auf­ge­ben. Für mich liegt die Ant­wort auf der Hand: Das Leben der Men­schen ist wich­ti­ger, ganz gleich, wel­che Flag­ge über der Krim oder Donezk wehen wird.

Wel­che Reak­tio­nen haben Sie bekommen?

In den Kom­men­ta­ren unter mei­nen Vide­os ste­hen Dro­hun­gen wie »Es sind schon wel­che unter­wegs zu Dir« oder »Hau ab, solan­ge Du noch kannst«. Im Früh­jahr war der Geheim­dienst auch zu mei­ner Mut­ter gekom­men und hat­te nach mir gefragt. Sie rief mich dann ganz auf­ge­löst an und bat mich, das Video wie­der zurück­zu­neh­men. Vie­le mei­ner Bekann­ten und sogar ein Ver­wand­ter bezeich­nen mei­ne Posi­ti­on als fei­ge oder ver­rä­te­risch. Aber für mich gibt es da kei­nen Kompromiss.

Droh­te Ihnen selbst die Rekrutierung?

Ich soll­te schon ein­mal ein­be­ru­fen wer­den, wäh­rend des Krie­ges im Don­bass. Damals konn­te ich der Ein­be­ru­fung ent­ge­hen, weil ich nicht zu Hau­se war. Ich hat­te schon damals dazu auf­ge­ru­fen, zu ver­wei­gern. Dar­auf­hin war der Sicher­heits­dienst zu mir gekom­men und durch­such­te mei­ne Woh­nung. Es ist dann aber nichts wei­ter passiert.

Was soll­te Ihrer Mei­nung nach getan wer­den, um den Krieg zu beenden?

In einem Video hat­te ich Prä­si­dent Wolo­dym­yr Selen­skyj dazu auf­ge­for­dert, mit Russ­land zu ver­han­deln und ukrai­ni­sche Ter­ri­to­ri­en abzu­tre­ten. Dazu ste­he ich bis heu­te. Das Leben von Men­schen hat einen höhe­ren Wert. Der wich­tigs­te Kampf gegen den Krieg besteht dar­in, den Sinn des Lebens der Men­schen deut­lich zu machen und das Töten als unzu­läs­sig zu erklären.

Was soll­te zur Unter­stüt­zung ande­rer Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer getan werden?

Das Kriegs­recht unter­sagt Män­nern zwi­schen 18 und 60 Jah­ren, das Land zu ver­las­sen. Das ist grau­en­haft. Jeder, der nicht kämp­fen will, soll­te die Mög­lich­keit haben, das Land zu ver­las­sen. Pazi­fis­ten wie Chris­ten, die die Regel »Du sollst nicht töten« befol­gen, soll­ten das Recht haben, die­ser Ent­schei­dung zu folgen.

»Das Kriegs­recht unter­sagt Män­nern zwi­schen 18 und 60 Jah­ren, das Land zu ver­las­sen. Das ist grau­en­haft. Jeder, der nicht kämp­fen will, soll­te die Mög­lich­keit haben, das Land zu verlassen.«

llja Owtscha­ren­ko aus der Ukraine

(Rudi Fried­rich)