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Ratsbeschluss: Schneller Schutz für Flüchtlinge aus der Ukraine
UPDATE: 15.03.22 Am 03. März haben die europäischen Innenminister*innen die Erteilung eines speziellen Schutzstatus für Flüchtlinge aus der Ukraine beschlossen. Sie müssen kein Asylverfahren durchlaufen, der Schutz kann bis zu drei Jahre gelten. PRO ASYL stellt hier alle wichtigen Informationen über den »vorübergehenden Schutz« zusammen.
BMI-Verordnung vom 07. März
Mit der Veröffentlichung der BMI-Verordnung vom 7. März wurden Einreise und Aufenthalt von aus der Ukraine geflüchteten Menschen geregelt. Demnach sind rückwirkend ab dem 24.02.2022 bis zum 23.05.2022 von der Notwendigkeit eines Aufenthaltstitels befreit:
- Ausländer, die sich am 24.2.2022 in der Ukraine aufgehalten haben oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten
- Ukrainische Staatsangehörige, die am 24.02.2022 ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine hatten. Das gilt auch für in der Ukraine anerkannte Flüchtlinge.
- Ukrainischer Staatsangehörige, die sich am 24.2.2022 bereits rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, aber ohne den für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen
Wohl nie waren sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union so einig, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Angesichts des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine öffnen nun alle EU-Staaten die Grenzen für die vor diesem Fliehenden.
Anwendung des »vorübergehenden Schutzes«
Am 3. März 2022 wurde in Brüssel zum ersten Mal die Anwendung die Anwendung der sogenannten »Massenzustromsrichlinie« bzw. Richtlinie über den temporären Schutz beschlossen. Bei dieser Richtlinie handelt es sich um ein Instrument zur Aufnahme Vertriebener, welches historisch auf die Erfahrungen mit den großen Zahlen Schutzsuchender im Zuge der Jugoslawien-Kriege zurückzuführen ist. Damals haben verschiedene europäische Staaten – darunter auch Deutschland – den Fliehenden temporären Schutz gewährt, ohne dass diese Asylanträge stellen mussten. An diesem Vorbild ausgerichtet kann mit dem Rechtsinstrument der Richtlinie über den temporären Schutz ebenso vergleichsweise unkompliziert und ohne die Durchführung langwieriger Asylverfahren Vertriebenen Schutz gewährt werden. Die Richtlinie wurde bislang aber nie zur Anwendung gebracht.
Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass nach ihrem Artikel 5 eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten erforderlich ist, um sie zur Anwendung zu bringen. Kommt diese qualifizierte Mehrheit zustande, wird das Bestehen einer massiven Vertreibung durch einen Beschluss des Rates der Europäischen Union festgestellt. Aufgrund eines solchen Beschlusses wird sodann in allen Mitgliedstaaten der vorübergehende Schutz im Sinne der Richtlinie zu Gunsten der mit dem Ratsbeschluss definierten Gruppe der Vertriebenen eingeführt.
Aufgrund der visumsfreien Einreise können sich die ukrainischen Staatsangehörigen laut Ratsbeschluss den Mitgliedstaat, in dem sie den vorübergehenden Schutz bekommen wollen, selbst wählen. Allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass sobald ein Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel nach der Richtlinie 2001/ 55/EG erteilt hat, die Person, die vorübergehenden Schutz genießt, zwar das Recht hat, 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen in der Union zu reisen, aber die Rechte, die sich aus dem vorübergehenden Schutz ergeben, nur in dem Mitgliedstaat geltend machen können sollte, der den Aufenthaltstitel erteilt hat (Erwägungsgrund 16).
In Deutschland umgesetzt werden die Regelungen der Richtlinie mit § 24 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).
Am 14. März 2022 hat das Bundesinnenministerium in einem Schreiben an die Bundesländer erste Hinweise zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses gegeben. Die Hinweise klären ein paar offene Fragen und werden folgend im Text aufgeführt. Aber nicht alle offenen Fragen werden abschließend geklärt und es wird deutlich, dass es noch zu weiteren Hinweisen kommen kann.
Wer soll den vorübergehenden Schutz bekommen?
Laut den BMI Hinweisen vom 14.03.2022 wird der vorübergehende Schutz in Deutschland auch für Personen angewendet, die »nicht lange vor dem 24. Februar 2022, als die Spannungen zunahmen, aus der Ukraine geflohen sind oder die sich kurz vor diesem Zeitpunkt (z.B. im Urlaub oder zur Arbeit) im Gebiet der EU befunden haben und die infolge des bewaffneten Konflikts nicht in die Ukraine zurückkehren können« (S. 6 der Hinweise). Konkret ist der temporäre Schutz für folgende Personen vorgesehen:
- Ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine gelebt haben. (Art. 2 Abs. 1 lit. a Ratsbeschluss). Laut BMI Hinweisen vom 14.03.2022 können auch ukrainische Staatsangehörige mit Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG stellen, wenn die Verlängerung des bestehenden Aufenthaltstitels nicht möglich ist. Auch wenn sie kurz vor dem 24.02.2022 geflohen sind oder sich kurz vor dem Ausbruch des Krieges in der EU befanden, sind sie umfasst (S. 6 der Hinweise)
- Nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die vor dem 24. Februar 2022 internationalen Schutz oder einen vergleichbaren nationalen Schutzstatus in der Ukraine hatten (Art. 2 Abs. 1 lit. b Ratsbeschluss)
- Familienmitglieder von Angehörigen dieser beiden Gruppen, wenn die Familie schon in der Ukraine bestand und unabhängig davon, ob die Angehörigen in ihre Heimatländer zurückkehren könnten (Art. 2 Abs. 1 lit. c Ratsbeschluss). Zur Familie gehören Ehepartner*innen und unverheiratete Paare in langfristiger Beziehung, wenn per Gesetz oder in der Praxis unverheiratete Paare vergleichbar mit verheirateten Paaren behandelt werden, minderjährige Kinder sowie andere im Haushalt lebende Verwandte, die von der Hauptperson abhängig sind (Art. 4 Ratsbeschluss). Laut BMI Hinweisen vom 14.03.2022 zählen nicht verheiratete Paare (auch gleichgeschlechtliche), die in einer dauerhaften Beziehung leben, als Lebensgefährt*innen und sind vom Schutz umfasst (S. 3 der Hinweise). Es muss sich dabei um eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft handeln, die keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Personen in Not- und Wechselfällen des Lebens begründen, also über die Beziehungen zueinander in eine reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Kinder müssen zum Stichtag (24.02.2022) minderjährig gewesen sein, es ist aber in der Regel laut den Hinweisen nicht schädlich, wenn sie zum Zeitpunkt des Antrags auf vorübergehenden Schutz bereits volljährig sind (S. 4 der Hinweise). Auch zur erforderlichen Abhängigkeit zum Beispiel bei Pflegebedürftigkeit werden in den Hinweisen weitere Erklärungen gemacht (S. 3 f.).
- Nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die einen gültigen Aufenthaltstitel für die Ukraine nachweisen können und die nicht sicher und dauerhaft in ihr Heimatland zurückkehren können. Bezüglich der Feststellung, ob eine Person nicht sicher und dauerhaft in ihr Heimatland zurückkehren kann, wird in den BMI Hinweisen festgestellt, dass sie »jedenfalls« dann nicht zurückkehren können, wenn sie ohne den vorübergehenden Schutz oder einen anderen Aufenthaltstitel eine Duldung nach §§ 60 oder 60a AufenthG (nicht: Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung) bekommen würden. Dies klärt aber in der Praxis nicht viel und so steht auch in den Hinweisen, dass »… gegebenenfalls eine darüber hinausgehende weitere Klarstellung [folgt]« (S. 4 der Hinweise).
- Die Mitgliedstaaten können entscheiden den Schutz der Richtlinie zudem auf weitere Personen auszuweiten, wozu auch andere Drittstaatsangehörige gehören können, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben und die nicht sicher und dauerhaft in ihre Herkunftsländer zurückkehren können (Art. 2 Abs. 3 Ratsbeschluss). Dies wird laut den BMI Hinweisen vom 14.03.2022 getan, wenn die Personen sich »am 24. Februar 2022 nachweislich rechtmäßig, und nicht nur zu einem Kurzaufenthalt in der Ukraine aufgehalten haben und […] nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können« (S. 5). Es wird zudem konkretisiert, dass damit auch Studierende umfasst sind und Personen, die nicht nur für kurzfristige Erwerbszwecke in der Ukraine waren. Allerdings ist wie bereits erwähnt weiterhin einiges offen was die Definition der »sicheren und dauerhaften« Rückkehr angeht. Auch könnten für manche andere aufenthaltsrechtliche Optionen in Deutschland bestehen, über die sich Betroffene beraten lassen sollten.
Dauer des Aufenthalts
Nach § 24 Absatz 1 AufenthG wird eine Aufenthaltserlaubnis für die in den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie festgelegte Dauer erteilt. Nach diesen Normen beträgt die Dauer des vorübergehenden Schutzes grundsätzlich zunächst ein Jahr. Der Zeitraum verlängert sich anschließend zweimal automatisch um jeweils sechs Monate, sofern der Rat keine vorzeitige Beendigung – die einer Feststellung des Inhalts bedarf, dass eine sichere und dauerhafte Rückkehr möglich ist – beschließt. Laut dem BMI Hinweisen vom 14.03.2022 soll die Aufenthaltserlaubnis direkt für zwei Jahre ausgestellt werden. Per Ratsbeschluss könnte der vorübergehende Schutz um ein weiteres Jahr auf dann insgesamt maximal drei Jahre verlängert werden. Entsprechend wäre gegebenenfalls dann auch die Aufenthaltserlaubnis um ein weiteres Jahr zu verlängern.
Der Antrag auf Erteilung des § 24 AufenthG ist bei der zuständigen Ausländerbehörden zu stellen. Dies ist die Ausländerbehörde des Wohnorts oder des Aufenthaltsorts.
Verteilung auf die und innerhalb der Bundesländer
In Deutschland angekommene Vertriebene werden auf die Bundesländer verteilt. Diese können Kontingente für die Aufnahme zum vorübergehenden Schutz vereinbaren. Sofern eine solche Vereinbarung nicht stattfindet, erfolgt die Verteilung nach dem auch für die Verteilung von Asylbewerber*innen festgelegten Schlüssel (§ 24 Absatz 3 AufenthG). Hierbei handelt es sich um den sogenannten »Königsteiner Schlüssel«, der außer der Größe der Bevölkerung auch die Wirtschaftskraft der Länder berücksichtigt (vergleiche § 45 AsylG). Zuständig für die Durchführung der Verteilung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Die interne Verteilung innerhalb des jeweiligen Bundeslandes folgt im Wesentlichen den gleichen Regeln wie jenen für Asylbewerber*innen. Die jeweils zuständige Landesbehörde erlässt die Zuweisungsentscheidung. Wichtig dabei ist, dass bei der Zuweisung die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen zu berücksichtigen sind (vergleiche § 24 Abs. 4 AufenthG in Verbindung mit § 50 Abs. 4 AsylG).
Aufgenommene haben keinen Rechtsanspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten, sie müssen ihren Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt am zugewiesenen Ort nehmen (vergleiche § 24 Absatz 5 AufenthG). Die Wohnsitzauflage soll laut den BMI Hinweisen vom 14.03.2022 analog zum § 12a AufenthG u.a. aufgehoben werden, wenn eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt oder die Person eine Berufsausbildung aufnimmt oder in einem Studien- oder Ausbildungsverhältnis steht (S. 10 der Hinweise).
Erwerbstätigkeit
Eine Besonderheit bei Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 AufenthG sind die Regeln zur Erwerbstätigkeit, die in Absatz 6 der Norm niedergelegt sind.
Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit darf danach nicht ausgeschlossen werden. Dies geht auf Artikel 12 der Richtlinie zurück.
Die Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung ist mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG nicht – wie bei anderen Aufenthaltserlaubnissen (vergleiche § 4a Abs. 1 AufenthG) von vornherein erlaubt, sie kann aber nach § 4a) Abs. 2 AufenthG erlaubt werden. Das dort normierte Ermessen ist auf Grund des Vorrangs des Unionsrechts als Anspruch zu lesen: Da Artikel 12 der Richtlinie auch die Gestattung der Ausübung einer abhängigen Beschäftigung als Anspruch formuliert, muss die Erlaubnis stets erteilt werden. Hierfür bedarf es – wie sich aus § 31 BeschV ergibt – keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Auch die BMI Hinweise vom 13.03.2022 halten fest, dass der Aufenthaltstitel mit dem Eintrag »Erwerbstätigkeit erlaubt« auszustellen ist und die Ausländerbehörden hier keinen Spielraum haben (S. 11 f. der Hinweise). Bis der Aufenthaltstitel erteilt wird soll in der Fiktionsbescheinigung ebenso mit dem Vermerk »Erwerbstätigkeit erlaubt« versehen werden (S. 9 der Hinweise).
Sozialleistungen und sonstige staatliche Leistungen
Wenn noch kein Antrag bei der Ausländerbehörde erfolgt ist, wird laut den BMI Hinweisen vom 14.03.2022 die Bitte um Unterstützung (Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung) als Schutzbegehren gewertet, womit ein Leistungsanspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz besteht (S. 7 f.). Dies ist jedoch nicht mit einem Asylantrag zu verwechseln! Ein Asylverfahren wird erst nach formellem Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeleitet (S. 12 der Hinweise).
Mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG besteht Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 1 Abs. 1 lit. 3a AsylbLG). Hier könnte und sollte die Bundesregierung nachjustieren, da die Sätze des Asylbewerberleistungsgesetz sehr gering sind.
Ferner besteht auch ein Anspruch auf Kindergeld und andere Familienleistungen, solange eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird oder nach deren Beendigung Arbeitslosengeld I bezogen wird oder Elternzeit genommen wird.
Wenn keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, besteht ein Anspruch auf Familienleistungen nach 15-monatigem Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 62 Absatz 2 Nr. 3 und 4 EStG).
Der Zugang zum Integrationskurs ist laut den BMI Hinweisen vom 14.03.2022 auf Antrag möglich. Dieser kann bei den zuständigen Regionalstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gestellt werden (S. 12 der Hinweise). Um die Teilnahme am Integrationskurs frühestmöglich zu ermöglichen, soll in der Fiktionsbescheinigung ein Hinweis auf Titelerteilung nach § 24 AufenthG enthalten sein (S. 9 der Hinweise).
Familiennachzug
Für den Nachzug von Ehegatten und minderjährigen Kindern werden Inhaber*innen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 Absatz 1 AufenthG nach § 29 Absatz 4 AufenthG begünstigt, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland durch die Fluchtsituation aufgehoben wurde und die Familienangehörigen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union übernommen werden oder sich außerhalb der Europäischen Union befinden und schutzbedürftig sind.
Unter diesen Voraussetzungen besteht ein gesetzlicher Nachzugsanspruch. Ferner wird von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG – Sicherung des Lebensunterhalts, Vorliegen einer geklärten Identität und Staatsangehörigkeit, Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses, Erfüllung der Passpflicht – abgesehen. Abgesehen wird unter den genannten Voraussetzungen außerdem von der Anwendung des § 27 Absatz 3 AufenthG. Das heißt, der Familiennachzug darf nicht mit der Begründung des Bezugs von Sozialleistungen derjenigen Person, zu der der Nachzug erfolgen soll, abgelehnt werden.
Sonstige Familienangehörige – wie beispielsweise die Eltern erwachsener Inhaber*innen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 Abs. 1 AufenthG – können unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 AufenthG nachziehen. Der Nachzug muss dann zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich sein. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die nachzugswillige Person pflegebedürftig ist und im Herkunftsland keine Pflege zur Verfügung steht.
Sämtliche nachziehenden Familienangehörigen bekommen, wie § 24 Absatz 4 Satz 3 AufenthG bestimmt, nicht die sonst für den Familiennachzug üblichen Aufenthaltstitel nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes, sondern – ebenso wie jene Person, zu welcher der Nachzug stattfindet – Aufenthaltserlaubnisse nach § 24 Absatz 1 AufenthG. Auch für sie gelten also die oben beschrieben zeitlichen Beschränkungen, Zugangsvoraussetzungen zur Erwerbstätigkeit und Zugangsvoraussetzungen zu Sozialleistungen und sonstigen staatlichen Leistungen. Außerdem ergibt sich aus der Anwendung von § 24 AufenthG auch auf die nachziehenden Familienangehörigen, dass diese nicht – wie sonst üblich – mit dem erforderlichen Visum eingereist sein müssen (vergleiche § 5 Absatz 3 AufenthG, der ein Absehen von § 5 Absatz 2 AufenthG gebietet). Sie können also nach visumfreier Einreise in das Bundesgebiet hier direkt bei der zuständigen Ausländerbehörde den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stellen, ohne zuvor ein Visumverfahren vom Ausland aus durchführen zu müssen.
Auch wenn die nachziehenden Familienangehörigen wie beschrieben selbst ebenfalls Aufenthaltserlaubnisse nach § 24 Absatz 1 AufenthG und keine Aufenthaltstitel nach dem 6. Abschnitt zum Familiennachzug erhalten, gelten dennoch die dort befindlichen §§ 31, 33, 34 und 35 AufenthG. Das bedeutet, dass nachgezogene Ehegatten bei einer Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, nachdem diese drei Jahre im Bundesgebiet bestanden hat, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG erhalten. Im Bundesgebiet geborene Kinder von Inhaber*innen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 Absatz 1 AufenthG erhalten Aufenthaltserlaubnisse nach § 33 AufenthG. Die Verlängerung und Eigenständigkeit von Aufenthaltserlaubnissen nachgezogener Kinder folgt den besonderen Regeln des § 34 AufenthG und die Verfestigung des Aufenthalts von Kindern zu einem unbefristeten Aufenthaltsrecht jenen des § 35 AufenthG.
Ausschlussgründe
Die Gewährung vorübergehenden Schutzes ist bei Personen ausgeschlossen, die schwerster Straftaten verdächtigt sind etwa, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder auch eine schwere nichtpolitische Straftat begangen haben (Artikel 28 der Richtlinie bzw. § 24 Absatz 2 AufenthG in Verbindung mit § 3 Absatz 2 AsylG).
Gleiches soll gelten, wenn der oder die Betreffende aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er oder sie wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 24 Absatz 2 AufenthG in Verbindung mit § 60 Absatz 8 AufenthG). Dieser weite Ausschluss ist indessen nicht von Artikel 28 der Richtlinie gedeckt.
Selbst wenn in Folge eines Ausschlussgrundes die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt, bedeutet dies nicht, dass es zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommen darf, da bei den Betroffenen zumindest die Eigenschaft als »Vertriebener« vor einem bewaffneten Konflikt (siehe oben) festgestellt wurde. Daher ist Betroffenen bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes für die Dauer des bewaffneten Konfliktes zumindest eine Duldungsbescheinigung nach § 60 a) AufenthG auszustellen.
(pva/wj)