03.03.2022

UPDATE: 15.03.22 Am 03. März haben die europäischen Innenminister*innen die Erteilung eines speziellen Schutzstatus für Flüchtlinge aus der Ukraine beschlossen. Sie müssen kein Asylverfahren durchlaufen, der Schutz kann bis zu drei Jahre gelten. PRO ASYL stellt hier alle wichtigen Informationen über den »vorübergehenden Schutz« zusammen.

UPDATE 14.03.2022: Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um hat ers­te Hin­wei­se zur Umset­zung des Durch­füh­rungs­be­schlus­ses des Rats an die Bun­des­län­der verschickt. 

BMI-Ver­ord­nung vom 07. März

Mit der Ver­öf­fent­li­chung der BMI-Ver­ord­nung vom 7. März wur­den Ein­rei­se und Auf­ent­halt von aus der Ukrai­ne geflüch­te­ten Men­schen gere­gelt. Dem­nach sind rück­wir­kend ab dem 24.02.2022 bis zum 23.05.2022 von der Not­wen­dig­keit eines Auf­ent­halts­ti­tels befreit:

  • Aus­län­der, die sich am 24.2.2022 in der Ukrai­ne auf­ge­hal­ten haben oder dort ihren gewöhn­li­chen Auf­ent­halt hatten
  • Ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, die am 24.02.2022 ihren Wohn­sitz oder ihren gewöhn­li­chen Auf­ent­halt in der Ukrai­ne hat­ten. Das gilt auch für in der Ukrai­ne aner­kann­te Flüchtlinge.
  • Ukrai­ni­scher Staats­an­ge­hö­ri­ge, die sich am 24.2.2022 bereits recht­mä­ßig im Bun­des­ge­biet auf­ge­hal­ten haben, aber ohne den für einen lang­fris­ti­gen Auf­ent­halt im Bun­des­ge­biet erfor­der­li­chen Auf­ent­halts­ti­tel zu besitzen

Wohl nie waren sich die Mit­glied­staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on so einig, wenn es um die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen geht. Ange­sichts des Angriffs­krie­ges Russ­lands gegen die Ukrai­ne öff­nen nun alle EU-Staa­ten die Gren­zen für die vor die­sem Fliehenden.

Anwendung des »vorübergehenden Schutzes«

Am 3. März 2022 wur­de in Brüs­sel  zum ers­ten Mal die Anwen­dung die Anwen­dung der soge­nann­ten »Mas­sen­zu­stromsrich­li­nie« bzw. Richt­li­nie über den tem­po­rä­ren Schutz beschlos­sen. Bei die­ser Richt­li­nie han­delt es sich um ein Instru­ment zur Auf­nah­me Ver­trie­be­ner, wel­ches his­to­risch auf die Erfah­run­gen mit den gro­ßen Zah­len Schutz­su­chen­der im Zuge der Jugo­sla­wi­en-Krie­ge zurück­zu­füh­ren ist. Damals haben ver­schie­de­ne euro­päi­sche Staa­ten – dar­un­ter auch Deutsch­land – den Flie­hen­den tem­po­rä­ren Schutz gewährt, ohne dass die­se Asyl­an­trä­ge stel­len muss­ten. An die­sem Vor­bild aus­ge­rich­tet kann mit dem Rechts­in­stru­ment der Richt­li­nie über den tem­po­rä­ren Schutz eben­so ver­gleichs­wei­se unkom­pli­ziert und ohne die Durch­füh­rung lang­wie­ri­ger Asyl­ver­fah­ren Ver­trie­be­nen Schutz gewährt wer­den. Die Richt­li­nie wur­de bis­lang aber nie zur Anwen­dung gebracht.

Dies dürf­te nicht zuletzt dar­an lie­gen, dass nach ihrem Arti­kel 5 eine qua­li­fi­zier­te Mehr­heit der Mit­glied­staa­ten erfor­der­lich ist, um sie zur Anwen­dung zu brin­gen. Kommt die­se qua­li­fi­zier­te Mehr­heit zustan­de, wird das Bestehen einer mas­si­ven Ver­trei­bung durch einen Beschluss des Rates der Euro­päi­schen Uni­on fest­ge­stellt. Auf­grund eines sol­chen Beschlus­ses wird sodann in allen Mit­glied­staa­ten der vor­über­ge­hen­de Schutz im Sin­ne der Richt­li­nie zu Guns­ten der mit dem Rats­be­schluss defi­nier­ten Grup­pe der Ver­trie­be­nen eingeführt.

Auf­grund der visums­frei­en Ein­rei­se kön­nen sich die ukrai­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen laut Rats­be­schluss den Mit­glied­staat, in dem sie den vor­über­ge­hen­den Schutz bekom­men wol­len, selbst wäh­len. Aller­dings wird auch dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sobald ein Mit­glied­staat einen Auf­ent­halts­ti­tel nach der Richt­li­nie 2001/ 55/EG erteilt hat, die Per­son, die vor­über­ge­hen­den Schutz genießt, zwar das Recht hat, 90 Tage inner­halb eines Zeit­raums von 180 Tagen in der Uni­on zu rei­sen, aber die Rech­te, die sich aus dem vor­über­ge­hen­den Schutz erge­ben, nur in dem Mit­glied­staat gel­tend machen kön­nen soll­te, der den Auf­ent­halts­ti­tel erteilt hat (Erwä­gungs­grund 16).

In Deutsch­land umge­setzt wer­den die Rege­lun­gen der Richt­li­nie mit § 24 des Auf­ent­halts­ge­set­zes (Auf­enthG).

Am 14. März 2022 hat das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um in einem Schrei­ben an die Bun­des­län­der ers­te Hin­wei­se zur Umset­zung des Durch­füh­rungs­be­schlus­ses gege­ben. Die Hin­wei­se klä­ren ein paar offe­ne Fra­gen und wer­den fol­gend im Text auf­ge­führt. Aber nicht alle offe­nen Fra­gen wer­den abschlie­ßend geklärt und es wird deut­lich, dass es noch zu wei­te­ren Hin­wei­sen kom­men kann.

Wer soll den vorübergehenden Schutz bekommen?

Laut den BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 wird der vor­über­ge­hen­de Schutz in Deutsch­land auch für Per­so­nen ange­wen­det, die »nicht lan­ge vor dem 24. Febru­ar 2022, als die Span­nun­gen zunah­men, aus der Ukrai­ne geflo­hen sind oder die sich kurz vor die­sem Zeit­punkt (z.B. im Urlaub oder zur Arbeit) im Gebiet der EU befun­den haben und die infol­ge des bewaff­ne­ten Kon­flikts nicht in die Ukrai­ne zurück­keh­ren kön­nen« (S. 6 der Hin­wei­se). Kon­kret ist der tem­po­rä­re Schutz für fol­gen­de Per­so­nen vorgesehen:

  • Ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, die vor dem 24. Febru­ar 2022 in der Ukrai­ne gelebt haben. (Art. 2 Abs. 1 lit. a Rats­be­schluss). Laut BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 kön­nen auch ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge mit Auf­ent­halts­ti­tel im Bun­des­ge­biet einen Antrag auf Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 24 Auf­enthG stel­len, wenn die Ver­län­ge­rung des bestehen­den Auf­ent­halts­ti­tels nicht mög­lich ist. Auch wenn sie kurz vor dem 24.02.2022 geflo­hen sind oder sich kurz vor dem Aus­bruch des Krie­ges in der EU befan­den, sind sie umfasst (S. 6 der Hinweise)
  • Nicht-ukrai­ni­sche Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge oder Staa­ten­lo­se, die vor dem 24. Febru­ar 2022 inter­na­tio­na­len Schutz oder einen ver­gleich­ba­ren natio­na­len Schutz­sta­tus in der Ukrai­ne hat­ten (Art. 2 Abs. 1 lit. b Ratsbeschluss)
  • Fami­li­en­mit­glie­der von Ange­hö­ri­gen die­ser bei­den Grup­pen, wenn die Fami­lie schon in der Ukrai­ne bestand und unab­hän­gig davon, ob die Ange­hö­ri­gen in ihre Hei­mat­län­der zurück­keh­ren könn­ten (Art. 2 Abs. 1 lit. c Rats­be­schluss). Zur Fami­lie gehö­ren Ehepartner*innen und unver­hei­ra­te­te Paa­re in lang­fris­ti­ger Bezie­hung, wenn per Gesetz oder in der Pra­xis unver­hei­ra­te­te Paa­re ver­gleich­bar mit ver­hei­ra­te­ten Paa­ren behan­delt wer­den, min­der­jäh­ri­ge Kin­der sowie ande­re im Haus­halt leben­de Ver­wand­te, die von der Haupt­per­son abhän­gig sind (Art. 4 Rats­be­schluss). Laut BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 zäh­len nicht ver­hei­ra­te­te Paa­re (auch gleich­ge­schlecht­li­che), die in einer dau­er­haf­ten Bezie­hung leben, als Lebensgefährt*innen und sind vom Schutz umfasst (S. 3 der Hin­wei­se). Es muss sich dabei um eine auf Dau­er ange­leg­te Gemein­schaft han­deln, die kei­ne wei­te­re Lebens­ge­mein­schaft glei­cher Art zulässt, sich durch inne­re Bin­dun­gen aus­zeich­net, die ein gegen­sei­ti­ges Ein­ste­hen der Per­so­nen in Not- und Wech­sel­fäl­len des Lebens begrün­den, also über die Bezie­hun­gen zuein­an­der in eine rei­nen Haus­halts- und Wirt­schafts­ge­mein­schaft hin­aus­geht. Kin­der müs­sen zum Stich­tag (24.02.2022) min­der­jäh­rig gewe­sen sein, es ist aber in der Regel laut den Hin­wei­sen nicht schäd­lich, wenn sie zum Zeit­punkt des Antrags auf vor­über­ge­hen­den Schutz bereits voll­jäh­rig sind (S. 4 der Hin­wei­se). Auch zur erfor­der­li­chen Abhän­gig­keit zum Bei­spiel bei Pfle­ge­be­dürf­tig­keit wer­den in den Hin­wei­sen wei­te­re Erklä­run­gen gemacht (S. 3 f.).
  • Nicht-ukrai­ni­sche Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge oder Staa­ten­lo­se, die einen gül­ti­gen  Auf­ent­halts­ti­tel für die Ukrai­ne nach­wei­sen kön­nen und die nicht sicher und dau­er­haft in ihr Hei­mat­land zurück­keh­ren kön­nen. Bezüg­lich der Fest­stel­lung, ob eine Per­son nicht sicher und dau­er­haft in ihr Hei­mat­land zurück­keh­ren kann, wird in den BMI Hin­wei­sen fest­ge­stellt, dass sie »jeden­falls« dann nicht zurück­keh­ren kön­nen, wenn sie ohne den vor­über­ge­hen­den Schutz oder einen ande­ren Auf­ent­halts­ti­tel eine Dul­dung nach §§ 60 oder 60a Auf­enthG (nicht: Aus­bil­dungs- oder Beschäf­ti­gungs­dul­dung) bekom­men wür­den. Dies klärt aber in der Pra­xis nicht viel und so steht auch in den Hin­wei­sen, dass »… gege­be­nen­falls eine dar­über hin­aus­ge­hen­de wei­te­re Klar­stel­lung [folgt]« (S. 4 der Hinweise).
  • Die Mit­glied­staa­ten kön­nen ent­schei­den den Schutz der Richt­li­nie zudem auf wei­te­re Per­so­nen aus­zu­wei­ten, wozu auch ande­re Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge gehö­ren kön­nen, die sich recht­mä­ßig in der Ukrai­ne auf­ge­hal­ten haben und die nicht sicher und dau­er­haft in ihre Her­kunfts­län­der zurück­keh­ren kön­nen (Art. 2 Abs. 3 Rats­be­schluss). Dies wird laut den BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 getan, wenn die Per­so­nen sich »am 24. Febru­ar 2022 nach­weis­lich recht­mä­ßig, und nicht nur zu einem Kurz­auf­ent­halt in der Ukrai­ne auf­ge­hal­ten haben und […] nicht sicher und dau­er­haft in ihr Her­kunfts­land oder ihre Her­kunfts­re­gi­on zurück­keh­ren kön­nen« (S. 5).  Es wird zudem kon­kre­ti­siert, dass damit auch Stu­die­ren­de umfasst sind und Per­so­nen, die nicht nur für kurz­fris­ti­ge Erwerbs­zwe­cke in der Ukrai­ne waren. Aller­dings ist wie bereits erwähnt wei­ter­hin eini­ges offen was die Defi­ni­ti­on der »siche­ren und dau­er­haf­ten« Rück­kehr angeht. Auch könn­ten für man­che ande­re auf­ent­halts­recht­li­che Optio­nen in Deutsch­land bestehen, über die sich Betrof­fe­ne bera­ten las­sen sollten.

Dauer des Aufenthalts 

Nach § 24 Absatz 1 Auf­enthG wird eine Auf­ent­halts­er­laub­nis für die in den Arti­keln 4 und 6 der Richt­li­nie fest­ge­leg­te Dau­er erteilt. Nach die­sen Nor­men beträgt die Dau­er des vor­über­ge­hen­den Schut­zes grund­sätz­lich zunächst ein Jahr. Der Zeit­raum ver­län­gert sich anschlie­ßend zwei­mal auto­ma­tisch um jeweils sechs Mona­te, sofern der Rat kei­ne vor­zei­ti­ge Been­di­gung – die einer Fest­stel­lung des Inhalts bedarf, dass eine siche­re und dau­er­haf­te Rück­kehr mög­lich ist – beschließt. Laut dem BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 soll die Auf­ent­halts­er­laub­nis direkt für zwei Jah­re aus­ge­stellt wer­den. Per Rats­be­schluss könn­te der vor­über­ge­hen­de Schutz um ein wei­te­res Jahr auf dann ins­ge­samt maxi­mal drei Jah­re ver­län­gert wer­den. Ent­spre­chend wäre gege­be­nen­falls dann auch die Auf­ent­halts­er­laub­nis um ein wei­te­res Jahr zu verlängern.

Der Antrag auf Ertei­lung des § 24 Auf­enthG ist bei der zustän­di­gen Aus­län­der­be­hör­den zu stel­len. Dies ist die Aus­län­der­be­hör­de des Wohn­orts oder des Aufenthaltsorts.

Verteilung auf die und innerhalb der Bundesländer

In Deutsch­land ange­kom­me­ne Ver­trie­be­ne wer­den auf die Bun­des­län­der ver­teilt. Die­se kön­nen Kon­tin­gen­te für die Auf­nah­me zum vor­über­ge­hen­den Schutz ver­ein­ba­ren. Sofern eine sol­che Ver­ein­ba­rung nicht statt­fin­det, erfolgt die Ver­tei­lung nach dem auch für die Ver­tei­lung von Asylbewerber*innen fest­ge­leg­ten Schlüs­sel (§ 24 Absatz 3 Auf­enthG). Hier­bei han­delt es sich um den soge­nann­ten »König­stei­ner Schlüs­sel«, der außer der Grö­ße der Bevöl­ke­rung auch die Wirt­schafts­kraft der Län­der berück­sich­tigt (ver­glei­che § 45 AsylG). Zustän­dig für die Durch­füh­rung der Ver­tei­lung ist das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flüchtlinge.

Die inter­ne Ver­tei­lung inner­halb des jewei­li­gen Bun­des­lan­des folgt im Wesent­li­chen den glei­chen Regeln wie jenen für Asylbewerber*innen. Die jeweils zustän­di­ge Lan­des­be­hör­de erlässt die Zuwei­sungs­ent­schei­dung. Wich­tig dabei ist, dass bei der Zuwei­sung die Haus­halts­ge­mein­schaft von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen zu berück­sich­ti­gen sind (ver­glei­che § 24 Abs. 4 Auf­enthG in Ver­bin­dung mit § 50 Abs. 4 AsylG).

Auf­ge­nom­me­ne haben kei­nen Rechts­an­spruch dar­auf, sich in einem bestimm­ten Land oder an einem bestimm­ten Ort auf­zu­hal­ten, sie müs­sen ihren Wohn­sitz und tat­säch­li­chen Auf­ent­halt am zuge­wie­se­nen Ort neh­men (ver­glei­che § 24 Absatz 5 Auf­enthG). Die Wohn­sitz­auf­la­ge soll laut den BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 ana­log zum § 12a Auf­enthG u.a. auf­ge­ho­ben wer­den, wenn eine sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäf­ti­gung auf­nimmt oder die Per­son eine Berufs­aus­bil­dung auf­nimmt oder in einem Stu­di­en- oder Aus­bil­dungs­ver­hält­nis steht (S. 10 der Hinweise).

Erwerbstätigkeit

Eine Beson­der­heit bei Auf­ent­halts­er­laub­nis­sen nach § 24 Auf­enthG sind die Regeln zur Erwerbs­tä­tig­keit, die in Absatz 6 der Norm nie­der­ge­legt sind.

Die Aus­übung einer selb­stän­di­gen Tätig­keit darf danach nicht aus­ge­schlos­sen wer­den. Dies geht auf Arti­kel 12 der Richt­li­nie zurück.

Die Aus­übung einer unselb­stän­di­gen Beschäf­ti­gung ist mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 24 Abs. 1 Auf­enthG nicht – wie bei ande­ren Auf­ent­halts­er­laub­nis­sen (ver­glei­che § 4a Abs. 1 Auf­enthG) von vorn­her­ein erlaubt, sie kann aber nach § 4a) Abs. 2 Auf­enthG erlaubt wer­den. Das dort nor­mier­te Ermes­sen ist auf Grund des Vor­rangs des Uni­ons­rechts als Anspruch zu lesen: Da Arti­kel 12 der Richt­li­nie auch die Gestat­tung der Aus­übung einer abhän­gi­gen Beschäf­ti­gung als Anspruch for­mu­liert, muss die Erlaub­nis stets erteilt wer­den. Hier­für bedarf es – wie sich aus § 31 BeschV ergibt – kei­ner Zustim­mung der Bun­des­agen­tur für Arbeit. Auch die BMI Hin­wei­se vom 13.03.2022 hal­ten fest, dass der Auf­ent­halts­ti­tel mit dem Ein­trag »Erwerbs­tä­tig­keit erlaubt« aus­zu­stel­len ist und die Aus­län­der­be­hör­den hier kei­nen Spiel­raum haben (S. 11 f. der Hin­wei­se). Bis der Auf­ent­halts­ti­tel erteilt wird soll in der Fik­ti­ons­be­schei­ni­gung eben­so mit dem Ver­merk »Erwerbs­tä­tig­keit erlaubt« ver­se­hen wer­den (S. 9 der Hinweise).

Sozialleistungen und sonstige staatliche Leistungen 

Wenn noch kein Antrag bei der Aus­län­der­be­hör­de erfolgt ist, wird laut den BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 die Bit­te um Unter­stüt­zung (Unter­kunft, Ver­pfle­gung, medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung) als Schutz­be­geh­ren gewer­tet, womit ein Leis­tungs­an­spruch nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz besteht (S. 7 f.). Dies ist jedoch nicht mit einem Asyl­an­trag zu ver­wech­seln! Ein Asyl­ver­fah­ren wird erst nach for­mel­lem Asyl­an­trag beim Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge ein­ge­lei­tet (S. 12 der Hinweise).

Mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 24 Auf­enthG besteht Anspruch auf Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (§ 1 Abs. 1 lit. 3a Asyl­bLG). Hier könn­te und soll­te die Bun­des­re­gie­rung nach­jus­tie­ren, da die Sät­ze des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz sehr gering sind.

Fer­ner besteht auch ein Anspruch auf Kin­der­geld und ande­re Fami­li­en­leis­tun­gen, solan­ge eine Erwerbs­tä­tig­keit aus­ge­übt wird oder nach deren Been­di­gung Arbeits­lo­sen­geld I bezo­gen wird oder Eltern­zeit genom­men wird.

Wenn kei­ne Erwerbs­tä­tig­keit aus­ge­übt wird, besteht ein Anspruch auf Fami­li­en­leis­tun­gen nach 15-mona­ti­gem Auf­ent­halt im Bun­des­ge­biet (§ 62 Absatz 2 Nr. 3 und 4 EStG).

Der Zugang zum Inte­gra­ti­ons­kurs ist laut den BMI Hin­wei­sen vom 14.03.2022 auf Antrag mög­lich. Die­ser kann bei den zustän­di­gen Regio­nal­stel­len des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge gestellt wer­den (S. 12 der Hin­wei­se). Um die Teil­nah­me am Inte­gra­ti­ons­kurs frü­hest­mög­lich zu ermög­li­chen, soll in der Fik­ti­ons­be­schei­ni­gung ein Hin­weis auf Titeler­tei­lung nach § 24 Auf­enthG ent­hal­ten sein (S. 9 der Hinweise).

Familiennachzug

Für den Nach­zug von Ehe­gat­ten und min­der­jäh­ri­gen Kin­dern wer­den Inhaber*innen von Auf­ent­halts­er­laub­nis­sen nach § 24 Absatz 1 Auf­enthG nach § 29 Absatz 4 Auf­enthG begüns­tigt, wenn die fami­liä­re Lebens­ge­mein­schaft im Her­kunfts­land durch die Flucht­si­tua­ti­on auf­ge­ho­ben wur­de und die Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen aus einem ande­ren Mit­glied­staat der Euro­päi­schen Uni­on über­nom­men wer­den oder sich außer­halb der Euro­päi­schen Uni­on befin­den und schutz­be­dürf­tig sind.

Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen besteht ein gesetz­li­cher Nach­zugs­an­spruch. Fer­ner wird von den all­ge­mei­nen Ertei­lungs­vor­aus­set­zun­gen des § 5 Abs. 1 Auf­enthG – Siche­rung des Lebens­un­ter­halts, Vor­lie­gen einer geklär­ten Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit, Nicht­vor­lie­gen eines Aus­wei­sungs­in­ter­es­ses, Erfül­lung der Pass­pflicht – abge­se­hen. Abge­se­hen wird unter den genann­ten Vor­aus­set­zun­gen außer­dem von der Anwen­dung des § 27 Absatz 3 Auf­enthG. Das heißt, der Fami­li­en­nach­zug darf nicht mit der Begrün­dung des Bezugs von Sozi­al­leis­tun­gen der­je­ni­gen Per­son, zu der der Nach­zug erfol­gen soll, abge­lehnt werden.

Sons­ti­ge Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge – wie bei­spiels­wei­se die Eltern erwach­se­ner Inhaber*innen von Auf­ent­halts­er­laub­nis­sen nach § 24 Abs. 1 Auf­enthG – kön­nen unter den Vor­aus­set­zun­gen des § 36 Abs. 2 Auf­enthG nach­zie­hen. Der Nach­zug muss dann zur Ver­mei­dung einer außer­ge­wöhn­li­chen Här­te erfor­der­lich sein. Das kann bei­spiels­wei­se der Fall sein, wenn die nach­zugs­wil­li­ge Per­son pfle­ge­be­dürf­tig ist und im Her­kunfts­land kei­ne Pfle­ge zur Ver­fü­gung steht.

Sämt­li­che nach­zie­hen­den Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen bekom­men, wie § 24 Absatz 4 Satz 3 Auf­enthG bestimmt, nicht die sonst für den Fami­li­en­nach­zug übli­chen Auf­ent­halts­ti­tel nach dem 6. Abschnitt des Auf­ent­halts­ge­set­zes, son­dern – eben­so wie jene Per­son, zu wel­cher der Nach­zug statt­fin­det – Auf­ent­halts­er­laub­nis­se nach § 24 Absatz 1 Auf­enthG. Auch für sie gel­ten also die oben beschrie­ben zeit­li­chen Beschrän­kun­gen, Zugangs­vor­aus­set­zun­gen zur Erwerbs­tä­tig­keit und Zugangs­vor­aus­set­zun­gen zu Sozi­al­leis­tun­gen und sons­ti­gen staat­li­chen Leis­tun­gen. Außer­dem ergibt sich aus der Anwen­dung von § 24 Auf­enthG auch auf die nach­zie­hen­den Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, dass die­se nicht – wie sonst üblich – mit dem erfor­der­li­chen Visum ein­ge­reist sein müs­sen (ver­glei­che § 5 Absatz 3 Auf­enthG, der ein Abse­hen von § 5 Absatz 2 Auf­enthG gebie­tet). Sie kön­nen also nach visum­frei­er Ein­rei­se in das Bun­des­ge­biet hier direkt bei der zustän­di­gen Aus­län­der­be­hör­de den Antrag auf Ertei­lung der Auf­ent­halts­er­laub­nis stel­len, ohne zuvor ein Visum­ver­fah­ren vom Aus­land aus durch­füh­ren zu müssen.

Auch wenn die nach­zie­hen­den Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen wie beschrie­ben selbst eben­falls Auf­ent­halts­er­laub­nis­se nach § 24 Absatz 1 Auf­enthG und kei­ne Auf­ent­halts­ti­tel nach dem 6. Abschnitt zum Fami­li­en­nach­zug erhal­ten, gel­ten den­noch die dort befind­li­chen §§ 31, 33, 34 und 35 Auf­enthG. Das bedeu­tet, dass nach­ge­zo­ge­ne Ehe­gat­ten bei einer Auf­he­bung der ehe­li­chen Lebens­ge­mein­schaft, nach­dem die­se drei Jah­re im Bun­des­ge­biet bestan­den hat, ein eigen­stän­di­ges Auf­ent­halts­recht nach § 31 Auf­enthG erhal­ten. Im Bun­des­ge­biet gebo­re­ne Kin­der von Inhaber*innen von Auf­ent­halts­er­laub­nis­sen nach § 24 Absatz 1 Auf­enthG erhal­ten Auf­ent­halts­er­laub­nis­se nach § 33 Auf­enthG. Die Ver­län­ge­rung und Eigen­stän­dig­keit von Auf­ent­halts­er­laub­nis­sen nach­ge­zo­ge­ner Kin­der folgt den beson­de­ren Regeln des § 34 Auf­enthG und die Ver­fes­ti­gung des Auf­ent­halts von Kin­dern zu einem unbe­fris­te­ten Auf­ent­halts­recht jenen des § 35 Auf­enthG.

Ausschlussgründe

Die Gewäh­rung vor­über­ge­hen­den Schut­zes ist bei Per­so­nen aus­ge­schlos­sen, die schwers­ter Straf­ta­ten ver­däch­tigt sind etwa, wenn aus schwer­wie­gen­den Grün­den die Annah­me gerecht­fer­tigt ist, dass sie ein Kriegs­ver­bre­chen, ein Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit oder auch eine schwe­re nicht­po­li­ti­sche Straf­tat began­gen haben (Arti­kel 28 der Richt­li­nie bzw. § 24 Absatz 2 Auf­enthG in Ver­bin­dung mit § 3 Absatz 2 AsylG).

Glei­ches soll gel­ten, wenn der oder die Betref­fen­de aus schwer­wie­gen­den Grün­den als eine Gefahr für die Sicher­heit der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land anzu­se­hen ist oder eine Gefahr für die All­ge­mein­heit bedeu­tet, weil er oder sie wegen eines Ver­bre­chens oder beson­ders schwe­ren Ver­ge­hens rechts­kräf­tig zu einer Frei­heits­stra­fe von min­des­tens drei Jah­ren ver­ur­teilt wor­den ist (§ 24 Absatz 2 Auf­enthG in Ver­bin­dung mit § 60 Absatz 8 Auf­enthG). Die­ser wei­te Aus­schluss ist indes­sen nicht von Arti­kel 28 der Richt­li­nie gedeckt.

Selbst wenn in Fol­ge eines Aus­schluss­grun­des die Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 24 Absatz 1 Auf­enthG nicht in Betracht kommt, bedeu­tet dies nicht, dass es zu auf­ent­halts­be­en­den­den Maß­nah­men kom­men darf, da bei den Betrof­fe­nen zumin­dest die Eigen­schaft als »Ver­trie­be­ner« vor einem bewaff­ne­ten Kon­flikt (sie­he oben) fest­ge­stellt wur­de. Daher ist Betrof­fe­nen bei Vor­lie­gen eines Aus­schluss­grun­des für die Dau­er des bewaff­ne­ten Kon­flik­tes zumin­dest eine Dul­dungs­be­schei­ni­gung nach § 60 a) Auf­enthG auszustellen.

(pva/wj)